Chatzialexiou: "Die strahlenden Augen – das war phänomenal"

Lange elf Monate mussten sich die Nachwuchsteams des DFB gedulden. Im September durften sie endlich wieder für Länderspiele auf den Platz zurück: Joti Chatzialexiou erklärt, warum das für die Entwicklung der Spieler*innen elementar ist. Der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften spricht im Interview zudem über Aufgaben – seine, die der Trainer*innen und die des Verbandes.

DFB.de: Herr Chatzialexiou, mit welchen Themen beschäftigt sich der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften, wenn sein Kerngeschäft – der Nachwuchsbereich – stillliegt, weil keine Spiele stattfinden?

Panagiotis "Joti" Chatzialexiou: In allererster Linie mit dem Projekt Zukunft. Das ist allgegenwärtig. Im weiblichen Bereich sind wir mitten in der Konzeption, für den männlichen ist sie von unserer Seite abgeschlossen. Da passen wir nach Gesprächen mit allen Beteiligten noch gewisse Dinge an. Zudem habe ich natürlich die Mannschaften begleitet, die im Spielbetrieb waren: Die U 21, die A-Nationalmannschaften. Ein bisschen Fußball war also noch. (lacht)

DFB.de: Und zwischen den Turnieren, die Sie begleitet haben?

Chatzialexiou: Haben wir sehr viel konzeptionell gearbeitet: die positionsspezifischen Programme aufgebaut, die wir mit digitalen Kabinentalks für unsere Spieler*innen eingeleitet haben. Mit den Vereinen sind wir noch tiefer in den Austausch gegangen. Im Trainer*innen-Bereich sind wir das Thema "Coaching im Team" angegangen. Dazu passt, dass wir die Co-Trainer*innen im Jugendbereich festangestellt haben. Ansonsten haben wir die Turniere analysiert, Individualanalysen gemacht und überall gescoutet, wo es nur ging. Wir sind für unsere Stützpunktspieler*innen dagewesen, haben verschiedene Events organisiert. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Gestaltung des Rahmenterminkalenders. Er gewährleistet den geregelten Spielbetrieb. Keine leichte Aufgabe bei all den Terminen. Zu guter Letzt haben wir gemeinsam mit der DFB-Akademie den Aufbau des Performance-Bereichs vorangetrieben.

DFB.de: Was hat es damit auf sich?

Chatzialexiou: Wir haben zum Beispiel im Zusammenspiel aller unserer Fachbereiche innerhalb unserer Direktion die ersten Performance Days durchgeführt. Wir haben die ehemals durchgeführten Leistungstests weiterentwickelt. Es geht uns nicht mehr um Laktatwerte und kontextlose Daten und Fakten, wir machen zeitgemäße Analysen, um den Spieler*innen Potenziale und Ansatzpunkte aufzeigen zu können. Wir wollen das Thema Verletzungsprophylaxe ebenso vorantreiben wie das Thema Leistungsoptimierung – sei es durch Wissen zur Ernährung, dem Schlaf oder auch der Sportpsychologie. Insgesamt war es mir während der Coronapause definitiv nicht langweilig. (lacht)

DFB.de: Stichwort Langeweile. Kamen denn Nachwuchsspieler*innen auf Sie zu, die nicht wussten, was sie mit der vielen Zeit anfangen sollen?

Chatzialexiou: Nein, das nicht. Wir haben den Jungs und Mädels viele Angebote gemacht. Dazu kommen ihr eigener innerer Antrieb und die Maßnahmen, die ihre Vereine initiiert haben. Langweilig war ihnen zu keiner Zeit. Man muss da sowieso differenzieren: Die Älteren, die nah am Profibereich dran sind oder schon Teil der U 21, haben gespielt. U 19- und U 20-Spieler*innen haben bei den Profis mittrainiert oder sogar Einsätze bekommen. Anders sieht es bei den Jüngeren im Aufbaubereich aus. Sie hatten keine Maßnahmen und Spiele, lange Zeit auch kein regelmäßiges Training. Wir waren in der Zeit für sie da.

DFB.de: Inwiefern?

Chatzialexiou: Unsere Trainer*innen und Expert*innen waren immer ansprechbar, erstellten, wo notwendig, Trainingspläne und waren unheimlich kreativ. Wir haben aktuelle und ehemalige Nationalspieler*innen wie auch externe Referent*innen eingeladen, die zum Beispiel bei den bereits erwähnten digitalen Kabinentalks mit den Talenten gesprochen haben. Durch weitere digitale Angebote sind wir im Zusammenspiel mit den Vereinen immer in Kontakt mit den Teams geblieben. Da ging es um Fitness-Themen, um Ernährung oder Psychologie – manchmal aber auch Technik-Drills, die jede*r in den eigenen vier Wänden nachmachen und weiterentwickeln konnte. Durch Team-Meetings wussten wir immer, was die Spieler*innen bewegt und wie es ihnen ging.

DFB.de: Das strenge DFB-Hygienekonzept hielt niemanden davon ab, sich untereinander auszutauschen?

Chatzialexiou: Physischen Kontakt gab es natürlich wenig, durch Videoanrufe und Co. konnten wir die Spieler*innen aber weiterhin eng begleiten. Das war für uns alle, auch die Trainer*innen und das Team hinter dem Team, anstrengend – aber erfolgreich. Als es dann auch wieder bei unseren Teams losging, hatten wir kaum Coronafälle, bei den Lehrgängen im September keinen einzigen. Da spielt die tolle Arbeit unserer Team-Manger*innen eine entscheidende Rolle, vor allem aber die Disziplin jedes*r Einzelnen. Auch in den kleinen Dingen. Sie war zu jeder Zeit bei allen vorhanden.

DFB.de: Besonders in Japan, von wo die komplette Delegation gesund zurückkehrte. Corona hat die Olympischen Spiele dennoch geprägt, oder?

Chatzialexiou: Absolut. Das waren nicht die Olympischen Spiele, wie wir sie kennen. Schade fand ich vor allem, dass die Spieler den Spirit nicht so miterleben konnten, wie ich ihn zum Beispiel 2016 in Rio gespürt habe. Das war einzigartig. Jetzt muss man sagen, dass die Pandemie den Spielen den Spirit genommen hat. Das konnten die beiden Besuche der Mannschaft im Olympischen Dorf nicht ganz wettmachen, auch wenn sie immens wichtig für die Jungs waren.

DFB.de: Immerhin konnte dort Fußball gespielt werden. Was bedeutet es für die Entwicklung der U 15- bis U 17-Fußballer*innen, wenn sie fast ein Jahr lang ohne Spielpraxis auskommen müssen?

Chatzialexiou: Das ist schwer vorherzusagen. Wir müssen das Beste aus der Situation machen. Klar ist, dass jeder Tag ohne Spiel oder Training die Talente zurückwirft. Es gibt einige, die keine Spiele bestritten und trainiert haben. Das ist eine große Belastung – psychisch und physisch. Trotzdem ist es möglich, gestärkt zurückzukommen. Das haben Spieler*innen nach langwierigen Verletzungen schon gezeigt. Dafür braucht es Disziplin, Widerstandsfähigkeit und viel Geduld. Wenn du dich wirklich verbessern willst, ist das der Weg: sich auf die Situation einlassen und mit enormer Willenskraft über das Ausgangsniveau hinauswachsen.

DFB.de: Können Sie der Situation einen positiven Aspekt abgewinnen?

Chatzialexiou: Man konnte an individuellen Dingen arbeiten. Sei es im physischen Bereich durch Kräftigungsübungen oder im mentalen. In den Vereinen wurden die Spieler aufgrund der Corona-Maßnahmen teilweise sehr individuell geschult. Trotzdem ersetzt natürlich kein Individualtraining die Arbeit im Team, mit Ball am Fuß, auf dem Platz. Das ist uns bewusst. Im Doppelpass mit den Vereinen ist es uns gelungen, das bestmöglich abzufedern.

DFB.de: Ein Rückstand entsteht durch ein Jahr ohne U-Länderspiele dennoch. Ist er überhaupt aufzuholen?

Chatzialexiou: Zumindest kurzfristig ist das nur schwer möglich. Andere Nationen haben dieses Problem ebenfalls, auch wenn die Vereinsarbeit im Ausland vielfach schon früher wieder aufgenommen werden konnte. Wir sehen immer wieder, dass Spieler*innen im Übergangsbereich die Wettkampfpraxis brauchen. Spielen, spielen, spielen – das ist ein ganz entscheidender Faktor. Das entspricht dem ganzheitlichen Ansatz, wie wir mit unseren Mannschaften arbeiten.

DFB.de: Das unterstreicht, wie wichtig es ist, dass der Ball nun wieder rollt. Wie beurteilen Sie die erste Länderspielphase der Saison sportlich?

Chatzialexiou: Die Spiele waren eng, die Ergebnisse wirklich gut. Aber natürlich schauen wir besonders auf die Art und Weise, wie gespielt wird. Vor allem nach so einer langen Pause. Gibt es individuell starke Spieler? Wie sind wir auf bestimmten Positionen im internationalen Vergleich aufgestellt? Das sind Fragen, die uns beschäftigen.

DFB.de: Und?

Chatzialexiou: Unsere Jungs haben mich sehr beeindruckt. Ihnen gebührt ein großes Lob. Wie heiß sie alle waren, wieder mit den U-Nationalmannschaften zusammenzukommen! Gleiches habe ich beispielsweise bei den U 17-Mädels von Fritzy Kromp beobachtet. Die strahlenden Augen der Spielerinnern – das war phänomenal. Gleichzeitig will ich auch unsere Gegner loben. Sie haben tollen Fußball gespielt.

DFB.de: An wen denken Sie da konkret?

Chatzialexiou: Die Engländer zum Beispiel haben gegen unsere U 19 stark gespielt. Da waren zwei Top-Teams auf dem Platz, wirklich bemerkenswert. Wenn mir unsere Spieler, die selbst bei Topklubs spielen, über das "krasse Niveau" der Engländer berichten, fühle ich mich bestätigt: da beschreiben sie nämlich den Unterschied zwischen dem Liga-Alltag und dem, was auf dem Niveau der Nationalmannschaften passiert. Deshalb bin ich so überzeugt, dass der internationale Vergleich für unsere Mädels und Jungs sehr wertvoll ist.

DFB.de: Welche Rückmeldungen zum Restart haben Sie ansonsten von den Spieler*innen bekommen?

Chatzialexiou: Absolut positive. Die U 17-Mädels haben sportlich überzeugt und waren entsprechend begeistert. Von spannenden Erfahrungen haben mir die U 15- und U 16-Spielerinnen berichtet – sie haben die Performance Days zum ersten Mal mitgemacht. Die Jungs der U 19 haben mir erzählt, wie heiß sie darauf sind, wieder mit ihren Kumpels zusammenzukommen, als Team zusammenzuwachsen und gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten. Wenn du solche Spieler*innen hast, die eine positive Energie mitbringen, die aufnahmebereit sind und ihre Trainingseinheiten sehr leidenschaftlich absolvieren, dann stimmt mich das positiv für die Zukunft.

DFB.de: Sie tauschen sich auch fortlaufend mit den Trainer*innen aus. Haben Sie dabei Überraschendes zu hören bekommen?

Chatzialexiou: Überraschend war das nicht unbedingt, aber alle haben unisono davon erzählt, wie heiß die Jungs und Mädels auf die Spiele waren. Überall herrschte eine überragende Trainingskultur: Die Freude, wieder auf dem Platz zu stehen, ist überbordend. Auch, weil die Nationalmannschaften etwas Besonderes für die Spieler*innen sind. Das ist eine große Wertschätzung für uns, die man sich mit Inhalten und einer guten Atmosphäre erarbeiten muss. Ich bin glücklich darüber, dass wir dieses positive Umfeld schaffen. Hier gilt unseren Trainer*innen und Staff-Teams ein großes Kompliment.

DFB.de: Wodurch gelingt das?

Chatzialexiou: Mit Teamabenden, durch ein engagiertes Team hinter dem Team. Mit vielen kleinen Aktionen, vor allem spielerischen, haben wir versucht, den Zusammenhalt zu stärken. Und durch unsere Arbeit mit den Spieler*innen: Wenn sie merken, dass wir sie in ihrer Entwicklung voranbringen, kommen sie gerne zu uns. Hinzu kommt: Die Jungs und Mädels sind auch untereinander sehr kreativ, ergreifen selbst die Initiative. Nach so einer langen Zeit haben sie sich viel zu erzählen. Da brauchte es oft keinen speziellen Anstoß von unserer Seite. Für mich ist viel wichtiger, dass das von den Spieler*innen selbst kommt. Das schlägt sich dann auch auf dem Platz durch. Für viele von ihnen ist es immer noch das Größte, für ihr Land zu spielen.

DFB.de: Welche Höhepunkte liefert die Saison 2021/22 – wenn sie ohne Verschiebungen oder Abbrüche gespielt werden kann?

Chatzialexiou: Jedes Länderspiel ist ein Höhepunkt. Jede Maßnahme sollte ein Höhepunkt für alle Spieler*innen sein. Natürlich stehen die Turniere und Qualifikationsphasen im Vordergrund. Hier überstrahlt die UEFA Frauen EURO in England natürlich alles. Die Mädels aus dem Übergangsbereich können sich allerdings zum Beispiel auch bei der U 20-WM in Costa Rica beweisen, ein wirkliches Highlight. Für die anderen Mannschaften gilt: Wir müssen erstmal unsere Hausaufgaben in der Qualifikation machen. Sie zu schaffen, ist mein klarer Wunsch, weil die Spieler*innen die Turniere für ihre Entwicklung benötigen: Dort spielen sie gegen die Besten ihres Jahrgangs.

DFB.de: Wenn die Länderspiel-Saison 2020/21 für Nachwuchsteams zu großen Teilen eine verlorene war, was wünschen Sie sich dann von der nun begonnenen Spielzeit?

Chatzialexiou: Zunächst einmal hoffe ich für die Menschen in unserem Land, dass wir keine vierte Corona-Welle bekommen. Impfungen sind unser wichtigstes Corona-Gegenmittel, daher unterstützt der DFB die Impfkampagne mit seinen prominentesten Gesichtern. Auch ich hab‘ schon Gelb! Den Nachwuchsfußballer*innen wünsche ich eine Saison ohne Unterbrechungen und natürlich, dass sie gesund bleiben. Sportlicher Erfolg on top würde uns alle freuen!

DFB.de: Für den Sie als Sportlicher Leiter täglich arbeiten, auch wenn der Ball nicht rollt.

Chatzialexiou: So ist es. Ich wünsche mir für den deutschen Fußball insgesamt, dass wir beim Bundestag eine zentrale Weichenstellung hinbekommen und das Projekt Zukunft auf die Straße bringen. Um in den nächsten Jahren international wettbewerbsfähig zu sein, müssen wir unseren großen Talentpool noch besser ausschöpfen. Unser Anspruch als Fußballnation ist es, noch mehr jungen Spieler*innen ihren Traum vom Profifußball zu ermöglichen.

[jf]

Lange elf Monate mussten sich die Nachwuchsteams des DFB gedulden. Im September durften sie endlich wieder für Länderspiele auf den Platz zurück: Joti Chatzialexiou erklärt, warum das für die Entwicklung der Spieler*innen elementar ist. Der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften spricht im Interview zudem über Aufgaben – seine, die der Trainer*innen und die des Verbandes.

DFB.de: Herr Chatzialexiou, mit welchen Themen beschäftigt sich der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften, wenn sein Kerngeschäft – der Nachwuchsbereich – stillliegt, weil keine Spiele stattfinden?

Panagiotis "Joti" Chatzialexiou: In allererster Linie mit dem Projekt Zukunft. Das ist allgegenwärtig. Im weiblichen Bereich sind wir mitten in der Konzeption, für den männlichen ist sie von unserer Seite abgeschlossen. Da passen wir nach Gesprächen mit allen Beteiligten noch gewisse Dinge an. Zudem habe ich natürlich die Mannschaften begleitet, die im Spielbetrieb waren: Die U 21, die A-Nationalmannschaften. Ein bisschen Fußball war also noch. (lacht)

DFB.de: Und zwischen den Turnieren, die Sie begleitet haben?

Chatzialexiou: Haben wir sehr viel konzeptionell gearbeitet: die positionsspezifischen Programme aufgebaut, die wir mit digitalen Kabinentalks für unsere Spieler*innen eingeleitet haben. Mit den Vereinen sind wir noch tiefer in den Austausch gegangen. Im Trainer*innen-Bereich sind wir das Thema "Coaching im Team" angegangen. Dazu passt, dass wir die Co-Trainer*innen im Jugendbereich festangestellt haben. Ansonsten haben wir die Turniere analysiert, Individualanalysen gemacht und überall gescoutet, wo es nur ging. Wir sind für unsere Stützpunktspieler*innen dagewesen, haben verschiedene Events organisiert. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Gestaltung des Rahmenterminkalenders. Er gewährleistet den geregelten Spielbetrieb. Keine leichte Aufgabe bei all den Terminen. Zu guter Letzt haben wir gemeinsam mit der DFB-Akademie den Aufbau des Performance-Bereichs vorangetrieben.

DFB.de: Was hat es damit auf sich?

Chatzialexiou: Wir haben zum Beispiel im Zusammenspiel aller unserer Fachbereiche innerhalb unserer Direktion die ersten Performance Days durchgeführt. Wir haben die ehemals durchgeführten Leistungstests weiterentwickelt. Es geht uns nicht mehr um Laktatwerte und kontextlose Daten und Fakten, wir machen zeitgemäße Analysen, um den Spieler*innen Potenziale und Ansatzpunkte aufzeigen zu können. Wir wollen das Thema Verletzungsprophylaxe ebenso vorantreiben wie das Thema Leistungsoptimierung – sei es durch Wissen zur Ernährung, dem Schlaf oder auch der Sportpsychologie. Insgesamt war es mir während der Coronapause definitiv nicht langweilig. (lacht)

DFB.de: Stichwort Langeweile. Kamen denn Nachwuchsspieler*innen auf Sie zu, die nicht wussten, was sie mit der vielen Zeit anfangen sollen?

Chatzialexiou: Nein, das nicht. Wir haben den Jungs und Mädels viele Angebote gemacht. Dazu kommen ihr eigener innerer Antrieb und die Maßnahmen, die ihre Vereine initiiert haben. Langweilig war ihnen zu keiner Zeit. Man muss da sowieso differenzieren: Die Älteren, die nah am Profibereich dran sind oder schon Teil der U 21, haben gespielt. U 19- und U 20-Spieler*innen haben bei den Profis mittrainiert oder sogar Einsätze bekommen. Anders sieht es bei den Jüngeren im Aufbaubereich aus. Sie hatten keine Maßnahmen und Spiele, lange Zeit auch kein regelmäßiges Training. Wir waren in der Zeit für sie da.

DFB.de: Inwiefern?

Chatzialexiou: Unsere Trainer*innen und Expert*innen waren immer ansprechbar, erstellten, wo notwendig, Trainingspläne und waren unheimlich kreativ. Wir haben aktuelle und ehemalige Nationalspieler*innen wie auch externe Referent*innen eingeladen, die zum Beispiel bei den bereits erwähnten digitalen Kabinentalks mit den Talenten gesprochen haben. Durch weitere digitale Angebote sind wir im Zusammenspiel mit den Vereinen immer in Kontakt mit den Teams geblieben. Da ging es um Fitness-Themen, um Ernährung oder Psychologie – manchmal aber auch Technik-Drills, die jede*r in den eigenen vier Wänden nachmachen und weiterentwickeln konnte. Durch Team-Meetings wussten wir immer, was die Spieler*innen bewegt und wie es ihnen ging.

DFB.de: Das strenge DFB-Hygienekonzept hielt niemanden davon ab, sich untereinander auszutauschen?

Chatzialexiou: Physischen Kontakt gab es natürlich wenig, durch Videoanrufe und Co. konnten wir die Spieler*innen aber weiterhin eng begleiten. Das war für uns alle, auch die Trainer*innen und das Team hinter dem Team, anstrengend – aber erfolgreich. Als es dann auch wieder bei unseren Teams losging, hatten wir kaum Coronafälle, bei den Lehrgängen im September keinen einzigen. Da spielt die tolle Arbeit unserer Team-Manger*innen eine entscheidende Rolle, vor allem aber die Disziplin jedes*r Einzelnen. Auch in den kleinen Dingen. Sie war zu jeder Zeit bei allen vorhanden.

DFB.de: Besonders in Japan, von wo die komplette Delegation gesund zurückkehrte. Corona hat die Olympischen Spiele dennoch geprägt, oder?

Chatzialexiou: Absolut. Das waren nicht die Olympischen Spiele, wie wir sie kennen. Schade fand ich vor allem, dass die Spieler den Spirit nicht so miterleben konnten, wie ich ihn zum Beispiel 2016 in Rio gespürt habe. Das war einzigartig. Jetzt muss man sagen, dass die Pandemie den Spielen den Spirit genommen hat. Das konnten die beiden Besuche der Mannschaft im Olympischen Dorf nicht ganz wettmachen, auch wenn sie immens wichtig für die Jungs waren.

DFB.de: Immerhin konnte dort Fußball gespielt werden. Was bedeutet es für die Entwicklung der U 15- bis U 17-Fußballer*innen, wenn sie fast ein Jahr lang ohne Spielpraxis auskommen müssen?

Chatzialexiou: Das ist schwer vorherzusagen. Wir müssen das Beste aus der Situation machen. Klar ist, dass jeder Tag ohne Spiel oder Training die Talente zurückwirft. Es gibt einige, die keine Spiele bestritten und trainiert haben. Das ist eine große Belastung – psychisch und physisch. Trotzdem ist es möglich, gestärkt zurückzukommen. Das haben Spieler*innen nach langwierigen Verletzungen schon gezeigt. Dafür braucht es Disziplin, Widerstandsfähigkeit und viel Geduld. Wenn du dich wirklich verbessern willst, ist das der Weg: sich auf die Situation einlassen und mit enormer Willenskraft über das Ausgangsniveau hinauswachsen.

DFB.de: Können Sie der Situation einen positiven Aspekt abgewinnen?

Chatzialexiou: Man konnte an individuellen Dingen arbeiten. Sei es im physischen Bereich durch Kräftigungsübungen oder im mentalen. In den Vereinen wurden die Spieler aufgrund der Corona-Maßnahmen teilweise sehr individuell geschult. Trotzdem ersetzt natürlich kein Individualtraining die Arbeit im Team, mit Ball am Fuß, auf dem Platz. Das ist uns bewusst. Im Doppelpass mit den Vereinen ist es uns gelungen, das bestmöglich abzufedern.

DFB.de: Ein Rückstand entsteht durch ein Jahr ohne U-Länderspiele dennoch. Ist er überhaupt aufzuholen?

Chatzialexiou: Zumindest kurzfristig ist das nur schwer möglich. Andere Nationen haben dieses Problem ebenfalls, auch wenn die Vereinsarbeit im Ausland vielfach schon früher wieder aufgenommen werden konnte. Wir sehen immer wieder, dass Spieler*innen im Übergangsbereich die Wettkampfpraxis brauchen. Spielen, spielen, spielen – das ist ein ganz entscheidender Faktor. Das entspricht dem ganzheitlichen Ansatz, wie wir mit unseren Mannschaften arbeiten.

DFB.de: Das unterstreicht, wie wichtig es ist, dass der Ball nun wieder rollt. Wie beurteilen Sie die erste Länderspielphase der Saison sportlich?

Chatzialexiou: Die Spiele waren eng, die Ergebnisse wirklich gut. Aber natürlich schauen wir besonders auf die Art und Weise, wie gespielt wird. Vor allem nach so einer langen Pause. Gibt es individuell starke Spieler? Wie sind wir auf bestimmten Positionen im internationalen Vergleich aufgestellt? Das sind Fragen, die uns beschäftigen.

DFB.de: Und?

Chatzialexiou: Unsere Jungs haben mich sehr beeindruckt. Ihnen gebührt ein großes Lob. Wie heiß sie alle waren, wieder mit den U-Nationalmannschaften zusammenzukommen! Gleiches habe ich beispielsweise bei den U 17-Mädels von Fritzy Kromp beobachtet. Die strahlenden Augen der Spielerinnern – das war phänomenal. Gleichzeitig will ich auch unsere Gegner loben. Sie haben tollen Fußball gespielt.

DFB.de: An wen denken Sie da konkret?

Chatzialexiou: Die Engländer zum Beispiel haben gegen unsere U 19 stark gespielt. Da waren zwei Top-Teams auf dem Platz, wirklich bemerkenswert. Wenn mir unsere Spieler, die selbst bei Topklubs spielen, über das "krasse Niveau" der Engländer berichten, fühle ich mich bestätigt: da beschreiben sie nämlich den Unterschied zwischen dem Liga-Alltag und dem, was auf dem Niveau der Nationalmannschaften passiert. Deshalb bin ich so überzeugt, dass der internationale Vergleich für unsere Mädels und Jungs sehr wertvoll ist.

DFB.de: Welche Rückmeldungen zum Restart haben Sie ansonsten von den Spieler*innen bekommen?

Chatzialexiou: Absolut positive. Die U 17-Mädels haben sportlich überzeugt und waren entsprechend begeistert. Von spannenden Erfahrungen haben mir die U 15- und U 16-Spielerinnen berichtet – sie haben die Performance Days zum ersten Mal mitgemacht. Die Jungs der U 19 haben mir erzählt, wie heiß sie darauf sind, wieder mit ihren Kumpels zusammenzukommen, als Team zusammenzuwachsen und gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten. Wenn du solche Spieler*innen hast, die eine positive Energie mitbringen, die aufnahmebereit sind und ihre Trainingseinheiten sehr leidenschaftlich absolvieren, dann stimmt mich das positiv für die Zukunft.

DFB.de: Sie tauschen sich auch fortlaufend mit den Trainer*innen aus. Haben Sie dabei Überraschendes zu hören bekommen?

Chatzialexiou: Überraschend war das nicht unbedingt, aber alle haben unisono davon erzählt, wie heiß die Jungs und Mädels auf die Spiele waren. Überall herrschte eine überragende Trainingskultur: Die Freude, wieder auf dem Platz zu stehen, ist überbordend. Auch, weil die Nationalmannschaften etwas Besonderes für die Spieler*innen sind. Das ist eine große Wertschätzung für uns, die man sich mit Inhalten und einer guten Atmosphäre erarbeiten muss. Ich bin glücklich darüber, dass wir dieses positive Umfeld schaffen. Hier gilt unseren Trainer*innen und Staff-Teams ein großes Kompliment.

DFB.de: Wodurch gelingt das?

Chatzialexiou: Mit Teamabenden, durch ein engagiertes Team hinter dem Team. Mit vielen kleinen Aktionen, vor allem spielerischen, haben wir versucht, den Zusammenhalt zu stärken. Und durch unsere Arbeit mit den Spieler*innen: Wenn sie merken, dass wir sie in ihrer Entwicklung voranbringen, kommen sie gerne zu uns. Hinzu kommt: Die Jungs und Mädels sind auch untereinander sehr kreativ, ergreifen selbst die Initiative. Nach so einer langen Zeit haben sie sich viel zu erzählen. Da brauchte es oft keinen speziellen Anstoß von unserer Seite. Für mich ist viel wichtiger, dass das von den Spieler*innen selbst kommt. Das schlägt sich dann auch auf dem Platz durch. Für viele von ihnen ist es immer noch das Größte, für ihr Land zu spielen.

DFB.de: Welche Höhepunkte liefert die Saison 2021/22 – wenn sie ohne Verschiebungen oder Abbrüche gespielt werden kann?

Chatzialexiou: Jedes Länderspiel ist ein Höhepunkt. Jede Maßnahme sollte ein Höhepunkt für alle Spieler*innen sein. Natürlich stehen die Turniere und Qualifikationsphasen im Vordergrund. Hier überstrahlt die UEFA Frauen EURO in England natürlich alles. Die Mädels aus dem Übergangsbereich können sich allerdings zum Beispiel auch bei der U 20-WM in Costa Rica beweisen, ein wirkliches Highlight. Für die anderen Mannschaften gilt: Wir müssen erstmal unsere Hausaufgaben in der Qualifikation machen. Sie zu schaffen, ist mein klarer Wunsch, weil die Spieler*innen die Turniere für ihre Entwicklung benötigen: Dort spielen sie gegen die Besten ihres Jahrgangs.

DFB.de: Wenn die Länderspiel-Saison 2020/21 für Nachwuchsteams zu großen Teilen eine verlorene war, was wünschen Sie sich dann von der nun begonnenen Spielzeit?

Chatzialexiou: Zunächst einmal hoffe ich für die Menschen in unserem Land, dass wir keine vierte Corona-Welle bekommen. Impfungen sind unser wichtigstes Corona-Gegenmittel, daher unterstützt der DFB die Impfkampagne mit seinen prominentesten Gesichtern. Auch ich hab‘ schon Gelb! Den Nachwuchsfußballer*innen wünsche ich eine Saison ohne Unterbrechungen und natürlich, dass sie gesund bleiben. Sportlicher Erfolg on top würde uns alle freuen!

DFB.de: Für den Sie als Sportlicher Leiter täglich arbeiten, auch wenn der Ball nicht rollt.

Chatzialexiou: So ist es. Ich wünsche mir für den deutschen Fußball insgesamt, dass wir beim Bundestag eine zentrale Weichenstellung hinbekommen und das Projekt Zukunft auf die Straße bringen. Um in den nächsten Jahren international wettbewerbsfähig zu sein, müssen wir unseren großen Talentpool noch besser ausschöpfen. Unser Anspruch als Fußballnation ist es, noch mehr jungen Spieler*innen ihren Traum vom Profifußball zu ermöglichen.

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