Vier Turnierspiele gegen Frankreich: Nur einmal ging's schief

Nur vier der bisherigen 27 Länderspiele gegen Frankreich waren Pflichtspiele. Sie alle fanden bei WM-Endrunden statt, als nur noch vier Teams übrig waren - dreimal siegte Deutschland. Vor dem fünften - dem ersten bei einer Europameisterschaft - heute (ab 21 Uhr, live im ZDF und im Fan-Club-Radio) im Halbfinale in Marseille schaut der Autor und Historiker Udo Muras für DFB.de auf die vier Duelle 1958, 1982, 1986 und 2014 zurück.

Spiel um Platz 3, 28. Juni 1958: Deutschland - Frankreich 3:6

Ein Schatten lag über der WM-Premiere dieser Paarung, denn für beide hatte sich der Finaltraum kurz zuvor erledigt. Titelverteidiger Deutschland war an Gastgeber Schweden gescheitert, Frankreich am späteren Weltmeister Brasilien. So trafen sie sich in Göteborg "nur" im kleinen Finale um Platz drei.

Eine Niederlage erlitt der DFB schon vor Anpfiff. Präsident Peco Bauwens hatte vergeblich versucht, den Einsatz eines argentinischen Schiedsrichters zu verhindern. Nach dem 3:1 in der Vorrunde gegen die Argentinier hatten sich die Verlierer über die angeblich unfaire Spielweise der Deutschen beklagt, nun fürchtete man die Rache des Referees namens Brozzi. Die FIFA lehnte den Antrag ab. Immerhin gewann Hans Schäfer die Seitenwahl, es blieb an diesem Tag der einzige "Sieg" aus deutscher Sicht.

Herberger lässt vier Reservisten ran

Bundestrainer Sepp Herberger gab gleich vier noch nicht eingesetzten Reservisten eine Chance (Kwiatkowski, Wewers, Sturm und Kelbassa) und damit auch das Signal für ein nicht ganz so ernstzunehmendes Spiel. Schon in der ersten Hälfte fielen vier Tore, Frankreich führte 3:1. Zweimal traf Just Fontaine (14., 36.), einmal Raymond Kopa per Elfmeter (27.), das deutsche Tor glückte Hans Cieslarczyk (18.). "Wie soll das nur weitergehen? Unser Abwehrblock zeigt Risse", schrieb das Sport Magazin.

Mit weiteren Toren auf beiden Seiten ging es weiter. Douis erhöhte auf 4:1 (51.), Helmut Rahn verkürzte aus spitzem Winkel schon im Gegenzug. Dann erzielte Fontaine (77.) sein drittes Tor an diesem Tag. Schäfers 5:3 (83.) per Freistoß korrigiert das Resultat nur kurz, dann erhöhte Fontaine mit seinem vierten Tor auf den 6:3-Endstand (89.). Für ihn war es schon sein 13. bei der WM 1958 - ein bis heute einmaliger Rekord für ein Turnier.

Sepp Herberger gratulierte dem Sieger fair: "Die Franzosen haben verdient gewonnen. Eine ausgezeichnete Mannschaft mit einer blendenden Sturmreihe, wie sie die Franzosen wohl in den letzten fünf Jahren nicht gehabt haben. Sie konnte sich gegen unsere brüchige Abwehr voll austoben." Leidtragender war BVB-Torwart Heinrich Kwiatkowski, der 1954 schon beim 3:8 gegen die Ungarn geopfert worden war. Er bat Herberger nach dem Spiel: "Bitte stellen Sie mich nie mehr auf."



Nur vier der bisherigen 27 Länderspiele gegen Frankreich waren Pflichtspiele. Sie alle fanden bei WM-Endrunden statt, als nur noch vier Teams übrig waren - dreimal siegte Deutschland. Vor dem fünften - dem ersten bei einer Europameisterschaft - heute (ab 21 Uhr, live im ZDF und im Fan-Club-Radio) im Halbfinale in Marseille schaut der Autor und Historiker Udo Muras für DFB.de auf die vier Duelle 1958, 1982, 1986 und 2014 zurück.

Spiel um Platz 3, 28. Juni 1958: Deutschland - Frankreich 3:6

Ein Schatten lag über der WM-Premiere dieser Paarung, denn für beide hatte sich der Finaltraum kurz zuvor erledigt. Titelverteidiger Deutschland war an Gastgeber Schweden gescheitert, Frankreich am späteren Weltmeister Brasilien. So trafen sie sich in Göteborg "nur" im kleinen Finale um Platz drei.

Eine Niederlage erlitt der DFB schon vor Anpfiff. Präsident Peco Bauwens hatte vergeblich versucht, den Einsatz eines argentinischen Schiedsrichters zu verhindern. Nach dem 3:1 in der Vorrunde gegen die Argentinier hatten sich die Verlierer über die angeblich unfaire Spielweise der Deutschen beklagt, nun fürchtete man die Rache des Referees namens Brozzi. Die FIFA lehnte den Antrag ab. Immerhin gewann Hans Schäfer die Seitenwahl, es blieb an diesem Tag der einzige "Sieg" aus deutscher Sicht.

Herberger lässt vier Reservisten ran

Bundestrainer Sepp Herberger gab gleich vier noch nicht eingesetzten Reservisten eine Chance (Kwiatkowski, Wewers, Sturm und Kelbassa) und damit auch das Signal für ein nicht ganz so ernstzunehmendes Spiel. Schon in der ersten Hälfte fielen vier Tore, Frankreich führte 3:1. Zweimal traf Just Fontaine (14., 36.), einmal Raymond Kopa per Elfmeter (27.), das deutsche Tor glückte Hans Cieslarczyk (18.). "Wie soll das nur weitergehen? Unser Abwehrblock zeigt Risse", schrieb das Sport Magazin.

Mit weiteren Toren auf beiden Seiten ging es weiter. Douis erhöhte auf 4:1 (51.), Helmut Rahn verkürzte aus spitzem Winkel schon im Gegenzug. Dann erzielte Fontaine (77.) sein drittes Tor an diesem Tag. Schäfers 5:3 (83.) per Freistoß korrigiert das Resultat nur kurz, dann erhöhte Fontaine mit seinem vierten Tor auf den 6:3-Endstand (89.). Für ihn war es schon sein 13. bei der WM 1958 - ein bis heute einmaliger Rekord für ein Turnier.

Sepp Herberger gratulierte dem Sieger fair: "Die Franzosen haben verdient gewonnen. Eine ausgezeichnete Mannschaft mit einer blendenden Sturmreihe, wie sie die Franzosen wohl in den letzten fünf Jahren nicht gehabt haben. Sie konnte sich gegen unsere brüchige Abwehr voll austoben." Leidtragender war BVB-Torwart Heinrich Kwiatkowski, der 1954 schon beim 3:8 gegen die Ungarn geopfert worden war. Er bat Herberger nach dem Spiel: "Bitte stellen Sie mich nie mehr auf."

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Halbfinale, 8. Juli 1982: Deutschland - Frankreich 8:7 n.E.

Erstmals seit 1958 erreichten die Franzosen 24 Jahre danach in Spanien wieder ein Halbfinale, erwartet hatte das niemand vom Team um Superstar Michel Platini. So konnten sie ihr Glück kaum fassen, dass sie an jenem Donnerstagabend um den Einzug ins Finale spielten. Für die Deutschen traf das ebenfalls zu, aber aus ganz anderen Gründen. Für den Europameister war das Turnier bis dahin verkorkst. Erst in der Zwischenrunde wurde es besser, und ein einziges gutes Spiel, das 2:1 über Gastgeber Spanien, reichte zum Einzug ins Halbfinale.

Kaum einer würde heute wohl mehr über den sportlichen Unterhaltungswert dieses Duells in Sevilla reden, wenn der 21 Jahre alte französische Verteidiger Manuel Amoros nach exakt 90 Minuten nur ein paar Zentimeter niedriger geschossen hätte. So aber traf der Ball nur die Latte des deutschen Tores, das ein Mann hütete, der seit der 57. Spielminute einer der unbeliebtesten Menschen des Kontinents war: Harald Schumacher aus Köln, den alle Toni riefen. So gab es Verlängerung im Stadion Sanchéz Pizjuán.

Schumachers schlimmes Foul an Battiston

Und die Tat des Toni Schumacher geriet noch für eine unvergessliche Stunde zur Nebensache: sein Zusammenstoß mit Patrick Battiston, dem er beim Herauslaufen, mit dem Hüftknochen voraus und voller Wucht ins Gesicht gesprungen war. Battiston war zu Boden gegangen, aber der Ball neben das Tor. Battiston war besinnungslos, Deutschland hielt das 1:1 in dem schon da gigantischen Ringen. Während Schumacher reglos am Pfosten lehnte, musste der Mittelfeldspieler von AS St. Etienne vom Platz getragen werden, sein Halswirbel war angeknackst, zwei Schneidezähne fehlten. Noch war die Dimension des Foulspiels nicht klar. "Der rechte Arm hängt schlaff herab, es sind Bewegungen da", diagnostizierte von der Reportertribüne ZDF-Kommentator Rolf Kramer, dem es in diesem Moment aber nicht an Verständnis für den Torwart fehlte: "Toni Schumacher musste alles wagen. Das ist halt ab und zu drin, wenn beide Mannschaften in die Vollen gehen."

Die Freundin von Battiston brach auf der Tribüne besinnungslos zusammen, als noch nicht abzusehen war, wie es um ihren künftigen Ehemann stand. Schumacher entschuldigt sich eine Woche später bei Battiston vor über 50 Journalisten in Metz. Er hatte eingesehen, dass er viel zerstört hat an diesem Juli-Abend und dass er ein wundervolles, ja episches Fußballspiel überschattet hat mit Worten und Taten.

Für das Ausland war der hässliche Deutsche wieder auferstanden. "Toni Schumacher - Beruf Unmensch", wütete am heftigsten die französische Sportzeitung L’Equipe. Und doch war es ein glücklicher Abend für Deutschland. Es musste von jener 57. Minute an schon viel geschehen, damit die Nation auf ihre Mannschaft doch noch stolz sein durfte und die Spieler ihre Trikots in die Fankurve werfen konnten. Es geschah viel, sehr viel.

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Littbarski trifft, Platini gleicht aus

In der hin- und herwogenden Partie hatten die Deutschen durch Pierre Littbarski eine frühe Führung erzielt, die Michel Platini mit einem Elfmeter noch vor der Pause ausglich. In der regulären Spielzeit waren die Franzosen, technisch brillant, leichtfüßig und zuweilen verwirrend kombinierend mit dem genialen Dreigestirn Platini-Tigana-Giresse dem Sieg näher gewesen. Aber dem stand der schon mythische deutsche Kampfgeist entgegen, der diese Elf einte. Von hinten trieb Uli Stielike, damals bei Real Madrid, die Mannschaft an. Und der bis dahin enttäuschende Paul Breitner dessen von den Medien geforderte Ablösung Trainer Jupp Derwall standhaft unterließ, stand ihm in nichts nach.

Doch fehlte dem Regisseur sein kongenialer Sturmpartner bei Bayern München, Karl-Heinz Rummenigge. Der saß verletzt auf der Bank. Nur bei einem Rückstand sollte er hineinkommen. So fieberte der beste deutsche Torjäger bei dieser WM (am Ende sechs Treffer) von außen mit. Seinen gezerrten Oberschenkel kühlte er sich mit Eiswürfeln, die er in einen Handschuh von Ersatztorwart Eike Immel gepackt hatte.

Drei Minuten waren in der Verlängerung gespielt, als Frankreichs Abwehrchef Mario Tresor nach einem Freistoß unbedrängt ein wahres Traumtor erzielte. Das Signal für Rummenigge. Europas Fußballer des Jahres 1981 sprang von der Bank auf und lief sich warm. Sehr zum Entsetzen des französischen Staatspräsidenten Francois Mitterand, der ausgerufen haben soll: "Mon Dieu, Rümmenisch". Kaum für Briegel auf dem Platz, fiel jedoch das 1:3 durch Alain Giresse. Der kleine Mann mit Schuhgröße 38 schoss die "L’Equipe tricolore" schon in den siebten Fußballhimmel.

Deutschland schlägt nach 1:3 zurück

Ein 1:3-Rückstand 20 Minuten vor Ablauf der Verlängerung, bei noch immer rund 30 Grad. Das musste doch reichen!? "Normalerweise ist man da geneigt zu sagen, da ist nichts mehr drin, aber wir sollten dennoch die Daumen drücken", mahnte Rolf Kramer die TV-Zuschauer in der Heimat, und als Fischer schon im Gegenzug ein Abseitstor gelang, sah man, dass zumindest die Moral, diese vielleicht deutscheste Tugend, noch intakt war.

"In der Zeit waren die Deutschen bekannt dafür, dass sie nie aufgeben", sagte Karl-Heinz Förster über 20 Jahre nach dem Drama, an dem der Stuttgarter in ungewohnter Rolle teilnahm. Eigentlich ein geborener Vorstopper, musste er an diesem Tag zunächst Linksaußen Didier Six markieren und sich schließlich erstmals in seiner Karriere im Mittelfeld als Bewacher des von Wolfgang Dremmler nicht zu bremsenden Michel Platini bewähren.

Aber es war ohnehin alles egal, kaum einer hielt noch seine Position. Rechtsverteidiger Manfred Kaltz kam plötzlich über links, Libero Stielike stürmte ohne Unterlass. Sein Pass auf Littbarski leitete die Wende ein, Rummenigge sprang artistisch in die Flugbahn des Balles - und dieser ins Netz. Dass in einer solchen Situation, wo der Ball bloß irgendwie über die Linie musste, die Spieler beider Teams in der Lage waren, auch noch ausnehmend schöne Tore zu erzielen - nur Platinis Elfmeter war von gewöhnlicher Natur -, war ein weiteres Charakteristikum dieses Fußballepos.

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Erst Fischers Fallrückzieher, dann Sieg im Elfmeterschießen

Die Franzosen standen sichtlich unter Schock, nutzten die Pause in der Verlängerung, die der großzügige Schiedsrichter Corver aus den Niederlanden gewährte, voll aus. Während sie noch am Boden lagen, tänzelten die elf Deutschen schon am Anstoßkreis. Und lagen sich drei Minuten später in den Armen. Klaus Fischer hatte per Fallrückzieher ausgeglichen, das vielleicht schönste Tor der WM war auch sein wichtigstes.

Und der 174 Zentimeter kleine Torwart Jean-Luc Ettori, eigentlich nur als Nummer drei nach Spanien gefahren, musste hilflos zusehen, wie Hrubesch und Fischer sich in seinem Fünfmeterraum die Bälle zuspielten. Zweimal schoss der Keeper entnervt Abschläge ins Aus, und Janvion, Tigana, Giresse taten es ihm gleich. Frankreich, im Vorgefühl des sicheren Sieges, taumelte ins Elfmeterschießen, dem ersten in der WM-Geschichte.

Schumacher bügelt Stielikes Fehlschuss gegen Six aus

Auch hier wähnten sich "Les Bleus" als Sieger, lagen in Führung nach dem ersten Fehlschuss von Stielike, aber wieder sollte es nicht reichen. Schumacher hielt den nächsten Ball von Six, so wie er es dem weinenden Stielike versprochen hatte. Zum Glück hatte Hansi Müller ihm dessen Ecke verraten - man kannte sich vom VfB Stuttgart. Reservist Müller versuchte das Elfmeterdrama auf seine Weise zu verarbeiten und spielte es mit kleinen Plastikfiguren sofort nach, auf die er die Rückennummern der Schützen geschrieben hatte.

Es war ja auch nicht mehr ganz leicht, den Überblick zu bewahren. Selbst nach dem zehnten Schuss von Rummenigge stand kein Sieger fest, und neue Schützen mussten bestimmt werden. Die Förster-Brüder passten, während die Franzosen Maxime Bossis nominierten. Der Verteidiger war schon auf Freizeit eingestellt und schoss mit herunter gerollten Stutzen, die Schienbeinschoner lugten weit hervor. Und er schoss schlecht, Toni Schumacher hielt fast mühelos.

Hrubesch behält die Nerven

Nun kam Horst Hrubesch an die Reihe. Der Hamburger, der seinen Rücktritt angekündigt hatte, erwies seinen Kameraden einen letzten Dienst. Als einziger Spieler ließ er den Ball auf dem Punkt liegen, alle anderen hatten ihn sich noch einmal zurechtgerückt. Er hatte die innere Ruhe und so etwas wie Gottvertrauen. Vor dem Spiel fand sich ausgerechnet in seinem Spind ein aufgeklebtes Jesus-Bild, und er murmelte: "Ich glaube, jetzt kann nichts mehr schiefgehen." Tatsächlich traf er souverän zum 8:7-Endstand, zum Finale gegen Italien nach Madrid.

Die Franzosen vergossen in der Kabine viele Tränen. "Aber nicht, weil wir verloren hatten, sondern weil die Spannung abfiel und weil wir so überwältigt waren von unseren Gefühlen", gestand Platini. "Ich habe nie mehr so viele Männer zugleich weinen sehen." Und die Welt staunte wieder einmal über die teutonische Stehaufmentalität. Am Besten brachte es eine englische Zeitung auf den Punkt: "Merke: Die Deutschen sind erst geschlagen, wenn der Sarg zugenagelt ist."

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Halbfinale, 25. Juni 1986: Deutschland - Frankreich 2:0

Vier Jahre nach dem legendären Halbfinale von Sevilla bot sich den Franzosen in Mexiko die Chance auf Revanche für die Niederlage im Elfmeterschießen. Im Gegensatz zum 8. Juli 1982 waren sie am 25. Juni 1986 in Guadalajara Favorit gegen eine DFB-Auswahl, die sich durch das Turnier gequält hatte. Teamchef Franz Beckenbauer gestand: "Frankreich ist Favorit, aber wir können den Favoriten schlagen. Mit Kampf, mit Herz und der Kraft der ganzen Mannschaft." Also mit dem, was sie in Mexiko auszeichnete. Ein gutes Spiel hatte die Heimat noch nicht gesehen, aber die vielbesungenen deutschen Tugenden hatten das Team wieder unter die letzten Vier geführt.

Dort waren auch die Franzosen nach dem Sieg über Topfavorit Brasilien wieder angekommen - und sie wollten mehr. Mittelfeldspieler Luiz Fernandez, einer von sieben Verbliebenen von Sevilla, sagte: "Wir sind besser als 1982, und die Deutschen sind schwächer geworden. Man braucht sich nur ihre Spiele hier in Mexiko anzusehen." Doch die deutsche Elf war kaum wieder zu erkennen, obwohl Teamchef Franz Beckenbauer nur eine Änderung vornahm. Für den gesperrten Thomas Berthold brachte er den Hamburger Wolfgang Rolff. Dessen Spezialauftrag: Michel Platini ausschalten - wie schon im Europacupfinale 1983 zwischen dem HSV und Juventus Turin. Rolff erfüllte ihn zuverlässig.

23,9 Millionen deutsche TV-Zuschauer sahen das beste Spiel der Nationalmannschaft bei dieser WM. Ein matt gesetzter Platini und ein patzender Torwart - das war zu viel für Frankreich. Denn Joel Bats ließ schon in der neunten Minute einen haltbaren Freistoß von Andreas Brehme unter seinem Körper durchrutschen, diesem Rückstand liefen die Franzosen bis zuletzt vergeblich nach. Fast hätte Patrick Battiston in der 88. Minute Toni Schumacher überwunden. Doch der deutsche Torwart obsiegte - und servierte dann noch mit einem weiten Abwurf Rudi Völler den Ball. Der Joker lief in letzter Minute allein auf Bats zu, behielt die Nerven und schoss die "Kaiserlichen" ins Finale. Dabei fiel es ihm nicht so leicht, wie es aussah: "Als ich plötzlich das leere Tor vor mir hatte, bekam ich Angst. Solche hundertprozentigen Chancen haben ja schon ganz andere vergeben." Er vergab sie nicht.

Glückwünsche von Kanzler Kohl

Pechvogel beim Sieger war Hans-Peter Briegel, der mit seinen Stollen auf der Treppe in die Katakomben ausrutschte, als er den Fans zuwinkte. Er fiel fünf Stufen runter und verletzte sich an der Schulter, "aber das wird mich nicht vom Endspiel abhalten", sagte die "Walz aus der Pfalz". Aber bei der Siegesfeier trank er sein Bier mit der linken Hand.

Im deutschen Lager trafen Glückwunschtelegramme ein - von Kanzler Helmut Kohl bis Peter Alexander. DFB-Vizepräsident Egidius Braun spielte Klavier, und die Spieler feierten eine ausgelassene Party. Und Frankreich? Platini sagte frustriert: "Man kann nicht gerade sagen, dass Deutschland ein gutes Team hat. Aber wir haben nach dem 0:1 den Kopf verloren." Und das Spiel. Die Weltpresse applaudierte den Siegern: "Das war Arbeit, harte Arbeit. Alles sehr deutsch" (El Pais), "Bier schlägt Champagner 2:0" (Gazetta dello Sport), "Praktisch unmöglich, nicht die Fähigkeiten der Deutschen zu bewundern, in wichtigen Spielen über sich hinauszuwachsen" (Dagens Nyheter/Schweden).

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Viertelfinale, 4. Juli 2014: Deutschland - Frankreich 1:0

Etwas glücklich war Deutschland ins WM-Viertelfinale gekommen, nach der schwächsten Turnierleistung des kommenden Weltmeisters beim 2:1 gegen Algerien kochten die Emotionen hoch. Volkes Stimme forderte eine andere Aufstellung und eine spielerische Steigerung und so kam es auch an diesem Freitagabend (Anstoß: 18 Uhr). Löw änderte die Elf auf drei Positionen. Die Verletzung von Shkodran Mustafi brachte die Rückversetzung von Kapitän Philipp Lahm auf den Posten des rechten Verteidigers, wo er seine besten Spiele gemacht hatte. Innenverteidiger Per Mertesacker erhielt eine Erholungspause, Löw sah ihn im Sprintduell mit den schnellen französischen Spitzen Antoine Griezmann und Karim Benzema im Nachteil. Zudem war Stammkraft Mats Hummels von seiner Grippe genesen.

Mertesacker reagierte sportlich, wie Löw lobend erwähnte: "Er hat nur gesagt: 'Alles klar, Trainer. Ich weiß, was ich für die Mannschaft tun muss.'" Im Mittelfeld kam Sami Khedira (für Lahm) zum Zuge. Und mit Miroslav Klose gab es diesmal eine "echte Neun", für ihn musste Mario Götze weichen. Nur Klose und Lahm gehören übrigens heute nicht mehr dem EM-Kader an, während aus der Startelf der Franzosen der nur noch sechs Spieler "überlebten". In Maracana fand sich an diesem Tag jedenfalls die Formation des Weltmeisters 2014.

Mats Hummels hatte seinen besten Tag bei diesem Turnier: Das Tor des Tages fiel schon nach zwölf Minuten durch seinen Kopfball, nach einem Freistoß von Toni Kroos. "Die Bälle von Toni sind einfach gut geschlagen", lobte der Torschütze, der auch Man of the Match wurde. Danach dosierten die Deutschen bei tropischen 30 Grad ihre Kräfte. Hummels gestand: "Ich war früh platt, musste viel trinken."

Neuers Großtat gegen Benzema-Rakete

26,25 Millionen vor den Bildschirmen und unzählige Menschen vor den Großleinwänden hatten nie das Gefühl, dass die an Torchancen arme Partie kippen könnte. Die neue deutsche Abwehr stand. Nur das beruhigende 2:0 wollte nicht fallen, Joker André Schürrle hätte es in der 82. Minute eigentlich erzielen müssen, scheiterte aber an Torwart Hugo Lloris.

Und so kam er doch noch, der Moment der Bewährung. In der 94. Minute drang Karim Benzema in den Strafraum ein und schoss mit links hoch und hart. Aus sieben Metern, eine echte Herausforderung. Der deutsche Torwart bestand sie am Tag seines 50. Länderspiels glänzend, parierte einhändig mit einem Superreflex. "Die Hand Neuers", titelte die Frankfurter Rundschau zu dem Foto-Dokument. Löw lobte: "Er gehört seit einigen Jahren, seit 2010, zu den Allerbesten - wenn er nicht sogar der Beste der Welt ist."

Der Gepriesene blieb auch vor den Mikrofonen cool: "Ich muss den Ball halten." Englands altehrwürdige Times befand: "Die ruhige Autorität von Manuel Neuer betont die deutsche Effizienz." Mit dieser Effizienz wurde vor 74.240 Zuschauern der erste Sieg in Maracana (im sechsten Anlauf) eingefahren - und deshalb konnte der nächste folgen. Acht Tage später, im WM-Finale gegen Argentinien. Aber das ist eine andere Geschichte.

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