Körpersprache: Warum sie für den Schiedsrichter so wichtig ist

Dass Körpersprache für jeden Schiedsrichter ein zentrales Mittel der Spielleitung ist, hat vermutlich jeder schon einmal gehört. Beim DFB geht man in diesem Bereich aus diesem Grund seit Jahren professionelle Wege, holte bereits 2009 den Business-Coach und Schauspiel-Lehrer Stefan Spies zur Halbzeit-Tagung nach Mainz. Auch im Saarländischen Fußballverband (SFV) setzt man seit kurzem auf professionelle Expertise.

Für einen Schiedsrichter ist es meist die größte Anerkennung seiner Leistung, wenn nach einem Spiel nicht über ihn gesprochen wird. Dieses übereinstimmende Schweigen bedeutet meistens: Der Schiedsrichter hat alles richtig gemacht, ihm kann man die Schwächen des eigenen Teams heute ausnahmsweise nicht zur Last legen.

Das stille Lob der Öffentlichkeit ist damit oft das Beste, was für einen Spielleiter zu holen ist. Anders erging es jedoch vor einem knappen Jahr Manuel Gräfe. Der Berliner Sportwissenschaftler von Hertha Zehlendorf erhielt nämlich nach der Bundesliga-Begegnung Borussia Dortmund gegen Bayern München seine ganz persönliche Würdigung.

Drei Tage nach dem Spiel beschrieb der Journalist Ilja Behnisch für das Magazin „11Freunde“ ausführlich eine Situation in der 44. Spielminute, in der Mario Mandzukic und Kevin Großkreutz aneinandergeraten waren, und die er als Gradmesser für die Spielleitung Gräfes nahm; für dessen Rolle als „Taktgeber im Testosteron-Tango“. Mit spürbarer Anerkennung schildert Behnisch die Szene wie folgt:

„Der Schiedsrichter beruhigt erst das ,Rudel’, geht dann ein paar Schritte zurück, um sich eine neutrale Zone zu schaffen, in die er die beiden Kampfhähne einbestellt. [...] Als Mandzukic und Großkreutz dann schließlich vor ihm stehen, lässt Gräfe die Situation für einen Moment unkommentiert wirken. Im Hintergrund sieht man Gräfes Assistenten Markus Sinn etwas rufen, doch der nickt nur leicht und signalisiert: alles im Griff. Dann schnellen seine Arme nach unten. Die ‚Jetzt-ist-Schluss-Geste’, gefolgt von der Gelben Karte für beide Spieler. Mandzukic und Großkreutz akzeptieren kleinlaut und schleichen weg wie Kinder, die wissen, dass sie ihre Mutter enttäuscht haben.“

Die richtige Körpersprache - Fünf Tipps für die Praxis

Schon der erste Händedruck am Platz ist entscheidend. Als Schiedsrichter sollte man bei der Ankunft am Platz selbstbewusst, aber nicht arrogant wirken. Ein freundliches, verbindliches Auftreten, ein angenehmer Händedruck, guter Augenkontakt und deutliche Sprache sind hier der Schlüssel für einen guten Start.

Wenn Schiedsrichter zum ersten Mal bei einer Spielleitung gefilmt werden, sind sie meist selbst überrascht, wie gewisse Gesten wirken. Das eigene Auftreten gespiegelt zu bekommen, ist aber äußerst wichtig. Daher, wenn die Möglichkeit besteht: ein eigenes Spiel filmen und an der Körpersprache arbeiten.

Weniger entscheidend als die Körpergröße eines Schiedsrichters ist die Entschlossenheit, mit der er gewillt ist, Situationen zu lösen. Aber Vorsicht! Nicht jeder Schiedsrichter kann etwa mit dem gleichen körperlichen Einsatz eine „Rudel-Bildung“ auflösen. Manchmal ist es auch besser, außen vor zu bleiben und zu beobachten, bevor man selbst zum Teil des „Rudels“ wird.

Eine knappe Geste ist manchmal vielsagender als ausschweifende Diskussionen. Der Schiedsrichter macht somit deutlich: bis hier- hin und nicht weiter. Christoph Dostert: „Je länger ein Konflikt dauert, desto schwerer wird es, ihn zu lösen.“

Spieler versuchen oft, den Schiedsrichter in den Tiefstatus zu drängen. Dies gilt es aber zu verhindern. Dabei hilft die richtige Körpersprache. Eine gerade Haltung ist wichtig, auch muss der Schiedsrichter seine Intimsphäre schützen, indem er Distanz zu den Spielern wahrt. Mit einem ausgestreckten Arm kann man sich eine Zone schaffen, in die kein Spieler eindringen darf. Verletzt ein Spieler diese Zone, indem er zum Beispiel gegen den Arm läuft, gibt es „Gelb“.

Paradebeispiel für gelungene Körpersprache

Ein solches Lob „ohne Not“ ist möglicherweise die allergrößte Auszeichnung für einen Spielleiter, nicht nur in der Bundesliga. Auch die Schiedsrichter an der Basis wissen, wie schnell sich bei einem Sieg die Schulterklopfer beim Referee einstellen. Hat eine Mannschaft jedoch verloren, und das Verlegenheitslob „An dir hat’s nicht gelegen“ macht allgemein die Runde, ist der Stellenwert ein gänzlich anderer.

Die von Ilja Behnisch geschilderte Szene ist aber in der Tat ein Paradebeispiel. Für Durchsetzungsfähigkeit, Souveränität, Routine, und vor allem: für die richtige Körpersprache im richtigen Moment. Manuel Gräfe ist FIFA-Schiedsrichter, einerseits jahrelang geschult, andererseits aber auch mit einer natürlichen Präsenz ausgestattet, die Behnisch gar an einen jener Berliner Wirte erinnert, „die dem vollgetankten Stammgast erklären müssen, dass es jetzt auch mal gut ist mit Molle und Korn.“ Wie aber ist es an der Basis?

Fachmann mit ins Boot geholt

Tief im Südwesten Deutschlands nahm man die Herausforderung an. Ungefähr zur gleichen Zeit, in der Manuel Gräfe jenes unerwartete Lob für seine Spielleitung erhielt, reifte im Schiedsrichter-Ausschuss des Saarländischen Fußballverbandes nämlich die Erkenntnis, dass es Zeit würde, auch die Schiedsrichter an der Basis nach und nach in den Bereichen Körpersprache und Gewaltprävention zu schulen.

Für dieses Projekt, das im Rahmen der landesweiten Aktion „Gewalt hat keine Klasse“ stattfinden sollte, holte sich SFV-Schiedsrichter-Obmann Heribert Ohlmann gemeinsam mit seinem Team einen echten Fachmann ins Boot: Christoph Dostert, Körpersprache-Experte und Coolness-Trainer am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Frankfurt, der die saarländischen Verbands- und Landesliga-Schiedsrichter schulte.

Nicht unbedingt eine einfache Aufgabe: „Fußball ist natürlich ein sehr emotionaler Sport“, weiß Dostert, der in seinem Job unter anderem mit verurteilten Gewalttätern arbeitet. „Leider kommt es auf den Sportplätzen aber immer wieder vor, dass Aggressionen und Hektik durch den Schiedsrichter nicht – wie es sein sollte – deeskaliert werden, sondern ganz im Gegenteil durch sein Auftreten sogar noch verstärkt werden können.“ Dass man an dem eigenen Auftreten arbeiten kann (und möglicherweise auch sollte), war eine wichtige erste Lehre des Seminartags.

„Spiegeln“ des eigenen Auftretens

Dabei war es dem Experten Dostert zunächst wichtig, den Spielleitern ihr eigenes Auftreten bewusst zu machen. „Ganz entscheidend ist für mich bereits die Vorstellungsrunde am Anfang des Workshops“, erklärt er. „Hier kann ich den Schiedsrichtern im Prinzip sofort spiegeln, wie sie wirken. Viele wissen gar nicht, wie eine gewisse Gestik oder Haltung eigentlich rüberkommt.“

Diese Analysen, bei denen Dostert auch gerne die Schiedsrichter im Plenum ihren Kollegen ein Feedback geben lässt, sind natürlich auch auf die Sportplatz-Situation übertragbar: „Wenn vor dem Spiel ein Schiedsrichter auf den Platz kommt, der leise spricht, den Blick senkt und keinen festen Händedruck hat, dann habe ich mir als Vereinsvertreter meinen ersten Eindruck doch schon gebildet.“ Dostert schmunzelt, als er berichtet, wie er als aktiver Fußballer aus solchen Situationen Kapital schlagen konnte: „Wenn so einer kam, dann wusste ein erfahrener Spieler doch: ‚Mit dem kann ich’s heute machen!’ Dem müssen wir mit Körpersprache entgegenwirken.“

Man kann nicht nicht kommunizieren

„80 bis 85 Prozent unseres Auftretens ist Körpersprache“

Körpersprachen-Experte Christoph Dostert

Körpersprache macht, erklärt Christoph Dostert, 80 bis 85 Prozent des eigenen Auftretens aus. Der Dichter Christian Morgenstern bemerkte dementsprechend schon 1906: „Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare.“ Der Kommunikations-Wissenschaftler Paul Watzlawick ein paar Jahrzehnte später so lakonisch wie treffend: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Insbesondere die These Watzlawicks führt natürlich dazu, dass man – gerade als Schiedsrichter – unbewusst eine Menge richtig, aber auch jede Menge falsch machen kann.

Christoph Dostert nennt Beispiele: „Eine Abwehrbewegung, die absolut verständlich sein kann, wenn ich als Schiedsrichter bedrängt werde, kann – falsch durchgeführt – arrogant wirken, fehlender Augenkontakt mitunter herablassend. Außerdem sollte ich mir immer klarmachen, dass der Mensch Zonen hat, in die niemand eindringen darf. Wenn ich zu nah an einem Spieler dran stehe, löst das in aufgeheizter Atmosphäre automatisch Aggressionen aus.“

Nicht auf die Größe kommt es an...

Dabei ist Körpergröße übrigens nicht alles. Ilja Behnisch hatte in seinem Artikel noch das Gardemaß Manuel Gräfes hervorgehoben und rhetorisch gefragt, ob als Konsequenz seiner exzellenten Spielleitung jetzt „in der Bundesliga nur noch groß gewachsene Ur-Berliner an die Pfeife gelassen werden“. Christoph Dostert müsste da wohl widersprechen. „Auch wenn eine gewisse Größe natürlich hilfreich ist, ist die Dynamik einer Aktion deutlich entscheidender. Wie gehe ich in die Szene rein, mit welcher Körpersprache und mit welchem Auftreten löse ich beispielsweise eine ,Rudel-Bildung’ auf?“, meint der Experte. Lehrgangsteilnehmer Marius Well gibt ihm recht. „Durch die Übungen weiß ich jetzt, wie ich mich, obwohl ich körperlich nicht der Größte bin, anders darstellen kann.“

Für die richtige Dynamik hat Christoph Dostert übrigens noch einen Tipp: „Viele Schiedsrichter vergessen in Stress-Situationen ihr wichtigstes Instrument: die Pfeife. Wenn ich bedrängt werde, energisch pfeife und zwei, drei Schritte zurückgehe, dort eine feste Position finde und den Spielern klarmachen kann: Wer jetzt noch in meinen Bereich eindringt, bekommt die Konsequenzen zu spüren, dann habe ich schon eine Menge gewonnen. Je länger ein Konflikt dauert, desto schwerer wird es, ihn zu lösen.“

Beim Lehrgang im Saarländischen Fußballverband stehen genau solche Übungen auf der Tagesordnung. Die Teilnehmer holen „Opfer“ aus einer Bedrohungs-Situation, lösen „Rudel“ auf und gehen zielsicher durch eine Menschenmenge aggressiver Personen. „Damit simulieren wir den Weg vom Platz in die Kabine“, erläutert der Experte Dostert. „Die anderen Schiedsrichter haben vorher die Anweisung bekommen, die Person in der Gasse verbal anzugehen und auch zu versuchen, sie festzuhalten und so am Fortkommen zu hindern. Dabei war es natürlich wichtig, auf der einen Seite zwar zielstrebig weiterzugehen, auf der anderen Seite aber nicht auch noch zu einer Eskalation der Situation beizutragen.“

Ein Ziel: situatives Verständnis

Für die Schiedsrichter ist diese Übung eine zwar ungewohnte, aber willkommene Simulation. Im Vergleich zu den mitunter etwas theorielastigen Regelschulungen gibt Christoph Dostert praktisches Handwerks- und Rüstzeug für Konflikt-Situationen an die Hand. Dennoch weiß auch er: „Es gibt kein Allheilmittel. Jeder Spieler ist anders und benötigt je nachdem auch eine andere Ansprache.“

Trotzdem ist die Reflexion und Weiterentwicklung der eigenen Körpersprache aus seiner Sicht für Gewaltprävention auf dem Fußballplatz ein zentrales Thema: „Neben den praktischen Übungen wollen wir natürlich auch ein Bewusstsein für die Rolle schaffen, die man als Schiedsrichter eigentlich hat, wollen von den Teilnehmern wissen, was eigentlich einen guten Schiedsrichter ausmacht, wollen die Unparteiischen aber auch für Konzepte wie die ‚Statuswippe‘ sensibilisieren.“

Mit diesem Begriff ist gemeint, wie Schiedsrichter und Spieler in Konflikt-Situationen ihren Status tauschen. Denn plötzlich wird der Schiedsrichter durch den Spieler in die passivere Rolle gedrängt, den sogenannten Tiefstatus. „So etwas gilt es zu verhindern“, stellt Dostert klar, „dafür muss man es aber auch auf dem Platz erkennen können. Um dieses situative Verständnis zu schaffen, sind wir natürlich auch hier.“

Ein positives Fazit

Am Ende des Lehrgangs bitten Christoph Dostert und Heribert Ohlmann zur Diskussion. Das Fazit der Teilnehmer ist überaus positiv. Wichtig ist ihnen aber, dass es mit einem Lehrgang nicht getan ist. Einer der erfahreneren Schiedsrichter sieht vor allem die Anwärter-Lehrgänge als geeigneten Platz für die Schulung zu diesem Thema, seien doch gerade die ganz jungen Kollegen häufig Stress-Situationen mit Eltern, Trainern und Betreuern ausgesetzt. Christoph Dostert sieht das ähnlich: „Die meiste Gewalt haben wir in den unteren Klassen.“

Auch Schiedsrichter-Obmann Heribert Ohlmann betont, dass die Ziele nachhaltig gesteckt werden müssen. „Einerseits sollen die bereits geschulten Schiedsrichter an der Basis als Moderatoren des Themas fungieren, andererseits wollen wir aber auch in den Kreisen Überzeugungsarbeit leisten, dass es sich bei dem Projekt um eine gute und wichtige Sache handelt.“ Die Schiedsrichter aus dem SFV dürfen sich also voraussichtlich auf ein Wiedersehen mit Christoph Dostert freuen. Bei diesem Treffen sollen dann die Erfahrungen der Teilnehmer mit den neu erlernten Strategien diskutiert werden. Und wer weiß: Vielleicht reicht’s dann auch bald schon für einen von ihnen für ein unverhofftes Sonderlob in der „Saarbrücker Zeitung“...