Zum vierten Mal: Ohne Pflichtspiele zum Heimturnier

Vor der Nationalmannschaft liegt ein Jahr ohne Pflichtspiel, weil im nächsten ein Turnier wartet, das Deutschland veranstaltet. Für die EURO 2024 muss sie sich nicht qualifizieren. Eine Situation, in der Chancen und Risiken gleichermaßen liegen. Bundestrainer Hansi Flick kann ohne Ergebnisdruck experimentieren, einerseits. Andererseits gilt es, die Spannung hochzuhalten, damit Länderspiele nicht zu lästigen Pflichtübungen verkommen, gerade weil es keine Pflichtspiele sind. Denn auch die Stimmung im Land soll gehoben werden. In einer solchen Situation war die Nationalmannschaft schon dreimal. DFB.de blickt zurück.

1973

Vor der WM im eigenen Land hatte Bundestrainer Helmut Schön mit der Favoritenbürde zu kämpfen. Nicht nur die Gastgeberrolle lastete auf seiner Auswahl, sie war 1972 in Belgien zudem beifallumrauscht Europameister geworden, Etiketten wie "Jahrhundertelf" oder "Fußball 2000" hafteten auf ihr. Der belgische Trainer Raymond Goethals sagte 1972: "Ich habe den europäischen Meister und den Weltmeister 1974 gesehen." So war die Erwartungshaltung, und Schön hatte eigentlich nur die Aufgabe, möglichst wenig zu ändern. Niemand forderte Reformen, einen radikalen Umbruch oder das Umdrehen von Steinen. Aus der Siegerelf von 1972 war auch niemand ausgeschieden, die Altersstruktur war ideal. Superstars wie Franz Beckenbauer, Günter Netzer oder Gerd Müller waren im besten Fußballer-Alter und die jungen Überflieger Paul Breitner und Uli Hoeneß hatten das Beste noch vor sich.

Das einzige voraussehbare Problem hätten andere Trainer gerne gehabt: den bei der EM fehlenden Kölner Spielmacher Wolfgang Overath wieder zu integrieren und dabei Günter Netzer, 1972 Fußballer des Jahres, nichts von seiner Stärke zu nehmen. Die medial oft gestellte Gretchen-Frage "Overath oder Netzer?" wollte Schön auf seine Weise beantworten: "Ich wollte das Miteinander – auch bei Netzer und Overath. Ich glaubte daran, dass zwei solche Spieler zusammengespannt werden können", schrieb er in seiner 1978 erschienen Autobiographie.

Serie gerissen

Als er darin auf die Phase zwischen den Turnieren 1972 und 1974 blickte, stellte er indes ernüchtert fest: "Von da an ging's bergab. Man kann Traummannschaften nicht einwecken. Es kamen Zeiten, da las ich nach Spielen unserer Nationalmannschaft fette Schlagzeilen wie: 'So ein Sch…spiel!' Das galt vorwiegend für die erste Jahreshälfte, die mit einer 2:3-Niederlage gegen Argentinien in München begann. Damit riss die DFB-Rekordserie von 25 Heimspielen ohne Niederlage. Ausreden gab es kaum, neun Europameister standen in der Startelf und der einzige Debütant, der Kölner Bernd Cullmann, machte prompt ein Joker-Tor. Außer Netzer fehlte nur Gerd Müller, und es zeigte sich, dass man in jenen Tagen auf ihn nicht verzichten konnte. Beim folgenden 3:0 gegen die Tschechen in Düsseldorf unterstrich er dies mit zwei Toren. In diesem Spiel gab Schön dem Braunschweiger Torwart Bernd Franke eine erste Bewährungschance, denn die Positionen hinter Sepp Maier waren keineswegs geklärt.

Dass Maier 1973 in eine Krise geraten würde, wurde zu einem unerwarteten Problem und fand seinen Ausdruck darin, dass Maier von den zehn Testspielen nur vier bestritt. Im Gladbacher Wolfgang Kleff erwuchs ihm ein ernstzunehmender Widersacher, der in der zweiten Jahreshälfte vier Spiele in Folge absolvierte. Zum Spiel nach Moskau am 5. September nahm Schön Maier gar nicht erst mit, "weil der Sepp so ein schlechter Reservist ist".

Ein noch größeres Thema entwickelte sich zur Jahresmitte, als Netzers Wechsel zu Real Madrid für ein Erdbeben sorgte. "Ich erfuhr es in einer Theaterpause vor unserem Brasilien-Spiel und wollte es erst nicht glauben. Er befand sich nun weitgehend außerhalb meiner Kontrolle und des ständigen Leistungswettbewerbs in der Bundesliga", schilderte Schön seine Gefühlswelt. Ein Spieler, der ins Ausland wechselte, war vor 50 Jahren buchstäblich von der Bildfläche verschwunden. Da damals zudem für Testspiele keine Freigaben erteilt werden mussten, kam Netzer 1973 nur noch in Glasgow zum Einsatz.

Zurück in der Spur

So wurde 1973 das Jahr, in dem sich Günter Netzer von der Nationalelf verabschiedete und seinen Platz an Overath übergab. In einer Phase, in der die Mannschaft binnen vier Monaten drei Heimspiele verloren hatte (nach Argentinien jeweils 0:1 gegen Jugoslawien und Weltmeister Brasilien) kam sein Wechsel auf die iberische Halbinsel äußerst ungelegen. Und so machte sich im Sommer 1973 so mancher Sorgen um das Aushängeschild des deutschen Fußballs. Doch eine Serie von vier Siegen bei einem Remis (1:1 in Schottland) beruhigte die Gemüter wieder. Overath schloss wie selbstverständlich die Lücke, die Netzers Wechsel tatsächlich riss.

Die Jahresbilanz las sich, gemessen an den Ansprüchen, dennoch bescheiden: Neben sechs Siegen standen ein Unentschieden und drei Niederlagen, alle zuhause – das hatte es zuletzt 1913 gegeben. Sieben Debütanten hatte Schön eine Chance gegeben, von denen vier zur WM fuhren und nur einer, Frankfurts Bernd Hölzenbein, im Finale auflaufen sollte.

Der kicker schrieb nach dem letzten Spiel des Jahres in Stuttgart: "Nach dem 2:1 über Spanien sind doch eine ganze Reihe von Schatten, die im Frühjahr aufgezogen waren, weitgehend gebannt. Die Mannschaft fand weitgehend zu spielerischer Geschlossenheit zurück, ohne dass die Harmonie des Vorjahres wieder ganz erreicht wurde." Schön sagte damals: "Ich denke, dass wir mit dieser Mannschaft auch in Zukunft spielen können. Ich werde noch den einen oder anderen Versuch unternehmen, aber viel ändern werde ich nicht." In der Tat, der Kern der Europameister mit sechs Bayern-Spielern wurde 1974 Weltmeister – Ziel erreicht.

1987

1988 durfte Deutschland erstmals eine Europameisterschaft ausrichten. Für den jungen Teamchef Franz Beckenbauer war es das zweite Turnier. 1986 war er in Mexiko Vize-Weltmeister geworden. Auf dem Erfolg wollte er aufbauen, aber im Gegensatz zu Schön musste er etliche Rücktritte hinnehmen. Kapitän Karl-Heinz Rummenigge, Spielmacher Felix Magath und die Abwehrrecken Karlheinz Förster, Hans-Peter Briegel und Ditmar Jakobs gingen den Weg nicht weiter, und im März 1987 musste sich der Kaiser auch einen neuen Torwart suchen. Harald "Toni" Schumacher hatte sich mit seiner allzu offenherzigen Betrachtung des deutschen Fußballs in seinem Buch "Anpfiff" selbst aus dem Spiel genommen, der DFB berücksichtigte ihn nicht mehr, ebenso wenig sein Verein, der 1. FC Köln.

So stand das Jahr 1987, das neun Testspiele bereithielt, im Zeichen eines Neuaufbaus. Schlüsselpositionen mussten neu besetzt werden und Beckenbauer sichtete das Potenzial der Bundesliga ausgiebig. Neun Debütanten schenkte er 1987 das Vertrauen, die Karrieren der kommenden Weltmeister von 1990, Bodo Illgner, Stefan Reuter und Jürgen Klinsmann starteten in jenem Zwischenjahr. Den Kölner Illgner schickte er in den Zweikampf mit dem Stuttgarter Eike Immel, der sich den Platz im EM-Tor sicherte. Der neue Schumacher kam noch nicht aus Köln, durfte aber immerhin in drei Spielen sein Können demonstrieren. Der neue Förster kam in Gestalt des Waldhof-Buben Jürgen Kohler zum Vorschein, er absolvierte alle 810 Länderspielminuten des Jahres 1987. Das begann mit einem 2:0 im ersten Treffen überhaupt gegen Israel, als die Nationalspieler auch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besuchten.

Den Briegel-Vertreter für die defensive linke Seite fand der Kaiser noch nicht, das Duell zwischen Hans Pflügler und Michael Frontzeck blieb bis 1988 offen – zur EM durfte dann nur der Münchner Pflügler. Der neue Rummenigge war am schwersten zu finden, aber es gab ja noch Rudi Völler und Klaus Allofs, der nun kein Wackelkandidat mehr war und zunächst die Kapitänsbinde von Rummenigge übernahm.

Viele Wechsel, viele Siege

In jedem Spiel präsentierte Beckenbauer 1987 eine neue Aufstellung, die Form litt darunter kaum. Obwohl bewusst meist gegen hochkarätige Gegner gespielt wurde, gab es erst im letzten Spiel eine Niederlage. Einem 0:0 gegen Italien in Köln folgte ein 2:1 in Berlin gegen Frankreich. In Düsseldorf gab es ein umjubeltes 3:1 im Prestigekampf gegen England, als Schlitzohr Pierre Littbarski sogar ein Eckballtor gelang. In Hamburg sorgte ein Völler-Tor für eine erfolgreiche Revanche gegen Dänemark (1:0), das bei der WM noch als Sieger vom Platz gegangen war. Unter den drei Unentschieden im Herbst war ein 1:1 gegen Rekord-Weltmeister Brasilien im Rahmen einer Südamerika-Reise, als Stefan Reuter quasi mit dem Schlusspfiff ausglich.

Trat man solche weiten Reisen gewöhnlich nur an, um sich in einem Ausrichterland an die klimatischen Verhältnisse zu gewöhnen (wie 1961, 1968 und 1977), diente diese nur der Leistungsschau. Beckenbauer wollte sich mit den Besten messen und der DFB tat ihm den Gefallen, auch wenn die Bundesliga murrte. Gestandene Spieler fehlten, sodass in Südamerika gleich vier Spieler debütierten, von denen nur Jürgen Klinsmann im Kader blieb. Beckenbauer blieb unbeeindruckt: "Die Ergebnisse sind mir wurscht, mir geht es mehr um Entwicklungen."

Dass es zum Abschluss die erste Niederlage in 1987 gab, ließ sich verschmerzen – es war ein 0:1 in Argentinien bei 35 Grad Hitze. "Mit einer U 23 gegen acht Weltmeister 0:1 knapp zu verlieren, ist keine Schande", sagte Ligaausschuss-Boss Gerhard Mayer-Vorfelder gnädig. Von Euphorie war zwar zum Jahreswechsel 1987/1988 wenig zu spüren, weil die Reise ohne Spieler wie Völler, Allofs oder Littbarski als Muster ohne Wert angesehen wurde. Das Sichtungsjahr 1987 hatte indes seinen Zweck erfüllt, mit dem Bremer Meisterspieler Uli Borowka stieß 1988 nur noch ein Neuer zum EM-Kader. Dessen Reise endete im Halbfinale gegen die Niederlande.

2005

Das Länderspieljahr 2005 stand ganz im Zeichen der zweiten WM auf deutschem Boden. Mit Jürgen Klinsmann hatte nach dem EM-Aus 2004 ein neuer Bundestrainer die Geschäfte übernommen. Im Gegensatz zu Schön und Beckenbauer agierte Klinsmann als Reformer, der die kurze Zeit bis zur WM nutzte, um nicht nur eine neue Mannschaft, sondern auch ein neues Team um das Team zu bauen und einen Geist der Zuversicht heraufzubeschwören. Den sollten nicht zuletzt die roten Trikots symbolisieren, mit denen die Mannschaft in sieben der 15 Spiele des Jahres 2005 auflief. Die Bilanz konnte sich sehen lassen: sieben Siege, fünf Unentschieden, drei Niederlagen.

Regelrechte Begeisterungsstürme löste die Mannschaft im Sommer aus, als sie quasi doch Pflichtspiele bestritt: Denn der WM-Gastgeber muss im Vorjahr einen Confed-Cup austragen, als Generalprobe für den Veranstalter und seine Mannschaft gleichermaßen. Das Turnier zeigte Stärken und Schwächen der jungen Mannschaft auf: stürmisch und wild, aber auch anfällig. So war es beim 4:3 gegen Australien, beim 2:2 gegen Argentinien, dem 2:3 gegen Weltmeister Brasilien und dem 4:3 gegen Mexiko, als der dritte Platz gesichert wurde.

Zu den Tiefpunkten gehörten ein 0:2 in der Slowakei Anfang September und ein 1:2 in Istanbul im Oktober. Jeder sah: Diese Mannschaft war noch im Werden. 31 Spieler setzte Klinsmann 2005 ein, aber nur drei debütierten (Mike Hanke, Marcell Jansen und Lukas Sinkiewicz). Der Kreis war schon fast geschlossen, nur David Odonkor (ohne Länderspiele) und Jens Nowotny (nach zwei Jahren Pause) stießen 2006 noch zum WM-Kader.

Reformer Klinsmann

Klinsmann scheute nicht vor ungewöhnlichen Aktionen zurück, berief 2005 konstant den Kölner Zweitligaspieler Lukas Podolski, der prompt die meisten Tore (acht) schoss. Den Einsatz des Dauerreservisten beim FC Chelsea, Robert Huth, verstanden nicht alle Experten. Er spielte 2005 öfter für Deutschland als für seinen Verein. Von Aston Villa holte er einen gewissen Thomas Hitzlsperger, von Arminia Bielefeld Patrick Owomoyela und die meisten Minuten (1220) bekam der bei Hannover 96 nicht international spielende Verteidiger Per Mertesacker.

Klinsmann achtete nicht auf Namen und Meriten und so wurde auch die Torwartfrage zum Quell ständiger Debatten, denn er ließ sie offen und setzte Oliver Kahn und seinen Herausforderer Jens Lehmann abwechselnd (je siebenmal) ein. Als das Jahr mit einem beachtlichen 0:0 in Paris endete, sagte Klinsmann: "Man muss festhalten – wir verlieren kaum noch gegen die Großen. Der Generationswechsel ist uns größtenteils gelungen, ebenso das Vorhaben, jeden einzelnen Spieler besser zu machen."

Mancher misstraute seinen Worten zu diesem Zeitpunkt noch, aber die WM 2006 sollte ihm Recht geben, sie schenkte den Deutschen ein Sommermärchen.

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Vor der Nationalmannschaft liegt ein Jahr ohne Pflichtspiel, weil im nächsten ein Turnier wartet, das Deutschland veranstaltet. Für die EURO 2024 muss sie sich nicht qualifizieren. Eine Situation, in der Chancen und Risiken gleichermaßen liegen. Bundestrainer Hansi Flick kann ohne Ergebnisdruck experimentieren, einerseits. Andererseits gilt es, die Spannung hochzuhalten, damit Länderspiele nicht zu lästigen Pflichtübungen verkommen, gerade weil es keine Pflichtspiele sind. Denn auch die Stimmung im Land soll gehoben werden. In einer solchen Situation war die Nationalmannschaft schon dreimal. DFB.de blickt zurück.

1973

Vor der WM im eigenen Land hatte Bundestrainer Helmut Schön mit der Favoritenbürde zu kämpfen. Nicht nur die Gastgeberrolle lastete auf seiner Auswahl, sie war 1972 in Belgien zudem beifallumrauscht Europameister geworden, Etiketten wie "Jahrhundertelf" oder "Fußball 2000" hafteten auf ihr. Der belgische Trainer Raymond Goethals sagte 1972: "Ich habe den europäischen Meister und den Weltmeister 1974 gesehen." So war die Erwartungshaltung, und Schön hatte eigentlich nur die Aufgabe, möglichst wenig zu ändern. Niemand forderte Reformen, einen radikalen Umbruch oder das Umdrehen von Steinen. Aus der Siegerelf von 1972 war auch niemand ausgeschieden, die Altersstruktur war ideal. Superstars wie Franz Beckenbauer, Günter Netzer oder Gerd Müller waren im besten Fußballer-Alter und die jungen Überflieger Paul Breitner und Uli Hoeneß hatten das Beste noch vor sich.

Das einzige voraussehbare Problem hätten andere Trainer gerne gehabt: den bei der EM fehlenden Kölner Spielmacher Wolfgang Overath wieder zu integrieren und dabei Günter Netzer, 1972 Fußballer des Jahres, nichts von seiner Stärke zu nehmen. Die medial oft gestellte Gretchen-Frage "Overath oder Netzer?" wollte Schön auf seine Weise beantworten: "Ich wollte das Miteinander – auch bei Netzer und Overath. Ich glaubte daran, dass zwei solche Spieler zusammengespannt werden können", schrieb er in seiner 1978 erschienen Autobiographie.

Serie gerissen

Als er darin auf die Phase zwischen den Turnieren 1972 und 1974 blickte, stellte er indes ernüchtert fest: "Von da an ging's bergab. Man kann Traummannschaften nicht einwecken. Es kamen Zeiten, da las ich nach Spielen unserer Nationalmannschaft fette Schlagzeilen wie: 'So ein Sch…spiel!' Das galt vorwiegend für die erste Jahreshälfte, die mit einer 2:3-Niederlage gegen Argentinien in München begann. Damit riss die DFB-Rekordserie von 25 Heimspielen ohne Niederlage. Ausreden gab es kaum, neun Europameister standen in der Startelf und der einzige Debütant, der Kölner Bernd Cullmann, machte prompt ein Joker-Tor. Außer Netzer fehlte nur Gerd Müller, und es zeigte sich, dass man in jenen Tagen auf ihn nicht verzichten konnte. Beim folgenden 3:0 gegen die Tschechen in Düsseldorf unterstrich er dies mit zwei Toren. In diesem Spiel gab Schön dem Braunschweiger Torwart Bernd Franke eine erste Bewährungschance, denn die Positionen hinter Sepp Maier waren keineswegs geklärt.

Dass Maier 1973 in eine Krise geraten würde, wurde zu einem unerwarteten Problem und fand seinen Ausdruck darin, dass Maier von den zehn Testspielen nur vier bestritt. Im Gladbacher Wolfgang Kleff erwuchs ihm ein ernstzunehmender Widersacher, der in der zweiten Jahreshälfte vier Spiele in Folge absolvierte. Zum Spiel nach Moskau am 5. September nahm Schön Maier gar nicht erst mit, "weil der Sepp so ein schlechter Reservist ist".

Ein noch größeres Thema entwickelte sich zur Jahresmitte, als Netzers Wechsel zu Real Madrid für ein Erdbeben sorgte. "Ich erfuhr es in einer Theaterpause vor unserem Brasilien-Spiel und wollte es erst nicht glauben. Er befand sich nun weitgehend außerhalb meiner Kontrolle und des ständigen Leistungswettbewerbs in der Bundesliga", schilderte Schön seine Gefühlswelt. Ein Spieler, der ins Ausland wechselte, war vor 50 Jahren buchstäblich von der Bildfläche verschwunden. Da damals zudem für Testspiele keine Freigaben erteilt werden mussten, kam Netzer 1973 nur noch in Glasgow zum Einsatz.

Zurück in der Spur

So wurde 1973 das Jahr, in dem sich Günter Netzer von der Nationalelf verabschiedete und seinen Platz an Overath übergab. In einer Phase, in der die Mannschaft binnen vier Monaten drei Heimspiele verloren hatte (nach Argentinien jeweils 0:1 gegen Jugoslawien und Weltmeister Brasilien) kam sein Wechsel auf die iberische Halbinsel äußerst ungelegen. Und so machte sich im Sommer 1973 so mancher Sorgen um das Aushängeschild des deutschen Fußballs. Doch eine Serie von vier Siegen bei einem Remis (1:1 in Schottland) beruhigte die Gemüter wieder. Overath schloss wie selbstverständlich die Lücke, die Netzers Wechsel tatsächlich riss.

Die Jahresbilanz las sich, gemessen an den Ansprüchen, dennoch bescheiden: Neben sechs Siegen standen ein Unentschieden und drei Niederlagen, alle zuhause – das hatte es zuletzt 1913 gegeben. Sieben Debütanten hatte Schön eine Chance gegeben, von denen vier zur WM fuhren und nur einer, Frankfurts Bernd Hölzenbein, im Finale auflaufen sollte.

Der kicker schrieb nach dem letzten Spiel des Jahres in Stuttgart: "Nach dem 2:1 über Spanien sind doch eine ganze Reihe von Schatten, die im Frühjahr aufgezogen waren, weitgehend gebannt. Die Mannschaft fand weitgehend zu spielerischer Geschlossenheit zurück, ohne dass die Harmonie des Vorjahres wieder ganz erreicht wurde." Schön sagte damals: "Ich denke, dass wir mit dieser Mannschaft auch in Zukunft spielen können. Ich werde noch den einen oder anderen Versuch unternehmen, aber viel ändern werde ich nicht." In der Tat, der Kern der Europameister mit sechs Bayern-Spielern wurde 1974 Weltmeister – Ziel erreicht.

1987

1988 durfte Deutschland erstmals eine Europameisterschaft ausrichten. Für den jungen Teamchef Franz Beckenbauer war es das zweite Turnier. 1986 war er in Mexiko Vize-Weltmeister geworden. Auf dem Erfolg wollte er aufbauen, aber im Gegensatz zu Schön musste er etliche Rücktritte hinnehmen. Kapitän Karl-Heinz Rummenigge, Spielmacher Felix Magath und die Abwehrrecken Karlheinz Förster, Hans-Peter Briegel und Ditmar Jakobs gingen den Weg nicht weiter, und im März 1987 musste sich der Kaiser auch einen neuen Torwart suchen. Harald "Toni" Schumacher hatte sich mit seiner allzu offenherzigen Betrachtung des deutschen Fußballs in seinem Buch "Anpfiff" selbst aus dem Spiel genommen, der DFB berücksichtigte ihn nicht mehr, ebenso wenig sein Verein, der 1. FC Köln.

So stand das Jahr 1987, das neun Testspiele bereithielt, im Zeichen eines Neuaufbaus. Schlüsselpositionen mussten neu besetzt werden und Beckenbauer sichtete das Potenzial der Bundesliga ausgiebig. Neun Debütanten schenkte er 1987 das Vertrauen, die Karrieren der kommenden Weltmeister von 1990, Bodo Illgner, Stefan Reuter und Jürgen Klinsmann starteten in jenem Zwischenjahr. Den Kölner Illgner schickte er in den Zweikampf mit dem Stuttgarter Eike Immel, der sich den Platz im EM-Tor sicherte. Der neue Schumacher kam noch nicht aus Köln, durfte aber immerhin in drei Spielen sein Können demonstrieren. Der neue Förster kam in Gestalt des Waldhof-Buben Jürgen Kohler zum Vorschein, er absolvierte alle 810 Länderspielminuten des Jahres 1987. Das begann mit einem 2:0 im ersten Treffen überhaupt gegen Israel, als die Nationalspieler auch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besuchten.

Den Briegel-Vertreter für die defensive linke Seite fand der Kaiser noch nicht, das Duell zwischen Hans Pflügler und Michael Frontzeck blieb bis 1988 offen – zur EM durfte dann nur der Münchner Pflügler. Der neue Rummenigge war am schwersten zu finden, aber es gab ja noch Rudi Völler und Klaus Allofs, der nun kein Wackelkandidat mehr war und zunächst die Kapitänsbinde von Rummenigge übernahm.

Viele Wechsel, viele Siege

In jedem Spiel präsentierte Beckenbauer 1987 eine neue Aufstellung, die Form litt darunter kaum. Obwohl bewusst meist gegen hochkarätige Gegner gespielt wurde, gab es erst im letzten Spiel eine Niederlage. Einem 0:0 gegen Italien in Köln folgte ein 2:1 in Berlin gegen Frankreich. In Düsseldorf gab es ein umjubeltes 3:1 im Prestigekampf gegen England, als Schlitzohr Pierre Littbarski sogar ein Eckballtor gelang. In Hamburg sorgte ein Völler-Tor für eine erfolgreiche Revanche gegen Dänemark (1:0), das bei der WM noch als Sieger vom Platz gegangen war. Unter den drei Unentschieden im Herbst war ein 1:1 gegen Rekord-Weltmeister Brasilien im Rahmen einer Südamerika-Reise, als Stefan Reuter quasi mit dem Schlusspfiff ausglich.

Trat man solche weiten Reisen gewöhnlich nur an, um sich in einem Ausrichterland an die klimatischen Verhältnisse zu gewöhnen (wie 1961, 1968 und 1977), diente diese nur der Leistungsschau. Beckenbauer wollte sich mit den Besten messen und der DFB tat ihm den Gefallen, auch wenn die Bundesliga murrte. Gestandene Spieler fehlten, sodass in Südamerika gleich vier Spieler debütierten, von denen nur Jürgen Klinsmann im Kader blieb. Beckenbauer blieb unbeeindruckt: "Die Ergebnisse sind mir wurscht, mir geht es mehr um Entwicklungen."

Dass es zum Abschluss die erste Niederlage in 1987 gab, ließ sich verschmerzen – es war ein 0:1 in Argentinien bei 35 Grad Hitze. "Mit einer U 23 gegen acht Weltmeister 0:1 knapp zu verlieren, ist keine Schande", sagte Ligaausschuss-Boss Gerhard Mayer-Vorfelder gnädig. Von Euphorie war zwar zum Jahreswechsel 1987/1988 wenig zu spüren, weil die Reise ohne Spieler wie Völler, Allofs oder Littbarski als Muster ohne Wert angesehen wurde. Das Sichtungsjahr 1987 hatte indes seinen Zweck erfüllt, mit dem Bremer Meisterspieler Uli Borowka stieß 1988 nur noch ein Neuer zum EM-Kader. Dessen Reise endete im Halbfinale gegen die Niederlande.

2005

Das Länderspieljahr 2005 stand ganz im Zeichen der zweiten WM auf deutschem Boden. Mit Jürgen Klinsmann hatte nach dem EM-Aus 2004 ein neuer Bundestrainer die Geschäfte übernommen. Im Gegensatz zu Schön und Beckenbauer agierte Klinsmann als Reformer, der die kurze Zeit bis zur WM nutzte, um nicht nur eine neue Mannschaft, sondern auch ein neues Team um das Team zu bauen und einen Geist der Zuversicht heraufzubeschwören. Den sollten nicht zuletzt die roten Trikots symbolisieren, mit denen die Mannschaft in sieben der 15 Spiele des Jahres 2005 auflief. Die Bilanz konnte sich sehen lassen: sieben Siege, fünf Unentschieden, drei Niederlagen.

Regelrechte Begeisterungsstürme löste die Mannschaft im Sommer aus, als sie quasi doch Pflichtspiele bestritt: Denn der WM-Gastgeber muss im Vorjahr einen Confed-Cup austragen, als Generalprobe für den Veranstalter und seine Mannschaft gleichermaßen. Das Turnier zeigte Stärken und Schwächen der jungen Mannschaft auf: stürmisch und wild, aber auch anfällig. So war es beim 4:3 gegen Australien, beim 2:2 gegen Argentinien, dem 2:3 gegen Weltmeister Brasilien und dem 4:3 gegen Mexiko, als der dritte Platz gesichert wurde.

Zu den Tiefpunkten gehörten ein 0:2 in der Slowakei Anfang September und ein 1:2 in Istanbul im Oktober. Jeder sah: Diese Mannschaft war noch im Werden. 31 Spieler setzte Klinsmann 2005 ein, aber nur drei debütierten (Mike Hanke, Marcell Jansen und Lukas Sinkiewicz). Der Kreis war schon fast geschlossen, nur David Odonkor (ohne Länderspiele) und Jens Nowotny (nach zwei Jahren Pause) stießen 2006 noch zum WM-Kader.

Reformer Klinsmann

Klinsmann scheute nicht vor ungewöhnlichen Aktionen zurück, berief 2005 konstant den Kölner Zweitligaspieler Lukas Podolski, der prompt die meisten Tore (acht) schoss. Den Einsatz des Dauerreservisten beim FC Chelsea, Robert Huth, verstanden nicht alle Experten. Er spielte 2005 öfter für Deutschland als für seinen Verein. Von Aston Villa holte er einen gewissen Thomas Hitzlsperger, von Arminia Bielefeld Patrick Owomoyela und die meisten Minuten (1220) bekam der bei Hannover 96 nicht international spielende Verteidiger Per Mertesacker.

Klinsmann achtete nicht auf Namen und Meriten und so wurde auch die Torwartfrage zum Quell ständiger Debatten, denn er ließ sie offen und setzte Oliver Kahn und seinen Herausforderer Jens Lehmann abwechselnd (je siebenmal) ein. Als das Jahr mit einem beachtlichen 0:0 in Paris endete, sagte Klinsmann: "Man muss festhalten – wir verlieren kaum noch gegen die Großen. Der Generationswechsel ist uns größtenteils gelungen, ebenso das Vorhaben, jeden einzelnen Spieler besser zu machen."

Mancher misstraute seinen Worten zu diesem Zeitpunkt noch, aber die WM 2006 sollte ihm Recht geben, sie schenkte den Deutschen ein Sommermärchen.

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