Zum 100. Geburtstag: Der legendäre Rechtsaußen Ernst Lehner

Er war 13 Jahre lang Deutschlands Rekordtorschütze, er war der legendäre Rechtsaußen der mythischen Breslau-Elf und er ist bis heute der Schütze des schnellsten deutschen WM-Tores. Und doch droht der 1986 verstorbene Ernst Lehner allmählich in Vergessenheit zu geraten. Für DFB.de würdigt der Autor und Historiker Udo Muras den Ausgburger anlässlich seines 100. Geburtstags, den Lehner heute gefeiert hätte.

Es ist das Los all jener, die vor dem Krieg gespielt haben, als es im deutschen Fußball noch keinen Starkult und auch noch keine großen Titel gab: Wenig Anlass zur Erinnerung führt geradewegs in die Vergessenheit. Ernst Lehner, der heute 100 Jahre alt geworden wäre, hat das nicht verdient. Aber selbst sein Verein TSV Schwaben Augsburg, für den er mit Unterbrechungen 23 Jahre über 500-mal spielte und der sogar sein Stadion nach ihm benannt hat, feiert das Jubiläum nicht groß. Lehners Kamerad in der Breslau-Elf, Otto Siffling von Waldhof Mannheim, hat man nicht vergessen. Eine Waldhof-Fan-Initiative widmete Siffling im Juni anlässlich dessen 100. Geburtstags eine große Ausstellung.

65 Länderspiele, 31 Tore

Ernst Lehner hat mehr als doppelt so viele Länderspiele (65) als der früh verstorbene Siffling (31) bestritten und sich in den 30er-Jahren einen ausgezeichneten internationalen Ruf erworben. Nicht ohne Grund wurde er 1937 in eine Westeuropa-Auswahl berufen, was er als "meine ehrenvollste Berufung" bezeichnete. Schon nach seinem Länderspiel-Debüt in Zürich im November 1933 erhielt er noch auf dem Bankett ein Angebot eines Schweizer Großklubs – sowie einen Kuss einer stürmischen, ihm gänzlich unbekannten Verehrerin.

Diese Anekdoten verdanken wir dem Glücksfall, dass Lehner 1948 als einer der ersten Nationalspieler seine Memoiren ("Mit dem Lederball durch Europa") schrieb. Sie zeichnen den Weg eines ganz normalen fußballbegeisterten Jungen nach, der in Augsburg der Weimarer Republik aufwächst und wie alle Altersgenossen nach der Schule nur eines kennt: Fußball spielen. Scheiben werden eingeschossen, Schuhe zerschlissen und mütterliche Ohrfeigen eingesteckt, während der Vater als Mitbegründer des FC Augsburg vermutlich verständnisvoll vor sich hin gemurmelt hat. Warum soll der jüngste Spross einer Fußballer-Familie nicht auch dem Ball nach jagen? Und das geht im Verein allemal besser als auf der Straße, wo der Ball in schöner Regelmäßigkeit von alarmierten Schutzpolizisten eingesammelt wird. Die Spielkameraden schickten dann meist den kleinen Ernst auf die Wache um den Ball zurückzuholen – weil die Chance am größten war, dass die Tränen des Jüngsten die Polizei erbarmen würden.

Aber Ernst Lehner hatte auch andere Qualitäten, die sich ab 1922 im Trikot des TSV Schwaben zeigten. Er konnte schneller als andere laufen, er konnte flanken und Tore schießen. Wenn auch nur mit rechts, weshalb sie ihn "Kollege Einbein" nannten - was weiter kein Problem war, schließlich war sein erster Trainer Familienmitglied. "Unter dem klugen und oft von ironischen Begleitworten nicht ganz freien Training meines Schwagers Karl Krauß, dem ich viel an Ausbildung verdanke, wurde ich auch sichtlich schneller", schrieb Lehner: "Ich lernte mich freistellen und rechtzeitig starten, ich drückte aber auch meine Zeit über 100 Meter systematisch herunter. Seit 1931/1932 habe ich dann fast ausschließlich nur noch Rechtsaußen gespielt."

"Wir sehen uns beim nächsten Spiel"

Mit 17 Jahren kickte Lehner in der ersten Mannschaft in der Gau-Liga, der Bayernliga, in der auch der ruhmreiche 1. FC Nürnberg spielte. Einem starken Auftritt gegen den Club und einem Kicker-Interview des damaligen Nürnberger Trainers Alfred Schaffer, glaubt jedenfalls Lehner, verdankte er seine erste Länderspielberufung. Schaffer nutzte die Gelegenheit darauf hinzuweisen "dass in Augsburg mit Lehner eine große Hoffnung für die deutsche Länderelf heranreife". Reichstrainer Otto Nerz vernahm die Kunde wohl und nominierte Lehner für das Testspiel in Zürich gegen die Schweiz.



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Er war 13 Jahre lang Deutschlands Rekordtorschütze, er war der legendäre Rechtsaußen der mythischen Breslau-Elf und er ist bis heute der Schütze des schnellsten deutschen WM-Tores. Und doch droht der 1986 verstorbene Ernst Lehner allmählich in Vergessenheit zu geraten. Für DFB.de würdigt der Autor und Historiker Udo Muras den Ausgburger anlässlich seines 100. Geburtstags, den Lehner heute gefeiert hätte.

Es ist das Los all jener, die vor dem Krieg gespielt haben, als es im deutschen Fußball noch keinen Starkult und auch noch keine großen Titel gab: Wenig Anlass zur Erinnerung führt geradewegs in die Vergessenheit. Ernst Lehner, der heute 100 Jahre alt geworden wäre, hat das nicht verdient. Aber selbst sein Verein TSV Schwaben Augsburg, für den er mit Unterbrechungen 23 Jahre über 500-mal spielte und der sogar sein Stadion nach ihm benannt hat, feiert das Jubiläum nicht groß. Lehners Kamerad in der Breslau-Elf, Otto Siffling von Waldhof Mannheim, hat man nicht vergessen. Eine Waldhof-Fan-Initiative widmete Siffling im Juni anlässlich dessen 100. Geburtstags eine große Ausstellung.

65 Länderspiele, 31 Tore

Ernst Lehner hat mehr als doppelt so viele Länderspiele (65) als der früh verstorbene Siffling (31) bestritten und sich in den 30er-Jahren einen ausgezeichneten internationalen Ruf erworben. Nicht ohne Grund wurde er 1937 in eine Westeuropa-Auswahl berufen, was er als "meine ehrenvollste Berufung" bezeichnete. Schon nach seinem Länderspiel-Debüt in Zürich im November 1933 erhielt er noch auf dem Bankett ein Angebot eines Schweizer Großklubs – sowie einen Kuss einer stürmischen, ihm gänzlich unbekannten Verehrerin.

Diese Anekdoten verdanken wir dem Glücksfall, dass Lehner 1948 als einer der ersten Nationalspieler seine Memoiren ("Mit dem Lederball durch Europa") schrieb. Sie zeichnen den Weg eines ganz normalen fußballbegeisterten Jungen nach, der in Augsburg der Weimarer Republik aufwächst und wie alle Altersgenossen nach der Schule nur eines kennt: Fußball spielen. Scheiben werden eingeschossen, Schuhe zerschlissen und mütterliche Ohrfeigen eingesteckt, während der Vater als Mitbegründer des FC Augsburg vermutlich verständnisvoll vor sich hin gemurmelt hat. Warum soll der jüngste Spross einer Fußballer-Familie nicht auch dem Ball nach jagen? Und das geht im Verein allemal besser als auf der Straße, wo der Ball in schöner Regelmäßigkeit von alarmierten Schutzpolizisten eingesammelt wird. Die Spielkameraden schickten dann meist den kleinen Ernst auf die Wache um den Ball zurückzuholen – weil die Chance am größten war, dass die Tränen des Jüngsten die Polizei erbarmen würden.

Aber Ernst Lehner hatte auch andere Qualitäten, die sich ab 1922 im Trikot des TSV Schwaben zeigten. Er konnte schneller als andere laufen, er konnte flanken und Tore schießen. Wenn auch nur mit rechts, weshalb sie ihn "Kollege Einbein" nannten - was weiter kein Problem war, schließlich war sein erster Trainer Familienmitglied. "Unter dem klugen und oft von ironischen Begleitworten nicht ganz freien Training meines Schwagers Karl Krauß, dem ich viel an Ausbildung verdanke, wurde ich auch sichtlich schneller", schrieb Lehner: "Ich lernte mich freistellen und rechtzeitig starten, ich drückte aber auch meine Zeit über 100 Meter systematisch herunter. Seit 1931/1932 habe ich dann fast ausschließlich nur noch Rechtsaußen gespielt."

"Wir sehen uns beim nächsten Spiel"

Mit 17 Jahren kickte Lehner in der ersten Mannschaft in der Gau-Liga, der Bayernliga, in der auch der ruhmreiche 1. FC Nürnberg spielte. Einem starken Auftritt gegen den Club und einem Kicker-Interview des damaligen Nürnberger Trainers Alfred Schaffer, glaubt jedenfalls Lehner, verdankte er seine erste Länderspielberufung. Schaffer nutzte die Gelegenheit darauf hinzuweisen "dass in Augsburg mit Lehner eine große Hoffnung für die deutsche Länderelf heranreife". Reichstrainer Otto Nerz vernahm die Kunde wohl und nominierte Lehner für das Testspiel in Zürich gegen die Schweiz.

Der Glückspilz erfuhr davon aus dem Radio, sein Vater brach in Freudentränen aus und die Mutter bewahrte den Zeitungsbericht seines Debüts jahrelang heimlich unter dem Kopfkissen auf. Er fand ihn erst nach ihrem Tode. Sein Verein war ebenso stolz wie besorgt und schickte den Präsidenten gleich mit auf die Reise - nicht, dass Lehner unterwegs noch abgeworben werden würde. Ernst Lehners Debüt verlief passabel, Deutschland gewann 2:0, die Kritiken waren ordentlich. Nur von Nerz hörte er zunächst nichts. Erst als er schon reisefertig auf den Bus wartete, raunte ihm der Reichstrainer zu: "Wir sehen uns beim nächsten Spiel." Mehr Lob war aus dem Munde des strengen Fußball-Professors nicht zu erwarten, wie Lehner noch begreifen würde.

Frühes Aus bei Olympia 1936

Aber sie sahen sich noch bei vielen Spielen, der Neuling schaffte gleich den Sprung in den ersten WM-Kader der DFB-Historie und spielte 1934 in Italien in allen vier Begegnungen mit. Im Spiel um Platz drei schoss er gegen Österreich nach 25 Sekunden das bis heute schnellste deutsche WM-Tor. Er wurde mit Lob überschüttet, in der Auslandspresse war vom "besten Amateurspieler der Welt" die Rede. Die Fußball-Woche schrieb in ihrem WM-Fazit: "Lehner ist in all unseren Kritiken gut weggekommen. Wir finden, dass Deutschland einen solchen Rechtsaußen in der Nachkriegszeit noch nicht hatte. Die technischen Fortschritte, die der lange Augsburger seit seinem ersten Länderspiel im vorigen Jahr gemacht hat, sind ungeheuer."

Auch im Leben machte Lehner, der in der Jugend zunächst keine Anstellung fand, Fortschritte. Nach seiner Rückkehr aus Italien wurde er am Bahnhof von Tausenden Augsburger empfangen und dann widerfuhr dem über Nacht berühmten Sohn der Fugger-Stadt eine besondere Ehre. Lehner erinnerte sich 1948 so: "Den Gipfelpunkt aber bildete eine offizielle Rede, in der mir gesagt wurde, dass die Stadt Augsburg sich in Anerkennung meiner Verdienste entschlossen habe, mich in die Dienste der Stadtverwaltung zu übernehmen." Der Fußball als berufliches Sprungbrett, das gab es also auch schon vor 80 Jahren. Ernst Lehner war nun ein Kanzlei-Assistent.

Der Fußballer Lehner ging oder besser rannte weiter seinen Weg auf dem rechten Flügel seiner Schwaben, denen er auch nach dem Abstieg 1938 die Treue hielt, und der Nationalelf. Auch dort gab es Rückschläge - er stand in der Elf, die bei Olympia 1936 so früh an Norwegen scheiterte – und das unter den Augen des Führers. Ein knallharter dreiwöchiger Lehrgang zur Selektion der 18 Besten aus 40 Spielern forderte seinen Tribut, fand nicht nur Lehner, aber dessen Wort hat als Teilnehmer Gewicht: "Das Übertraining rächte sich gerade in dem Augenblick, als es galt, in Höchstform zu sein. Nerz hatte ehrlich das Beste gewollt, aber das Gegenteil erreicht."

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Zwei WM-Teilnahmen für Deutschland

Manche Karriere ging an diesem August-Tag im Berliner Poststadion zu Ende, die von Otto Nerz bekam zumindest einen kräftigen Knick. Aber auf Lehner wollten weder er noch der neue Reichstrainer Sepp Herberger verzichten. Von 85 Länderspielen zwischen seinem Debüt und seinem Abschied im Januar 1942 bestritt Lehner 65. Eine beachtliche Quote, bedenkt man, dass politische Einflüsse bei der Nominierung ab 1938 eine Rolle spielten. Herberger wurde nach dem "Anschluss" gezwungen, immer mindestens fünf Österreicher aufzustellen. Und die Kriegswirren ab 1939 erschwerten auch so manches Länderspiel, Lehner verschlug es 1940 als Soldat zunächst nach Berlin, wo er zwei Jahre für den Berliner Meister Blau-Weiß 90 kickte.

Bei der unglücklich verlaufenen WM 1938 in Frankreich kam er als einer der wenigen Nationalspieler in beiden Spielen gegen die Schweiz zum Einsatz. Seine dritte WM-Teilnahme, 1942 hätte Deutschland Ausrichter sein sollen, machte der Krieg zunichte. Als im November 1942 der Vorhang für die Nationalelf fiel, firmierte Lehner als Rekordtorschütze mit seinen 31 Treffern. Dabei war er kein ausgesprochener Torjäger, schon von der Position her nicht. Ein "Dreier" 1935 gegen Finnland war sein Rekord, ansonsten sammelte er die Tore eher nach der Eichhörnchenmethode.

Erst im November 1955, drei Jahre nach seinem Karriereende, das er im Trikot von Viktoria Aschaffenburg erlebte, löste ihn der große Fritz Walter ab. Erst 20 Jahre nach seinem Ableben rutschte der Bundesverdienstkreuz-Träger Lehner, von Michael Ballack und Miroslav Klose 2006 beim 13:0 in San Marino verdrängt, aus den Top-Ten der DFB-Torjäger. Wahrlich kein Grund, ihm nicht zu gedenken.