WM-Star 1966: Hurst und das Wembley-Tor

19 Weltmeisterschaften, 19 Stars: Vor der Jubiläumsauflage im Sommer erinnert DFB.de in einer Serie an prominente und weniger bekannte Spieler, die den bisherigen WM-Turnieren ihren Stempel aufdrückten. Heute: Geoffrey Hurst, Torschütze des umstrittensten Tores der Fußball-Geschichte.

Es gibt Fußballer, die haben ihr halbes Leben lang auf höchstem Niveau gespielt, die Vitrinen voller Trophäen und werden doch auf einen einzigen Moment reduziert. Für diese Menschen ist es besser, dass es ein erfreulicher Moment ist. Ob das auf Geoffrey Hurst zutrifft, ist freilich genauso schwer zu beantworten, wie die Frage, ob denn der verflixte Ball damals in Wembley drin war. Das berühmteste Tor der Fußballgeschichte hat England 1966 zum Weltmeister gemacht und Deutschland zum tragischen Verlierer.

Geoff Hurst hat es erzielt oder auch nicht, jedenfalls hatte der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst nach Rücksprache mit dem russischen Linienrichter Tefik Bachramow zur Mitte gezeigt. Die Geschichte ist bekannt, auch fast 50 Jahre danach muss man niemandem erklären, was ein Wembley-Tor ist. Schon weit unbekannter ist, dass Geoffrey Hurst an diesem Tag noch zwei Tore erzielt hat und dass er damit bis heute der einzige Spieler aller Zeiten ist, der drei Treffer in einem WM-Finale erzielt - das schaffte kein Pelé, kein Diego Maradona und auch kein Gerd Müller.

Debüt erst im WM-Viertelfinale gegen Argentinien

Und dabei war Hurst eigentlich nie in den Regionen dieser Weltstars. Als die WM 1966 im eigenen Land begann, war er Ersatzspieler, was damals nichts anderes als ein privilegierter Zuschauer war. Er durfte sich mit der Elf umziehen, und wenn es los ging, saß er draußen. 1966 war die letzte WM mit Wechselverbot - und vor dem Stürmer von West Ham United stand der legendäre Jimmy Greaves von Tottenham Hotspur, der schon viermal Torschützenkönig gewesen war und bis heute die drittmeisten Länderspieltore für England erzielt hat.

Hinter ihm konnte sich der zwei Jahre jüngere Hurst eigentlich auf ein Dasein als WM-Tourist einrichten. Zwar durfte auch er sich schon Europapokalsieger nennen, da er mit West Ham United 1965 die Münchner Löwen 2:0 geschlagen hatte, aber Sir Alf Ramsey hatte ihn erst im Februar 1966 in die Nationalmannschaft geholt. Als die WM begann, hatte Hurst fünf Länderspiele und ein Tor auf dem Konto. Als die Vorrunde beendet war, hatte sich daran nichts geändert; doch im dritten Spiel verletzte sich Greaves. Nicht schwer, aber schwer genug, um einmal auszusetzen.

Im Viertelfinale gegen Argentinien gab also Hurst sein WM-Debüt - und nach 78 Minuten köpfte er das Goldene Tor zum 1:0. England hatte nun einen neuen WM-Helden, aber Greaves stand wieder parat. Doch Ramsey setzte weiter auf den 1,81 Meter-Schlaks von West Ham, und seine Begründung ist genau so in die Geschichts-bücher eingegangen wie das Wembley-Tor: "Never change a winning team."

Die ewige Frage: Tor oder nicht Tor?

Dieser Philosophie verdankte es Hurst, dass er Weltmeister wurde. Im Halbfinale gegen Portugal (2:1) war Doppeltorschütze Bobby Charlton der Held des Tages, aber Hurst blieb im Team - England hatte ja wieder gewonnen. Außerdem hatte Hurst ein Tor vorbereitet.

Und dann kam er, der große Tag. Am Samstag, 30. Juli 1966, stand England erstmals in einem WM-Finale, und sein Mittelstürmer hieß Geoffrey Hurst, damals 25 Jahre jung. Und schon nach 17 Minuten traf er erstmals und glich Hallers Führungstor aus. Zwei späte Tore auf beiden Seiten erzwangen eine Verlängerung, und dann begann sie, die dramatischste Geschichte in einem WM-Finale.

Die 101. Minute brachte die ewige Frage: Tor oder nicht Tor? Für heutige Beobachter ist es mindestens genauso rätselhaft, wieso Hurst in einem WM-Finale beim Stand von 2:2 im Fünfmeterraum dermaßen frei zum Schuss kommen konnte. Sicher ist, dass er die Latte traf, von wo der Ball auf den Boden prallte. Torwart Hans Tilkowski verdeckte den Kameras die Sicht, so dass nie bewiesen werden konnte, wo der Ball genau aufschlug. Hurst entzog sich bei der Zeugenbefragung diplomatisch geschickt einer klaren Antwort: "Nach meinem Schuss aus halber Drehung fiel ich hin, hatte keine gute Sicht."

Drittes Endspieltor besiegelt deutsche Niederlage

Umso bessere Sicht hatte er in der 120. Minute, als er allein auf Tilkowski zulief. So allein auch wieder nicht, denn es waren bereits erste Fans auf dem Platz, von Bobbys gejagt. Hurst ließ sich nicht stören und drosch den Ball unter die Latte, dabei wäre er schon mit weniger zufrieden gewesen: "Ich dachte mir, es ist bald vorbei. Halte ich also mal mit aller Kraft, die ich noch habe, drauf. Der Ball wird in die Ränge fliegen und es einige Zeit dauern, bis die Balljungen ihn wieder zurückbringen. Als ich das noch denke, schlägt der Ball unter der Latte ein. Ich hatte ihn wohl nicht richtig getroffen."

Drei Tore in einem WM-Finale, davon eines, das womöglich keines war, und eines, das keine Absicht war - es war schon ein verrückter Tag im Leben von Geoffrey Hurst. News oft he World schrieb: "Hurst ist der Hammer und England Meister der Welt." Die Spieler bekamen vom Verband damals vergleichsweise lächerliche 1000 Pfund, 1998 wurden sie aber alle von der Queen in den Rittersstand erhoben. Seitdem darf sich Geoff Hurst "Sir" nennen.

Hurst-Biografie: "1966 and all that"

Er hat sich nie große Mühe gegeben, dem Wirbel um seine Finaltore auszuweichen. Der verfolgte ihn bis weit nach dem Ende seiner Karriere. Als beim Abriss des alten Wembleystadions anno 2000 das Stück Rasen, auf das der Ball beim dritten Tor prallte, versteigert wurde, griff Hurst selbst zum Spaten, um es ausbuddeln. Und als sie in Baku dem Linienrichter Bachramow ein Denkmal widmeten, reiste er 2004 nach Aserbaidschan, um es zu enthüllen.

Hurst spielte auch noch bei der WM 1970 - nun nahm Deutschland erfolgreich Revanche, mit 3:2 nach Verlängerung im Viertelfinale -, und erst zehn Jahre nach Wembley endete seine Karriere. Aber seine Biografie trägt den Titel "1966 and all that". All das andere nach dem Wembley-Finale war nur noch eine Zugabe, unsterblich war Geoff Hurst schon mit 25.

Geoffrey Hurst

Geburtsdatum: 8. Dezember 1941
Nationalität: Engländer
Länderspiele/Tore: 49/24
WM-Spiele/Tore: 6 Spiele/5 Tor (1966 und 1970)
Vereine als Spieler: West Ham United (1959 bis 1972), Stoke City (1972 bis 1975), West Bromwich Albion (1975/1976)
Größte Erfolge im Nationalteam: Weltmeister 1966
Größte Erfolge im Verein: Europapokalsieger der Pokalsieger 1965, FA-Cup-Sieger 1964

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19 Weltmeisterschaften, 19 Stars: Vor der Jubiläumsauflage im Sommer erinnert DFB.de in einer Serie an prominente und weniger bekannte Spieler, die den bisherigen WM-Turnieren ihren Stempel aufdrückten. Heute: Geoffrey Hurst, Torschütze des umstrittensten Tores der Fußball-Geschichte.

Es gibt Fußballer, die haben ihr halbes Leben lang auf höchstem Niveau gespielt, die Vitrinen voller Trophäen und werden doch auf einen einzigen Moment reduziert. Für diese Menschen ist es besser, dass es ein erfreulicher Moment ist. Ob das auf Geoffrey Hurst zutrifft, ist freilich genauso schwer zu beantworten, wie die Frage, ob denn der verflixte Ball damals in Wembley drin war. Das berühmteste Tor der Fußballgeschichte hat England 1966 zum Weltmeister gemacht und Deutschland zum tragischen Verlierer.

Geoff Hurst hat es erzielt oder auch nicht, jedenfalls hatte der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst nach Rücksprache mit dem russischen Linienrichter Tefik Bachramow zur Mitte gezeigt. Die Geschichte ist bekannt, auch fast 50 Jahre danach muss man niemandem erklären, was ein Wembley-Tor ist. Schon weit unbekannter ist, dass Geoffrey Hurst an diesem Tag noch zwei Tore erzielt hat und dass er damit bis heute der einzige Spieler aller Zeiten ist, der drei Treffer in einem WM-Finale erzielt - das schaffte kein Pelé, kein Diego Maradona und auch kein Gerd Müller.

Debüt erst im WM-Viertelfinale gegen Argentinien

Und dabei war Hurst eigentlich nie in den Regionen dieser Weltstars. Als die WM 1966 im eigenen Land begann, war er Ersatzspieler, was damals nichts anderes als ein privilegierter Zuschauer war. Er durfte sich mit der Elf umziehen, und wenn es los ging, saß er draußen. 1966 war die letzte WM mit Wechselverbot - und vor dem Stürmer von West Ham United stand der legendäre Jimmy Greaves von Tottenham Hotspur, der schon viermal Torschützenkönig gewesen war und bis heute die drittmeisten Länderspieltore für England erzielt hat.

Hinter ihm konnte sich der zwei Jahre jüngere Hurst eigentlich auf ein Dasein als WM-Tourist einrichten. Zwar durfte auch er sich schon Europapokalsieger nennen, da er mit West Ham United 1965 die Münchner Löwen 2:0 geschlagen hatte, aber Sir Alf Ramsey hatte ihn erst im Februar 1966 in die Nationalmannschaft geholt. Als die WM begann, hatte Hurst fünf Länderspiele und ein Tor auf dem Konto. Als die Vorrunde beendet war, hatte sich daran nichts geändert; doch im dritten Spiel verletzte sich Greaves. Nicht schwer, aber schwer genug, um einmal auszusetzen.

Im Viertelfinale gegen Argentinien gab also Hurst sein WM-Debüt - und nach 78 Minuten köpfte er das Goldene Tor zum 1:0. England hatte nun einen neuen WM-Helden, aber Greaves stand wieder parat. Doch Ramsey setzte weiter auf den 1,81 Meter-Schlaks von West Ham, und seine Begründung ist genau so in die Geschichts-bücher eingegangen wie das Wembley-Tor: "Never change a winning team."

Die ewige Frage: Tor oder nicht Tor?

Dieser Philosophie verdankte es Hurst, dass er Weltmeister wurde. Im Halbfinale gegen Portugal (2:1) war Doppeltorschütze Bobby Charlton der Held des Tages, aber Hurst blieb im Team - England hatte ja wieder gewonnen. Außerdem hatte Hurst ein Tor vorbereitet.

Und dann kam er, der große Tag. Am Samstag, 30. Juli 1966, stand England erstmals in einem WM-Finale, und sein Mittelstürmer hieß Geoffrey Hurst, damals 25 Jahre jung. Und schon nach 17 Minuten traf er erstmals und glich Hallers Führungstor aus. Zwei späte Tore auf beiden Seiten erzwangen eine Verlängerung, und dann begann sie, die dramatischste Geschichte in einem WM-Finale.

Die 101. Minute brachte die ewige Frage: Tor oder nicht Tor? Für heutige Beobachter ist es mindestens genauso rätselhaft, wieso Hurst in einem WM-Finale beim Stand von 2:2 im Fünfmeterraum dermaßen frei zum Schuss kommen konnte. Sicher ist, dass er die Latte traf, von wo der Ball auf den Boden prallte. Torwart Hans Tilkowski verdeckte den Kameras die Sicht, so dass nie bewiesen werden konnte, wo der Ball genau aufschlug. Hurst entzog sich bei der Zeugenbefragung diplomatisch geschickt einer klaren Antwort: "Nach meinem Schuss aus halber Drehung fiel ich hin, hatte keine gute Sicht."

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Drittes Endspieltor besiegelt deutsche Niederlage

Umso bessere Sicht hatte er in der 120. Minute, als er allein auf Tilkowski zulief. So allein auch wieder nicht, denn es waren bereits erste Fans auf dem Platz, von Bobbys gejagt. Hurst ließ sich nicht stören und drosch den Ball unter die Latte, dabei wäre er schon mit weniger zufrieden gewesen: "Ich dachte mir, es ist bald vorbei. Halte ich also mal mit aller Kraft, die ich noch habe, drauf. Der Ball wird in die Ränge fliegen und es einige Zeit dauern, bis die Balljungen ihn wieder zurückbringen. Als ich das noch denke, schlägt der Ball unter der Latte ein. Ich hatte ihn wohl nicht richtig getroffen."

Drei Tore in einem WM-Finale, davon eines, das womöglich keines war, und eines, das keine Absicht war - es war schon ein verrückter Tag im Leben von Geoffrey Hurst. News oft he World schrieb: "Hurst ist der Hammer und England Meister der Welt." Die Spieler bekamen vom Verband damals vergleichsweise lächerliche 1000 Pfund, 1998 wurden sie aber alle von der Queen in den Rittersstand erhoben. Seitdem darf sich Geoff Hurst "Sir" nennen.

Hurst-Biografie: "1966 and all that"

Er hat sich nie große Mühe gegeben, dem Wirbel um seine Finaltore auszuweichen. Der verfolgte ihn bis weit nach dem Ende seiner Karriere. Als beim Abriss des alten Wembleystadions anno 2000 das Stück Rasen, auf das der Ball beim dritten Tor prallte, versteigert wurde, griff Hurst selbst zum Spaten, um es ausbuddeln. Und als sie in Baku dem Linienrichter Bachramow ein Denkmal widmeten, reiste er 2004 nach Aserbaidschan, um es zu enthüllen.

Hurst spielte auch noch bei der WM 1970 - nun nahm Deutschland erfolgreich Revanche, mit 3:2 nach Verlängerung im Viertelfinale -, und erst zehn Jahre nach Wembley endete seine Karriere. Aber seine Biografie trägt den Titel "1966 and all that". All das andere nach dem Wembley-Finale war nur noch eine Zugabe, unsterblich war Geoff Hurst schon mit 25.

Geoffrey Hurst

Geburtsdatum: 8. Dezember 1941
Nationalität: Engländer
Länderspiele/Tore: 49/24
WM-Spiele/Tore: 6 Spiele/5 Tor (1966 und 1970)
Vereine als Spieler: West Ham United (1959 bis 1972), Stoke City (1972 bis 1975), West Bromwich Albion (1975/1976)
Größte Erfolge im Nationalteam: Weltmeister 1966
Größte Erfolge im Verein: Europapokalsieger der Pokalsieger 1965, FA-Cup-Sieger 1964