WM 1954 - Horst Eckel: "Uns hatte keiner auf der Rechnung"

Bei der Weltmeisterschaft 1954 war der Kaiserslauterer Horst Eckel der jüngste Spieler im deutschen Kader. In der Schweiz kam er dennoch in allen sechs Spielen zum Einsatz - im Finale war er als rechter Läufer für die Bewachung von Ungarns Regisseur Nandor Hidegkuti zuständig. Eckel nahm auch noch an der WM 1958 teil und bestritt insgesamt 32 Länderspiele (10 Tore). In einem Interview spricht Eckel über seine Erinnerungen an die WM 1954 und das "Wunder von Bern":

Horst Eckel, das "Wunder von Bern" jährt sich zum 50. Mal. Wie haben Sie sich damals auf die WM vorbereitet?

Horst Eckel: "Wir Lauterer haben vorher das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen Hannover mit 1:5 verloren. Aber da hatte keiner von uns dran zu knabbern. Natürlich haben wir uns geärgert, aber am nächsten Tag war das wieder vorbei. Schließlich stand schon die WM an. Wir haben uns vor dem Turnier in der Sportschule Grünwald getroffen. Dort haben wir ganz normal trainiert. Für die Weltmeisterschaft hat sich keiner von uns etwas ausgerechnet. Zum Turnier haben wir von Herrn Dassler spezielle Schuhe bekommen, da ist auch viel drüber gesprochen worden. Aber ich habe immer gesagt: "Die Schuhe machen's nicht, der Fuß machts."

Den Grundstein für ein erfolgreiches Turnier legte die deutsche Mannschaft im Auftaktspiel gegen die Türkei. Stieg mit dem 4:1-Sieg auch die Erwartungshaltung der Spieler?

Eckel: "Jeder hat Uruguay, Österreich und natürlich die Ungarn mit ihrer 'Wunderelf' favorisiert. Deutschland hatte keiner auf der Rechnung. Wir haben auch nicht gewusst, wo wir stehen. Wir haben uns gesagt, 'jetzt spielen wir mal und sehen, was raus kommt.' Und so sind wir in das Spiel gegen die Türken gegangen. Da sind wir gleich in Rückstand geraten, aber der Herr Herberger hat uns immer gesagt: 'Ein Spiel dauert 90 Minuten.' Und da haben wir weiter gespielt und am Ende mit 4:1 ganz klar und verdient gewonnen. Wir waren schon froh und haben gedacht: 'Das ist ja sehr gut gelaufen!' Aber im nächsten Spiel warteten ja schon die übermächtigen Ungarn auf uns."

In der deutschen "B-Elf", die danach 3:8 gegen die ungarische "Wunderelf" unterlag, standen auch Sie. Glauben Sie, dass Herr Herberger die Begegnung bereits im Vorfeld verloren gegeben hatte?

Eckel: "Die Ungarn waren damals einfach die weltbeste Mannschaft. Schon vor dem Turnier in der Sportschule hat uns der Herr Herberger gesagt: 'Gegen die Ungarn können wir an einem normalen Tag nicht gewinnen. Deshalb werden wir in diesem Spiel nicht mit der kompletten Mannschaft spielen.' Ja, das haben wir alles schon vor dem Turnier gewusst. Da ist aber nichts davon rausgekommen. Wir Spieler haben uns alle gefügt. Der Herr Herberger hat ja auch nicht mit einem Sieg gerechnet. Und dass wir gegen die Türken gewinnen konnten, haben wir ja schon im ersten Spiel bewiesen."

Nach der 3:8-Niederlage wurde aus der Heimat heftige Kritik laut. Hat die Mannschaft vor dem Entscheidungsspiel gegen die Türken an Herberger oder am eigenen Leistungsvermögen gezweifelt?

Eckel: "Wir haben alle darauf vertraut, dass der Herr Herberger es schon richtig macht. Und es hat sich auch nach der Niederlage gegen die Ungarn keiner gerührt. Wenn jemand mal was sagen durfte, dann war das der Fritz Walter, mit dem sich Herr Herberger besprochen hat. Im Entscheidungsspiel gegen die Türken haben wir ganz gut gespielt, mit 7:2 gewonnen und uns für die nächste Runde qualifiziert. Damit hatten wir unser erstes großes Ziel erreicht. Wir wollten vor dem Turnier ins Viertelfinale kommen. Und jetzt konnten wir einfach unseren Fußball spielen."

Nach dem Erreichen des Viertelfinales konnten sie befreit aufspielen. Was hat den Ausschlag für Deutschland gegenüber den hochgewetteten Jugoslawen gegeben?

Eckel: "Die Jugoslawen hatten eine sehr starke Mannschaft. Deswegen hat der Herr Herberger eine defensivere Aufstellung gewählt und etwas geändert, was uns zum Weltmeister gemacht hat: Für Berni Klodt hat er Helmut Rahn gebracht. Berni war der bessere Mannschaftsspieler, keine Frage. Aber der Helmut konnte Spiele ganz alleine entscheiden. Wir haben alle gewusst, dass der Helmut auf einmal auf und davon gehen und den Ball ins Tor schießen kann. Das hat er vorher auch selber immer gesagt. Und dann ist der Helmut wirklich losmarschiert und hat das entscheidende 2:0 gemacht."

Rahn galt als Spaßvogel und Individualist. Hatte er in der Mannschaft ohnehin eine Sonderrolle, oder hat er nach seinem Tor eine besondere Behandlung gefordert?

Eckel: "Für Helmut war das Tor eine Selbstverständlichkeit. Aber er war kein großer Star. Das gab es bei uns nicht. Er war ein Teil unserer Mannschaft. So wie wir rennen und kämpfen mussten, so musste der Helmut Tore schießen. Und das hat er getan. Es war fast so, als würden wir immer 1:0 führen, bevor das Spiel losging. Man kann sagen, der Helmut war eine Torgarantie."

Im Halbfinale gegen Österreich zeigte die deutsche Mannschaft beim 6:1 ihre spielerisch beste Leistung des Turniers. War diese Partie die Initialzündung für den Titelgewinn?

Eckel: "Wir haben uns gesagt, wenn wir im Halbfinale sind, dann wollen wir es auch gewinnen. So wie vor jedem Spiel. Österreich hatte damals auch eine sehr gute Mannschaft. Aber die hatten an diesem Tag einfach keine Chance gegen uns. Dieses Spiel, glaube ich, war das beste Spiel unserer Mannschaft. Alles lief wie aus einem Guss, es hat einfach alles geklappt. Vor allem die Walters waren in diesem Spiel gut aufgelegt. Dieses Spiel war für uns Spieler ein besonderer Genuss. Es war ein schönes Gefühl zu merken, dass an diesem Tag alles klappt."

Das eigentliche "Wunder" spielte sich an jenem 4. Juli 1954 im Berner Wankdorfstadion ab. Schildern Sie bitte Ihre Eindrücke vom Endspiel.

Eckel: "Mit dem Erreichen des Endspiels hatte keiner, überhaupt keiner von uns gerechnet. Wir haben während des Turniers vor allem an der Kondition gearbeitet. Der Herr Herberger hat immer gesagt, wenn es regnet, dann hätten wir eine Chance. Auch gegen die Ungarn. Und da haben wir alle daran geglaubt. Zudem haben wir alle gewusst, dass wir im ersten Spiel gegen die Ungarn nur mit halber Mannschaft gespielt haben. Die Ungarn hingegen waren sich vor dem Endspiel schon sehr sicher."

Gut begonnen hat das Finale für die deutsche Mannschaft dann ja tatsächlich nicht.

Eckel: "Das Finale hat mit zwei blöden Toren miserabel angefangen. Aber wir haben gesagt: 'Auf! Es sind doch erst zehn Minuten gespielt. Weiter gehts!' Und direkt danach hat der Helmut aufs Tor der Ungarn geschossen. Keiner weiß, ob das ein Torschuss oder eine Vorlage sein sollte. Der Helmut würde natürlich sagen, es war eine Vorlage. Ein Ungar hat den Ball abgelenkt und Max Morlock hat den Ball mit der Spitze ins Tor gebracht. Jetzt waren wir wieder dran. Und dann hat wieder der Helmut sein Tor gemacht. Er hat sich nach einem Eckball den Ball erlaufen und knallhart ins Tor geschossen. Und das war der 2:2-Ausgleich."

Wie zuversichtlich waren sie danach, das Finale zu gewinnen?

Eckel: "In der Halbzeit haben wir uns Mut gemacht. Auch der Herr Herberger hat gesagt: 'Wieso sollen wir denn jetzt nicht noch gewinnen?' Ans Verlieren hat bei uns keiner mehr gedacht. Die Ungarn waren unsicherer geworden, das haben wir auf dem Platz gemerkt. Wir haben einfach ruhig weiter gespielt. Und dann hat der Helmut sein zweites Tor gemacht. Jeder hat gedacht, er schießt nach der abgewehrten Flanke sofort drauf. Aber der Helmut hat die ganze ungarische Abwehr versetzt und sich den Ball erst zurecht gelegt und ihn dann mit links ins Tor gehämmert. Das war das 3:2."

Die verbleibenden sechs Minuten waren dann allerdings noch reichlich dramatisch.

Eckel: "Das waren die längsten sechs Minuten meines Lebens. Die Ungarn haben noch ein Tor geschossen, aber das war Abseits. Dann hat der Schiedsrichter, Gott sei Dank abgepfiffen. Und wir waren Weltmeister."

Haben Sie direkt nach dem Endspiel überhaupt realisiert, was Sie geleistet haben?

Eckel: "Wir haben den Pokal gekriegt und sind eine Ehrenrunde gelaufen. Dann sind wir in die Kabine gegangen. Jeder war fertig von dem anstrengenden Spiel, und es ist ganz leise gewesen in der Kabine. Doch Herr Herberger hat gesagt: 'Was ist denn los, Männer? Ihr seid Weltmeister! Wollt ihr euch denn nicht freuen und feiern?' Na ja, und dann sind wir unter die Dusche und haben gesungen. Auch im Bus haben wir wieder ein paar Lieder gesungen. Abends hatten wir noch ein Bankett. Aber wir haben es nicht übertrieben. Um zwei Uhr waren der Hans Schäfer, mit dem ich vom ersten bis zum letzten Spiel in der Nationalmannschaft Zimmerkollege war, und ich wieder in unserem Zimmer und haben geschlafen. Und von den anderen ist auch keiner viel länger geblieben."

Der 3:2-Erfolg hat eine Euphorie von ungeahntem Ausmaß in der Heimat entfacht.

Horst Eckel: "Keiner hat gewusst, was in Deutschland los ist. Wir haben zwar Telegramme gekriegt, und die wurden auch immer gleich vorgelesen. Bei der Abfahrt mit dem Zug war alles noch normal - bis wir in die Nähe der deutschen Grenze gekommen sind. Da standen sehr viele Menschen am Straßenrand und haben uns zugewunken. Viele Kinder und alte Leute, die sich sonst sicher nicht für Fußball interessierten. Die Leute haben den Zug gar nicht weiter fahren lassen und die Gleise blockiert. Jeder wollte uns sehen und hat uns zugejubelt."

Hatten sie mit diesem Empfang gerechnet?

Eckel: "Das war unglaublich, unvorstellbar. Wir sind am Ende in München angekommen. Da waren so viele Leute, wie wir sie noch nie auf einem Haufen gesehen haben. Alles war voller Menschen. Die Feiern gingen dann in jedem Heimatort weiter. Wir Lauterer sind nach Kaiserslautern gefahren, wo der Teufel los war. Aber der schönste Empfang war für mich zu Hause in Vogelbach. In dem kleinen Ort mit 1000 Einwohnern, von wo ich fünf Jahre vorher zum FCK gewechselt war, waren rund 20.000 Menschen, von denen ich viele gekannt habe. Jeder hat sich mit mir gefreut. Das war das Schönste."

Hatten Sie und die anderen Spieler nach der gewonnenen Weltmeisterschaft Probleme, sich wieder im sportlichen und privaten Alltag zurechtzufinden?

Eckel: "Motivationsprobleme hatten wir keine. Jetzt war die WM vorbei, jetzt ging es weiter. Der Herr Herberger hat ja immer gesagt: 'Nach dem Spiel ist vor dem Spiel', und 'das nächste Spiel ist immer das schwerste.' Leider hab ich mir nach der WM einen komplizierten Bruch zugezogen und konnte eine Zeit lang nicht spielen. Außerdem mussten wir uns um unseren Beruf kümmern. Einige waren in Kaiserslautern in einer Nähmaschinenfabrik angestellt. So ging das Leben nach der WM weiter. Viele von uns mussten sich eine Existenz aufbauen. Fritz Walter hatte ein Kino, Ottmar eine Tankstelle und Max Morlock zum Beispiel ein Lotto-Geschäft."

Sie sprechen immer sehr respektvoll von "Herrn Herberger".

Eckel: "Der Herr Herberger war einfach der Chef. Er hat uns immer das gesagt, was wir wissen mussten, und mehr nicht. Er war schon immer sehr korrekt, der Herr Herberger. Und wir haben immer viel Respekt vor ihm gehabt. Egal ob bei der WM oder bei unseren späteren Treffen."

Bei einem dieser späteren Treffen soll Herberger abends ins Zimmer von Fritz und Italia Walter gekommen sei und gesagt haben: "Fritz, jetzt machen sie das Licht aber bald aus, oder?" Charakterisiert diese Episode den "Trainerfuchs" Herberger?

Eckel: "Ob das wirklich so passiert ist, weiß ich nicht. Aber es könnte schon so gewesen sein."

[us]


[bild1]Bei der Weltmeisterschaft 1954 war der Kaiserslauterer Horst Eckel der jüngste Spieler im deutschen Kader. In der Schweiz kam er dennoch in allen sechs Spielen zum Einsatz - im Finale war er als rechter Läufer für die Bewachung von Ungarns Regisseur Nandor Hidegkuti zuständig. Eckel nahm auch noch an der WM 1958 teil und bestritt insgesamt 32 Länderspiele (10 Tore). In einem Interview spricht Eckel über seine Erinnerungen an die WM 1954 und das "Wunder von Bern":



Horst Eckel, das "Wunder von Bern" jährt sich zum 50.
Mal. Wie haben Sie sich damals auf die WM vorbereitet?



Horst Eckel: "Wir Lauterer haben vorher das Endspiel um die
Deutsche Meisterschaft gegen Hannover mit 1:5 verloren. Aber da
hatte keiner von uns dran zu knabbern. Natürlich haben wir uns
geärgert, aber am nächsten Tag war das wieder vorbei. Schließlich
stand schon die WM an. Wir haben uns vor dem Turnier in der
Sportschule Grünwald getroffen. Dort haben wir ganz normal
trainiert. Für die Weltmeisterschaft hat sich keiner von uns etwas
ausgerechnet. Zum Turnier haben wir von Herrn Dassler spezielle
Schuhe bekommen, da ist auch viel drüber gesprochen worden. Aber
ich habe immer gesagt: "Die Schuhe machen's nicht, der Fuß machts."



Den Grundstein für ein erfolgreiches Turnier legte die
deutsche Mannschaft im Auftaktspiel gegen die Türkei. Stieg mit dem 4:1-Sieg auch die Erwartungshaltung der Spieler?



Eckel: "Jeder hat Uruguay, Österreich und natürlich die Ungarn
mit ihrer 'Wunderelf' favorisiert. Deutschland hatte keiner auf der Rechnung. Wir haben auch nicht gewusst, wo wir stehen. Wir haben uns gesagt, 'jetzt spielen wir mal und sehen, was raus kommt.' Und so sind wir in das Spiel gegen die Türken gegangen. Da sind wir gleich in Rückstand geraten, aber der Herr Herberger hat uns immer gesagt: 'Ein Spiel dauert 90 Minuten.' Und da haben wir weiter gespielt und am Ende mit 4:1 ganz klar und verdient gewonnen. Wir waren schon froh und haben gedacht: 'Das ist ja sehr gut gelaufen!' Aber im nächsten Spiel warteten ja schon die übermächtigen Ungarn auf uns."



In der deutschen "B-Elf", die danach 3:8 gegen die
ungarische "Wunderelf" unterlag, standen auch Sie. Glauben Sie,
dass Herr Herberger die Begegnung bereits im Vorfeld verloren
gegeben hatte?



Eckel: "Die Ungarn waren damals einfach die weltbeste
Mannschaft. Schon vor dem Turnier in der Sportschule hat uns der
Herr Herberger gesagt: 'Gegen die Ungarn können wir an einem
normalen Tag nicht gewinnen. Deshalb werden wir in diesem Spiel
nicht mit der kompletten Mannschaft spielen.' Ja, das haben wir
alles schon vor dem Turnier gewusst. Da ist aber nichts davon
rausgekommen. Wir Spieler haben uns alle gefügt. Der Herr Herberger hat ja auch nicht mit einem Sieg gerechnet. Und dass wir gegen die Türken gewinnen konnten, haben wir ja schon im ersten Spiel bewiesen."



Nach der 3:8-Niederlage wurde aus der Heimat heftige
Kritik laut. Hat die Mannschaft vor dem Entscheidungsspiel gegen
die Türken an Herberger oder am eigenen Leistungsvermögen
gezweifelt?



Eckel: "Wir haben alle darauf vertraut, dass der Herr
Herberger es schon richtig macht. Und es hat sich auch nach der
Niederlage gegen die Ungarn keiner gerührt. Wenn jemand mal was
sagen durfte, dann war das der Fritz Walter, mit dem sich Herr
Herberger besprochen hat. Im Entscheidungsspiel gegen die Türken
haben wir ganz gut gespielt, mit 7:2 gewonnen und uns für die
nächste Runde qualifiziert. Damit hatten wir unser erstes großes
Ziel erreicht. Wir wollten vor dem Turnier ins Viertelfinale
kommen. Und jetzt konnten wir einfach unseren Fußball spielen."



Nach dem Erreichen des Viertelfinales konnten sie
befreit aufspielen. Was hat den Ausschlag für Deutschland gegenüber den hochgewetteten Jugoslawen gegeben?



Eckel: "Die Jugoslawen hatten eine sehr starke Mannschaft. Deswegen hat der Herr Herberger eine defensivere Aufstellung
gewählt und etwas geändert, was uns zum Weltmeister gemacht hat:
Für Berni Klodt hat er Helmut Rahn gebracht. Berni war der bessere
Mannschaftsspieler, keine Frage. Aber der Helmut konnte Spiele ganz alleine entscheiden. Wir haben alle gewusst, dass der Helmut auf einmal auf und davon gehen und den Ball ins Tor schießen kann. Das hat er vorher auch selber immer gesagt. Und dann ist der Helmut wirklich losmarschiert und hat das entscheidende 2:0 gemacht."



Rahn galt als Spaßvogel und Individualist. Hatte er in
der Mannschaft ohnehin eine Sonderrolle, oder hat er nach seinem
Tor eine besondere Behandlung gefordert?



Eckel: "Für Helmut war das Tor eine Selbstverständlichkeit.
Aber er war kein großer Star. Das gab es bei uns nicht. Er war ein Teil unserer Mannschaft. So wie wir rennen und kämpfen mussten, so musste der Helmut Tore schießen. Und das hat er getan. Es war fast
so, als würden wir immer 1:0 führen, bevor das Spiel losging. Man
kann sagen, der Helmut war eine Torgarantie."



Im Halbfinale gegen Österreich zeigte die deutsche
Mannschaft beim 6:1 ihre spielerisch beste Leistung des Turniers.
War diese Partie die Initialzündung für den Titelgewinn?



Eckel: "Wir haben uns gesagt, wenn wir im Halbfinale sind,
dann wollen wir es auch gewinnen. So wie vor jedem Spiel.
Österreich hatte damals auch eine sehr gute Mannschaft. Aber die
hatten an diesem Tag einfach keine Chance gegen uns. Dieses Spiel,
glaube ich, war das beste Spiel unserer Mannschaft. Alles lief wie
aus einem Guss, es hat einfach alles geklappt. Vor allem die
Walters waren in diesem Spiel gut aufgelegt. Dieses Spiel war für
uns Spieler ein besonderer Genuss. Es war ein schönes Gefühl zu
merken, dass an diesem Tag alles klappt."



Das eigentliche "Wunder" spielte sich an jenem 4. Juli
1954 im Berner Wankdorfstadion ab. Schildern Sie bitte Ihre
Eindrücke vom Endspiel.



Eckel: "Mit dem Erreichen des Endspiels hatte keiner,
überhaupt keiner von uns gerechnet. Wir haben während des Turniers
vor allem an der Kondition gearbeitet. Der Herr Herberger hat immer gesagt, wenn es regnet, dann hätten wir eine Chance. Auch gegen die Ungarn. Und da haben wir alle daran geglaubt. Zudem haben wir alle gewusst, dass wir im ersten Spiel gegen die Ungarn nur mit halber Mannschaft gespielt haben. Die Ungarn hingegen waren sich vor dem Endspiel schon sehr sicher."



Gut begonnen hat das Finale für die deutsche Mannschaft
dann ja tatsächlich nicht.



Eckel: "Das Finale hat mit zwei blöden Toren miserabel
angefangen. Aber wir haben gesagt: 'Auf! Es sind doch erst zehn
Minuten gespielt. Weiter gehts!' Und direkt danach hat der Helmut
aufs Tor der Ungarn geschossen. Keiner weiß, ob das ein Torschuss
oder eine Vorlage sein sollte. Der Helmut würde natürlich sagen, es war eine Vorlage. Ein Ungar hat den Ball abgelenkt und Max Morlock hat den Ball mit der Spitze ins Tor gebracht. Jetzt waren wir wieder dran. Und dann hat wieder der Helmut sein Tor gemacht. Er hat sich nach einem Eckball den Ball erlaufen und knallhart ins Tor geschossen. Und das war der 2:2-Ausgleich."



Wie zuversichtlich waren sie danach, das Finale zu
gewinnen?



Eckel: "In der Halbzeit haben wir uns Mut gemacht. Auch der
Herr Herberger hat gesagt: 'Wieso sollen wir denn jetzt nicht noch
gewinnen?' Ans Verlieren hat bei uns keiner mehr gedacht. Die
Ungarn waren unsicherer geworden, das haben wir auf dem Platz
gemerkt. Wir haben einfach ruhig weiter gespielt. Und dann hat der
Helmut sein zweites Tor gemacht. Jeder hat gedacht, er schießt nach der abgewehrten Flanke sofort drauf. Aber der Helmut hat die ganze ungarische Abwehr versetzt und sich den Ball erst zurecht gelegt und ihn dann mit links ins Tor gehämmert. Das war das 3:2."



Die verbleibenden sechs Minuten waren dann allerdings
noch reichlich dramatisch.



Eckel: "Das waren die längsten sechs Minuten meines Lebens.
Die Ungarn haben noch ein Tor geschossen, aber das war Abseits.
Dann hat der Schiedsrichter, Gott sei Dank abgepfiffen. Und wir
waren Weltmeister."



Haben Sie direkt nach dem Endspiel überhaupt realisiert, was Sie geleistet haben?



Eckel: "Wir haben den Pokal gekriegt und sind eine Ehrenrunde
gelaufen. Dann sind wir in die Kabine gegangen. Jeder war fertig
von dem anstrengenden Spiel, und es ist ganz leise gewesen in der
Kabine. Doch Herr Herberger hat gesagt: 'Was ist denn los, Männer?
Ihr seid Weltmeister! Wollt ihr euch denn nicht freuen und feiern?' Na ja, und dann sind wir unter die Dusche und haben gesungen. Auch im Bus haben wir wieder ein paar Lieder gesungen. Abends hatten wir noch ein Bankett. Aber wir haben es nicht übertrieben. Um zwei Uhr waren der Hans Schäfer, mit dem ich vom ersten bis zum letzten Spiel in der Nationalmannschaft Zimmerkollege war, und ich wieder in unserem Zimmer und haben geschlafen. Und von den anderen ist auch keiner viel länger geblieben."



Der 3:2-Erfolg hat eine Euphorie von ungeahntem Ausmaß
in der Heimat entfacht.


[bild2]
Horst Eckel: "Keiner hat gewusst, was in Deutschland los ist.
Wir haben zwar Telegramme gekriegt, und die wurden auch immer
gleich vorgelesen. Bei der Abfahrt mit dem Zug war alles noch
normal - bis wir in die Nähe der deutschen Grenze gekommen sind. Da standen sehr viele Menschen am Straßenrand und haben uns
zugewunken. Viele Kinder und alte Leute, die sich sonst sicher
nicht für Fußball interessierten. Die Leute haben den Zug gar nicht weiter fahren lassen und die Gleise blockiert. Jeder wollte uns sehen und hat uns zugejubelt."



Hatten sie mit diesem Empfang gerechnet?



Eckel: "Das war unglaublich, unvorstellbar. Wir sind am Ende
in München angekommen. Da waren so viele Leute, wie wir sie noch
nie auf einem Haufen gesehen haben. Alles war voller Menschen. Die
Feiern gingen dann in jedem Heimatort weiter. Wir Lauterer sind
nach Kaiserslautern gefahren, wo der Teufel los war. Aber der
schönste Empfang war für mich zu Hause in Vogelbach. In dem kleinen Ort mit 1000 Einwohnern, von wo ich fünf Jahre vorher zum FCK gewechselt war, waren rund 20.000 Menschen, von denen ich viele gekannt habe. Jeder hat sich mit mir gefreut. Das war das Schönste."



Hatten Sie und die anderen Spieler nach der gewonnenen
Weltmeisterschaft Probleme, sich wieder im sportlichen und privaten Alltag zurechtzufinden?



Eckel: "Motivationsprobleme hatten wir keine. Jetzt war die WM
vorbei, jetzt ging es weiter. Der Herr Herberger hat ja immer
gesagt: 'Nach dem Spiel ist vor dem Spiel', und 'das nächste Spiel
ist immer das schwerste.' Leider hab ich mir nach der WM einen
komplizierten Bruch zugezogen und konnte eine Zeit lang nicht
spielen. Außerdem mussten wir uns um unseren Beruf kümmern. Einige
waren in Kaiserslautern in einer Nähmaschinenfabrik angestellt. So
ging das Leben nach der WM weiter. Viele von uns mussten sich eine
Existenz aufbauen. Fritz Walter hatte ein Kino, Ottmar eine
Tankstelle und Max Morlock zum Beispiel ein Lotto-Geschäft."



Sie sprechen immer sehr respektvoll von "Herrn Herberger".



Eckel: "Der Herr Herberger war einfach der Chef. Er hat uns
immer das gesagt, was wir wissen mussten, und mehr nicht. Er war
schon immer sehr korrekt, der Herr Herberger. Und wir haben immer
viel Respekt vor ihm gehabt. Egal ob bei der WM oder bei unseren
späteren Treffen."



Bei einem dieser späteren Treffen soll Herberger abends
ins Zimmer von Fritz und Italia Walter gekommen sei und gesagt
haben: "Fritz, jetzt machen sie das Licht aber bald aus, oder?"
Charakterisiert diese Episode den "Trainerfuchs" Herberger?



Eckel: "Ob das wirklich so passiert ist, weiß ich nicht. Aber
es könnte schon so gewesen sein."