Vogts ist 75: "Auf das Erreichte bin ich stolz"

Nach seinem glücklichsten Tag als Bundestrainer, dem 30. Juni 1996, wurde Berti Vogts nach dem Erfolgsgeheimnis des neuen Europameisters gefragt. Seine Antwort ging in die Geschichtsbücher ein und steht in einer Reihe mit den berühmtesten Sätzen eines Sepp Herberger: "Der Star ist die Mannschaft - das ist das ganze Geheimnis."

Diese Mannschaft von 1996 war wie Berti Vogts, der heute 75 Jahre alt wird. Nicht schillernd, nicht extravagant, auch nicht überaus begeisternd, aber zäh und erfolgsbesessen. Diese Eigenschaften verhalfen schon dem Spieler zu fünf Deutschen Meisterschaften und zwei UEFA-Pokalsiegen mit Borussia Mönchengladbach, deren Rekordspieler er seit 1979 ist (419 Bundesligaeinsätze). "Der wichtigste Spieler der Vereinsgeschichte" sei er gewesen, sagte der große Günter Netzer, der für Berti Vogts Vorbild und Mentor war und Freund ist, erst dieser Tage.

Vogts: "Ich war ehrgeiziger"

"Es gab Tausende von Fußballern, die viel begabter gewesen sind als ich, aber ich war ehrgeiziger", charakterisierte sich Vogts selbst. Der Sohn eines Schuhmachers aus Büttgen am Niederrhein war seit seinem 13. Lebensjahr Vollwaise. Die Eltern starben binnen sechs Monaten, erst die Mutter an einer Lebererkrankung, dann der Vater - an gebrochenem Herzen, wie es heißt. Berti wuchs bei der Tante auf, in einer Gastwirtschaft. Mit dem Aufstellen von Kegeln verdiente er sich ein Zubrot zum Gesellenlohn eines Werkzeugmachers (80 Mark). Morgens, wenn die Kegelbahn frei war, nutzte er sie, um Gymnastik zu machen und Kopfbälle zu üben. Ein Fußballer wollte er werden, wie es der Vater gewünscht hatte, der ihm seine ersten Schuhe selbst gemacht hatte.

Berti verbiss sich in seinen Traum , erst recht, als ihn der VfR Büttgen mit neun Jahren wieder heimschickte - er möge noch etwas wachsen. Er kam wieder und wurde ein Großer, obwohl er immer der Kleinste blieb. Dettmar Cramer hatte den Mittelfeldspieler in der Westfalenauswahl zum Verteidiger umgeschult, und das blieb Berti Vogts bis ans Karriereende, meist auf der rechten Seite im 4-3-3-System. Wie im WM-Finale 1974, wo er Johan Cruyff ausschaltete und für eine kuriose Szene sorgte, die er nach 47 Jahren aufklärt. Als Gerd Müller das 2:1 erzielte, bildete sich um den Schützen eine Traube, nur Berti Vogts sauste im Vollsprint vorbei. Die Kamera löste es damals nicht auf, Vogts tut es heute: "Ich bin zu meinem Gladbacher Kumpel Rainer Bonhof gerannt, der hat schließlich die Vorlage gegeben."

Einer, der selbst nie gern im Rampenlicht steht, hat eben einen besseren Blick für die im Schatten. Auch dafür mochten sie ihn. Bezeichnend, dass Vogts' einziges Länderspieltor im Februar 1976 gegen Malta zum Tor des Monats gewählt wurde - mit hohem Sympathiefaktor.

Vogts als Trainer: U 21-EM-Finale mit Matthäus und Littbarski

Mit dem Trainer Vogts war es etwas schwieriger, denn er verkaufte sich medial nicht so gut wie sein Vorgänger Franz Beckenbauer, und er biederte sich nicht an. So weigerte er sich, vorab die Aufstellungen an ausgesuchte Journalisten zu geben. Der Boulevard hatte wenig Freude an ihm. Berti Vogts war die Arbeit immer am wichtigsten, er selbst nahm sich weniger wichtig.

Bezeichnend die Episode aus seiner Zeit als Jugendnationalspieler, als der DFB ihm einen schönen Ausgehanzug schenkte. Mit Wappen. Strikt weigerte Vogts sich, ihn zuhause anzuziehen - so lange, bis Tante Maria das Wappen abtrennte. Er wollte im privaten Umfeld nicht als etwas Besseres gelten.

Und doch wurde der DFB für 19 Jahre seine berufliche Heimat. Nach 96 A-Länderspielen und dem Karriereende als Aktiver schlug Vogts 1979 im Verband die Trainerlaufbahn ein. 1982 kam er mit Jungstars wie Lothar Matthäus und Pierre Littbarski ins EM-Finale der U 21. In den U-Mannschaften förderte er viele, die 1990 Weltmeister wurden und die ihn 1996 in Wembley zum Titel schossen.

2,17 Punkte im Schnitt: Die beste Bilanz eines Bundestrainers

Kurz zuvor hatte er sich vom damals schon 35 Jahre alten Kapitän Lothar Matthäus getrennt, Konflikte scheute er nicht. 1994 schickte er Stefan Effenberg während der WM in den USA nach Hause, weil der die Fans mit einer Geste beleidigt hatte. Für so etwas war im Wertekanon des früheren Messdieners Vogts kein Platz.

Seine Amtszeit endete, weil er nach der zweiten im Viertelfinale beendeten WM, 1998 in Frankreich, keinen Kredit mehr bei den Medien hatte. 1994 hatte die Bild-Zeitung noch vergeblich seinen Abschied gefordert, 1998 trat Vogts im September nach zwei schwächeren Testspielen zermürbt zurück und begründete den Schritt so: "Ich bin es mir selbst schuldig, den letzten Rest Menschenwürde zu verteidigen, der mir noch gelassen wurde." Bittere Worte nach 102 Länderspielen, die im denkbar großen Kontrast zu diesem Fakt stehen: Mit einem Punkteschnitt von 2,17 hat Berti Vogts die beste abgeschlossene Bilanz eines Bundestrainers.

Dem Fußball blieb er noch lange treu. Nach einem Bundesligaabstecher (2000/2001 Bayer Leverkusen) trainierte er in Schottland, Nigeria, Kuwait und Aserbaidschan noch vier Nationalmannschaften. Heute genügt Vogts die Rolle des Beobachters, vielleicht will er noch mal "als Berater" tätig sein. Wenn nicht - auch kein Problem. Vogts zieht das Fazit eines zufriedenen Mannes: "Auf das Erreichte bin ich stolz."

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Nach seinem glücklichsten Tag als Bundestrainer, dem 30. Juni 1996, wurde Berti Vogts nach dem Erfolgsgeheimnis des neuen Europameisters gefragt. Seine Antwort ging in die Geschichtsbücher ein und steht in einer Reihe mit den berühmtesten Sätzen eines Sepp Herberger: "Der Star ist die Mannschaft - das ist das ganze Geheimnis."

Diese Mannschaft von 1996 war wie Berti Vogts, der heute 75 Jahre alt wird. Nicht schillernd, nicht extravagant, auch nicht überaus begeisternd, aber zäh und erfolgsbesessen. Diese Eigenschaften verhalfen schon dem Spieler zu fünf Deutschen Meisterschaften und zwei UEFA-Pokalsiegen mit Borussia Mönchengladbach, deren Rekordspieler er seit 1979 ist (419 Bundesligaeinsätze). "Der wichtigste Spieler der Vereinsgeschichte" sei er gewesen, sagte der große Günter Netzer, der für Berti Vogts Vorbild und Mentor war und Freund ist, erst dieser Tage.

Vogts: "Ich war ehrgeiziger"

"Es gab Tausende von Fußballern, die viel begabter gewesen sind als ich, aber ich war ehrgeiziger", charakterisierte sich Vogts selbst. Der Sohn eines Schuhmachers aus Büttgen am Niederrhein war seit seinem 13. Lebensjahr Vollwaise. Die Eltern starben binnen sechs Monaten, erst die Mutter an einer Lebererkrankung, dann der Vater - an gebrochenem Herzen, wie es heißt. Berti wuchs bei der Tante auf, in einer Gastwirtschaft. Mit dem Aufstellen von Kegeln verdiente er sich ein Zubrot zum Gesellenlohn eines Werkzeugmachers (80 Mark). Morgens, wenn die Kegelbahn frei war, nutzte er sie, um Gymnastik zu machen und Kopfbälle zu üben. Ein Fußballer wollte er werden, wie es der Vater gewünscht hatte, der ihm seine ersten Schuhe selbst gemacht hatte.

Berti verbiss sich in seinen Traum , erst recht, als ihn der VfR Büttgen mit neun Jahren wieder heimschickte - er möge noch etwas wachsen. Er kam wieder und wurde ein Großer, obwohl er immer der Kleinste blieb. Dettmar Cramer hatte den Mittelfeldspieler in der Westfalenauswahl zum Verteidiger umgeschult, und das blieb Berti Vogts bis ans Karriereende, meist auf der rechten Seite im 4-3-3-System. Wie im WM-Finale 1974, wo er Johan Cruyff ausschaltete und für eine kuriose Szene sorgte, die er nach 47 Jahren aufklärt. Als Gerd Müller das 2:1 erzielte, bildete sich um den Schützen eine Traube, nur Berti Vogts sauste im Vollsprint vorbei. Die Kamera löste es damals nicht auf, Vogts tut es heute: "Ich bin zu meinem Gladbacher Kumpel Rainer Bonhof gerannt, der hat schließlich die Vorlage gegeben."

Einer, der selbst nie gern im Rampenlicht steht, hat eben einen besseren Blick für die im Schatten. Auch dafür mochten sie ihn. Bezeichnend, dass Vogts' einziges Länderspieltor im Februar 1976 gegen Malta zum Tor des Monats gewählt wurde - mit hohem Sympathiefaktor.

Vogts als Trainer: U 21-EM-Finale mit Matthäus und Littbarski

Mit dem Trainer Vogts war es etwas schwieriger, denn er verkaufte sich medial nicht so gut wie sein Vorgänger Franz Beckenbauer, und er biederte sich nicht an. So weigerte er sich, vorab die Aufstellungen an ausgesuchte Journalisten zu geben. Der Boulevard hatte wenig Freude an ihm. Berti Vogts war die Arbeit immer am wichtigsten, er selbst nahm sich weniger wichtig.

Bezeichnend die Episode aus seiner Zeit als Jugendnationalspieler, als der DFB ihm einen schönen Ausgehanzug schenkte. Mit Wappen. Strikt weigerte Vogts sich, ihn zuhause anzuziehen - so lange, bis Tante Maria das Wappen abtrennte. Er wollte im privaten Umfeld nicht als etwas Besseres gelten.

Und doch wurde der DFB für 19 Jahre seine berufliche Heimat. Nach 96 A-Länderspielen und dem Karriereende als Aktiver schlug Vogts 1979 im Verband die Trainerlaufbahn ein. 1982 kam er mit Jungstars wie Lothar Matthäus und Pierre Littbarski ins EM-Finale der U 21. In den U-Mannschaften förderte er viele, die 1990 Weltmeister wurden und die ihn 1996 in Wembley zum Titel schossen.

2,17 Punkte im Schnitt: Die beste Bilanz eines Bundestrainers

Kurz zuvor hatte er sich vom damals schon 35 Jahre alten Kapitän Lothar Matthäus getrennt, Konflikte scheute er nicht. 1994 schickte er Stefan Effenberg während der WM in den USA nach Hause, weil der die Fans mit einer Geste beleidigt hatte. Für so etwas war im Wertekanon des früheren Messdieners Vogts kein Platz.

Seine Amtszeit endete, weil er nach der zweiten im Viertelfinale beendeten WM, 1998 in Frankreich, keinen Kredit mehr bei den Medien hatte. 1994 hatte die Bild-Zeitung noch vergeblich seinen Abschied gefordert, 1998 trat Vogts im September nach zwei schwächeren Testspielen zermürbt zurück und begründete den Schritt so: "Ich bin es mir selbst schuldig, den letzten Rest Menschenwürde zu verteidigen, der mir noch gelassen wurde." Bittere Worte nach 102 Länderspielen, die im denkbar großen Kontrast zu diesem Fakt stehen: Mit einem Punkteschnitt von 2,17 hat Berti Vogts die beste abgeschlossene Bilanz eines Bundestrainers.

Dem Fußball blieb er noch lange treu. Nach einem Bundesligaabstecher (2000/2001 Bayer Leverkusen) trainierte er in Schottland, Nigeria, Kuwait und Aserbaidschan noch vier Nationalmannschaften. Heute genügt Vogts die Rolle des Beobachters, vielleicht will er noch mal "als Berater" tätig sein. Wenn nicht - auch kein Problem. Vogts zieht das Fazit eines zufriedenen Mannes: "Auf das Erreichte bin ich stolz."

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