Tim Meyer: "Ein Diskussionsforum schaffen"

"Aktuelle Wissenschaft für den Spitzenfußball" - so lautet das Thema eines DFB-Kongresses am Donnerstag und Freitag in Frankfurt am Main.

Im DFB.de-Gespräch der Woche mit den Internetredakteuren Christian Müller und Thomas Hackbarth redet der wissenschaftliche Leiter, Professor Tim Meyer, über die Ziele des zweitägigen Kongresses im Hotel Steigenberger am Frankfurter Flughafen und beschreibt in diesem Zusammenhang auch seine Verantwortung als Arzt der Nationalmannschaft.

DFB.de: Herr Professor Meyer, erhoffen Sie sich von dem zweitägigen Kongress neue Erkenntnisse für die medizinische Arbeit und Betreuung rund um die Nationalmannschaften?

Prof. Tim Meyer: Das ist zwar nicht das vorrangige Ziel des Kongresses, aber für solche Anregungen muss man immer offen sein. Einerseits geht es um eine Darstellung der wissenschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre, wie sie sich auch in der Betreuung beim DFB widerspiegeln. Andererseits sollen Anstöße gegeben werden, in welche Richtung Forschung im Fußball zukünftig gehen kann. Insofern möchten wir gern ein Diskussionsforum schaffen, aus dem natürlich auch für uns neue Erkenntnisse hervorgehen können.

DFB.de: In welchem Bereich – Kondition, Motivation, wissenschaftliche Auswertung des Spielablaufs – sehen Sie denn noch den größten Spielraum nach oben? Wo kann Leistung noch optimiert werden?

Meyer: Hier steht jedenfalls nicht die medizinische Ebene im Vordergrund. Ärztliche Tätigkeit hat sich vorwiegend auf die Gesunderhaltung zu konzentrieren. Aus meiner Sicht bestehen die größten physischen Reserven in einer verbesserten Belastbarkeit, insofern auch in optimierten konditionellen Voraussetzungen. Hier herrschte in den letzten Jahren zu viel Sorge, dass Spieler überlastet werden könnten. Darüber hinaus sehe ich gerade angesichts der zunehmenden Medienpräsenz Potenzial in Strategien zum besseren Umgang mit Stressoren und in der Entwicklung von Mechanismen zur optimalen Konzentration. Wissenschaftliche Arbeiten jüngster Vergangenheit zu Spielanalysen deuten darauf hin, dass dieses Feld komplexer ist, als mancher angenommen hat. Hier scheint also die Technik etwas weiter zu sein als die Interpretierbarkeit der Daten.

DFB.de: Die Betreuung und Steuerung der Spieler wird immer umfangreicher: Leistungsdiagnostik, Monitoring des Trainings, Ernährung und vieles mehr. Inwieweit muss der Spieler hier mitarbeiten und verstehen, was geschieht?

Meyer: Ein Spieler muss nicht jede einzelne Maßnahme verstehen, aber man muss schon bereit sein, jede Maßnahme zu erläutern, wenn ein Spieler das wünscht. Es trägt sehr zur effektiven Umsetzung bei, wenn Spieler nicht nur stur Anweisungen befolgen, sondern aus Einsicht mitarbeiten.



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"Aktuelle Wissenschaft für den Spitzenfußball" - so lautet das Thema eines DFB-Kongresses am Donnerstag und Freitag in Frankfurt am Main.

Im DFB.de-Gespräch der Woche mit den Internetredakteuren Christian Müller und Thomas Hackbarth redet der wissenschaftliche Leiter, Professor Tim Meyer, über die Ziele des zweitägigen Kongresses im Hotel Steigenberger am Frankfurter Flughafen und beschreibt in diesem Zusammenhang auch seine Verantwortung als Arzt der Nationalmannschaft.

DFB.de: Herr Professor Meyer, erhoffen Sie sich von dem zweitägigen Kongress neue Erkenntnisse für die medizinische Arbeit und Betreuung rund um die Nationalmannschaften?

Prof. Tim Meyer: Das ist zwar nicht das vorrangige Ziel des Kongresses, aber für solche Anregungen muss man immer offen sein. Einerseits geht es um eine Darstellung der wissenschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre, wie sie sich auch in der Betreuung beim DFB widerspiegeln. Andererseits sollen Anstöße gegeben werden, in welche Richtung Forschung im Fußball zukünftig gehen kann. Insofern möchten wir gern ein Diskussionsforum schaffen, aus dem natürlich auch für uns neue Erkenntnisse hervorgehen können.

DFB.de: In welchem Bereich – Kondition, Motivation, wissenschaftliche Auswertung des Spielablaufs – sehen Sie denn noch den größten Spielraum nach oben? Wo kann Leistung noch optimiert werden?

Meyer: Hier steht jedenfalls nicht die medizinische Ebene im Vordergrund. Ärztliche Tätigkeit hat sich vorwiegend auf die Gesunderhaltung zu konzentrieren. Aus meiner Sicht bestehen die größten physischen Reserven in einer verbesserten Belastbarkeit, insofern auch in optimierten konditionellen Voraussetzungen. Hier herrschte in den letzten Jahren zu viel Sorge, dass Spieler überlastet werden könnten. Darüber hinaus sehe ich gerade angesichts der zunehmenden Medienpräsenz Potenzial in Strategien zum besseren Umgang mit Stressoren und in der Entwicklung von Mechanismen zur optimalen Konzentration. Wissenschaftliche Arbeiten jüngster Vergangenheit zu Spielanalysen deuten darauf hin, dass dieses Feld komplexer ist, als mancher angenommen hat. Hier scheint also die Technik etwas weiter zu sein als die Interpretierbarkeit der Daten.

DFB.de: Die Betreuung und Steuerung der Spieler wird immer umfangreicher: Leistungsdiagnostik, Monitoring des Trainings, Ernährung und vieles mehr. Inwieweit muss der Spieler hier mitarbeiten und verstehen, was geschieht?

Meyer: Ein Spieler muss nicht jede einzelne Maßnahme verstehen, aber man muss schon bereit sein, jede Maßnahme zu erläutern, wenn ein Spieler das wünscht. Es trägt sehr zur effektiven Umsetzung bei, wenn Spieler nicht nur stur Anweisungen befolgen, sondern aus Einsicht mitarbeiten.

DFB.de: Wie lange haben Sie gemeinsam mit dem DFB den Kongress vorbereitet? Welche namhaften Referenten und wie viele Teilnehmer kommen nach Frankfurt?

Meyer: Die Vorbereitung hat über ein Jahr gedauert, nachdem die Idee in einem Gespräch zwischen Oliver Bierhoff, Georg Behlau und mir geboren wurde. Unmittelbar danach habe ich mit meinem Freund Hans-Dieter Hermann bereits erste konzeptionelle Überlegungen angestellt, die schließlich in einem Vorschlag für den DFB mündeten. Schon bald ging es dann um den Kongresstitel und die sogenannte „Keynote Lecture“, den Aufmacher eines solchen Kongresses, für die wir Professor Jan Hoff aus Trondheim gewinnen konnten. Er ist der Leiter jener Arbeitsgruppe, die in den letzten Jahren wohl weltweit in der Fußballforschung - neben F-MARC, der Forschungsabteilung der FIFA, beim Kongress vertreten durch PD Dr. Astrid Junge - am aktivsten war. Aus Liverpool wird Professor Barry Drust kommen, der sich mit der Beeinflussbarkeit der Biorhythmik bei Fußballspielern befasst. Professor Ron Maughan aus Loughborough ist im Bereich der Sporternährung eine ganz große Nummer. Und sogar aus den USA wird mit Dr. Kai Mithoefer ein Kollege sprechen, der sich mit Programmen zur Verletzungsprävention in der Major League Soccer auseinandergesetzt hat. Professor Axel Uhrhausen aus Luxemburg ist ein ausgewiesener Experte in der Diagnostik von Übertraining und trägt insbesondere über die Möglichkeiten vor, anhand von Blutwerten Überlastungszustände zu erkennen.

DFB.de: Wer kommt noch?

Meyer: Natürlich sind auch aus dem unmittelbaren Umfeld der Nationalmannschaft sowie aus dem Juniorenbereich einige Referenten dabei: Dr. Müller-Wohlfahrt aus München, Klaus Eder und Dr. Andreas Schlumberger aus Regensburg, Shad Forsythe von Athletes Performance, der bereits erwähnte Psychologe Hans-Dieter Hermann und sein Kollege Professor Jan Mayer. Schließlich möchte ich meinen Mitarbeiter Dr. Oliver Faude von der Universität des Saarlandes nicht unerwähnt lassen, der gleich zweimal aktuelle Daten präsentieren wird: einerseits aus einer laufenden Studie, die vom DFB unterstützt wird; andererseits zur aktuellen Kontroverse, inwieweit sportartspezifische Elemente in einer leistungsdiagnostischen Testung abgebildet werden müssen. Über Aspekte des Anti-Doping-Kampfes, wie sie vom DFB umgesetzt werden, wird der Vizepräsident des DFB, Dr. Rainer Koch, berichten. In dieser Sitzung werden neben Professor Eike Emrich aus der AG Wissenschaft des DFB auch Dr. Dr. Heiko Striegel, Vereinsarzt des VfB Stuttgart, sowie Dr. Hans Geyer vom Dopingkontrolllabor Köln auftreten.

DFB.de: In Ihrem Vorwort zum Kongress betonen Sie, dass es im Leistungsfußball „keine Alternative zu einer wissenschaftlichen Prüfung und wissenschaftlichen Kriterien gibt, will man nicht Scharlatanerie und Willkür den Weg bahnen.“ Ganz ehrlich: Begegnet Ihnen im Profisport Letzteres noch oft?

Meyer: Definitiv ja. Sie müssen bedenken, dass der professionelle Fußball für Anbieter aller Art ein attraktives Feld ist. Da werden gelegentlich hanebüchene Diagnostik- und Therapieformen angeboten. Insbesondere auf dem Gebiet der Nahrungsergänzung gibt es leider fast mehr Unseriöses als Seriöses.

DFB.de: Beim DFB, so schreiben Sie weiter im Geleitwort, werde stets Wert darauf gelegt, dass Wissenschaftlichkeit die Oberhand behält „gegenüber kommerziellen Überlegungen oder momentanen Trends“. Wie stellt sich das am Beispiel der Nationalmannschaft dar?

Meyer: Die Nationalmannschaft ist wohl das liebste Kind der sportinteressierten deutschen Bevölkerung. Und in einer solchen exponierten Stellung kann man nicht einfach jeder Sau hinterherrennen, die durchs Dorf getrieben wird. Die Spieler und ihre Vereine erwarten mit Recht, dass alle Betreuungsmaßnahmen auch einer kritischen Hinterfragung standhalten. Das bedeutet nicht, dass man nicht auch einmal neue Dinge ausprobieren sollte. Schließlich kann nicht jede Innovation schon nach wenigen Tagen mit wissenschaftlichen Daten aufwarten. Aber es ist doch zumindest notwendig, dass eine Plausibilität für die Anwendung solcher Neuheiten besteht. Und auch die ist letztlich nur in Kenntnis der wissenschaftlichen Datenlage zu beurteilen. Für diese Zwecke hat der DFB sein Team hinter dem Team, das eine entsprechende Fachkompetenz gewährleisten muss.

DFB.de: Wissenschaftliche Kriterien legen Sie auch beim Fitnesstest der Nationalmannschaft an, der am 26. und 27. Januar in Sindelfingen absolviert wird. Wo liegen die Schwerpunkte?

Meyer: Wissenschaftliche Vorgehensweise bei solchen Tests bedeutet insbesondere, dass Messungen über längere Zeiträume in standardisierter Weise durchgeführt werden, um Vergleiche im Längsschnitt zu ermöglichen. Weiterhin zeigt sich das wissenschaftliche Augenmaß in der Kenntnis typischer Messschwankungen, so dass kleine Veränderungen nicht überinterpretiert werden. Schließlich sollte ein Wissenschaftler die Gewichtung bestimmter testbarer Faktoren für die Leistungsfähigkeit eines Fußballers im Auge haben und insofern weder die eigenen Daten überinterpretieren, noch nur um des Messens willen eine enorme Zahl von Werten erheben. Die Schwerpunkte werden auf den etablierten Tests der Ausdauer, der Schnelligkeit und der Sprungkraft liegen. Darüber hinaus geht es um das Aufspüren und Nachverfolgen von Haltungs- und Kraftimbalancen, die zu Verletzungen führen können.

DFB.de: Beim letzten Termin im September 2009 in Köln gab es nur einen Ausdauertest. Die Ausdauer unterliege den größten Schwankungen, haben Sie gesagt und entsprechend individuelles, auf die Testergebnisse abgestimmtes Training der Spieler in den Vereinen empfohlen. Was erwarten Sie nun an Erfolgen und Fortschritten?

Meyer: Das ist schwer zu sagen, zumal stets der Saisonzeitpunkt und im Einzelfall der Saisonverlauf mit Verletzungen und Erkrankungen zu berücksichtigen ist. Natürlich erhoffen wir uns Fortschritte. Aber wir müssen auch akzeptieren, dass in Vereinen andere Schwerpunkte gesetzt werden, als sie der Bundestrainer für seine Auswahlspieler sieht. Das kann sich sowohl in der taktischen Ausrichtung als auch in der Trainingsgestaltung widerspiegeln - und damit auch in unseren Messergebnissen.

DFB.de: Der letzte komplette Fitnesstest mit Sprint- und Sprungübungen, Stabilitätstest und Blutabnahme fand im März 2009 in Leipzig statt. Gab es zu den dort erhobenen Daten seitens der Spieler und ihrer Vereine Rückmeldungen – und wie sahen die Reaktionen aus?

Meyer: Wir berichten die Resultate stets an die betroffenen Vereine und an die dort für den Fitnessbereich verantwortlichen Personen - schriftlich und in vielen Fällen auch ergänzend mündlich. In der Regel sind die Rückmeldungen konstruktiv, wir tauschen uns über die Resultate aus und gelangen zu einem gemeinsamen Handlungsplan. Es gibt aber auch andere Vorgehensweisen, die beispielsweise wenig Wert auf Testresultate legen. Damit muss man leben, und auch das ist eine legitime Sichtweise, selbst wenn ich sie persönlich nicht teile.

DFB.de: Wie nutzen Bundestrainer Joachim Löw und sein Team die erhobenen Fitnesswerte für Trainingsplanung und -steuerung? Wie werden Sie als Mediziner der DFB-Auswahl dabei eingebunden?

Meyer: In erster Linie sind solche Resultate den Trainern wichtig für eine Einordnung der Spieler, inwieweit sie die Anforderungen der aktuellen Spielphilosophie auf ihrer Position erfüllen. Darüber hinaus werden insbesondere in der unmittelbaren Turniervorbereitung Trainingseinheiten stark individualisiert, so dass die Messdaten Ausgangspunkt für Gruppeneinteilungen oder individuelle Vorgaben von Geschwindigkeit oder Herzfrequenz sein können. In Einzelfällen mögen die Trainer auch Einsatzentscheidungen davon abhängig machen, wie bestimmte konditionelle Komponenten ausgeprägt sind. So wäre es vermutlich kontraproduktiv, den ausdauerschwächsten Mittelfeldspieler gegen den laufstärksten Gegenspieler zu stellen.

DFB.de: Ist es der letzte Fitnesstest vor der Weltmeisterschaft? Welche Konsequenzen wird er für die WM-Vorbereitung aus medizinischer Sicht haben?

Meyer: Da im Frühjahr vor Vorbereitungsbeginn noch ein weiterer Test geplant ist, wird es um eine Feststellung des Status quo gehen, damit auch um die Frage: „Wo müssen wir noch arbeiten?“ Die Trainingssteuerung in der WM-Vorbereitung benötigt Daten, die so aktuell wie möglich sind.

DFB.de: Während der WM vom 11. Juni bis 11. Juli ist in Südafrika Winter, tagsüber dürften angenehme Temperaturen um die 20 Grad Celsius herrschen, während es nachts empfindlich kalt werden kann. Wie stellen Sie die Nationalspieler auf diese Schwankungen ein?

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Meyer: Darauf kann man sich kaum vorab einstellen, muss es aber auch nicht unbedingt, weil wir ja nicht mit Bedingungen zu tun haben werden, wie man sie in Deutschland niemals vorfindet. Hier muss man sich wenig Sorgen machen.

DFB.de: Das zwischen Pretoria und dem Vorrundenspielort Johannesburg angesiedelte WM-Quartier Hotel Velmore liegt rund 1750 Meter über dem Meeresspiegel, die beiden anderen Spielorte Durban und Port Elizabeth sind Küstenstädte direkt am Indischen Ozean. Rechnen Sie angesichts der Höhenunterschiede mit körperlichen Problemen der Spieler?

Meyer: Wenn bei Höhenunterschieden körperliche Probleme auftreten, ist dies eher bei Reisen in umgekehrter Richtung der Fall. Ein längerer Aufenthalt in dieser Höhe ist im günstigsten Fall ein kleiner Vorteil, im ungünstigsten Fall neutral. Das war durchaus einer von vielen Gesichtspunkten bei unserer Quartierwahl.