Thaler: Darum macht die Viererkette überall Sinn

Den Weg nach Baden-Württemberg nahm er über den Fernen Osten. Ernst Thaler arbeitete beim Bayerischen Fußball-Verband und im Nachwuchsbereich von 1860 München, ehe es ihn als Trainer in die 2. chinesische Liga verschlug.

2003 kehrte er nach Deutschland zurück, seitdem arbeitet er als Verbandssportlehrer beim Württembergischen Fußball-Verband. Thaler (45) ist lizenzierter Fußball-Lehrer und Diplom-Sportlehrer. Im TWO-Interview mit Redakteur Jochen Breideband spricht er über modernes Verteidigen und die Gründe dafür, warum die Viererkette auch im Amateur- und Jugendbereich sinnvoll ist.

TWO: Herr Thaler, was heißt modernes Verteidigen für Sie?

Ernst Thaler: Die Grundlage ist das ballorientierte Spiel mit ständiger Angriffsbereitschaft. Beim klassischen Verteidigen reagiert man eher und lässt sich zurückfallen. Beim ballorientierten Spiel ist nach Ballverlust das Ziel, den Ball schnell wieder zu gewinnen und ein Tor zu erzielen. Ein Gegentor zu verhindern ist lediglich ein untergeordnetes Ziel. Das Spiel zwischen Barcelona und Leverkusen war ein gutes Beispiel. Leverkusen hat klassisch verteidigt, sich immer wieder fallen lassen, um eine Ordnung herzustellen. Barcelona hat dagegen nach Ballverlust den Gegner sofort wieder unter Druck gesetzt.

TWO: Was sind die Vorteile dieses vorwärts gerichteten Verteidigens?

Thaler: Zum einen überbrückt man die vier bis sechs Sekunden, in denen man nach Ballverlust verletzlich ist für Pässe in die Tiefe. Zum anderen ist nach einer schnellen Balleroberung der Weg zum gegnerischen Tor kürzer. Kinder machen das automatisch, sie jagen den Ball immer und überall. Wir erziehen ihnen das quasi ab und wollen es ihnen später wieder beibringen.

TWO: Was sind die Vorzüge der Viererkette in der Abwehr?

Thaler: Zunächst kann man die Viererkette nicht losgelöst von den anderen Mannschaftsteilen betrachten. Entscheidet man sich, ballorientiert zu spielen, ist die Viererkette die logische Konsequenz. Hat der Gegner den Ball, kann mit Hilfe der Viererkette eine kompakte Grundordnung hergestellt und somit auch die Breite des Spielfeldes beherrscht werden.  Nach Ballgewinn kann man geordnet angreifen, und dabei darf - ja muss -  jeder aktiv am Spiel teilnehmen. Darum sehe sich sogar einen Trend zur Fünferkette, wenn man einen richtigen Riegel aufbauen will. Aber zurück zur Viererkette: Man muss das im Amateurbereich nicht perfekt spielen, die gegnerischen Angreifer spielen ja auch nicht perfekt. Zum Beispiel sind Diagonalpässe für schnelle Seitenwechsel, bei denen ein Spieler fast aus dem Stand einen Pass über 50 Meter spielt, bei den Amateuren nicht die Regel wie bei den Profis. Insofern werden Fehler auch nicht so schnell bestraft.

TWO: Manche Trainer sagen, sie hätten nicht das richtige Spielermaterial für eine Viererkette.

Thaler: Ja, das ist ein beliebtes Argument. Das tatsächliche Problem ist eher der Mangel an Wissen und Erfahrung mit diesem System oder die Schwierigkeit, es den Spielern richtig zu vermitteln.

TWO: Was ist bei der Viererkette besonders zu beachten?

Thaler: Ganz wichtig ist Kommunikation, das ist typisch beim ballorientierten Spiel. Dazu muss man sich ständig orientieren. Die erste Frage: Wo ist der Ball? Dann: Wo sind meine Mitspieler, wie sind die Abstände? Als drittes: Was machen meine Mitspieler? Gehen Sie drauf? Welche Passwege laufen sie zu? Und erst als letzter Punkt: Wo sind meine Gegner? Nach diesen Kriterien richte ich mein Stellungsspiel und meine Aktionen aus.

TWO: Was ist bei der Einführung der Viererkette zu berücksichtigen?

Thaler: Man sollte das Thema in der Vorbereitung langsam und kontinuierlich einführen. Bei einem methodischen Aufbau und regelmäßiger Wiederholung sind fünf Wochen Vorbereitungszeit ausreichend für eine Mannschaft mit zwei bis drei Trainingseinheiten pro Woche. Der Trainer muss die Spieler von den Vorteilen überzeugen und sie auf seine Seite kriegen. Denn das Spiel bekommt einen anderen Charakter. Man darf ja nicht nur isoliert die Viererkette sehen, dazu gehört das gesamte Paket mit Mittelfeld, Spitzen und „Torspieler“. Ja, richtig: Wenn ich mit Viererkette spiele, brauche ich einen Libero zur Absicherung der Tiefe – das ist heute der „Torspieler“. Er ist Torwart und Feldspieler.

TWO: Was ist für das Training wichtig?

Thaler: Man kann nicht jede Situation nachstellen. Aber man muss bestimmte Schwerpunkte setzen und Mechanismen entwickeln: Wie verhalte ich mich bei einem Angriff über außen? Was mache ich bei einem Angriff durch das Zentrum? Bei entsprechendem Wetter wird das Theorietraining auf dem Platz durchgeführt, indem man Spieler verschiebt und ihnen die Abläufe erklärt - erst nur die Viererkette mit „Torspieler“, dann mit den Mittelfeldspielern und Spitzen bis zum elf gegen elf. Ich habe in der Ausbildung die Erfahrung gemacht, dass die Grundaspekte schnell vermittelt sind. Wichtig sind dann viele Wiederholungen, um Automatismen herzustellen.

TWO: Wie wichtig ist Geduld?

Thaler: Geduld und Einfühlungsvermögen sind sehr wichtig. In den ersten Spielen werden immer wieder Fehler passieren. Entscheidend ist, wie ich als Trainer reagiere: ob ich rumbrülle oder ob ich die Fehler als Aufhänger für das nächste Training nehme, um daraus zu lernen.

TWO: Was sagen Sie zu der Alternative Dreierkette?

Thaler: Zu dritt hat man das Problem: Wie beherrsche ich die Breite des Platzes? Für die Außenbahnen zieht man in der Regel keinen der drei Spieler aus dem Zentrum, sondern nimmt die äußeren beiden Mittelfeldspieler. Und dann sind wir wieder bei der Fünferkette.

[JB]

[bild1] Den Weg nach Baden-Württemberg nahm er über den Fernen Osten. Ernst Thaler arbeitete beim Bayerischen Fußball-Verband und im Nachwuchsbereich von 1860 München, ehe es ihn als Trainer in die 2. chinesische Liga verschlug.

2003 kehrte er nach Deutschland zurück, seitdem arbeitet er als Verbandssportlehrer beim Württembergischen Fußball-Verband. Thaler (45) ist lizenzierter Fußball-Lehrer und Diplom-Sportlehrer. Im TWO-Interview mit Redakteur Jochen Breideband spricht er über modernes Verteidigen und die Gründe dafür, warum die Viererkette auch im Amateur- und Jugendbereich sinnvoll ist.

TWO: Herr Thaler, was heißt modernes Verteidigen für Sie?

Ernst Thaler: Die Grundlage ist das ballorientierte Spiel mit ständiger Angriffsbereitschaft. Beim klassischen Verteidigen reagiert man eher und lässt sich zurückfallen. Beim ballorientierten Spiel ist nach Ballverlust das Ziel, den Ball schnell wieder zu gewinnen und ein Tor zu erzielen. Ein Gegentor zu verhindern ist lediglich ein untergeordnetes Ziel. Das Spiel zwischen Barcelona und Leverkusen war ein gutes Beispiel. Leverkusen hat klassisch verteidigt, sich immer wieder fallen lassen, um eine Ordnung herzustellen. Barcelona hat dagegen nach Ballverlust den Gegner sofort wieder unter Druck gesetzt.

TWO: Was sind die Vorteile dieses vorwärts gerichteten Verteidigens?

Thaler: Zum einen überbrückt man die vier bis sechs Sekunden, in denen man nach Ballverlust verletzlich ist für Pässe in die Tiefe. Zum anderen ist nach einer schnellen Balleroberung der Weg zum gegnerischen Tor kürzer. Kinder machen das automatisch, sie jagen den Ball immer und überall. Wir erziehen ihnen das quasi ab und wollen es ihnen später wieder beibringen.

TWO: Was sind die Vorzüge der Viererkette in der Abwehr?

Thaler: Zunächst kann man die Viererkette nicht losgelöst von den anderen Mannschaftsteilen betrachten. Entscheidet man sich, ballorientiert zu spielen, ist die Viererkette die logische Konsequenz. Hat der Gegner den Ball, kann mit Hilfe der Viererkette eine kompakte Grundordnung hergestellt und somit auch die Breite des Spielfeldes beherrscht werden.  Nach Ballgewinn kann man geordnet angreifen, und dabei darf - ja muss -  jeder aktiv am Spiel teilnehmen. Darum sehe sich sogar einen Trend zur Fünferkette, wenn man einen richtigen Riegel aufbauen will. Aber zurück zur Viererkette: Man muss das im Amateurbereich nicht perfekt spielen, die gegnerischen Angreifer spielen ja auch nicht perfekt. Zum Beispiel sind Diagonalpässe für schnelle Seitenwechsel, bei denen ein Spieler fast aus dem Stand einen Pass über 50 Meter spielt, bei den Amateuren nicht die Regel wie bei den Profis. Insofern werden Fehler auch nicht so schnell bestraft.

TWO: Manche Trainer sagen, sie hätten nicht das richtige Spielermaterial für eine Viererkette.

Thaler: Ja, das ist ein beliebtes Argument. Das tatsächliche Problem ist eher der Mangel an Wissen und Erfahrung mit diesem System oder die Schwierigkeit, es den Spielern richtig zu vermitteln.

TWO: Was ist bei der Viererkette besonders zu beachten?

Thaler: Ganz wichtig ist Kommunikation, das ist typisch beim ballorientierten Spiel. Dazu muss man sich ständig orientieren. Die erste Frage: Wo ist der Ball? Dann: Wo sind meine Mitspieler, wie sind die Abstände? Als drittes: Was machen meine Mitspieler? Gehen Sie drauf? Welche Passwege laufen sie zu? Und erst als letzter Punkt: Wo sind meine Gegner? Nach diesen Kriterien richte ich mein Stellungsspiel und meine Aktionen aus.

TWO: Was ist bei der Einführung der Viererkette zu berücksichtigen?

[bild2]Thaler: Man sollte das Thema in der Vorbereitung langsam und kontinuierlich einführen. Bei einem methodischen Aufbau und regelmäßiger Wiederholung sind fünf Wochen Vorbereitungszeit ausreichend für eine Mannschaft mit zwei bis drei Trainingseinheiten pro Woche. Der Trainer muss die Spieler von den Vorteilen überzeugen und sie auf seine Seite kriegen. Denn das Spiel bekommt einen anderen Charakter. Man darf ja nicht nur isoliert die Viererkette sehen, dazu gehört das gesamte Paket mit Mittelfeld, Spitzen und „Torspieler“. Ja, richtig: Wenn ich mit Viererkette spiele, brauche ich einen Libero zur Absicherung der Tiefe – das ist heute der „Torspieler“. Er ist Torwart und Feldspieler.

TWO: Was ist für das Training wichtig?

Thaler: Man kann nicht jede Situation nachstellen. Aber man muss bestimmte Schwerpunkte setzen und Mechanismen entwickeln: Wie verhalte ich mich bei einem Angriff über außen? Was mache ich bei einem Angriff durch das Zentrum? Bei entsprechendem Wetter wird das Theorietraining auf dem Platz durchgeführt, indem man Spieler verschiebt und ihnen die Abläufe erklärt - erst nur die Viererkette mit „Torspieler“, dann mit den Mittelfeldspielern und Spitzen bis zum elf gegen elf. Ich habe in der Ausbildung die Erfahrung gemacht, dass die Grundaspekte schnell vermittelt sind. Wichtig sind dann viele Wiederholungen, um Automatismen herzustellen.

TWO: Wie wichtig ist Geduld?

Thaler: Geduld und Einfühlungsvermögen sind sehr wichtig. In den ersten Spielen werden immer wieder Fehler passieren. Entscheidend ist, wie ich als Trainer reagiere: ob ich rumbrülle oder ob ich die Fehler als Aufhänger für das nächste Training nehme, um daraus zu lernen.

TWO: Was sagen Sie zu der Alternative Dreierkette?

Thaler: Zu dritt hat man das Problem: Wie beherrsche ich die Breite des Platzes? Für die Außenbahnen zieht man in der Regel keinen der drei Spieler aus dem Zentrum, sondern nimmt die äußeren beiden Mittelfeldspieler. Und dann sind wir wieder bei der Fünferkette.