Sven Ulreich: Herz und Heimat

Kaum einem VfB-Spieler geht sein Verein so nahe wie Sven Ulreich. Seit er zehn Jahre alt ist, spielt er für die Stuttgarter, er hat Höhen und Tiefen erlebt, gejubelt und gelitten. Mit 24 ist er unumstritten, die klare Nummer eins. Und steht jetzt vor dem größten Spiel seiner Karriere.

Schon seit dem Nachmittag liegen im Garten Bratwürste und Steaks auf dem Grill, es gibt Bier und Limonade, die Stimmung ist ausgelassen. Der Höhepunkt an jenem 14. Juni 1997 folgt aber erst am Abend. Unten im Gemeinschaftsraum des Sechsfamilienhauses in Schorndorf vor den Toren Stuttgarts hat jemand einen Fernseher aufgestellt, vor dem sich alle Bewohner versammeln. In Berlin bestreitet der VfB das DFB-Pokalfinale – und keiner jubelt lauter über die beiden Tore von Giovane Élber als Sven Ulreich, acht Jahre alt und größter VfB-Fan im ganzen Haus. Der 2:0-Erfolg gegen Energie Cottbus beschert dem Stuttgarter Bundesligisten den bis heute letzten Pokaltriumph – und dem kleinen Sven sein erstes bleibendes Erlebnis als Fußball-Fan.

16 Jahre später hat der VfB wieder die Gelegenheit, den DFB-Pokal zu gewinnen – und diesmal sitzt Sven Ulreich, inzwischen 24, nicht mehr vor dem Fernseher, sondern hütet das VfB-Tor. Er hat sich seinen Traum erfüllt, ist Fußballprofi geworden – und irgendwie immer noch VfB-Fan geblieben. Wohl kein anderer Stuttgarter Spieler hat eine derart enge Beziehung zu seinem Verein wie Ulreich, keinem liegt der Klub mehr am Herzen. Das Finale gegen den FC Bayern ist das bislang größte Spiel seiner Karriere, in der nicht alles immer so einfach und reibungslos lief wie ganz am Anfang.

Ein Jahr nach dem Pokalsieg 1997 fährt Sven Ulreich, Nachwuchstorhüter des TSV Schornbach, mit seinem Vater die B 14 hinunter zu den Jugendtagen des VfB nach Bad Cannstatt. Dort dürfen in jedem Sommer die Talente der Region vorspielen. "Eigentlich wollte ich nur einmal den Platz betreten, auf dem meine Idole immer gespielt haben", sagt er, "das hätte mir schon gereicht." Doch er überzeugt die strengen Trainer, sie holen ihn zum VfB. Ulreich braucht nicht lange, um sich einzugewöhnen, er wird Torhüter der D-Jugend, obwohl er noch bei den E-Junioren spielen könnte.

Höhen und Tiefen

Der erste schwere Tiefschlag folgt im Jahr 2000. Sven Ulreich ist zwölf Jahre alt, als er seinen Vater verliert. Er war selbst Torhüter, er war immer Svens Vorbild und Trainer, hat den Sohn zu jedem Spiel und jedem Turnier begleitet – und verliert mit 46 den Kampf gegen den Krebs. Seit jenem Tag reckt Sven Ulreich vor jedem Spiel beim Einlaufen die rechte Faust in den Himmel, als Gruß an den Papa, "es ist sehr schade, dass er nicht miterleben durfte, was ich seither alles erreicht habe."

Sven Ulreich geht seinen Weg von nun an allein. Er durchläuft die Nachwuchsmannschaften des VfB, wird Junioren-Nationalspieler, gewinnt mit der U 19 die deutsche Meisterschaft – und lässt sich auch durch eine schwere Schulterverletzung nicht aufhalten, die er sich 2006 in einem Hallentraining zuzieht. Die Karriere steht auf der Kippe, zehn Monate muss Ulreich pausieren. Und kommt noch stärker zurück.

Über Nacht zum Bundesliga-Torhüter



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Kaum einem VfB-Spieler geht sein Verein so nahe wie Sven Ulreich. Seit er zehn Jahre alt ist, spielt er für die Stuttgarter, er hat Höhen und Tiefen erlebt, gejubelt und gelitten. Mit 24 ist er unumstritten, die klare Nummer eins. Und steht jetzt vor dem größten Spiel seiner Karriere.

Schon seit dem Nachmittag liegen im Garten Bratwürste und Steaks auf dem Grill, es gibt Bier und Limonade, die Stimmung ist ausgelassen. Der Höhepunkt an jenem 14. Juni 1997 folgt aber erst am Abend. Unten im Gemeinschaftsraum des Sechsfamilienhauses in Schorndorf vor den Toren Stuttgarts hat jemand einen Fernseher aufgestellt, vor dem sich alle Bewohner versammeln. In Berlin bestreitet der VfB das DFB-Pokalfinale – und keiner jubelt lauter über die beiden Tore von Giovane Élber als Sven Ulreich, acht Jahre alt und größter VfB-Fan im ganzen Haus. Der 2:0-Erfolg gegen Energie Cottbus beschert dem Stuttgarter Bundesligisten den bis heute letzten Pokaltriumph – und dem kleinen Sven sein erstes bleibendes Erlebnis als Fußball-Fan.

16 Jahre später hat der VfB wieder die Gelegenheit, den DFB-Pokal zu gewinnen – und diesmal sitzt Sven Ulreich, inzwischen 24, nicht mehr vor dem Fernseher, sondern hütet das VfB-Tor. Er hat sich seinen Traum erfüllt, ist Fußballprofi geworden – und irgendwie immer noch VfB-Fan geblieben. Wohl kein anderer Stuttgarter Spieler hat eine derart enge Beziehung zu seinem Verein wie Ulreich, keinem liegt der Klub mehr am Herzen. Das Finale gegen den FC Bayern ist das bislang größte Spiel seiner Karriere, in der nicht alles immer so einfach und reibungslos lief wie ganz am Anfang.

Ein Jahr nach dem Pokalsieg 1997 fährt Sven Ulreich, Nachwuchstorhüter des TSV Schornbach, mit seinem Vater die B 14 hinunter zu den Jugendtagen des VfB nach Bad Cannstatt. Dort dürfen in jedem Sommer die Talente der Region vorspielen. "Eigentlich wollte ich nur einmal den Platz betreten, auf dem meine Idole immer gespielt haben", sagt er, "das hätte mir schon gereicht." Doch er überzeugt die strengen Trainer, sie holen ihn zum VfB. Ulreich braucht nicht lange, um sich einzugewöhnen, er wird Torhüter der D-Jugend, obwohl er noch bei den E-Junioren spielen könnte.

Höhen und Tiefen

Der erste schwere Tiefschlag folgt im Jahr 2000. Sven Ulreich ist zwölf Jahre alt, als er seinen Vater verliert. Er war selbst Torhüter, er war immer Svens Vorbild und Trainer, hat den Sohn zu jedem Spiel und jedem Turnier begleitet – und verliert mit 46 den Kampf gegen den Krebs. Seit jenem Tag reckt Sven Ulreich vor jedem Spiel beim Einlaufen die rechte Faust in den Himmel, als Gruß an den Papa, "es ist sehr schade, dass er nicht miterleben durfte, was ich seither alles erreicht habe."

Sven Ulreich geht seinen Weg von nun an allein. Er durchläuft die Nachwuchsmannschaften des VfB, wird Junioren-Nationalspieler, gewinnt mit der U 19 die deutsche Meisterschaft – und lässt sich auch durch eine schwere Schulterverletzung nicht aufhalten, die er sich 2006 in einem Hallentraining zuzieht. Die Karriere steht auf der Kippe, zehn Monate muss Ulreich pausieren. Und kommt noch stärker zurück.

Über Nacht zum Bundesliga-Torhüter

Mit 19 wird Ulreich quasi über Nacht zum Bundesliga-Torhüter. Erst in der Winterpause der Saison 2007/2008 ist er vom damaligen VfB-Trainer Armin Veh zu den Profis geholt worden, im ersten Rückrundenspiel auf Schalke greift Raphael Schäfer daneben. Im zweiten steht Ulreich zwischen den Pfosten. Stuttgart verliert 1:3 gegen Hertha BSC – trotzdem verlässt der Torhüter die Stuttgarter Arena als glücklicher junger Mann. "Es war ein unglaubliches Gefühl, erstmals in dieses Stadion einzulaufen", sagt er.

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Es dauert nicht lange, bis Ulreich lernt, dass die Bundesliga ein Haifischbecken ist. Er hält ordentlich in den Wochen nach seinem Debüt – und fliegt trotzdem wieder hochkant aus der Mannschaft. Armin Veh gibt ihm die Schuld am 0:3 in Leverkusen und stellt seinen 19-jährigen Torhüter öffentlich an den Pranger. "Für einen jungen Kerl wie mich war das nicht einfach", sagt Ulreich. Seine Familie und seine Freundin Lisa, eine angehende Lehrerin, unterstützen ihn. Aus Hannover meldet sich Robert Enke, spricht Ulreich Mut zu. Bis kurz vor Enkes tragischem Suizid am 10. November 2009 halten die beiden Torhüter regelmäßig Kontakt.

Nach seiner Ausbootung kehrt Ulreich zu den VfB-Amateuren zurück und trifft eine Abmachung mit sich selbst: "Wenn ich es nicht geschafft habe, mich bis 24 zu etablieren, dann höre ich auf und mache etwas anderes aus meinem Leben." Das ist nicht nötig, auch wenn Ulreich eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann abschließt. Von Christian Gross wird er 2009 wieder zu den Profis geholt, als zweiter Mann hinter Jens Lehmann. Ulreich lernt viel von dem Routinier und überzeugt in den drei Spielen, in denen er den rotgesperrten Stammkeeper vertreten darf. Als sich Lehmann 2010 verabschiedet, wird Ulreich offiziell zur neuen Nummer eins erklärt. Bis heute hat er seither kein einziges Bundesligaspiel verpasst, in 102 Partien stand er ohne Unterbrechung im Tor des VfB Stuttgart.

Zwischendurch jedoch muss Ulreich ein weiteres Mal erfahren, wie schnell man plötzlich draußen sein kann. Wieder wird ihm im Februar 2011 eine Niederlage in Leverkusen zum Verhängnis, nach der sich der neue Trainer Bruno Labbadia zum Torwarttausch entschließt. Tief gekränkt ist Ulreich, als im anschließenden Europapokal-Spiel gegen Benfica Lissabon der Ersatzmann Marc Ziegler, das Idol seiner Kindheit, den Vorzug erhält. "Ich musste damit rechnen, bis zum Saisonende auf der Bank zu sitzen", sagt Ulreich – womöglich hätte er sich im Sommer sogar einen neuen Verein suchen müssen. Der Traum droht zu einem Albtraum zu werden.

Nummer eins

Ziegler spielt gegen Lissabon prächtig – und verletzt sich kurz nach der Pause am Kopf. Er muss ausgewechselt werden. Ulreich kehrt zurück ins Tor, hat nun nichts mehr zu verlieren und hält so gut wie nie zuvor. "Das war eine echte Jetzt-erst-recht-Einstellung, denn schlimmer konnte es ja nicht mehr kommen", sagt er. Über seine Position als Nummer eins ist seitdem nie mehr diskutiert worden. "Ulle" ist Stuttgart – und umgekehrt.

Mittlerweile hat er 117 Bundesligaspiele bestritten und ist längst über jeden Zweifel erhaben. Beim VfB ist er neben den anderen Eigengewächsen wie Christian Gentner und Serdar Tasci die große Identifikationsfigur, er ist der Publikumsliebling, den die Fans immer zuerst in die Kurve rufen, wenn es etwas zu feiern gibt. Seinen Vertrag hat Ulreich Anfang des Jahres vorzeitig bis 2017 verlängert. "Der VfB", sagt er, "bedeutet mir alles, er ist für mich Herzensangelegenheit und Heimat. Ich kann mir auch vorstellen, bis zum Karriereende in Stuttgart zu bleiben." Es klingt wie eine Floskel. Im Falle von Sven Ulreich aber darf man es tatsächlich glauben.