Schiedsrichter mit Pfiff: Vom Unparteiischen zum Profi

Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, nach der Karriere vor der nächsten. Viele Fußballprofis bleiben auch nach dem letzten Auftritt auf dem Rasen dem Fußball treu. In den verschiedensten Funktionen. Aus Spielern werden Trainer, Manager, Berater, Präsidenten. In jeder erdenklichen Position bei beinahe jedem Verein finden sich frühere Kicker. Nur eine Sparte kommt ganz ohne Ex-Profis aus: die Schiedsrichter.

Den umgekehrten Fall aber gibt es: Schiedsrichter, aus denen später Profifußballer werden. Max Kruse ist so einer. Mit dem FC St. Pauli befindet sich der 23-Jährige mitten im Abstiegskampf, er spielt seine erste komplette Saison in der Bundesliga. Und hat sich im Team von Trainer Holger Stanislawski zur festen Größe aufgeschwungen. 29-mal kam der Mittelfeldspieler bisher zum Einsatz, schon in der Aufstiegssaison 2009/2010 zählte er zu den Stammkräften.

Noch nie vom Platz geflogen

Eine junge Karriere, eine erfolgreiche Karriere, eine Karriere vor allem mit einem Merkmal: Fairness. 141 Einsätze sind in Kruses Vita im Männerbereich registriert. Seine Karstenstatistik ist beeindruckend: Keine Rote, keine Gelb-Rote, lediglich achtmal hat er eine Gelbe Karte gesehen. So weit die erfassten Werte.

Gesteigert wird diese Bilanz, gedrosselt eigentlich, wenn stimmt, was Kruse behauptet: „Ich bin in meiner ganzen Karriere noch nie vom Platz geflogen.“ Also auch nicht in der Jugend und nicht als Steppke bei seinen ersten Schritten auf dem Fußballplatz.

"Das hätte mir nicht passieren können"?

Ein Grund ist schnell vermutet: Als ehemaliger Schiedsrichter ist Kruse gegenüber Fußballern ohne Erfahrung als Schiedsrichter im Vorteil. Er kann sich besser als andere in die Schiedsrichter hineinversetzen und ist deswegen mehr davor gefeit, seinen Unmut an den Unparteischen auszulassen.



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Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, nach der Karriere vor der nächsten. Viele Fußballprofis bleiben auch nach dem letzten Auftritt auf dem Rasen dem Fußball treu. In den verschiedensten Funktionen. Aus Spielern werden Trainer, Manager, Berater, Präsidenten. In jeder erdenklichen Position bei beinahe jedem Verein finden sich frühere Kicker. Nur eine Sparte kommt ganz ohne Ex-Profis aus: die Schiedsrichter.

Den umgekehrten Fall aber gibt es: Schiedsrichter, aus denen später Profifußballer werden. Max Kruse ist so einer. Mit dem FC St. Pauli befindet sich der 23-Jährige mitten im Abstiegskampf, er spielt seine erste komplette Saison in der Bundesliga. Und hat sich im Team von Trainer Holger Stanislawski zur festen Größe aufgeschwungen. 29-mal kam der Mittelfeldspieler bisher zum Einsatz, schon in der Aufstiegssaison 2009/2010 zählte er zu den Stammkräften.

Noch nie vom Platz geflogen

Eine junge Karriere, eine erfolgreiche Karriere, eine Karriere vor allem mit einem Merkmal: Fairness. 141 Einsätze sind in Kruses Vita im Männerbereich registriert. Seine Karstenstatistik ist beeindruckend: Keine Rote, keine Gelb-Rote, lediglich achtmal hat er eine Gelbe Karte gesehen. So weit die erfassten Werte.

Gesteigert wird diese Bilanz, gedrosselt eigentlich, wenn stimmt, was Kruse behauptet: „Ich bin in meiner ganzen Karriere noch nie vom Platz geflogen.“ Also auch nicht in der Jugend und nicht als Steppke bei seinen ersten Schritten auf dem Fußballplatz.

"Das hätte mir nicht passieren können"?

Ein Grund ist schnell vermutet: Als ehemaliger Schiedsrichter ist Kruse gegenüber Fußballern ohne Erfahrung als Schiedsrichter im Vorteil. Er kann sich besser als andere in die Schiedsrichter hineinversetzen und ist deswegen mehr davor gefeit, seinen Unmut an den Unparteischen auszulassen.

Klare Sache? Falsch! Vielmehr ist das Gegenteil richtig. „Ich kann besser beurteilen, was ein Schiedsrichter hätte sehen müssen“, sagt Kruse. Eine falsche Entscheidung wird für einen Spieler nicht leichter zu ertragen, wenn er weiß, dass sie falsch war. "Das hätte mir nicht passieren können" - so manches Mal schon musste Kruse gegen diesen Gedanken ankämpfen.

Schiedsrichter-Schein mit 14 - zusammen mit Harnik

Schließlich hat er selber vor noch gar nicht allzu langer Zeit auf dem Platz gestanden und Spiele geleitet. Den Schein hat er als Jugendlicher erworben, am 5. Januar 2003, Kruse war damals 14 Jahre alt. Lehrwart Christian Henkel denkt gerne an einen angenehmen und aufmerksamen Schiedsrichter-Schüler: „Er war immer sehr aufmerksam und hat gut mitgearbeitet.“

Erstaunlich insofern, als dass Kruse sich an die Lehrabende im Bezirk Bergedorf im Hamburger Fußball-Verband weniger gern erinnert. Nicht falsch verstehen. „Herr Henkel hat das gut gemacht“, sagt der heutige Profi. Aber die Theorie ist Kruses Sache nicht, auch wenn sie noch so interessant verkauft wird. Er wollte rauf auf den Platz, loslegen, pfeifen, entscheiden. Doch vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt - und der DFB vor dem Anpfiff die Prüfung.

Kruse hat sie bestanden, natürlich. Wie gut? Weiß er nicht mehr. „Auf alle Fälle besser als Martin Harnik“, sagt Kruse. Lachend. Gemeinsam mit seinem Freund, dem heutigen Profi des VfB Stuttgart, hat er damals für den Schein gebüffelt. Es war eine produktive Zusammenarbeit - tatsächlich hatten beide nur einen Fehlerpunkt und gehörten damit zu den Besten ihres Lehrgangs.

"Er konnte ein Spiel lesen"

Es folgte der erste Einsatz „bei den ganz Kleinen“ - und schnell die Erkenntnis: Das macht mir Spaß, das kann ich gut, davon will ich mehr. Durchaus hätte sich Kruse in dieser Zeit vorstellen können, seine Ambitionen auf die Schiedsrichterei zu konzentrieren. Eine Karriere als Unparteiischer, warum nicht?

Talent jedenfalls wurde und wird ihm attestiert. Mehrfach war Kruse im Gespann mit Schiedsrichter Michael Linke unterwegs, an der Linie hat er dem erfahrenen Referee assistiert. Als 16-Jähriger, bei Herrenspielen. Seine Sache hat er ausnahmslos gut gemacht, an eine Fehlentscheidung kann Linke sich nicht erinnern. „Man hat gemerkt, dass er Verständnis für das Spiel hat“, sagt Linke. „Er konnte ein Spiel lesen.“

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Eine Weile zweigleisig gefahren

Und warum ist nichts geworden aus der großen Karriere als Schiedsrichter? Weil sich eine andere Karriere dazwischen gedrängelt hat: die als Fußballprofi. Eine zeitlang fuhr Kruse zweigleisig, hat neben der Fußballerlaufbahn auch die Karriere als Unparteischer voran getrieben. Während viele seiner Kollegen neben dem Fußball „nur“ die Schule oder die Ausbildung meistern mussten, kam bei Kruse die Schiedsrichterei noch oben drauf. „Manchmal war das schon ein ganz schöner Spagat“, erinnert er sich.

Er hat ihn vollführt, für gut vier Jahre. In immer höheren Ligen wurde er eingesetzt, immer mehr wurde ihm zugetraut. Jedenfalls von seinen Kollegen aus dem Schiedsrichter-Ausschuss. So mancher Trainer indes hat sich gewundert, wenn mit Kruse ein auffallend junger Schiedsrichter auf dem Platz gestanden oder an der Linie gewunken hat.

Ahnung vom Fußball? Allerdings!

So hat es auch Christian Henkel erlebt. Mit einem Schmunzeln erzählt er eine Anekdote aus dem Mai 2005. Er war angesetzt für die Partie zwischen TuS Hamburg und Bramfelder SV, Landesliga Hansa-Staffel. Kruse war als Assistent mit dabei, damals 17 Jahre alt, schon Spieler in der A-Junioren-Bundesliga und auf dem Sprung in die U 19-Nationalmannschaft.

Bramfelds Trainer Carrel Segner wusste davon nichts, von Kruses späterem Weg in die Bundesliga konnte er nichts ahnen. In der Rückschau wirken seine Worte dennoch ein wenig grotesk. Ob der Hänfling an der Linie überhaupt Ahnung vom Fußball habe, wollte Segner wissen. Henkel konnte ihn beruhigen: allerdings!

Der Hänfling hatte sogar so viel Ahnung und vor allem so viel Talent, dass er im WM-Jahr 2006 zu Werder Bremen wechselte. Immer mehr bahnte sich an, was heute gewiss ist: dass er den Sprung zu den Profis schaffen würde. Und Kruse musste sich entscheiden: pfeifen oder nach der Pfeife tanzen? Er hat sich entschieden. Fürs spielen, für die Karriere als Profi. Schade für die Schiedsrichterzunft, gut für den FC St. Pauli.