Schiedsrichter mit Pfiff: "Fußball ist alles für mich"

Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Schiedsrichtern, seien wir ehrlich, werden im Eifer des Gefechts nicht selten alle möglichen Behinderungen vorgeworfen. Zumeist beziehen sich diese auf eine mehr oder weniger eingeschränkte Tauglichkeit der Sehorgane, aber auch ganz generell wird der Intellekt der Unparteiischen zuweilen angezweifelt.

So hat es auch Rainer Schmid schon erlebt, nicht ständig, aber doch zuverlässig musste er Anspielungen ob seiner vermeintlichen Beschränktheit über sich ergehen lassen. So wie alle Schiedsrichter, insoweit ist sein Erleben nichts Besonderes. Einen Unterschied zu allen anderen Unparteiischen aber gibt es: Bei ihm sind die Behauptungen im Kern zutreffend, Schmid hat eine geistige Behinderung - eine Intelligenzminderung, wie es im Amtsdeutsch heißt.

Harter Kampf gegen das Krankheitsbild

Seit seinem zehnten Lebensjahr ist die Krankheit bei ihm diagnostiziert. Als die Diagnose des Arztes die Befürchtung bestätigt hat, hat er in den Armen seiner Mutter geweint. Denn Schmid ist zwar geistig behindert, aber durchaus in der Lage, intellektuell zu erfassen, was dies bedeutet. Auch wenn er sich um den Grad seiner Behinderung nicht schert und glaubhaft versichert, nicht zu wissen, wie gravierend seine Behinderung ist.

So manches Mal hat er auch später in seinem Leben den Kampf gegen die Tränen verloren, auch später noch, als er längst erwachsen war und seine ersten Spiele als Schiedsrichter geleitet oder als Assistent begleitet hat. Er wurde gehänselt, war ein Außenseiter, nicht überall wurde er mit offenen Armen empfangen. Geistige Behinderung, Intelligenzminderung, beim Krankheitsbild von Rainer Schmid ist es traurige Realität, dass das Leben für die Betroffenen ein ständiger Kampf ist.

Selbstmitleid? Nein, danke!

Schmid hat diesen Kampf angenommen. Nach und nach reifte in ihm die Erkenntnis: Ja, ich bin anders als andere. Ja, ich habe eine geistige Behinderung. Ja, ich habe auch eine motorische Störung. Ja, und?! Sich in sein Schicksal fügen, in Mitleid und Selbstmitleid suhlen, aufgeben, die Behinderung über sein Leben bestimmen lassen - all das kam für ihn nicht infrage.



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Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Schiedsrichtern, seien wir ehrlich, werden im Eifer des Gefechts nicht selten alle möglichen Behinderungen vorgeworfen. Zumeist beziehen sich diese auf eine mehr oder weniger eingeschränkte Tauglichkeit der Sehorgane, aber auch ganz generell wird der Intellekt der Unparteiischen zuweilen angezweifelt.

So hat es auch Rainer Schmid schon erlebt, nicht ständig, aber doch zuverlässig musste er Anspielungen ob seiner vermeintlichen Beschränktheit über sich ergehen lassen. So wie alle Schiedsrichter, insoweit ist sein Erleben nichts Besonderes. Einen Unterschied zu allen anderen Unparteiischen aber gibt es: Bei ihm sind die Behauptungen im Kern zutreffend, Schmid hat eine geistige Behinderung - eine Intelligenzminderung, wie es im Amtsdeutsch heißt.

Harter Kampf gegen das Krankheitsbild

Seit seinem zehnten Lebensjahr ist die Krankheit bei ihm diagnostiziert. Als die Diagnose des Arztes die Befürchtung bestätigt hat, hat er in den Armen seiner Mutter geweint. Denn Schmid ist zwar geistig behindert, aber durchaus in der Lage, intellektuell zu erfassen, was dies bedeutet. Auch wenn er sich um den Grad seiner Behinderung nicht schert und glaubhaft versichert, nicht zu wissen, wie gravierend seine Behinderung ist.

So manches Mal hat er auch später in seinem Leben den Kampf gegen die Tränen verloren, auch später noch, als er längst erwachsen war und seine ersten Spiele als Schiedsrichter geleitet oder als Assistent begleitet hat. Er wurde gehänselt, war ein Außenseiter, nicht überall wurde er mit offenen Armen empfangen. Geistige Behinderung, Intelligenzminderung, beim Krankheitsbild von Rainer Schmid ist es traurige Realität, dass das Leben für die Betroffenen ein ständiger Kampf ist.

Selbstmitleid? Nein, danke!

Schmid hat diesen Kampf angenommen. Nach und nach reifte in ihm die Erkenntnis: Ja, ich bin anders als andere. Ja, ich habe eine geistige Behinderung. Ja, ich habe auch eine motorische Störung. Ja, und?! Sich in sein Schicksal fügen, in Mitleid und Selbstmitleid suhlen, aufgeben, die Behinderung über sein Leben bestimmen lassen - all das kam für ihn nicht infrage.

Doch natürlich gab es immer wieder Rückschläge. So hat es sich auch angefühlt, als er im Alter von 15 Jahren ins Heilpädagogische Therapie- und Förderzentrum St. Laurentius-Warburg gehen musste. Seine Mutter sei mit ihm nicht mehr klargekommen, sagt Schmid. Er sagt dies ohne Vorwurf, er weiß heute, dass es für ihn das Beste war, professionelle, therapeutische Hilfe zu bekommen.

Ausgeprägter Gerechtigkeitssinn

Viele Jahre hat er hier verbracht. Er wurde gefordert und gefördert, wurde schließlich selbstbewusst und selbstständig. Und er entwickelte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, der ihn für seine Tätigkeit als Schiedsrichter prädestiniert. Seit vier Jahren lebt er in einer eigenen Wohnung, zunächst ein halbes Jahr auf Probe, mittlerweile dauerhaft.

Manchmal dauert es länger, in machen Situationen ist er auf Hilfe angewiesen, zumeist aber kommt er gut alleine zurecht. Zweimal in der Woche kommt eine Betreuerin, sie hilft bei komplizierten Formularen, manchmal auch beim Einkaufen oder beim Erwerb des Zugtickets, wenn Schmid seine Mutter besuchen will.

Seine Träume leben

Mittlerweile verdient er sogar sein eigenes Geld, hat im HPZ St.-Laurentius eine Anstellung als Elektriker-Assistent gefunden. So schuf er sich nach und nach sein eigenes Leben. Und er lebt seine Träume. Einer dieser war und ist, Fußball zu riechen, zu erleben, zu atmen. "Fußball ist alles für mich", sagt er. "Der Stellenwert könnte nicht größer sein. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es einmal anders war."

Schon in frühester Kindheit wurde er mit dem Virus infiziert. Seine Mutter war und ist glühende Anhängerin von Borussia Dortmund. Gerne erzählt Schmid davon, wie sie häufig auf einen Baum gestiegen ist, um einen Blick ins Stadion Rote Erde zu erhaschen. Recht waghalsig waren diese Kletterübungen, vom Baum gefallen ist sie zum Glück nie. Dafür der Apfel nicht weit vom Stamm - der Sohn trat in ihre Fußstapfen.

Seine Wohnung ist übersäht mit BVB-Devotionalien jeglicher Art, Schmid ist Mitglied eines Fan-Klubs, hin und wieder kann er eine Dauerkarte übernehmen und ins Stadion gehen, und selbstverständlich ist er mit von der Partie, wenn Dortmund in zehn Tagen als neuer Deutscher Meister gefeiert wird. "Unglaublich, dass sie das wirklich geschafft haben", sagt er.

Kein Aufwand ist zu groß

Größer als die Zuneigung zu Dortmund ist für ihn nur seine Liebe für den SV Menne. Sieben Ligen tiefer, großer Sport gleichwohl. Schmid hat hier eine sportliche Heimat gefunden - und mehr. Freunde, irgendwie auch Familie, große Teile des Lebensinhalts. Wo er kann, hilft er, kein Aufwand ist ihm zu groß. Bei den Spielen ist er immer dabei, wenn er nicht selber an der Linie steht, betreut er die Schiedsrichter, zeigt ihnen die Kabinen, erklärt die Abläufe.

Bis vor kurzem hat er für die zweite Mannschaft noch selber gegen den Ball getreten, als Stürmer. Man hat ihn mitspielen lassen, hat seine Behinderung akzeptiert, auch wenn Schmid sportlich für das Team kein großer Gewinn war. "Mir hat das viel Spaß gemacht", sagt Schmid, auch wenn er einräumt: "Der beste Fußballer war ich nie."

Entscheidungen um Einwurf, Aus und Abseits

Als die erste Mannschaft von der Kreis- in die Bezirksliga aufgestiegen ist, hat er nicht lange gezögert, als er sich entscheiden musste. Der logistische Aufwand für beide Tätigkeiten war zu groß, auch Schmid hat es nicht vollbracht, vormittags für die Zweite des SV Menne selbst zu spielen und am Mittag in großer Entfernung bei Spielen der ersten Mannschaft als Schiedsrichter-Assistent zu fungieren.

Fußballer oder Schiedsrichter-Assistent? Seine Antwort war unzweideutig: Unparteiischer. Präziser: Assistent der Unparteiischen. Vor einigen Jahren hat er den Versuch unternommen, den Schiedsrichterschein zu erwerben. Vor den Prüfungsfragen musste er dann doch kapitulieren. Die Prüfung für Assistenten aber hat er bestanden, auf die Urkunde verweist er nicht ohne Stolz. Und in der Rolle des Schiedsrichter-Assistenten geht er auf. Bei Jugendspielen, Seniorenspielen und Sportfesten fungiert er zuweilen als Hauptschiedsrichter.

Mehr will er nicht, mehr Verantwortung strebt er nicht an. Lieber steht er an der Linie, lieber entscheidet er über Einwurf, Aus und Abseits. Denn Schmid weiß seine Fähigkeiten einzuschätzen, er kämpft zwar um jedes Stückchen persönlicher Freiheit, aber er kämpft keine Kämpfe, die er nicht gewinnen kann.

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Die Linie ist Schmids Welt

Als Assistent fühlt er sich wohl, die Linie ist seine Welt. "Er macht das sehr gut", lobt Schiedsrichter-Ansetzer und Kreisausschuss-Beisitzer Erwin Kurte. Häufig nimmt er Schmid mit zu seinen Spielen und setzt ihn an der Linie ein. Manchmal muss er diesen besonders anleiten, manchmal verwechselt der Assistent die Richtungen, aber im Großen und Ganzen sind seine Entscheidungen nicht fehlerbehafteter als die von jedem anderen Assistenten auch.

Wenn Schmid über seine Einsätze auf dem Fußballplatz redet, erzählt er nicht immer strukturiert, nicht immer ist sofort zu verstehen, was er meint. Sofort aber ist seine Begeisterung für die Schiedsrichterei zu spüren, die Freude, der er auf dem Platz empfindet. "Und darum geht es doch", sagt Kurte.

In der Schiedsrichtergruppe Warburg ist Schmid aktives Mitglied. "Er fragt mich ständig, ob er irgendwie helfen kann", sagt Kurte und fasst zusammen, was die Schiedsrichter in Warburg und alle beim SV Menne denken: "Wir sind sehr froh, dass wir ihn bei uns haben."