Ratzeburg und Stoppa: "Fußball gehörte nicht zum Rollenbild"

Beide zählen seit vielen Jahren zu den entscheidenden Personen im Frauenfußball. Beide treiben die positive Entwicklung in Deutschland seit über 40 Jahren voran: Hannelore Ratzeburg, DFB-Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball, und Margit Stoppa, die den DFB-Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball und die Allianz-Frauen-Bundesliga leitet.

In der Saison 1973/1974 wurde erstmals ein Deutscher Meister im Frauenfußball ermittelt – vor genau 40 Jahren also. Ratzeburg und Stoppa erinnern sich an die schwere Anfangszeit. Im DFB.de-Gespräch der Woche sprechen beide auch über die rasante Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit und blicken in die Zukunft des Fußballs.

DFB.de: Frau Ratzeburg, 1973/1974 hieß der erste deutsche Meister im Frauenfußball TuS Wörrstadt. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Anfangszeit?

Hannelore Ratzeburg: Es war nicht einfach in den ersten Jahren. Bis zur ersten deutschen Meisterschaft herrschte große Unsicherheit, ob der Frauenfußball in Deutschland überhaupt eine Zukunft haben könnte. Es war eine richtungweisende Entscheidung des Deutschen Fußball-Bundes, eine Meisterschaft auszurichten. Denn es war ganz einfach ein Signal der weiteren Anerkennung und dass man diesen Sport tatsächlich ernstnimmt.

DFB.de: Hat man das vorher nicht getan?

Ratzeburg: Als ich 1971 anfing, Fußball zu spielen, wurde mein Wunsch nicht ernst genommen. Fußball spielen gehörte damals nicht zum gängigen Rollenbild für Frauen. Fußball galt als zu hart und es wurden unheimlich viele Vorurteile verbreitet. Wir haben eigentlich alle widerlegt. Deshalb war die erste Deutsche Meisterschaft ein Meilenstein in der Entwicklung des Frauenfußballs.

DFB.de: Wie sind Ihre Erinnerungen, Frau Stoppa?

Margit Stoppa: Zu dieser Zeit war ich noch im Frauenfußball in der DDR unterwegs, spielte selbst noch bis 1982 bei der BSG Motor Köpenick und in der Ostberliner Auswahl und war dann ehrenamtlich tätig. Es war ein komplizierter und langer Weg, die Anerkennung zu bekommen. Mit der Zeit hat sich dann aber doch Euphorie breit gemacht und bis Ende der 70er Jahre gab es einen Boom an Frauenmannschaften. Aber das war damals alles noch eine sehr zarte Blüte.

DFB.de: Wann ging es dann wirklich aufwärts?

Stoppa: Richtungweisend war ein Verbandstag des DFV im März 1990. Dort wurde beschlossen, eine DDR-Meisterschaft auszutragen. Vorher hieß der Wettbewerb DDR-Bestenermittlung. Der Frauenfußball bekam eine eigene Struktur und ich wurde Vorsitzende und Mitglied des Vorstandes. Außerdem wurde eine Nationalmannschaft gegründet. Das waren schon Zeichen der Anerkennung. Es gab dann auch im Mai ein Spiel der DDR-Auswahlmannschaft in Potsdam gegen die CSSR, das wir mit 0:3 verloren - gleichzeitig die Premiere und das Ende der DDR-Nationalmannschaft. Im Herbst wurden wir als Regionalverband Mitglied im DFB.

DFB.de: Wie schwierig war der Übergang damals?

Stoppa: Ich denke, dass wir das insgesamt sehr gut hinbekommen haben. Wir hatten nicht viel Zeit, alles musste sehr schnell gehen. Der Start in die neue Bundesliga-Saison stand unmittelbar bevor. Jena und Aue wurden als erste DDR-Meister und Vize-Meister integriert. Aber das ist nun schon ziemlich lange her. Seitdem hat der Frauenfußball rasant an Fahrt aufgenommen.

DFB.de: Hätten Sie gedacht, dass der Frauenfußball eine so positive Entwicklung nehmen könnte?

Ratzeburg: Wir haben dafür gekämpft. Aber damit war dennoch nicht unbedingt zu rechnen. Unser vorrangiges Ziel war damals, dass Mädchen und Frauen Fußball spielen dürfen, genauso wie Jungs und Männer. Ich habe keinen Grund gesehen, warum man da unterscheiden sollte. Dass sich alles so hervorragend entwickelte, ist sensationell. Schauen Sie sich doch mal ein Fußballspiel von vor 15 Jahren an. Und dann vergleichen Sie es mit einem beliebigen Spiel aus der abgelaufenen Bundesliga-Saison. Die Unterschiede sind riesig. Man kann kaum glauben, was in dieser recht kurzen Zeit für eine Entwicklung stattgefunden hat.

Stoppa: Es hat sich gelohnt, sich dafür einzusetzen. Es war eine sehr intensive und arbeitsreiche Zeit, aber wir haben oft tolles Feedback bekommen. Wir konnten viele fußballbegeisterte Menschen mitnehmen und so das Fundament legen, auf dem wir heute alles Weitere entwickeln. Aber auch da muss ich Hannelore Ratzeburg recht geben: Dass sich alles so positiv entwickeln würde, damit war wirklich nicht unbedingt zu rechnen.

DFB.de: Warum ist alles auf einmal in so kurzer Zeit so gut geworden?

Ratzeburg: Wir konnten die vorhandenen Strukturen nutzen und schauen, was für den Frauenfußball passte oder ergänzt werden musste. Die Talentförderung wurde immer weiter verbessert. Es gibt zahlreiche Auswahlmannschaften der Landesverbände, aus denen die Talente für die Nationalmannschaften gesichtet werden. Bei Europa- und Weltmeisterschaften können diese jungen Spielerinnen internationale Erfahrungen sammeln. Dies kommt letztendlich auch den Vereinen zugute.

DFB.de: Und auf Vereinsebene?

Ratzeburg: Auch dort können wir über die Entwicklung sehr glücklich sein. Unsere Bundesliga muss sich vor keiner Liga auf der Welt verstecken. Es ist großartig, dass deutsche Vereinsmannschaften auch in der Champions League immer sehr erfolgreich sind. Wolfsburg hat in den beiden vergangenen Jahren die Champions League gewonnen. Seit Einführung des UEFA-Vereinswettbewerbs 2001 wurden acht von 13 Finalbegegnungen von deutschen Teams gewonnen. Das zeigt deutlich, dass wir hier weiterhin auf höchstem Niveau arbeiten.

DFB.de: Kann man sich darauf ausruhen?

Ratzeburg: Auf keinen Fall. Wir merken ganz deutlich, dass andere Nationen aufholen. Wir stehen hier unheimlich im Fokus, weil alle nach Deutschland schauen, um es dann ähnlich zu machen. Die Unterschiede in der Spitze werden immer kleiner. Für den Frauenfußball ist auch das eine tolle Entwicklung.

DFB.de: Es ist erstaunlich, dass es häufig Mannschaften gab, die ganze Ären geprägt haben. Zunächst die SSG 09 Bergisch Gladbach, danach der TSV Siegen und zuletzt der Zweikampf zwischen dem 1. FFC Frankfurt und dem 1. FFC Turbine Potsdam...

Ratzeburg: ... der durch den VfL Wolfsburg inzwischen zu einem Dreikampf geworden ist. Aber Sie haben Recht: Vor allem in der Anfangszeit waren Vereine sehr erfolgreich, die man auf der Landkarte erst suchen musste. In einigen anderen Sportarten war es ähnlich. Das lag einfach daran, weil sich die großen Männerklubs zunächst schwer taten, sich für den Frauenfußball zu öffnen. Das hat sich geändert. Wolfsburg ist da natürlich das Paradebeispiel, weil sie unheimlich viel Engagement in den Frauenfußball investieren. Es ist toll, dass wir mittlerweile eine gute Mischung aus reinen Frauenvereinen haben und dass es zudem zahlreiche Klubs in der Bundesliga gibt, die eine erfolgreiche Männermannschaft als Basis haben.

DFB.de: Haben die großen Vereine wie Wolfsburg dauerhaft womöglich Vorteile gegenüber Frankfurt und Potsdam?

Ratzeburg: Nein, das glaube ich nicht. Beides ist richtig und sinnvoll. Die handelnden Personen in den reinen Frauenvereinen haben eine größere Autonomie bei wichtigen Entscheidungen, beispielsweise in Verhandlungen mit Sponsoren, mit der Stadt oder den Kommunen. Durch diese Mischung sind wir auf einem sehr, sehr guten Weg. Davon bin ich überzeugt.

DFB.de: Wen sehen Sie dauerhaft in der Spitzengruppe, Frau Stoppa?

Stoppa: Frankfurt und Potsdam haben sich jahrelang etwas aufgebaut. Ich bin ganz sicher, dass wir diese Klubs dauerhaft oben sehen werden. Wolfsburg hat eine hervorragende Entwicklung genommen. Bayern München wird sicher erfolgreich versuchen, den Abstand zu verkürzen. Vielleicht können langfristig auch Leverkusen, Essen oder Jena eine gute Rolle spielen, sie machen eine hervorragende Nachwuchsarbeit.

DFB.de: Sind Sie eigentlich froh darüber, dass es nur noch sehr selten ganz klare Ergebnisse gibt? Mittlerweile können auch die vermeintlich Kleinen an einem guten Tag die Topteams ärgern.

Ratzeburg: Natürlich, daraus bezieht die Bundesliga doch ihre Spannung. Aber auch in jeder anderen Hinsicht. Denken Sie doch nur mal an den letzten Spieltag der vergangenen Saison. In diesem Spiel entschied sich, ob der 1.FFC Frankfurt oder der VfL Wolfsburg Deutscher Meister wurde. In einem spannenden Spiel vor über 12.000 Zuschauern erzielte Wolfsburg kurz vor dem Ende des Spiels das 2:1 und gewann den Titel. Auch der Abstiegskampf war bis zum Schluss eine hochspannende Angelegenheit. So kann es gerne weitergehen.

Stoppa: Mittlerweile gibt es für die Topteams kaum noch Begegnungen, in denen sie praktisch nebenbei die Punkte mitnehmen können. Das ist eine hervorragende Entwicklung. Zuletzt haben Leverkusen und Jena gezeigt, dass sie die Großen ärgern können. Auch andere Klubs haben in dieser Hinsicht bereits positive Schlagzeilen geschrieben. Wir sind in dieser Hinsicht noch nicht auf dem Stand der Männer. Es wird noch etwas dauern, bis Überraschungen noch regelmäßiger vorkommen. Aber wir sind auf einem guten Weg.

DFB.de: Ist der Frauenfußball in Deutschland also mittlerweile endgültig etabliert? Besteht kein Grund mehr zur Sorge?

Ratzeburg: Ich glaube nicht. Die Kooperation mit der Allianz war der nächste Schritt in die richtige Richtung. Das wird dazu beitragen, dass eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit auf einem anderen Level möglich ist. Es wird eine größere Einheitlichkeit geben, weil die zwölf Vereine unter dem Namen Allianz Frauen-Bundesliga antreten werden. Das sorgt für eine weitere Aufwertung. Ich verspreche mir dadurch ein Plus für die Vereine.

Stoppa: Für beide Seiten ist diese Kooperation Gold wert. Es ist ganz wichtig für das Image der Bundesliga. Alle werden davon profitieren. Das ist ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung des Frauenfußballs.

DFB.de: Wenn Sie auf die vergangenen 40 Jahre zurückschauen, kann man dann zusammenfassend sagen: Ziel erreicht, alles richtig gemacht?

Ratzeburg: Ich will nicht behaupten, dass wir alles richtig gemacht haben. Aber wir haben in engem Kontakt mit den Vereinen immer nach Optimierungsmöglichkeiten gesucht.

Stoppa: Ich bin nicht der Typ, der die eigenen Verdienste gerne in den Vordergrund stellt. Aber man kann schon rückblickend sagen, dass wir mit den meisten Entscheidungen nicht ganz falsch gelegen haben können.

DFB.de: Haben Sie sich damals vorstellen können, dass der Fußball eine so prägende Rolle in ihrem Leben einnehmen würde?

Ratzeburg: Nein, niemals. Zunächst wollte ich einfach nur kicken. Ich war anfangs etwas aufmüpfig, weil es ja verpönt war, dass Frauen Fußball spielten, aber darin lag für mich gerade der Reiz. Dann hatte ich so viel Spaß am spielen, dass ich mich schon 1972 beim Hamburger Fußball-Verband dafür einsetzte einen Spielbetrieb für Frauen- und Mädchenmannschaften aufzubauen. Nach und nach hat alles seinen Lauf genommen. Ich bin begeistert, wenn die Mädchen heute auf dem Platz mit strahlenden Augen dem Ball nachjagen.

DFB.de: Ist das Ihr Lebenswerk?

Ratzeburg: In gewisser Weise schon. Und darauf bin ich auch stolz. Es war wirklich nicht immer einfach. Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Es konnte natürlich nicht alles auf einmal umgesetzt werden. Zunächst gab es ja nur die Deutsche Meisterschaft. Ich habe sicher einen Teil dazu beigetragen, dass alle weiteren Wettbewerbe nach und nach eingeführt wurden.

Stoppa: So lange ich zurückdenken kann, spielt der Fußball eine besondere Rolle in meinem Leben. Wenn mich einer nach meinen Beziehungsstatus fragt, dann sage ich oft, dass ich mit dem Fußball verheiratet bin. Ich blicke gern auf diese Entwicklung, in die ich mich aktiv einbringen konnte und heute noch einbringe.

DFB.de: Ist der Frauenfußball heute also auch ein fester Bestandteil des Sportangebots in Deutschland?

Ratzeburg: Ich denke, dass Bestandteil das falsche Wort ist. Frauenfußball ist zum Glück inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden. Die jungen Mädchen heutzutage können sich doch gar nicht mehr vorstellen, welche Hürden wir damals nehmen mussten, weil wir Fußball spielen wollten. Heute müssen wir nicht mehr darum kämpfen. Denn wir haben ein gutes "Produkt".

Stoppa: Das ist doch ein schönes und passendes Schlusswort. Ich denke, damit ist alles Wichtige auf den Punkt gebracht.

[sw]

Beide zählen seit vielen Jahren zu den entscheidenden Personen im Frauenfußball. Beide treiben die positive Entwicklung in Deutschland seit über 40 Jahren voran: Hannelore Ratzeburg, DFB-Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball, und Margit Stoppa, die den DFB-Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball und die Allianz-Frauen-Bundesliga leitet.

In der Saison 1973/1974 wurde erstmals ein Deutscher Meister im Frauenfußball ermittelt – vor genau 40 Jahren also. Ratzeburg und Stoppa erinnern sich an die schwere Anfangszeit. Im DFB.de-Gespräch der Woche sprechen beide auch über die rasante Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit und blicken in die Zukunft des Fußballs.

DFB.de: Frau Ratzeburg, 1973/1974 hieß der erste deutsche Meister im Frauenfußball TuS Wörrstadt. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Anfangszeit?

Hannelore Ratzeburg: Es war nicht einfach in den ersten Jahren. Bis zur ersten deutschen Meisterschaft herrschte große Unsicherheit, ob der Frauenfußball in Deutschland überhaupt eine Zukunft haben könnte. Es war eine richtungweisende Entscheidung des Deutschen Fußball-Bundes, eine Meisterschaft auszurichten. Denn es war ganz einfach ein Signal der weiteren Anerkennung und dass man diesen Sport tatsächlich ernstnimmt.

DFB.de: Hat man das vorher nicht getan?

Ratzeburg: Als ich 1971 anfing, Fußball zu spielen, wurde mein Wunsch nicht ernst genommen. Fußball spielen gehörte damals nicht zum gängigen Rollenbild für Frauen. Fußball galt als zu hart und es wurden unheimlich viele Vorurteile verbreitet. Wir haben eigentlich alle widerlegt. Deshalb war die erste Deutsche Meisterschaft ein Meilenstein in der Entwicklung des Frauenfußballs.

DFB.de: Wie sind Ihre Erinnerungen, Frau Stoppa?

Margit Stoppa: Zu dieser Zeit war ich noch im Frauenfußball in der DDR unterwegs, spielte selbst noch bis 1982 bei der BSG Motor Köpenick und in der Ostberliner Auswahl und war dann ehrenamtlich tätig. Es war ein komplizierter und langer Weg, die Anerkennung zu bekommen. Mit der Zeit hat sich dann aber doch Euphorie breit gemacht und bis Ende der 70er Jahre gab es einen Boom an Frauenmannschaften. Aber das war damals alles noch eine sehr zarte Blüte.

DFB.de: Wann ging es dann wirklich aufwärts?

Stoppa: Richtungweisend war ein Verbandstag des DFV im März 1990. Dort wurde beschlossen, eine DDR-Meisterschaft auszutragen. Vorher hieß der Wettbewerb DDR-Bestenermittlung. Der Frauenfußball bekam eine eigene Struktur und ich wurde Vorsitzende und Mitglied des Vorstandes. Außerdem wurde eine Nationalmannschaft gegründet. Das waren schon Zeichen der Anerkennung. Es gab dann auch im Mai ein Spiel der DDR-Auswahlmannschaft in Potsdam gegen die CSSR, das wir mit 0:3 verloren - gleichzeitig die Premiere und das Ende der DDR-Nationalmannschaft. Im Herbst wurden wir als Regionalverband Mitglied im DFB.

DFB.de: Wie schwierig war der Übergang damals?

Stoppa: Ich denke, dass wir das insgesamt sehr gut hinbekommen haben. Wir hatten nicht viel Zeit, alles musste sehr schnell gehen. Der Start in die neue Bundesliga-Saison stand unmittelbar bevor. Jena und Aue wurden als erste DDR-Meister und Vize-Meister integriert. Aber das ist nun schon ziemlich lange her. Seitdem hat der Frauenfußball rasant an Fahrt aufgenommen.

DFB.de: Hätten Sie gedacht, dass der Frauenfußball eine so positive Entwicklung nehmen könnte?

Ratzeburg: Wir haben dafür gekämpft. Aber damit war dennoch nicht unbedingt zu rechnen. Unser vorrangiges Ziel war damals, dass Mädchen und Frauen Fußball spielen dürfen, genauso wie Jungs und Männer. Ich habe keinen Grund gesehen, warum man da unterscheiden sollte. Dass sich alles so hervorragend entwickelte, ist sensationell. Schauen Sie sich doch mal ein Fußballspiel von vor 15 Jahren an. Und dann vergleichen Sie es mit einem beliebigen Spiel aus der abgelaufenen Bundesliga-Saison. Die Unterschiede sind riesig. Man kann kaum glauben, was in dieser recht kurzen Zeit für eine Entwicklung stattgefunden hat.

Stoppa: Es hat sich gelohnt, sich dafür einzusetzen. Es war eine sehr intensive und arbeitsreiche Zeit, aber wir haben oft tolles Feedback bekommen. Wir konnten viele fußballbegeisterte Menschen mitnehmen und so das Fundament legen, auf dem wir heute alles Weitere entwickeln. Aber auch da muss ich Hannelore Ratzeburg recht geben: Dass sich alles so positiv entwickeln würde, damit war wirklich nicht unbedingt zu rechnen.

DFB.de: Warum ist alles auf einmal in so kurzer Zeit so gut geworden?

Ratzeburg: Wir konnten die vorhandenen Strukturen nutzen und schauen, was für den Frauenfußball passte oder ergänzt werden musste. Die Talentförderung wurde immer weiter verbessert. Es gibt zahlreiche Auswahlmannschaften der Landesverbände, aus denen die Talente für die Nationalmannschaften gesichtet werden. Bei Europa- und Weltmeisterschaften können diese jungen Spielerinnen internationale Erfahrungen sammeln. Dies kommt letztendlich auch den Vereinen zugute.

DFB.de: Und auf Vereinsebene?

Ratzeburg: Auch dort können wir über die Entwicklung sehr glücklich sein. Unsere Bundesliga muss sich vor keiner Liga auf der Welt verstecken. Es ist großartig, dass deutsche Vereinsmannschaften auch in der Champions League immer sehr erfolgreich sind. Wolfsburg hat in den beiden vergangenen Jahren die Champions League gewonnen. Seit Einführung des UEFA-Vereinswettbewerbs 2001 wurden acht von 13 Finalbegegnungen von deutschen Teams gewonnen. Das zeigt deutlich, dass wir hier weiterhin auf höchstem Niveau arbeiten.

DFB.de: Kann man sich darauf ausruhen?

Ratzeburg: Auf keinen Fall. Wir merken ganz deutlich, dass andere Nationen aufholen. Wir stehen hier unheimlich im Fokus, weil alle nach Deutschland schauen, um es dann ähnlich zu machen. Die Unterschiede in der Spitze werden immer kleiner. Für den Frauenfußball ist auch das eine tolle Entwicklung.

DFB.de: Es ist erstaunlich, dass es häufig Mannschaften gab, die ganze Ären geprägt haben. Zunächst die SSG 09 Bergisch Gladbach, danach der TSV Siegen und zuletzt der Zweikampf zwischen dem 1. FFC Frankfurt und dem 1. FFC Turbine Potsdam...

Ratzeburg: ... der durch den VfL Wolfsburg inzwischen zu einem Dreikampf geworden ist. Aber Sie haben Recht: Vor allem in der Anfangszeit waren Vereine sehr erfolgreich, die man auf der Landkarte erst suchen musste. In einigen anderen Sportarten war es ähnlich. Das lag einfach daran, weil sich die großen Männerklubs zunächst schwer taten, sich für den Frauenfußball zu öffnen. Das hat sich geändert. Wolfsburg ist da natürlich das Paradebeispiel, weil sie unheimlich viel Engagement in den Frauenfußball investieren. Es ist toll, dass wir mittlerweile eine gute Mischung aus reinen Frauenvereinen haben und dass es zudem zahlreiche Klubs in der Bundesliga gibt, die eine erfolgreiche Männermannschaft als Basis haben.

DFB.de: Haben die großen Vereine wie Wolfsburg dauerhaft womöglich Vorteile gegenüber Frankfurt und Potsdam?

Ratzeburg: Nein, das glaube ich nicht. Beides ist richtig und sinnvoll. Die handelnden Personen in den reinen Frauenvereinen haben eine größere Autonomie bei wichtigen Entscheidungen, beispielsweise in Verhandlungen mit Sponsoren, mit der Stadt oder den Kommunen. Durch diese Mischung sind wir auf einem sehr, sehr guten Weg. Davon bin ich überzeugt.

DFB.de: Wen sehen Sie dauerhaft in der Spitzengruppe, Frau Stoppa?

Stoppa: Frankfurt und Potsdam haben sich jahrelang etwas aufgebaut. Ich bin ganz sicher, dass wir diese Klubs dauerhaft oben sehen werden. Wolfsburg hat eine hervorragende Entwicklung genommen. Bayern München wird sicher erfolgreich versuchen, den Abstand zu verkürzen. Vielleicht können langfristig auch Leverkusen, Essen oder Jena eine gute Rolle spielen, sie machen eine hervorragende Nachwuchsarbeit.

DFB.de: Sind Sie eigentlich froh darüber, dass es nur noch sehr selten ganz klare Ergebnisse gibt? Mittlerweile können auch die vermeintlich Kleinen an einem guten Tag die Topteams ärgern.

Ratzeburg: Natürlich, daraus bezieht die Bundesliga doch ihre Spannung. Aber auch in jeder anderen Hinsicht. Denken Sie doch nur mal an den letzten Spieltag der vergangenen Saison. In diesem Spiel entschied sich, ob der 1.FFC Frankfurt oder der VfL Wolfsburg Deutscher Meister wurde. In einem spannenden Spiel vor über 12.000 Zuschauern erzielte Wolfsburg kurz vor dem Ende des Spiels das 2:1 und gewann den Titel. Auch der Abstiegskampf war bis zum Schluss eine hochspannende Angelegenheit. So kann es gerne weitergehen.

Stoppa: Mittlerweile gibt es für die Topteams kaum noch Begegnungen, in denen sie praktisch nebenbei die Punkte mitnehmen können. Das ist eine hervorragende Entwicklung. Zuletzt haben Leverkusen und Jena gezeigt, dass sie die Großen ärgern können. Auch andere Klubs haben in dieser Hinsicht bereits positive Schlagzeilen geschrieben. Wir sind in dieser Hinsicht noch nicht auf dem Stand der Männer. Es wird noch etwas dauern, bis Überraschungen noch regelmäßiger vorkommen. Aber wir sind auf einem guten Weg.

DFB.de: Ist der Frauenfußball in Deutschland also mittlerweile endgültig etabliert? Besteht kein Grund mehr zur Sorge?

Ratzeburg: Ich glaube nicht. Die Kooperation mit der Allianz war der nächste Schritt in die richtige Richtung. Das wird dazu beitragen, dass eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit auf einem anderen Level möglich ist. Es wird eine größere Einheitlichkeit geben, weil die zwölf Vereine unter dem Namen Allianz Frauen-Bundesliga antreten werden. Das sorgt für eine weitere Aufwertung. Ich verspreche mir dadurch ein Plus für die Vereine.

Stoppa: Für beide Seiten ist diese Kooperation Gold wert. Es ist ganz wichtig für das Image der Bundesliga. Alle werden davon profitieren. Das ist ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung des Frauenfußballs.

DFB.de: Wenn Sie auf die vergangenen 40 Jahre zurückschauen, kann man dann zusammenfassend sagen: Ziel erreicht, alles richtig gemacht?

Ratzeburg: Ich will nicht behaupten, dass wir alles richtig gemacht haben. Aber wir haben in engem Kontakt mit den Vereinen immer nach Optimierungsmöglichkeiten gesucht.

Stoppa: Ich bin nicht der Typ, der die eigenen Verdienste gerne in den Vordergrund stellt. Aber man kann schon rückblickend sagen, dass wir mit den meisten Entscheidungen nicht ganz falsch gelegen haben können.

DFB.de: Haben Sie sich damals vorstellen können, dass der Fußball eine so prägende Rolle in ihrem Leben einnehmen würde?

Ratzeburg: Nein, niemals. Zunächst wollte ich einfach nur kicken. Ich war anfangs etwas aufmüpfig, weil es ja verpönt war, dass Frauen Fußball spielten, aber darin lag für mich gerade der Reiz. Dann hatte ich so viel Spaß am spielen, dass ich mich schon 1972 beim Hamburger Fußball-Verband dafür einsetzte einen Spielbetrieb für Frauen- und Mädchenmannschaften aufzubauen. Nach und nach hat alles seinen Lauf genommen. Ich bin begeistert, wenn die Mädchen heute auf dem Platz mit strahlenden Augen dem Ball nachjagen.

DFB.de: Ist das Ihr Lebenswerk?

Ratzeburg: In gewisser Weise schon. Und darauf bin ich auch stolz. Es war wirklich nicht immer einfach. Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Es konnte natürlich nicht alles auf einmal umgesetzt werden. Zunächst gab es ja nur die Deutsche Meisterschaft. Ich habe sicher einen Teil dazu beigetragen, dass alle weiteren Wettbewerbe nach und nach eingeführt wurden.

Stoppa: So lange ich zurückdenken kann, spielt der Fußball eine besondere Rolle in meinem Leben. Wenn mich einer nach meinen Beziehungsstatus fragt, dann sage ich oft, dass ich mit dem Fußball verheiratet bin. Ich blicke gern auf diese Entwicklung, in die ich mich aktiv einbringen konnte und heute noch einbringe.

DFB.de: Ist der Frauenfußball heute also auch ein fester Bestandteil des Sportangebots in Deutschland?

Ratzeburg: Ich denke, dass Bestandteil das falsche Wort ist. Frauenfußball ist zum Glück inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden. Die jungen Mädchen heutzutage können sich doch gar nicht mehr vorstellen, welche Hürden wir damals nehmen mussten, weil wir Fußball spielen wollten. Heute müssen wir nicht mehr darum kämpfen. Denn wir haben ein gutes "Produkt".

Stoppa: Das ist doch ein schönes und passendes Schlusswort. Ich denke, damit ist alles Wichtige auf den Punkt gebracht.