Pierre Littbarski: Heimweh nach Japan

Mit 30 wurde er Weltmeister, später wurde er Weltenbummler. Pierre Littbarski ist in Köln eine Legende, in Japan ein Superstar und in Wolfsburg Chefscout. Seit sechs Jahren lebt er inzwischen in Niedersachsen, er fühlt sich wohl dort und lud zum "Heimspiel" in sein Lieblingscafé. Doch Heimat – das ist für den 56-Jährigen mittlerweile das Land der aufgehenden Sonne.

Eigentlich müsste dieses Gespräch am anderen Ende der Welt stattfinden, im Hakkeijima Sea Paradise am Strand in der Nähe von Yokohama. "Vor allem morgens", schwärmt Pierre Littbarski, "wenn da außer vielleicht ein paar Anglern keiner ist, dann ist das der schönste Ort, den es gibt. Dort schalte ich wirklich ab." Aber weil das ein bisschen weit ist, sitzen wir in Wolfsburg, mitten in der Stadt und irgendwie doch auf dem Land. Denn zwischen Amtsgericht und Studentenwohnheim blieb ein kleiner Teil der Ortschaft Heßlingen erhalten, die einst aufgesaugt wurde von der rund um das VW-Werk wuchernden Stadt. Eine fast 800 Jahre alte Kirche gibt es hier, das kleinste Hotel Deutschlands mit nur einem Zimmer, eine Kleinkunstbühne und in einem umgebauten Bauernhof das "Atelier Café", in dem Littbarski einen Milchkaffee bestellt. Wir reden über Heimat, und das ist bei vielen Menschen ja ein kompliziertes Thema. Bei Littbarski erst recht. Was fällt ihm dazu als Erstes ein? "Japan, auch wenn das komisch klingt", sagt er.

Also fangen wir mit Japan an. 1993 war's, Littbarski spielte beim 1. FC Köln und spürte das Alter. "Ich war 33, ich kam nicht mehr so leicht an meinen Gegenspielern vorbei." Ex-Mitspieler Yasuhiko Okudera ging mit ihm essen, ausgerechnet zum Chinesen. "Er sagte, ich würde Japan lieben." Litti ließ sich überreden und stieg in den Flieger. Im Gepäck: die Erfahrung von 406 Bundesligaspielen und drei Weltmeisterschaften, die Reputation eines Weltmeisters, Butter, Wurst und Schokolade. "Wenn man Japan kennt, war das mit den Lebensmitteln lächerlich. Aber ich wusste nichts über dieses Land", sagt er.

In Japan wie ein Popstar

Doch das Land wusste sehr viel über ihn, nahm den kleinen Dribbler nicht nur auf, sondern behandelte ihn wie einen Popstar. "Okudera hat mal zu mir gesagt, dass mir die Menschen dort auf Augenhöhe begegnen werden", erzählt Littbarski. Das klingt wie ein maximal mittelguter Scherz über einen 1,68 Meter großen Fußballer. "Aber das hatte er gar nicht so gemeint, nicht abwertend. Er wusste einfach, dass mir die Leute dort mit einer besonderen Art von Respekt begegnen werden." Respekt, der in Littbarskis Augen besser zu ihm passte als sein Image in Deutschland. "Ich hatte immer das Pech, dass ich durch meine individuelle Spielweise und mein positives Denken als Clown abgestempelt wurde. Daran hatte ich lange Zeit zu knabbern."

Littbarski zahlte Anerkennung und Respekt mit Leistung zurück, wurde bei JEF United Chiba und Brummell Sendai einer der ersten großen Stars der neuen J-League. Er lernte seine Frau Hitochi kennen, die beiden sind mittlerweile 22 Jahre verheiratet. Niemand in Japan würde Littbarski als Clown abstempeln. "Ich war plötzlich wieder glücklich", erinnert er sich an die ersten Wochen in Japan. "Ich habe auf dem Spielfeld Sachen gemacht, die ich mich in der Bundesliga nicht mehr getraut hatte. Ich konnte meinen Mitspielern helfen, besser zu werden. Sie haben mich nicht verstanden, aber sie haben alles aufgesaugt, was ich ihnen gezeigt habe."

Und dann kommt der Satz, der wohl am besten erklärt, warum der Junge aus Berlin, der in Köln zum Star wurde und seit sechs Jahren in Wolfsburg lebt, die größten Heimatgefühle bei einem Sonnaufgang in der Bucht von Tokio empfindet: "Japan hat mir erlaubt, etwas zu sein, was ich in Köln nicht mehr sein konnte. Das hat meine Bindung zu diesem Land geprägt."



Mit 30 wurde er Weltmeister, später wurde er Weltenbummler. Pierre Littbarski ist in Köln eine Legende, in Japan ein Superstar und in Wolfsburg Chefscout. Seit sechs Jahren lebt er inzwischen in Niedersachsen, er fühlt sich wohl dort und lud zum "Heimspiel" in sein Lieblingscafé. Doch Heimat – das ist für den 56-Jährigen mittlerweile das Land der aufgehenden Sonne.

Eigentlich müsste dieses Gespräch am anderen Ende der Welt stattfinden, im Hakkeijima Sea Paradise am Strand in der Nähe von Yokohama. "Vor allem morgens", schwärmt Pierre Littbarski, "wenn da außer vielleicht ein paar Anglern keiner ist, dann ist das der schönste Ort, den es gibt. Dort schalte ich wirklich ab." Aber weil das ein bisschen weit ist, sitzen wir in Wolfsburg, mitten in der Stadt und irgendwie doch auf dem Land. Denn zwischen Amtsgericht und Studentenwohnheim blieb ein kleiner Teil der Ortschaft Heßlingen erhalten, die einst aufgesaugt wurde von der rund um das VW-Werk wuchernden Stadt. Eine fast 800 Jahre alte Kirche gibt es hier, das kleinste Hotel Deutschlands mit nur einem Zimmer, eine Kleinkunstbühne und in einem umgebauten Bauernhof das "Atelier Café", in dem Littbarski einen Milchkaffee bestellt. Wir reden über Heimat, und das ist bei vielen Menschen ja ein kompliziertes Thema. Bei Littbarski erst recht. Was fällt ihm dazu als Erstes ein? "Japan, auch wenn das komisch klingt", sagt er.

Also fangen wir mit Japan an. 1993 war's, Littbarski spielte beim 1. FC Köln und spürte das Alter. "Ich war 33, ich kam nicht mehr so leicht an meinen Gegenspielern vorbei." Ex-Mitspieler Yasuhiko Okudera ging mit ihm essen, ausgerechnet zum Chinesen. "Er sagte, ich würde Japan lieben." Litti ließ sich überreden und stieg in den Flieger. Im Gepäck: die Erfahrung von 406 Bundesligaspielen und drei Weltmeisterschaften, die Reputation eines Weltmeisters, Butter, Wurst und Schokolade. "Wenn man Japan kennt, war das mit den Lebensmitteln lächerlich. Aber ich wusste nichts über dieses Land", sagt er.

In Japan wie ein Popstar

Doch das Land wusste sehr viel über ihn, nahm den kleinen Dribbler nicht nur auf, sondern behandelte ihn wie einen Popstar. "Okudera hat mal zu mir gesagt, dass mir die Menschen dort auf Augenhöhe begegnen werden", erzählt Littbarski. Das klingt wie ein maximal mittelguter Scherz über einen 1,68 Meter großen Fußballer. "Aber das hatte er gar nicht so gemeint, nicht abwertend. Er wusste einfach, dass mir die Leute dort mit einer besonderen Art von Respekt begegnen werden." Respekt, der in Littbarskis Augen besser zu ihm passte als sein Image in Deutschland. "Ich hatte immer das Pech, dass ich durch meine individuelle Spielweise und mein positives Denken als Clown abgestempelt wurde. Daran hatte ich lange Zeit zu knabbern."

Littbarski zahlte Anerkennung und Respekt mit Leistung zurück, wurde bei JEF United Chiba und Brummell Sendai einer der ersten großen Stars der neuen J-League. Er lernte seine Frau Hitochi kennen, die beiden sind mittlerweile 22 Jahre verheiratet. Niemand in Japan würde Littbarski als Clown abstempeln. "Ich war plötzlich wieder glücklich", erinnert er sich an die ersten Wochen in Japan. "Ich habe auf dem Spielfeld Sachen gemacht, die ich mich in der Bundesliga nicht mehr getraut hatte. Ich konnte meinen Mitspielern helfen, besser zu werden. Sie haben mich nicht verstanden, aber sie haben alles aufgesaugt, was ich ihnen gezeigt habe."

Und dann kommt der Satz, der wohl am besten erklärt, warum der Junge aus Berlin, der in Köln zum Star wurde und seit sechs Jahren in Wolfsburg lebt, die größten Heimatgefühle bei einem Sonnaufgang in der Bucht von Tokio empfindet: "Japan hat mir erlaubt, etwas zu sein, was ich in Köln nicht mehr sein konnte. Das hat meine Bindung zu diesem Land geprägt."

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Zurück nach Deutschland

So blieb er nach dem Karriereende da, wurde Trainer in Yokohama und wäre womöglich nie weggegangen, hätte nicht eines Nachts das Telefon geklingelt. "Reiner Calmund war dran und hat mich eineinhalb Stunden lang bequatscht", erzählt Littbarski, "zwischendurch hat er noch den Hörer an Berti Vogts weiter gegeben." Am Ende hatten sie ihn soweit: Littbarski wurde Vogts‘ Co-Trainer in Leverkusen. Die Sache hielt nicht lange, Littbarskis Trainer-Odyssee begann: Zwischenspiel beim MSV Duisburg, Rückkehr nach Yokohama, Erfolge bei Sydney FC in Australien, dann wieder nach Japan, zu Avispa Fukuoka. "Traumhafte Stadt, tolles Trainingsgelände", erinnert sich Littbarski. "Aber da habe ich zu viel falsch gemacht, habe die japanische Mentalität doch noch unterschätzt, war zu direkt, wollte zu viel zu schnell erreichen. In Japan fällt man nicht mit der Tür ins Haus."

Dableiben können hätte er ja trotzdem. Littbarski nippt am Milchkaffee, verzieht den Mund etwas: "Ich mag keine Pausen. Ich wollte immer arbeiten, nicht zwei oder drei Monate zu Hause sitzen. Das liegt mir einfach nicht." Also nahm er die nächsten Angebote an, Saipa Teheran im Iran und FC Vaduz in Liechtenstein. Bis 2010 Dieter Hoeneß, damals Manager in Wolfsburg, die Idee hatte, Litti als Co-Trainer zu holen. An der Seite des Deutsch-unkundigen Steve McClaren sollte er Assistent, Dolmetscher und Bundesliga-Erklärer gleichzeitig sein. McClaren scheiterte, Littbarski wurde kurzfristig Chef, ehe Meistermacher Felix Magath zurückkam. "Magath kam zu mir und sagte: 'Dir macht das doch hier als Co-Trainer keinen Spaß, oder?' Da habe ich gemeint: 'Um ehrlich zu sein, Felix: Ich habe von vielen Dingen eine andere Auffassung als du.' Und er sagte: 'Bau' doch hier im Scouting etwas auf.'"

Und das macht der Mann, bei dem die typisch Westberliner Stimmfarbe immer noch durchkommt, seitdem. Sechs Jahre ist er jetzt beim VfL, so lange war er seit seinem Abschied aus Köln noch nirgendwo an einem Ort. Ist Wolfsburg seine Heimat geworden?

Heimat Berlin

Littbarski grübelt. Er wohnt eigentlich sehr hübsch, kommt mit den Menschen gut klar, die ihn meistens in Ruhe lassen. Auch als sich das "Atelier Café" zur Mittagspausenzeit füllt, fragt niemand nach einem Foto oder einem Autogramm. Es wäre alles gut und schön, aber der Vermieter hat gerade Eigenbedarf angemeldet, und die bevorstehende Suche nach einem neuen Zuhause für sich, seine Frau und die beiden Söhne steht einer unbefangenen Plauderei über Heimatgefühle dann doch gerade etwas im Weg. "Aber seit ich in Wolfsburg lebe, ist mir Berlin wieder näher", erzählt er. Und das nicht nur, weil es von hier nur 200 Kilometer bis zum Tiergarten sind, sondern weil er als Scout viel unterwegs ist und "jeder Flug über Berlin geht".

Womit wir bei seiner eigentlichen Heimat wären: Berlin. Er kommt aus Schöneberg, aber der Fußballer Littbarski ist nebenan entstanden, in Wilmersdorf. Pierre Michael, wie er vollständig heißt, war Scheidungskind, verbrachte dort viel Zeit bei seiner Oma. Direkt gegenüber von ihrem Haus war ein umzäunter Bolzplatz. "Ich weiß nicht, ob ich ohne diesen Bolzplatz zum Fußball gekommen wäre", sagt er heute. Und womöglich auch nicht ohne Regina, ein Mädchen aus der Nachbarschaft. "Ich war acht oder neun, sie war vier Jahre älter. Wenn kein anderer da war, sind wir zu zweit auf den Bolzplatz und haben die Bälle weit von Tor zu Tor geschossen. Ich habe immer verloren, drei Jahre lang." Ein Umstand, der zwei Dinge ausbildete: seine Schusstechnik und seinen Ehrgeiz.

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Littbarskis erste Schritte im Fußball

In Berlin schoss und fuddelte sich Littbarski von der D-Jugend des VfL Schöneberg zu Hertha Zehlendorf. Ein normaler Karriereschritt in Berlin, Zehlendorf war damals eine große Nummer im Jugendfußball. "Da konnte man um die deutsche Jugendmeisterschaft mitspielen, das war was. Und es gab Fußballschuhe und eine Sporttasche." Und es kamen regelmäßig Talentsichter der Bundesliga-Klubs vorbei. Was wäre dem Scout Littbarski am Jugendspieler Littbarski aufgefallen? "Ein Jugendspieler braucht zwei hervorstechende Merkmale, damit er auf meinem Telefon landet", sagt der Chefscout des VfL Wolfsburg. Auf diesem Telefon, einem Smartphone, speichert er alle Scouting-Ergebnisse ab, die wichtig sind. "Ich glaube, ich wäre auf meinem Telefon gelandet – unter 'kann gut dribbeln', unter 'hat gute Standards' und unter 'torgefährlich'. Und das wären ja schon drei Eigenschaften ..." Allesamt ausgebildet zwischen Schöneberger Sport- und Wilmersdorfer Bolzplatz. Seiner Frau hat er mal die Stationen seiner Kindheit zeigen wollen. "Die alte Currywurstbude war noch da, der Bolzplatz leider nicht mehr." Und Heimatgefühle? "Meine Kindheitserinnerungen sind gar nicht mehr so präsent", sagt er, "und meine fußballerische Heimat ist sowieso Köln."

Köln. Der FC. "Heimatgefühl entwickelt sich über die Menschen", sagt Littbarski, der Köln kurz für den Racing Club Paris verlassen hatte. "Dort spielte ich mit Luis Fernandez zusammen, der hat morgens sein Croissant in den Kaffee getunkt, dann brauchte er bis zum Nachmittag nichts mehr zu essen. Ich dagegen war sehr deutsch: Frühstück um sieben, Mittagessen, Abendbrot. So brauchte ich das." Also kehrte er zurück. Eine besondere Art von Vereinstreue, die sich heute noch bemerkbar macht. "Wenn ich mal da bin, spüre ich immer noch viel Zuneigung." Zuneigung, die sich aus "Sympathie, Auftreten, Leistung und Hingabe" speist, sagt der einstige FC-Star, der 14 Spielzeiten lang mit dem Geißbock auf der Brust durch die Liga dribbelte und in der Domstadt zum Nationalspieler wurde.

Sportliche Heimat am Rhein

Freundschaften haben sich entwickelt in dieser Zeit. Zu Toni Schumacher, Thomas Häßler, Olaf Janßen oder Stephan Engels, mit dem er gerade wieder beruflich zu tun hatte – denn Engels betreut als Berater Yannick Gerhardt, der im Sommer von Köln nach Wolfsburg wechselte. "Ich bin selten in Köln", sagt Littbarski, "aber ich freue mich immer, wenn ich die Jungs von damals sehe."

In Yokohama ist der Weltmeister von 1990 mittlerweile häufiger. "Jeden Winter, jeden Sommer", erzählt er, während wir für die Fotos vor das kleine Café in die Spätherbstsonne treten. Es ist bemerkenswert ruhig an diesem Fleckchen mitten in Wolfsburgs Innenstadt. Ruhe, die Littbarski zu schätzen gelernt hat. "Das ist vielleicht altersbedingt, ich bin ja auch schon 56", sagt er grinsend und stellt sich freundlich und geduldig für den Fotografen in die gewünschte Position. "Vielleicht ist das mit der Ruhe aber auch berufsbedingt, ich bin ja andauernd unterwegs, sehe 200 Spiele im Jahr." Und das überall auf der Welt, an deren anderem Ende er sich mehr zu Hause fühlt als irgendwo sonst. "In Japan gehe ich mit kurzer Hose und Schlappen in den Supermarkt, hänge anschließend bei mir auf der Veranda Wäsche auf – und keinen interessiert‘s. Das ist Heimat."

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