Paul Janes: Fast 30 Jahre deutscher Rekordspieler

Die erste Fußballmannschaft, in der Paul Janes spielte, war seine Familie. Sieben Geschwister hatte der Mann, der heute vor 100 Jahren auf die Welt kam und fast 30 Jahre lang als deutscher Rekord-Nationalspieler firmierte. Fußballschuhe hatten sie natürlich nicht damals, im Leverkuser Stadtteil Küppersteg. So spielten die sieben Jungs und zuweilen auch die Schwester eben mit Holzpantinen auf der Straße. Wie das eben so war vor dem Krieg. Der Begeisterung tat es keinen Abbruch und als sich herausstellte, dass es der Paul in diesem Sport womöglich zu etwas bringen könnte, bekam er sie an Weihnachten doch noch, seine richtigen Fußballschuhe.

Mit elf war er in einen Verein eingetreten, den vor der Haustür: Jahn Küppersteg. Dort war er auch noch als 18-Jahriger, und vielleicht wäre er dort auch alt und grau geworden, hätte es nicht eines Tages anno 1930 ein Spiel zweier Betriebsmannschaften der Firma Henkell gegeben. Monheim gegen Düsseldorf. Der Maurer Paul Janes verstärkte die Monheimer und traf da als Gastspieler auf den Mann, der vier Jahre später das erste deutsche WM-Tor aller Zeiten schießen sollte und schon einen Ruf hatte: Stanislas "Tau" Kobierski. Janes schlug sich wacker und wurde von den richtigen Leuten beobachtet. Noch im selben Jahr kickten die Gegner jenes im Grunde belanglosen Betriebssportskicks gemeinsam in der Mannschaft von Fortuna Düsseldorf, die an der Schwelle einer erfolgreichen Ära stand.

Gewinn der Viktoria mit der Fortuna

Mit 18 debütierte der kopfballstarke Verteidiger in der ersten Mannschaft, mit 19 erhielt er eine erste Einladung zur Nationalmannschaft, mit 20 debütierte er in ihr – beim 1:2 im Oktober 1932 in Budapest attestierte ihm der "Kicker", "dass sich Janes als durchaus gut ausgebildeter und verständiger Flügelläufer erwies" – und mit 21 wurde er Deutscher Meister. 1933 schlug die Fortuna Schalke 04 mit 3:0 und gewann zum einzigen Mal die Viktoria.

So etwas nennt man eine Blitzkarriere. Paul Janes war nicht der Mann, der dazu neigte abzuheben. Generationen von Reportern sind daran gescheitert, ihm große Töne zu entlocken. Er galt als "der große Schweiger". Als er von der WM 1934, immerhin als respektabler Dritter, aus Italien zurückkam, wurde er gefragt wie es denn gewesen sei. "Warm", soll er geantwortet haben.

Der Krieg verhinderte weitere Länderspiele

Dieser Mann blieb am Boden und deshalb kam er so hoch in der Karriereleiter. Bis November 1942, als der Krieg keine Länderspiele mehr zuließ, kam er auf 71 Einsätze in der Nationalmannschaft. Seit 7. Dezember 1941 war er Rekord-Nationalspieler, als er den Augsburger Ernst Lehner ablöste. Erst 1970 wurde er seinen Rekord los, als Uwe Seeler ihn in seinem Abschiedsspiel überholte. Wäre der Krieg nicht gewesen, hätte auch "Uns Uwe" das kaum geschafft, Janes hätte wohl als erster Deutscher die 100er-Marke geknackt.

Was zeichnete ihn aus? Sepp Herberger, der ihn 1938 mit zur WM nach Frankreich nahm, sagte viele Jahre nach Janes’ Karriereende: "Nie hatten wir in der Nationalmannschaft einen Spieler mit solch einem wuchtigen und präzisen Schuss". Alle seine sieben Länderspieltore entsprangen sogenannten Standards: vier Freistöße, drei Elfmeter. Er galt als "Weltmeister der Präzision", ein Herberger-Zitat "Der kann die Fliege vom Torpfosten schießen" gab die Vorlage für den Titel der gerade erschienenen Biographie über Janes ("Paul Janes und die Fliege am Torpfosten" von Michael Bolten). Das mit der Fliege hat er zwar nie versucht, aber dokumentiert ist eine gewonnene Wette gegen Duisburgs Torwart Fritz Buchloh, dem Janes 1933 die Mütze vom Kopf schoss. Sein Geheimnis klingt nach Gerd Müller: "Nicht lange überlegen, einfach mit dem Spann draufhalten! Die Lücke in der Mauer muss man natürlich sehen."

Fallrückzieher als Stilmittel des Abwehrspielers

Eine Extravaganz gönnte sich der ansonsten so sachliche Kicker auf dem Platz aber doch: Gerüchten zu Folge soll Janes der erste deutsche Fußballer gewesen sein, der den damals vorwiegend in Südamerika üblichen Fallrückzieher versucht hat. Nicht wie Klaus Fischer als Torschuss sondern, ganz Verteidiger, als kunstvolle Form der Rettung in höchster Abwehrnot.

Unbestritten ist seine Teilnahme an der ruhmreichen Breslau-Elf, die 1937 gegen Dänemark 8:0 gewann und die folgenden zehn Partien ebenfalls siegreich blieb. Es war die beste deutsche Mannschaft vor dem Krieg und jedes Kind kannte die Formation. Jakob, Janes, Münzenberg, Kupfer, Goldbrunner, Kitzinger, Lehner, Gellesch, Siffling, Szepan, Urban.

1950 noch auf dem Zettel des "Chefs"

Die Expansionspolitik der Nazis, die 1938 Österreich ins deutsche Reich einverleibten, zerstörte diese große Elf, die ansonsten womöglich Weltmeister 1938 geworden wäre. So stellte die Politik die Mannschaft auf, Österreicher mussten mitwirken und aus der Symbiose zweier großer Mannschaften resultierte ein großes Desaster. Janes aber blieb bis zuletzt einer von Herbergers Männern, und sogar noch vor dem ersten Spiel nach dem Krieg im Herbst 1950 hatte "der Chef" Janes auf dem Zettel, doch verletzte sich der 38-Jährige kurz zuvor. So blieb es bei 71 Länderspielen. Mit Herberger war er bis zu dessen Tod herzlich verbunden. Als Janes ihn zu seinem 65. Geburtstag einlud, musste der aus gesundheitlichen Gründen absagen, schickte ihm aber 100 Mark – etwa so wie es ein Onkel für seinen Neffen tat.

Paul Janes hat Fortuna Düsseldorf nie verlassen, auch wenn er während des Krieges, er war Marinesoldat, Gastspieler für Wilhelmshaven 05 und den HSV gewesen ist. Doch er blieb immer Fortune, später wirkte er nach etlichen anderen Stationen im rheinischen Umkreis am Flinger Broich sogar als Trainer. Dieser Lebensabschnitt endete 1954, als er mit seiner Frau eine Gaststätte in Küppersteg eröffnete. 1972 ernannte ihn die Fortuna an seinem 60. Geburtstag zum Ehrenmitglied. Die nächste, noch größere Ehre erfuhr er posthum: Drei Jahre nach seinem Tod durch Herzinfarkt in der Straßenbahn (12. Juni 1987) benannte die Fortuna ihr Stadion am Flinger Broich, in dem heute noch Jugend- und Amateurspiele stattfinden, nach ihrem größten Spieler. Es gehört zwar mittlerweile der Stadt, aber auch die kam nicht auf die Idee, es umzubenennen. Warum auch, Paul Janes ist schließlich einer der berühmtesten Söhne Düsseldorfs. Obwohl er dort gar nicht geboren wurde.

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Die erste Fußballmannschaft, in der Paul Janes spielte, war seine Familie. Sieben Geschwister hatte der Mann, der heute vor 100 Jahren auf die Welt kam und fast 30 Jahre lang als deutscher Rekord-Nationalspieler firmierte. Fußballschuhe hatten sie natürlich nicht damals, im Leverkuser Stadtteil Küppersteg. So spielten die sieben Jungs und zuweilen auch die Schwester eben mit Holzpantinen auf der Straße. Wie das eben so war vor dem Krieg. Der Begeisterung tat es keinen Abbruch und als sich herausstellte, dass es der Paul in diesem Sport womöglich zu etwas bringen könnte, bekam er sie an Weihnachten doch noch, seine richtigen Fußballschuhe.

Mit elf war er in einen Verein eingetreten, den vor der Haustür: Jahn Küppersteg. Dort war er auch noch als 18-Jahriger, und vielleicht wäre er dort auch alt und grau geworden, hätte es nicht eines Tages anno 1930 ein Spiel zweier Betriebsmannschaften der Firma Henkell gegeben. Monheim gegen Düsseldorf. Der Maurer Paul Janes verstärkte die Monheimer und traf da als Gastspieler auf den Mann, der vier Jahre später das erste deutsche WM-Tor aller Zeiten schießen sollte und schon einen Ruf hatte: Stanislas "Tau" Kobierski. Janes schlug sich wacker und wurde von den richtigen Leuten beobachtet. Noch im selben Jahr kickten die Gegner jenes im Grunde belanglosen Betriebssportskicks gemeinsam in der Mannschaft von Fortuna Düsseldorf, die an der Schwelle einer erfolgreichen Ära stand.

Gewinn der Viktoria mit der Fortuna

Mit 18 debütierte der kopfballstarke Verteidiger in der ersten Mannschaft, mit 19 erhielt er eine erste Einladung zur Nationalmannschaft, mit 20 debütierte er in ihr – beim 1:2 im Oktober 1932 in Budapest attestierte ihm der "Kicker", "dass sich Janes als durchaus gut ausgebildeter und verständiger Flügelläufer erwies" – und mit 21 wurde er Deutscher Meister. 1933 schlug die Fortuna Schalke 04 mit 3:0 und gewann zum einzigen Mal die Viktoria.

So etwas nennt man eine Blitzkarriere. Paul Janes war nicht der Mann, der dazu neigte abzuheben. Generationen von Reportern sind daran gescheitert, ihm große Töne zu entlocken. Er galt als "der große Schweiger". Als er von der WM 1934, immerhin als respektabler Dritter, aus Italien zurückkam, wurde er gefragt wie es denn gewesen sei. "Warm", soll er geantwortet haben.

Der Krieg verhinderte weitere Länderspiele

Dieser Mann blieb am Boden und deshalb kam er so hoch in der Karriereleiter. Bis November 1942, als der Krieg keine Länderspiele mehr zuließ, kam er auf 71 Einsätze in der Nationalmannschaft. Seit 7. Dezember 1941 war er Rekord-Nationalspieler, als er den Augsburger Ernst Lehner ablöste. Erst 1970 wurde er seinen Rekord los, als Uwe Seeler ihn in seinem Abschiedsspiel überholte. Wäre der Krieg nicht gewesen, hätte auch "Uns Uwe" das kaum geschafft, Janes hätte wohl als erster Deutscher die 100er-Marke geknackt.

Was zeichnete ihn aus? Sepp Herberger, der ihn 1938 mit zur WM nach Frankreich nahm, sagte viele Jahre nach Janes’ Karriereende: "Nie hatten wir in der Nationalmannschaft einen Spieler mit solch einem wuchtigen und präzisen Schuss". Alle seine sieben Länderspieltore entsprangen sogenannten Standards: vier Freistöße, drei Elfmeter. Er galt als "Weltmeister der Präzision", ein Herberger-Zitat "Der kann die Fliege vom Torpfosten schießen" gab die Vorlage für den Titel der gerade erschienenen Biographie über Janes ("Paul Janes und die Fliege am Torpfosten" von Michael Bolten). Das mit der Fliege hat er zwar nie versucht, aber dokumentiert ist eine gewonnene Wette gegen Duisburgs Torwart Fritz Buchloh, dem Janes 1933 die Mütze vom Kopf schoss. Sein Geheimnis klingt nach Gerd Müller: "Nicht lange überlegen, einfach mit dem Spann draufhalten! Die Lücke in der Mauer muss man natürlich sehen."

Fallrückzieher als Stilmittel des Abwehrspielers

Eine Extravaganz gönnte sich der ansonsten so sachliche Kicker auf dem Platz aber doch: Gerüchten zu Folge soll Janes der erste deutsche Fußballer gewesen sein, der den damals vorwiegend in Südamerika üblichen Fallrückzieher versucht hat. Nicht wie Klaus Fischer als Torschuss sondern, ganz Verteidiger, als kunstvolle Form der Rettung in höchster Abwehrnot.

Unbestritten ist seine Teilnahme an der ruhmreichen Breslau-Elf, die 1937 gegen Dänemark 8:0 gewann und die folgenden zehn Partien ebenfalls siegreich blieb. Es war die beste deutsche Mannschaft vor dem Krieg und jedes Kind kannte die Formation. Jakob, Janes, Münzenberg, Kupfer, Goldbrunner, Kitzinger, Lehner, Gellesch, Siffling, Szepan, Urban.

1950 noch auf dem Zettel des "Chefs"

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Die Expansionspolitik der Nazis, die 1938 Österreich ins deutsche Reich einverleibten, zerstörte diese große Elf, die ansonsten womöglich Weltmeister 1938 geworden wäre. So stellte die Politik die Mannschaft auf, Österreicher mussten mitwirken und aus der Symbiose zweier großer Mannschaften resultierte ein großes Desaster. Janes aber blieb bis zuletzt einer von Herbergers Männern, und sogar noch vor dem ersten Spiel nach dem Krieg im Herbst 1950 hatte "der Chef" Janes auf dem Zettel, doch verletzte sich der 38-Jährige kurz zuvor. So blieb es bei 71 Länderspielen. Mit Herberger war er bis zu dessen Tod herzlich verbunden. Als Janes ihn zu seinem 65. Geburtstag einlud, musste der aus gesundheitlichen Gründen absagen, schickte ihm aber 100 Mark – etwa so wie es ein Onkel für seinen Neffen tat.

Paul Janes hat Fortuna Düsseldorf nie verlassen, auch wenn er während des Krieges, er war Marinesoldat, Gastspieler für Wilhelmshaven 05 und den HSV gewesen ist. Doch er blieb immer Fortune, später wirkte er nach etlichen anderen Stationen im rheinischen Umkreis am Flinger Broich sogar als Trainer. Dieser Lebensabschnitt endete 1954, als er mit seiner Frau eine Gaststätte in Küppersteg eröffnete. 1972 ernannte ihn die Fortuna an seinem 60. Geburtstag zum Ehrenmitglied. Die nächste, noch größere Ehre erfuhr er posthum: Drei Jahre nach seinem Tod durch Herzinfarkt in der Straßenbahn (12. Juni 1987) benannte die Fortuna ihr Stadion am Flinger Broich, in dem heute noch Jugend- und Amateurspiele stattfinden, nach ihrem größten Spieler. Es gehört zwar mittlerweile der Stadt, aber auch die kam nicht auf die Idee, es umzubenennen. Warum auch, Paul Janes ist schließlich einer der berühmtesten Söhne Düsseldorfs. Obwohl er dort gar nicht geboren wurde.