Olli Dittrich zu Seelers 80.: "Mein Uwe"

Grimme-Preisträger Olli Dittrich wollte früher Uwe Seeler sein, heute freut er sich über jedes Wiedersehen mit seinem Idol. Und schreibt anlässlich des 80. Geburtstages des DFB-Ehrenspielführers heute für DFB.de über einen Weltklassefußballer, der als Mensch genau das gleiche Format hat.

Unsere Begegnungen sind selten, aber immer ein großes Vergnügen. Von Heiterkeit, Klartext, Warmherzigkeit und Respekt geprägt. Und dabei geht es keineswegs immer um Fußball. Uwe hat das Herz am rechten Fleck, den Schalk im Nacken, die Wahrheit auf der Zunge. Das bewundere ich sehr. Selbst zu seiner aktiven Zeit, als Weltklasse-Stürmer und wirklich großer Star, hatte er stets Bodenhaftung - außer bei Kopfbällen vielleicht.

Bei all dem Rummel um seine Person haben ihn ganz sicher sein Fleiß, seine Disziplin, seine Loyalität und hanseatische Tugenden wie Anstand und Höflichkeit vor dem Abheben bewahrt. "Uns Uwe" wurde er deshalb genannt, denn er war einer von uns. Und mein ganz persönlicher Held.

Beim Bolzen: "Ich war natürlich immer Uwe Seeler"

Rückblende. Ich bin in Hamburg-Langenhorn groß geworden. Wenn ich von der Schule nach Hause kam, wurde der Ranzen in die Ecke gepfeffert, die kurze blaue Hose aus dem Turnbeutel herausgeholt, das Jersey (damals sagte man noch nicht Trikot) übergestreift und die Adidas-Uwe-Fußballstiefel angezogen. Dann ging es im Spurt auf den Sportplatz "Höpen", gleich um die Ecke, zwischen Willerstwiete und Ohlmoorgraben, um mit den anderen Jungs aus der Nachbarschaft Fußball zu spielen.

Doch bevor die Kickerei losging, stand ein bedeutendes Ritual an: die Mannschaftswahl. Die beiden vermeintlich besten Spieler durften nie zusammen in einer Mannschaft spielen, es sollte ja ausgewogen und fair zugehen. Deshalb standen sie sich etwa fünf Meter voneinander entfernt gegenüber, gingen langsam, einen Fuß vor den anderen setzend, aufeinander zu. Jeder Tritt wurde abwechselnd mit "Piss-Pott-Piss-Pott-Piss-Pott" kommentiert, bis sich am Ende beide fast Nase an Nase gegenüberstanden. Und der, der dann mit seinem letzten Tritt auf dem Fuß des anderen landete, hatte das Vorrecht, aus der wartenden Truppe den ersten Spieler zu wählen.

Nun war es damals üblich, während dieses Prozederes, spätestens aber sobald man ausgewählt war, anzusagen, "wer" man später sei, auf dem Platz. Man rief: "Ich bin Sigi Held", oder: "Ich bin Helmut Haller" - und war fortan im Spiel eben "Sigi" oder "Helmut", niemals man selbst. Allerdings: Zwei Sigis oder Helmuts waren nicht zulässig. Wer also nicht auf Zack war, musste später unter Umständen "Kein-seier" sein, das gab’s tatsächlich. Ich war natürlich immer Uwe Seeler.



Grimme-Preisträger Olli Dittrich wollte früher Uwe Seeler sein, heute freut er sich über jedes Wiedersehen mit seinem Idol. Und schreibt anlässlich des 80. Geburtstages des DFB-Ehrenspielführers heute für DFB.de über einen Weltklassefußballer, der als Mensch genau das gleiche Format hat.

Unsere Begegnungen sind selten, aber immer ein großes Vergnügen. Von Heiterkeit, Klartext, Warmherzigkeit und Respekt geprägt. Und dabei geht es keineswegs immer um Fußball. Uwe hat das Herz am rechten Fleck, den Schalk im Nacken, die Wahrheit auf der Zunge. Das bewundere ich sehr. Selbst zu seiner aktiven Zeit, als Weltklasse-Stürmer und wirklich großer Star, hatte er stets Bodenhaftung - außer bei Kopfbällen vielleicht.

Bei all dem Rummel um seine Person haben ihn ganz sicher sein Fleiß, seine Disziplin, seine Loyalität und hanseatische Tugenden wie Anstand und Höflichkeit vor dem Abheben bewahrt. "Uns Uwe" wurde er deshalb genannt, denn er war einer von uns. Und mein ganz persönlicher Held.

Beim Bolzen: "Ich war natürlich immer Uwe Seeler"

Rückblende. Ich bin in Hamburg-Langenhorn groß geworden. Wenn ich von der Schule nach Hause kam, wurde der Ranzen in die Ecke gepfeffert, die kurze blaue Hose aus dem Turnbeutel herausgeholt, das Jersey (damals sagte man noch nicht Trikot) übergestreift und die Adidas-Uwe-Fußballstiefel angezogen. Dann ging es im Spurt auf den Sportplatz "Höpen", gleich um die Ecke, zwischen Willerstwiete und Ohlmoorgraben, um mit den anderen Jungs aus der Nachbarschaft Fußball zu spielen.

Doch bevor die Kickerei losging, stand ein bedeutendes Ritual an: die Mannschaftswahl. Die beiden vermeintlich besten Spieler durften nie zusammen in einer Mannschaft spielen, es sollte ja ausgewogen und fair zugehen. Deshalb standen sie sich etwa fünf Meter voneinander entfernt gegenüber, gingen langsam, einen Fuß vor den anderen setzend, aufeinander zu. Jeder Tritt wurde abwechselnd mit "Piss-Pott-Piss-Pott-Piss-Pott" kommentiert, bis sich am Ende beide fast Nase an Nase gegenüberstanden. Und der, der dann mit seinem letzten Tritt auf dem Fuß des anderen landete, hatte das Vorrecht, aus der wartenden Truppe den ersten Spieler zu wählen.

Nun war es damals üblich, während dieses Prozederes, spätestens aber sobald man ausgewählt war, anzusagen, "wer" man später sei, auf dem Platz. Man rief: "Ich bin Sigi Held", oder: "Ich bin Helmut Haller" - und war fortan im Spiel eben "Sigi" oder "Helmut", niemals man selbst. Allerdings: Zwei Sigis oder Helmuts waren nicht zulässig. Wer also nicht auf Zack war, musste später unter Umständen "Kein-seier" sein, das gab’s tatsächlich. Ich war natürlich immer Uwe Seeler.

###more###

So lässig wie Uwe?

Und um mir Uwes Namen frühzeitig zu sichern, half ein einfacher Trick: Ich besaß als einziger seit dem Weihnachtsfest 1969 einen echten Flutlichtlederball, genäht aus schwarz-weißen Fünfecken. Schon beim Betreten des Platzes zimmerte ich per Dropkick die Kugel Richtung Meute und imitierte dabei lautstark die Stimme von Kurt Emmerich, der Reporter-Legende der NDR-Bundesliga-Konferenz: "Uwe Seeler hat den Ball... Uwe Seeler schießt... und Tooor für den HSV!" Somit war ICH Uwe Seeler. Klarer Fall, pfiffige Sache.

Sich dann auf dem Langenhorner Bolzplatz zu fühlen wie die berühmte Nummer 9 des HSV, das machte mich dribbelstark und war tatsächlich immer für ein paar Tore mehr gut. Uwe gab mir die Kraft dazu, Tatsache.

In meine Schulhefte malte ich die HSV-Raute und schrieb darüber im "Superman"-Schattenschriftzug "Uwe! Uwe!", den Schlachtruf der HSV-Fans aus dem Volksparkstadion. HSV-Stutzen, meine rotkarierte Schlafanzugjacke mit der selbst aufgenähten, großen weißen "9" auf dem Rücken und die Adidas-Uwe-Buffer - zum Leidwesen meiner Mutter verdreckt mit Resten von Grasnarben und festgeklebten, roten Grandplatz-Steinchen - trug ich sogar nachts im Etagenbett. Und mein Vater stand mal kopfschüttelnd in der Badezimmertür, als ich wie Uwe "Im Frühtau zu Berge" pfeifend, sein Rasierwasser auf die noch bartlose Bubenwange auftätschelte und dabei versuchte, im Spiegel so lässig ‘rüberzukommen, wie Uwe im legendären "Hattrick"-Werbespot.

"Weiß' ich doch alles, mein Dittsche"

Und manchmal bin ich nachmittags mit der U-Bahnlinie 1 von "Langenhorn-Mitte" bis zur "Hallerstraße" gefahren, nur um nach zwei, drei Stunden Wartezeit dort am Eingang des Rothenbaumstadions ein Autogramm zu holen oder einfach nur zuzugucken, wie Uwe nach Trainingsschluss frischgeduscht durch das Gittertor kommt.

Uwe Seeler war und ist wirklich ein großes Idol auf der ganzen Welt. Eine Identifikationsfigur für den HSV, für Hamburg und damals ganz besonders für mich. Seinerzeit an der Hallerstraße habe ich mich nie getraut, ihn richtig anzusprechen. Das habe ich erst einige Jahrzehnte später geschafft, auf dem Hamburger Flughafen. Wir beide landeten mit der gleichen Maschine in Fühlsbüttel. Auf dem Weg zum Ausgang liefen wir eine Zeit lang nebeneinander her, dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, ergriff die Gelegenheit und stellte mich vor: "Entschuldigen Sie... äääh... Herr Seeler, mein Name ist Olli Dittrich." Uwe: "Ja, und?" Ich: "... ääähm... ja... also... ich wollte Ihnen eigentlich nur einmal kurz... äääh... sagen, dass Sie der große Held meiner Jugend... äääh" - stotter, stotter, stotter. Uwe, noch recht forschen Schrittes, schaute ohne anzuhalten kurz zu mir herüber, hatte dabei sein unverwechselbar wonniges, verschmitztes Lachen im Gesicht und antwortete: "Weiß' ich doch alles, mein Dittsche."

###more###