Niersbach: "Nie den Blick für die Basis verlieren"


Wolfgang Niersbach ist seit 1988 beim Deutschen Fußball-Bund. In dieser Zeit war er unter anderem Pressechef, Mediendirektor, Vizepräsident des OK Deutschland der FIFA WM 2006 und Generalsekretär. Seit März 2012 ist er ehrenamtlicher Präsident des DFB.

Neue Aufgaben und Herausforderungen sind ihm also nicht unbekannt. Im TWO-Interview zum Themenschwerpunkt „Neu im Amt“ spricht er mit DFB.de-Redakteur Peter Scheffler über Unterschiede im Haupt- und Ehrenamt, den Reiz der Vereinsarbeit und gibt Tipps, wie man neue Ämter annimmt.

TWO: Herr Niersbach, Sie sind nun ein halbes Jahr ehrenamtlicher Präsident des DFB. Was ist der Unterschied zu Ihrer Arbeit als Generalsekretär?

Wolfgang Niersbach: Bei mir persönlich ist der Unterschied nicht so riesig. Mein Anspruch ist es weiterhin, über die operativen Dinge auf dem neuesten Stand zu sein. Der größte Unterschied ist wohl die öffentliche Wahrnehmung meiner Person. Wenn ich früher Aussagen als Pressechef oder Generalsekretär getroffen habe, gelangten diese nur teilweise in die Öffentlichkeit. Die Wirkung und Wahrnehmung meiner Aussagen und meiner Person als Präsident ist eine ganz andere.

TWO: Was waren und sind die größten Herausforderungen für Sie?

Niersbach: Sicher auch loslassen und delegieren zu können. Das habe ich als Generalsekretär bereits gelernt. Generalsekretär bedeutet ja nicht, dass ein General generell alles macht (lacht). Er sollte vertrauensvoll delegieren und ein Team führen können. Nur so können sich Dinge entwickeln. Man braucht Experten für alle Bereiche, sei es Marketing, Sicherheit oder Kommunikation, denen man vertraut und mit denen man dann die hoffentlich richtigen Entscheidungen zusammen fällt.

TWO: Können Sie uns ein Beispiel dafür nennen?

Niersbach: Beispielsweise die politische Diskussion um Julia Timoschenko, die vor der Europameisterschaft geführt wurde. Dort ging es nicht um unser klassisches Kerngeschäft, den Fußball, sondern um ein politisches Bekenntnis, welches von uns erwartet wurde. Das abzustimmen und zu erarbeiten ging nur im Team mit vertrauten Mitspielern.

TWO: Wie bei einem Fußballspiel.

Niersbach: Genau. Fußball ist ein Mannschaftsspiel, nicht nur auf dem Platz, sondern auch darüber hinaus. Das ist seine große Stärke. Es entstehen dabei auch Konflikte, die ein Tennis- oder Badmintonspieler so wohl nicht kennt, aber darin liegt der Reiz des Fußballs. Im Team kann man mehr erreichen.

TWO: War dieser Wille zur Teamarbeit auch ihre Stärke beim Antritt neuer Ämter?

Niersbach: Ja. Es war und ist mein Anspruch genauestens Bescheid zu wissen, aber man muss auch lernen, wo seine Grenzen liegen und sich nicht scheuen, Hilfen in Anspruch zu nehmen.

TWO: Sie haben bereits etliche Ämter im Fußball kennen gelernt. Hatten Sie jemals das Gefühl, ins kalte Wasser geschmissen zu werden?

Niersbach: Nein. Ich bin ja nicht raketenartig von Null auf hundert aufgestiegen. Bei mir haben die Positionen immer aufeinander aufgebaut. Zunächst habe ich den Journalismus von der Pike auf gelernt, also vom Verfassen eines Dreizeilers bis hin zu einem Buch. Als Pressechef beim DFB habe ich dann von 1988 an die gesamte Medienorganisation kennen gelernt.

TWO: Sie kennen also beide Seiten?

Niersbach: Genau. Und um zu wissen, was auf der einen Seite verlangt wird, ist es optimal, sie auch selbst zu kennen.

TWO: Nach ihrer Zeit als Pressechef waren Sie dann in die Organisation der WM 2006 eingebunden.

Niersbach: Richtig. Ich erinnere mich an unser Bewerbungsdossier. Das war ein Werk von 1.500 Seiten. Diese ganzen Informationen zusammen zu stellen und später bei dem Turnier alles zu koordinieren, war schon eine Herausforderung. Dieses Wissen kam mir aber später als Generalsekretär zugute. Was ich dabei im großen Fußball erlebt habe, spiegelt sich doch auch im kleinen Fußball wieder, nur die Dimension ist eine andere.

TWO: Wie meinen Sie das?

Niersbach: Als Amateurspieler lerne ich doch die meisten Abläufe schon kennen, die mir später als Trainer oder Vereinsmitarbeiter wieder begegnen können. Deshalb sollte ich mir auch zweimal überlegen, ob ich am Training oder der Organisation herum meckere, sonst heißt es irgendwann: selber machen! Erst dann merkt man, was für eine Herausforderung es ist, vor einer Gruppe zu stehen und sie zu führen.

TWO: Haben Sie Tipps für Menschen, die neu in einem Amt sind?

Niersbach: Vor allem, nicht den eigenen Charakter zu ändern. Man wird in eine Position gewählt, weil die Mitglieder einen so schätzen und mögen, wie man ist. Auch, wenn man Präsident eines Vereins wird, sollte man derselbe Mensch bleiben. Das war immer auch mein persönlicher Anspruch. Und natürlich, Bescheid zu wissen, auch wenn eine Aufgabe komplex ist.

TWO: Welche Hilfen bietet der DFB den Vereinen an der Basis?

Niersbach: Wir als DFB verstehen uns als Dienstleister, um Vereine und neue Ehrenamtliche zu unterstützen. Dafür haben wir mit Training & Wissen online eine moderne und vor allem auch aktuelle Homepage, auf der die Vereine jede Menge Hilfestellungen bekommen. Die Klickzahlen der letzten Monate zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Apropos Weg: als ich 1988 beim DFB anfing, war die größte Schwierigkeit, die Vereine an der Basis überhaupt zu erreichen und Informationen zu übermitteln. Ich erinnere mich an eine Broschüre von Berti Vogts, „Fußball macht Freude“, die er Ende der Achtziger erstellte. Wir wussten gar nicht, wie wir sie an die Vereine verteilen sollten. Außerdem: eine Broschüre ist irgendwann out. Heutzutage können wir immer aktuell sein und neueste Entwicklungen direkt weitergeben. Damit bleibt der DFB keine anonyme Einrichtung, sondern er tritt interaktiv in Kontakt, nicht nur mit Vereinen, sondern mit Spielern, Trainern, Vereinsmitarbeitern und Schiedsrichtern. Diese Entwicklung finde ich faszinierend. Deshalb werden wir diesen Bereich auch weiter ausbauen.

TWO: Sie behalten die Basis also im Blick.

Niersbach: Unser Bemühen war schon immer, die Basis zu stärken. Der DFB ist nicht nur dafür da, zehn Länderspiele im Jahr zu organisieren. Wir sind viel mehr als das: DFB-Mobil, Talentförderung, Mini-Spielfelder, Schulfußball, hier wird tolle Arbeit geleistet. Es zeigt, was machbar ist, wenn du als Spitzenverband nie den Blick für die Basis verlierst. Und das werden wir nie, weil wir immer wissen, dass aus dieser Basis die Spitze entsteht.

TWO: Sie sprechen die Verbindung der Basis zur Spitze an. Wie sieht das Zusammenspiel aus?

Niersbach: Wir haben in Deutschland eine vorbildliche Situation. Natürlich profitieren die Profivereine von der tollen Arbeit an der Basis. Dafür geben sie den Kindern die Idole von heute. Denn das Größte, was der Profifußball zurück gibt, sind die Gesichter, über die neue Kinder, neue Spieler motiviert werden, mit dem Fußball anzufangen. Der Anreiz für Kinder ist unheimlich hoch, dorthin zu kommen, wo ein Lahm oder Schweinsteiger jetzt ist. Das wird von Generation zu Generation vererbt. Das habe ich vor ein paar Tagen selbst erlebt.

TWO: Erzählen Sie!

Niersbach: Bei unserer letzten Reise mit der Nationalmannschaft habe ich mich dabei ertappt, wie ich von der WM 1990 schwärmte. Von Idolen wie Lothar Matthäus, Rudi Völler und Jürgen Klinsmann. Dann wurde mir bewusst, dass Spieler wie Mario Götze oder André Schürrle zu dieser Zeit noch nicht einmal geboren waren. Die haben wohl gedacht: Was will der denn jetzt? Aber es geht doch um etwas Grundsätzliches. Der Fußball schafft Vorbilder. Früher Völler, Klinsmann und Matthäus, heute Götze, Lahm und Özil. Alle diese Spieler haben klein angefangen und sind später zu Idolen geworden. Ich spreche in diesem Zusammenhang immer von der Pyramide. Die Spitze kann nicht ohne die Basis existieren, und das wird auch immer so bleiben. Diese Einheit des Fußballs ist seine Stärke.

TWO: Sehen Sie eine Gefahr darin, dass Fußballinteressierte heute mehr zum Konsumenten als zum Spieler oder Ehrenamtlichen erzogen werden?

Niersbach: Man sollte akzeptieren, wenn jemand sein Fußballvergnügen eher beim Stadionbesuch findet. Das sind Bekenntnisse zum Lieblingsverein, die auch viel wert sind. Wir brauchen aber auch die aktive Mitarbeit in den Vereinen. Das gehört für mich beides eng zusammen.

TWO: Welche Anreize gibt es, sich ehrenamtlich zu engagieren?

Niersbach: Es ist einfach eine wunderbare Aufgabe für die Freizeit. Wenn ich den ganzen Tag im Büro sitze, gibt es doch nichts Besseres, als den Feierabend mit einer Horde 6-jähriger Jungen oder Mädchen zu verbringen (lacht). Diesen Ausgleich braucht der Mensch doch. Wenn ich früher nach Hause kam, hatte ich vorher Budgets oder Abläufe von Länderspielen besprochen. Von einem auf den anderen Moment habe ich dann mit Legosteinen gespielt. Da war alles, was mich vorher belastete, vergessen.
 
TWO: Also durchs Ehrenamt der Gesellschaft etwas Gutes tun, aber auch sich selbst.

Niersbach: Natürlich. Sie können aktiv das eigene Umfeld gestalten. Das größte Motiv ist doch die Betreuung der eigenen Kinder, zum Beispiel als Trainer. Zu erleben, wie viel Spaß der Nachwuchs hat und welche Fortschritte erzielt werden. Oder Enttäuschungen mitzubekommen und an ihnen zu wachsen. So eine Aufgabe füllt einen Menschen aus.

TWO: Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?

Niersbach: Ich selbst habe mit neun Jahren angefangen, Fußball im Verein zu spielen. Wir sind damals mit der gesamten Mannschaft per Straßenbahn zu den Spielen gefahren, teilweise in die entlegensten Ecken von Düsseldorf. Autos gab es damals, Ende der 50 `er Jahre, noch nicht so viele. Mein Vater ist, obwohl er kein Betreuer war, immer mitgefahren und hat sich das angesehen. Damals wie heute gilt: Wir sind wir auf ehrenamtliche Helfer angewiesen.

TWO: Beenden Sie bitte zum Schluss folgenden Satz: Fußball ohne Ehrenamt…

Niersbach: …hätte keine Zukunft.

[PS]


[bild1]Wolfgang Niersbach ist seit 1988 beim Deutschen Fußball-Bund. In dieser Zeit war er unter anderem Pressechef, Mediendirektor, Vizepräsident des OK Deutschland der FIFA WM 2006 und Generalsekretär. Seit März 2012 ist er ehrenamtlicher Präsident des DFB.

Neue Aufgaben und Herausforderungen sind ihm also nicht unbekannt. Im TWO-Interview zum Themenschwerpunkt „Neu im Amt“ spricht er mit DFB.de-Redakteur Peter Scheffler über Unterschiede im Haupt- und Ehrenamt, den Reiz der Vereinsarbeit und gibt Tipps, wie man neue Ämter annimmt.

TWO: Herr Niersbach, Sie sind nun ein halbes Jahr ehrenamtlicher Präsident des DFB. Was ist der Unterschied zu Ihrer Arbeit als Generalsekretär?

Wolfgang Niersbach: Bei mir persönlich ist der Unterschied nicht so riesig. Mein Anspruch ist es weiterhin, über die operativen Dinge auf dem neuesten Stand zu sein. Der größte Unterschied ist wohl die öffentliche Wahrnehmung meiner Person. Wenn ich früher Aussagen als Pressechef oder Generalsekretär getroffen habe, gelangten diese nur teilweise in die Öffentlichkeit. Die Wirkung und Wahrnehmung meiner Aussagen und meiner Person als Präsident ist eine ganz andere.

TWO: Was waren und sind die größten Herausforderungen für Sie?

Niersbach: Sicher auch loslassen und delegieren zu können. Das habe ich als Generalsekretär bereits gelernt. Generalsekretär bedeutet ja nicht, dass ein General generell alles macht (lacht). Er sollte vertrauensvoll delegieren und ein Team führen können. Nur so können sich Dinge entwickeln. Man braucht Experten für alle Bereiche, sei es Marketing, Sicherheit oder Kommunikation, denen man vertraut und mit denen man dann die hoffentlich richtigen Entscheidungen zusammen fällt.

TWO: Können Sie uns ein Beispiel dafür nennen?

Niersbach: Beispielsweise die politische Diskussion um Julia Timoschenko, die vor der Europameisterschaft geführt wurde. Dort ging es nicht um unser klassisches Kerngeschäft, den Fußball, sondern um ein politisches Bekenntnis, welches von uns erwartet wurde. Das abzustimmen und zu erarbeiten ging nur im Team mit vertrauten Mitspielern.

TWO: Wie bei einem Fußballspiel.

Niersbach: Genau. Fußball ist ein Mannschaftsspiel, nicht nur auf dem Platz, sondern auch darüber hinaus. Das ist seine große Stärke. Es entstehen dabei auch Konflikte, die ein Tennis- oder Badmintonspieler so wohl nicht kennt, aber darin liegt der Reiz des Fußballs. Im Team kann man mehr erreichen.

TWO: War dieser Wille zur Teamarbeit auch ihre Stärke beim Antritt neuer Ämter?

Niersbach: Ja. Es war und ist mein Anspruch genauestens Bescheid zu wissen, aber man muss auch lernen, wo seine Grenzen liegen und sich nicht scheuen, Hilfen in Anspruch zu nehmen.

TWO: Sie haben bereits etliche Ämter im Fußball kennen gelernt. Hatten Sie jemals das Gefühl, ins kalte Wasser geschmissen zu werden?

Niersbach: Nein. Ich bin ja nicht raketenartig von Null auf hundert aufgestiegen. Bei mir haben die Positionen immer aufeinander aufgebaut. Zunächst habe ich den Journalismus von der Pike auf gelernt, also vom Verfassen eines Dreizeilers bis hin zu einem Buch. Als Pressechef beim DFB habe ich dann von 1988 an die gesamte Medienorganisation kennen gelernt.

TWO: Sie kennen also beide Seiten?

Niersbach: Genau. Und um zu wissen, was auf der einen Seite verlangt wird, ist es optimal, sie auch selbst zu kennen.

TWO: Nach ihrer Zeit als Pressechef waren Sie dann in die Organisation der WM 2006 eingebunden.

Niersbach: Richtig. Ich erinnere mich an unser Bewerbungsdossier. Das war ein Werk von 1.500 Seiten. Diese ganzen Informationen zusammen zu stellen und später bei dem Turnier alles zu koordinieren, war schon eine Herausforderung. Dieses Wissen kam mir aber später als Generalsekretär zugute. Was ich dabei im großen Fußball erlebt habe, spiegelt sich doch auch im kleinen Fußball wieder, nur die Dimension ist eine andere.

TWO: Wie meinen Sie das?

Niersbach: Als Amateurspieler lerne ich doch die meisten Abläufe schon kennen, die mir später als Trainer oder Vereinsmitarbeiter wieder begegnen können. Deshalb sollte ich mir auch zweimal überlegen, ob ich am Training oder der Organisation herum meckere, sonst heißt es irgendwann: selber machen! Erst dann merkt man, was für eine Herausforderung es ist, vor einer Gruppe zu stehen und sie zu führen.

TWO: Haben Sie Tipps für Menschen, die neu in einem Amt sind?

Niersbach: Vor allem, nicht den eigenen Charakter zu ändern. Man wird in eine Position gewählt, weil die Mitglieder einen so schätzen und mögen, wie man ist. Auch, wenn man Präsident eines Vereins wird, sollte man derselbe Mensch bleiben. Das war immer auch mein persönlicher Anspruch. Und natürlich, Bescheid zu wissen, auch wenn eine Aufgabe komplex ist.

TWO: Welche Hilfen bietet der DFB den Vereinen an der Basis?

[bild2] Niersbach: Wir als DFB verstehen uns als Dienstleister, um Vereine und neue Ehrenamtliche zu unterstützen. Dafür haben wir mit Training & Wissen online eine moderne und vor allem auch aktuelle Homepage, auf der die Vereine jede Menge Hilfestellungen bekommen. Die Klickzahlen der letzten Monate zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Apropos Weg: als ich 1988 beim DFB anfing, war die größte Schwierigkeit, die Vereine an der Basis überhaupt zu erreichen und Informationen zu übermitteln. Ich erinnere mich an eine Broschüre von Berti Vogts, „Fußball macht Freude“, die er Ende der Achtziger erstellte. Wir wussten gar nicht, wie wir sie an die Vereine verteilen sollten. Außerdem: eine Broschüre ist irgendwann out. Heutzutage können wir immer aktuell sein und neueste Entwicklungen direkt weitergeben. Damit bleibt der DFB keine anonyme Einrichtung, sondern er tritt interaktiv in Kontakt, nicht nur mit Vereinen, sondern mit Spielern, Trainern, Vereinsmitarbeitern und Schiedsrichtern. Diese Entwicklung finde ich faszinierend. Deshalb werden wir diesen Bereich auch weiter ausbauen.

TWO: Sie behalten die Basis also im Blick.

Niersbach: Unser Bemühen war schon immer, die Basis zu stärken. Der DFB ist nicht nur dafür da, zehn Länderspiele im Jahr zu organisieren. Wir sind viel mehr als das: DFB-Mobil, Talentförderung, Mini-Spielfelder, Schulfußball, hier wird tolle Arbeit geleistet. Es zeigt, was machbar ist, wenn du als Spitzenverband nie den Blick für die Basis verlierst. Und das werden wir nie, weil wir immer wissen, dass aus dieser Basis die Spitze entsteht.

TWO: Sie sprechen die Verbindung der Basis zur Spitze an. Wie sieht das Zusammenspiel aus?

Niersbach: Wir haben in Deutschland eine vorbildliche Situation. Natürlich profitieren die Profivereine von der tollen Arbeit an der Basis. Dafür geben sie den Kindern die Idole von heute. Denn das Größte, was der Profifußball zurück gibt, sind die Gesichter, über die neue Kinder, neue Spieler motiviert werden, mit dem Fußball anzufangen. Der Anreiz für Kinder ist unheimlich hoch, dorthin zu kommen, wo ein Lahm oder Schweinsteiger jetzt ist. Das wird von Generation zu Generation vererbt. Das habe ich vor ein paar Tagen selbst erlebt.

TWO: Erzählen Sie!

Niersbach: Bei unserer letzten Reise mit der Nationalmannschaft habe ich mich dabei ertappt, wie ich von der WM 1990 schwärmte. Von Idolen wie Lothar Matthäus, Rudi Völler und Jürgen Klinsmann. Dann wurde mir bewusst, dass Spieler wie Mario Götze oder André Schürrle zu dieser Zeit noch nicht einmal geboren waren. Die haben wohl gedacht: Was will der denn jetzt? Aber es geht doch um etwas Grundsätzliches. Der Fußball schafft Vorbilder. Früher Völler, Klinsmann und Matthäus, heute Götze, Lahm und Özil. Alle diese Spieler haben klein angefangen und sind später zu Idolen geworden. Ich spreche in diesem Zusammenhang immer von der Pyramide. Die Spitze kann nicht ohne die Basis existieren, und das wird auch immer so bleiben. Diese Einheit des Fußballs ist seine Stärke.

TWO: Sehen Sie eine Gefahr darin, dass Fußballinteressierte heute mehr zum Konsumenten als zum Spieler oder Ehrenamtlichen erzogen werden?

Niersbach: Man sollte akzeptieren, wenn jemand sein Fußballvergnügen eher beim Stadionbesuch findet. Das sind Bekenntnisse zum Lieblingsverein, die auch viel wert sind. Wir brauchen aber auch die aktive Mitarbeit in den Vereinen. Das gehört für mich beides eng zusammen.

TWO: Welche Anreize gibt es, sich ehrenamtlich zu engagieren?

Niersbach: Es ist einfach eine wunderbare Aufgabe für die Freizeit. Wenn ich den ganzen Tag im Büro sitze, gibt es doch nichts Besseres, als den Feierabend mit einer Horde 6-jähriger Jungen oder Mädchen zu verbringen (lacht). Diesen Ausgleich braucht der Mensch doch. Wenn ich früher nach Hause kam, hatte ich vorher Budgets oder Abläufe von Länderspielen besprochen. Von einem auf den anderen Moment habe ich dann mit Legosteinen gespielt. Da war alles, was mich vorher belastete, vergessen.
 
TWO: Also durchs Ehrenamt der Gesellschaft etwas Gutes tun, aber auch sich selbst.

Niersbach: Natürlich. Sie können aktiv das eigene Umfeld gestalten. Das größte Motiv ist doch die Betreuung der eigenen Kinder, zum Beispiel als Trainer. Zu erleben, wie viel Spaß der Nachwuchs hat und welche Fortschritte erzielt werden. Oder Enttäuschungen mitzubekommen und an ihnen zu wachsen. So eine Aufgabe füllt einen Menschen aus.

TWO: Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?

Niersbach: Ich selbst habe mit neun Jahren angefangen, Fußball im Verein zu spielen. Wir sind damals mit der gesamten Mannschaft per Straßenbahn zu den Spielen gefahren, teilweise in die entlegensten Ecken von Düsseldorf. Autos gab es damals, Ende der 50 `er Jahre, noch nicht so viele. Mein Vater ist, obwohl er kein Betreuer war, immer mitgefahren und hat sich das angesehen. Damals wie heute gilt: Wir sind wir auf ehrenamtliche Helfer angewiesen.

TWO: Beenden Sie bitte zum Schluss folgenden Satz: Fußball ohne Ehrenamt…

Niersbach: …hätte keine Zukunft.