Neues Geschichtsbuch über jüdischen Fußball in der NS-Zeit

Julius Hirsch und Gottfried Fuchs, Walther Bensemann und Kurt Landauer - immer mehr Fußballfans wissen inzwischen etwas mit diesen Namen anzufangen. Doch während die Lebensläufe der beiden einzigen deutschen Nationalspieler jüdischen Glaubens, des kicker-Herausgebers und des Bayern-Präsidenten vielfach schon erzählt wurden - über Landauers bewegendes Schicksal drehte die ARD einen starken Spielfilm -, wusste man bislang nahezu nichts über die Existenz jüdischer Fußballvereine nach 1933.

Dr. Henry Wahlig sagt selbst, er habe anfänglich mit 70 oder 80 Vereinen gerechnet. Nach sechs Jahren Recherche steht fest: In knapp 200 jüdischen Vereinen wurde nach der Machtergreifung weiter Fußball gespielt - streng getrennt vom übrigen deutschen, nun arisierten, Sport. Die jüdischen Klubs konnten trotz widrigster Bedingungen und zunehmender Verfolgung durch das NS-Regime noch bis zu den Pogromen des Jahres 1938 ihren Spielbetrieb aufrechterhalten. Bis dahin gab es mitten in Nazi-Deutschland eigene jüdische Vereine, die auf separaten Plätzen in separaten Fußballligen spielten.

Jetzt ist das Buch "Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland" im Werkstatt-Verlag erschienen. Die DFB-Kulturstiftung hat das umfangreiche Nachschlagewerk gefördert. Lorenz Peiffer und Henry Wahlig, die beiden Autoren, sind heute Abend zu Gast im Jüdischen Museum Berlin, um dort ihr Buch vorzustellen. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth spricht der Historiker Henry Wahlig vorab über das Füllen einer geschichtlichen Leerstelle.

DFB.de: Herr Wahlig, stolze 600 Seiten hat ihr Nachschlagewerk nun. Hatten Sie damit gerechnet, dass es so umfangreich wird?

Dr. Henry Wahlig: Überhaupt nicht. Dass letztlich so viele jüdische Fußballvereine identifiziert werden konnten, die sich in den Jahren 1933 bis 1938 am offiziellen Spielbetrieb der beiden jüdischen Sportverbände Makkabi und Schild beteiligten, ist ein Ergebnis, das zu Beginn der Forschungsarbeiten im Jahr 2010 in keiner Weise abzusehen war. Wir hatten so mit 70 oder 80 Vereinen und einem kleinen Büchlein gerechnet. Nun haben wir die Geschichte der knapp 200 jüdischen Fußballvereine zwischen 1933 und Ende 1938 aufgearbeitet. Als es immer umfangreicher wurde, ermöglichte uns die DFB-Kulturstiftung mit einer Nachfinanzierung die Weiterarbeit an diesem Projekt. Mein Co-Autor Lorenz Peiffer und ich hatten bereits verschiedene Publikationen zum jüdischen Fußball in Deutschland herausgegeben, unter anderem die 11Freunde-Beilage "Verlorene Helden", die ebenfalls von der DFB-Kulturstiftung gefördert wurde. Dabei entstand die Idee für dieses Nachschlagewerk.

DFB.de: Das Buch füllt eine historische Leerstelle. War das Ihr Anliegen?

Wahlig: Absolut. Das Ziel des Buches war es von Beginn an, die Breite des jüdischen Fußballs im nationalsozialistischen Deutschland abzubilden, den gesamten jüdischen Fußball während der Nazi-Diktatur noch einmal in die Gegenwart zu transportieren. Für jeden Ort und jeden Verein haben wir einen Basisartikel geschrieben. Wir wollten die Spur legen. Jetzt können lokale Fangruppen oder einzelne Historiker die Geschichte ihres jüdischen Vereins noch mal aufarbeiten.



Julius Hirsch und Gottfried Fuchs, Walther Bensemann und Kurt Landauer - immer mehr Fußballfans wissen inzwischen etwas mit diesen Namen anzufangen. Doch während die Lebensläufe der beiden einzigen deutschen Nationalspieler jüdischen Glaubens, des kicker-Herausgebers und des Bayern-Präsidenten vielfach schon erzählt wurden - über Landauers bewegendes Schicksal drehte die ARD einen starken Spielfilm -, wusste man bislang nahezu nichts über die Existenz jüdischer Fußballvereine nach 1933.

Dr. Henry Wahlig sagt selbst, er habe anfänglich mit 70 oder 80 Vereinen gerechnet. Nach sechs Jahren Recherche steht fest: In knapp 200 jüdischen Vereinen wurde nach der Machtergreifung weiter Fußball gespielt - streng getrennt vom übrigen deutschen, nun arisierten, Sport. Die jüdischen Klubs konnten trotz widrigster Bedingungen und zunehmender Verfolgung durch das NS-Regime noch bis zu den Pogromen des Jahres 1938 ihren Spielbetrieb aufrechterhalten. Bis dahin gab es mitten in Nazi-Deutschland eigene jüdische Vereine, die auf separaten Plätzen in separaten Fußballligen spielten.

Jetzt ist das Buch "Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland" im Werkstatt-Verlag erschienen. Die DFB-Kulturstiftung hat das umfangreiche Nachschlagewerk gefördert. Lorenz Peiffer und Henry Wahlig, die beiden Autoren, sind heute Abend zu Gast im Jüdischen Museum Berlin, um dort ihr Buch vorzustellen. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth spricht der Historiker Henry Wahlig vorab über das Füllen einer geschichtlichen Leerstelle.

DFB.de: Herr Wahlig, stolze 600 Seiten hat ihr Nachschlagewerk nun. Hatten Sie damit gerechnet, dass es so umfangreich wird?

Dr. Henry Wahlig: Überhaupt nicht. Dass letztlich so viele jüdische Fußballvereine identifiziert werden konnten, die sich in den Jahren 1933 bis 1938 am offiziellen Spielbetrieb der beiden jüdischen Sportverbände Makkabi und Schild beteiligten, ist ein Ergebnis, das zu Beginn der Forschungsarbeiten im Jahr 2010 in keiner Weise abzusehen war. Wir hatten so mit 70 oder 80 Vereinen und einem kleinen Büchlein gerechnet. Nun haben wir die Geschichte der knapp 200 jüdischen Fußballvereine zwischen 1933 und Ende 1938 aufgearbeitet. Als es immer umfangreicher wurde, ermöglichte uns die DFB-Kulturstiftung mit einer Nachfinanzierung die Weiterarbeit an diesem Projekt. Mein Co-Autor Lorenz Peiffer und ich hatten bereits verschiedene Publikationen zum jüdischen Fußball in Deutschland herausgegeben, unter anderem die 11Freunde-Beilage "Verlorene Helden", die ebenfalls von der DFB-Kulturstiftung gefördert wurde. Dabei entstand die Idee für dieses Nachschlagewerk.

DFB.de: Das Buch füllt eine historische Leerstelle. War das Ihr Anliegen?

Wahlig: Absolut. Das Ziel des Buches war es von Beginn an, die Breite des jüdischen Fußballs im nationalsozialistischen Deutschland abzubilden, den gesamten jüdischen Fußball während der Nazi-Diktatur noch einmal in die Gegenwart zu transportieren. Für jeden Ort und jeden Verein haben wir einen Basisartikel geschrieben. Wir wollten die Spur legen. Jetzt können lokale Fangruppen oder einzelne Historiker die Geschichte ihres jüdischen Vereins noch mal aufarbeiten.

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DFB.de: Der DFB übernahm die furchtbare Rolle des Komplizen beim Ausschluss jüdischer Fußballer. Was waren die wesentlichen Momente bei der "Arisierung" der Fußballvereine?

Wahlig: Die Großelterngeneration erzählte uns doch lange, dass es nach Hitlers Machtübernahme einen ungeheuren Zwang zum Antisemitismus gegeben habe. Dabei handelten viele Vereine damals im vorauseilenden Gehorsam. Der genaue Blick auf den Sport zeigt, wie auch die Fußballvereine kalt kalkulierten, dass eine Ausgrenzung jüdischer Mitglieder bei den neuen Machthabern Vorteile bringen würde. Dass es profitabel sein würde, die jüdischen Fußballer auszuschließen, wie es dann ja auch relativ flächendeckend im Frühjahr 1933 geschah. Im Fußball gab es aber im Gegensatz zu anderen Sportarten keine verpflichtende Anordnung, jüdische Mitglieder aus den Vereinen zu entfernen.

DFB.de: Was geschehen sollte, war dennoch allen klar.

Wahlig: Am 9. April 1933 veröffentlichten 14 Vereine aus dem Süden und Südwesten Deutschlands einen gemeinsamen Brief, in dem man bekundete, sich "der nationalen Regierung freudig und entschieden zur Seite zu stellen". Die Klubs boten ihre Mitarbeit an, "insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen". Es war ein "Who is Who" des südwestdeutschen Fußballsports, unter anderem hatten damals Bayern München, 1860 München, Eintracht Frankfurt, der 1. FC Nürnberg und der 1. FC Kaiserslautern unterschrieben. Der Nationalspieler Julius Hirsch erklärte aufgrund dieses Briefes seinen Austritt beim Karlsruher FV. Wenige Tage später erschien dann eine DFB-Mitteilung, in der es hieß, dass "Angehörige der jüdischen Rasse" in führenden Stellungen der Landesverbände und Vereine "nicht mehr tragbar" seien.

DFB.de: Gab es denn auch Ausnahmen?

Wahlig: Eintracht Frankfurt ist so ein Beispiel, da wurden einzelne Mitglieder noch bis 1937 gedeckt. Ich würde das aber nicht als große Tat ausstellen, sondern sehe eher darin einen Beleg, dass es durchaus Freiräume gab, den Antisemitismus der Nazis zu unterlaufen. Doch die meisten Vereine haben einfach funktioniert. Dabei war der Fußball in Deutschland bekanntlich bis 1933 stark jüdisch geprägt, wenn wir uns etwa auch an Walther Bensemann erinnern, den ersten kicker-Herausgeber.

DFB.de: War es eine taktische Konzession Hitlers, dass der jüdische Fußball noch für einige Jahre in Deutschland existieren konnte?

Wahlig: Einerseits wurden Juden aus dem Sport herausgedrängt, andererseits verzeichneten die beiden großen jüdischen Sportverbände Makkabi und Sportbund Schild einen starken Zustrom. Auf ihren eigenen, meist lumpigen Plätzen durften Juden weiter Fußball spielen. Das hing aber nur an den geplanten Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Hitler wollte die Spiele als große Propaganda-Show. Man befürchtete schlicht, dass ansonsten etwa die USA die Spiele boykottieren würden.

DFB.de: Was bedeutete Fußball für die vielen ausgegrenzten Juden in dieser Zeit?

Wahlig: Der Fußball war tatsächlich ein Mittel der Selbstbehauptung. Der Sport brachte Spaß, man konnte sich körperlich stärken, ein Selbstwertgefühl in einer Gesellschaft behaupten, in der man sonst überall diskriminiert und erniedrigt wurde. Und ganz oft haben uns Zeitzeugen berichtet, dass ihnen der Fußball einen Moment des Vergessens brachte. "Ich fühlte mich noch mal wie ein Kind", sagten uns einige.

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DFB: Waren Fußballvereine auch etwa bei der Organisation der Ausreise dienlich?

Wahlig: Die zionistische Sportbewegung Makkabi sah tatsächlich Fußball als Mittel, die Jugend körperlich und geistig auf die Ausreise nach Palästina vorzubereiten. Daneben gab es den anderen Verband Schild, den Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, die sich primär als Deutsche fühlten. Viele dieser jüdischen Fußballer glaubten lange, dass man sich auch durch gute sportliche Leistungen wieder für eine Rückkehr in der Mehrheitsgesellschaft empfehlen könnte. Das mag aus heutiger Sicht arg blauäugig wirken.

DFB.de: Das Magazin 11Freunde lobt Ihr Nachschlagewerk als "ein unbedingt notwendiges Buch". Welche Leser wollen Sie ansprechen?

Wahlig: Jeder wird sich die Orte raussuchen, zu denen er oder sie eine Verbindung haben. Kaum einer wird alle 600 Seiten lesen. Wir wollen also Menschen ansprechen, die sich lokal für jüdische Geschichte und Fußballgeschichte interessieren. Vielleicht inspirieren wir manch einen, in seinem Heimatort noch etwas weiter in der Tiefe zu bohren. Von den 200 Vereinen in unserem Buch waren rund 150 überhaupt nicht bekannt.

DFB.de: Dietrich Schulze-Marmeling, der Autor der offiziellen Historie des Rekordmeisters Bayern München, lobt, dass kaum mehr für die Erinnerung an das Unrecht in der Nazi-Herrschaft getan werde als im Fußball. Geschieht auch aus Ihrer Sicht genug?

Wahlig: Es gibt keinen Sportverband auf der Welt, meine ich, der sich so intensiv um Erinnerungskultur verdient macht wie der DFB. So sollte es sicher auch sein. Oft starteten vor Ort aber einzelne Fans oder Fangruppen die geschichtliche Aufarbeitung in den Vereinen. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Vereine diese Aufgabe stärker angehen und nicht etwa durch die Angst vor negativen Schlagzeilen gebremst werden. Es gibt so viele, auch heute noch wichtige Geschichten.

DFB.de: Zum Beispiel?

Wahlig: Ich bin Bochumer und hörte irgendwann, dass Schild Bochum der letzte deutsch-jüdische Meister war. Ich dachte mir erst mal: "Guck mal, wir sind doch Meister geworden." Dann habe ich die Geschichte von Erich Gottschalk erforscht, dem Mannschaftskapitän, der als Kind beim VfL Bochum spielte.

DFB.de: Was kam dabei heraus?

Wahlig: Mit Schild Bochum wurde Gottschalk 1938 Deutscher Meister, viele Juden waren da bereits geflohen. Er flüchtete dann in die Niederlande, wurde nach der Besatzung sofort interniert und nach Auschwitz deportiert. Seine gesamte Familie wurde dort umgebracht, er überlebte Auschwitz und kehrte zurück in die Niederlande. Ein Zeitzeuge erzählte mir, dass der alte Erich Gottschalk ein gebrochener Mann war, man habe ihm angemerkt, dass er viel Schlimmes erlebt hatte. Aber an guten Tagen erzählte er: "Ich war mal Deutscher Fußballmeister." Kaum einer glaubte ihm damals. Aber jetzt hat der VfL Bochum einen Stolperstein an seinem Wohnhaus verlegt. Und wir erzählen seine Geschichte in unserem Buch.

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