NBA-Spieler Amaechi: "Fußballer haben mehr Privatsphäre"

Vier Jahre nach dem Ende seiner NBA-Karriere veröffentlichte John Amaechi die Autobiographie "Man in the Middle", in der er offen und sehr selbstbewusst über seine Erfahrungen als homosexueller Leistungssportler berichtete. Der Engländer ist bisher der einzige Basketballprofi, der sich als schwul geoutet hat.

Der heute 41-Jährige, der in der NBA bei Orlando Magic, Utah Jazz und den Cleveland Cavaliers unter Vertrag stand, ist Eröffnungsredner des am Dienstag beginnenden, zweitägigen Dialogforums "Sexuelle Identität im Fußball", zu dem der Deutsche Fußball-Bund (DFB) rund 60 Teilnehmer in die Sportschule Hennef eingeladen hat.

Im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth spricht Amaechi, der nach der Profilaufbahn Psychologie studierte und heute als Unternehmensberater und Botschafter der Olympischen Spiele von London tätig ist, darüber, warum sich der Sport so schwer mit schwulen Profis tut - und über die Chance in Hennef, einen neuen Ton zu setzen.

DFB.de: Mr. Amaechi, im Februar 2007 erschien ihre Autobiographie "Man in the Middle" - es war Ihr "Coming-Out" als Homosexueller.

John Amaechi: Gegenüber der Öffentlichkeit. Meine Familie, meine Freunde, alle anderen in meinem Leben wussten damals schon lange, dass ich schwul bin.

DFB.de: Was hat Sie überzeugt, derart öffentlich über Ihre sexuelle Orientierung zu reden?

Amaechi: Die politische Diskussion über schwule und lesbische Menschen in den USA wurde damals immer negativer. Ich war einfach überzeugt davon, dass ich mit meinem Coming-Out einen Beitrag zu weniger Diskriminierung und mehr Toleranz leisten könnte.

DFB.de: Sie spielten fünf Jahre in der NBA, der US-amerikanischen Basketball-Profiliga, die weltweit zu den bekanntesten und am besten vermarkteten Sportunternehmen zählt. Wie ging es Ihnen als schwuler Profi?



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Vier Jahre nach dem Ende seiner NBA-Karriere veröffentlichte John Amaechi die Autobiographie "Man in the Middle", in der er offen und sehr selbstbewusst über seine Erfahrungen als homosexueller Leistungssportler berichtete. Der Engländer ist bisher der einzige Basketballprofi, der sich als schwul geoutet hat.

Der heute 41-Jährige, der in der NBA bei Orlando Magic, Utah Jazz und den Cleveland Cavaliers unter Vertrag stand, ist Eröffnungsredner des am Dienstag beginnenden, zweitägigen Dialogforums "Sexuelle Identität im Fußball", zu dem der Deutsche Fußball-Bund (DFB) rund 60 Teilnehmer in die Sportschule Hennef eingeladen hat.

Im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth spricht Amaechi, der nach der Profilaufbahn Psychologie studierte und heute als Unternehmensberater und Botschafter der Olympischen Spiele von London tätig ist, darüber, warum sich der Sport so schwer mit schwulen Profis tut - und über die Chance in Hennef, einen neuen Ton zu setzen.

DFB.de: Mr. Amaechi, im Februar 2007 erschien ihre Autobiographie "Man in the Middle" - es war Ihr "Coming-Out" als Homosexueller.

John Amaechi: Gegenüber der Öffentlichkeit. Meine Familie, meine Freunde, alle anderen in meinem Leben wussten damals schon lange, dass ich schwul bin.

DFB.de: Was hat Sie überzeugt, derart öffentlich über Ihre sexuelle Orientierung zu reden?

Amaechi: Die politische Diskussion über schwule und lesbische Menschen in den USA wurde damals immer negativer. Ich war einfach überzeugt davon, dass ich mit meinem Coming-Out einen Beitrag zu weniger Diskriminierung und mehr Toleranz leisten könnte.

DFB.de: Sie spielten fünf Jahre in der NBA, der US-amerikanischen Basketball-Profiliga, die weltweit zu den bekanntesten und am besten vermarkteten Sportunternehmen zählt. Wie ging es Ihnen als schwuler Profi?

Amaechi: Das Militär der USA funktionierte über Jahrzehnte entlang der Richtlinie: "Nicht nach fragen, nicht darüber reden". Schwule Soldaten waren okay, solange sie die Klappe hielten und über ihre sexuelle Ausrichtung nicht sprachen. Der Sport funktioniert heute noch ganz ähnlich. Die Mehrzahl meiner Mitspieler in der NBA sprachen mich nie auf mein Schwulsein an. Warum sollte ich es dann thematisieren? Andere verhielten sich offen und luden auch meinen Partner auf Parties ein. Wieder andere begegneten mir zwar nicht feindlich, aber waren deutlich ablehnend eingestellt.

DFB.de: Fällt der Umgang mit einem immer noch tabuisierten Aspekt der eigenen Identität in der NBA schwerer als in anderen Sportligen? Alleine während der regulären Saison müssen rund 80 Punktspiele absolviert werden.

Amaechi: Ohne Zweifel haben Fußballspieler mehr Zeit für ihr Privatleben, die Privatsphäre ist auch größer. Mit vier Spielen pro Woche, den Flugreisen in den USA und Trainingseinheiten bleibt einfach kaum Zeit für private Angelegenheiten. Wenn man mal freihat, ruht man sich aus.

DFB.de: Sie haben auch in Frankreich, Italien, Griechenland und England gespielt. Ist Ihnen in Europa eine liberalere Haltung gegenüber Homosexualität im Sport begegnet als in den Vereinigten Staaten?

Amaechi: Teambesitzer und Trainer, egal in welchem Land, reagieren abwehrend. Aber in Amerika drückt sich diese feindliche Haltung gegenüber schwulen Menschen im politischen und kulturellen Leben offen aus. Klar gibt es auch ignorante Menschen in Europa, die schreckliche Sachen über Schwule sagen, aber ein gewählter politischer Vertreter würde sich kaum öffentlich so äußern. Das gibt es aber noch in den USA. Die Diskriminierung funktioniert unverdeckter.

DFB.de: Sie werden in Hennef auf dem DFB-Dialogforum "Vor dem Ball sind alle gleich - Sexuelle Identität im Fußball" das Hauptreferat halten. Der DFB betritt mit diesem Forum Neuland. Wie schätzen Sie die Situation ein, welche Ziele sollte das Forum haben?

Amaechi: Es besteht die Chance, beim unverkrampften und respektvollen Umgang mit sexueller Identität eine führende Rolle in den europäischen Fußballverbänden zu übernehmen. Das Forum in Hennef könnte tonangebend in dieser Debatte werden. Und es könnte ein völlig neuer Ton gefunden werden. Wenn wir darüber reden, dass wir den Fußball zugänglicher für unterschiedliche Menschen machen wollen, dann geht es doch nicht darum, dass wir irgendwelche schönen Fotos in Magazinen und auf Internetseiten veröffentlichen wollen, von einem schwarzen Deutschen, einem weißen Deutschen, einem schwulen Deutschen, und alle halten sich die Hand. Darum geht es nicht.

DFB.de: Sondern?

Amaechi: Wenn sich der deutsche Fußball auf große sportliche Aufgaben vorbereitet, sei es mit der Nationalmannschaft oder seinen Klubmannschaften, dann sollte der Talente-Pool so groß wie nur irgend möglich sein. Es geht darum sicherzustellen, im Sport generell und eben auch für den Fußball in Deutschland, dass talentierte junge Männer und Frauen, die als Kinder anfingen, nicht aus einer möglichen Profilaufbahn aussteigen und Sportlehrer werden, bloß weil sie den Druck fürchten und ihr Leben genießen wollen. Dass zweitägige Forum in Hennef bietet Gelegenheit, hierzu einen Beitrag zu leisten.

DFB.de: Wie soll das denn funktionieren?

Amaechi: Ich habe für jede Menge Firmen gearbeitet, als Gastredner und Berater, und dabei war mir dieser Nutzen für das Ganze immer besonders wichtig. So ein offener Umgang unterstützt das respektvolle Miteinander in einer Belegschaft, es schweißt Teams enger zusammen. Klar ist es toll, wenn Menschen unterschiedlicher Nationalität oder sexueller Orientierung zusammenarbeiten und sich dabei sicher fühlen können. Aber der große Gewinn im Sport ist doch, dass die Mannschaft dadurch auch besser spielt.

DFB.de: Genau diese Erfahrung haben Sie gemacht, als Sie in der NBA für Orlando Magic spielten.

Amaechi: Niemand in der NBA gab uns eine Chance, alle dachten, wir wären miserabel. Wir waren einfach eine Ansammlung völlig unbekannter NBA-Profis. In unserer Startaufstellung standen ein Mormone, ein französischer Muslim, unser Power Forward sah aus wie jemand aus einem Gangsterfilm, so in der Art von "Boyz n the Hood", und dazu dann ich, ein schwuler Brite. Aber weil wir ehrlich waren, weil wir miteinander umgehen konnten, spielten wir zusammen, wie das schon lange kein Team in der NBA mehr gezeigt hatte. Bedenkt man unsere Ausgangslage, waren wir erstaunlich erfolgreich. 2000 und 2001 schafften wir den Einzug in die Play-offs, während Teams wie die New York Knicks und Boston Celtics zuschauen mussten. Uns war völlig gleichgültig, wer den Korb machte. Hauptsache, wir hatten am Ende das Spiel gewonnen. Das kann man über die wenigsten Teams sagen. Wir waren sehr, sehr unterschiedlich, und das hat uns stark gemacht.

DFB.de: Die Los Angeles Lakers boten Ihnen nach der Saison 2000/2001 einen Vertrag über 17 Millionen Dollar an, den Sie dann abgelehnt haben. Haben Sie Ihre Entscheidung jemals bereut?

Amaechi: Natürlich. Schließlich wollte ich vom ersten Tag an irgendwann einmal für die Lakers spielen. Ich liebe L.A., habe dort auch schon gewohnt. Während der Jahre, die mein Vertrag abgedeckt hätte, gewannen die Lakers vier Titel. Natürlich denke ich manchmal, wie schön es wäre, diese materiellen Dinge zu haben. Doch es gibt eben auch eine andere Seite. Im Sport wie im ganz normalen Leben reden die Leute immer wieder über Loyalität und Prinzipien. Diese moralische Messlatte wird selten getestet. Vielleicht mal, ob wir der alten Dame den Parkplatz vor dem Geschäft wegschnappen. Härter wird die Prüfung meistens nicht. Aber ich wurde wirklich geprüft. Prinzipien können keine Frage der Gelegenheit sein, sie gelten permanent. Plötzlich bot sich mir diese riesige Gelegenheit, doch das Team, dass mir den Weg in die NBA ermöglicht hatte, wollte eben, dass ich bleibe. Und sagte mir ganz offen, dass ich viel, viel weniger Geld verdienen würde. Es war die härteste Entscheidung meines Lebens.

DFB.de: Sie waren 17 Jahre alt, als Sie zum ersten Mal einen Basketball in die Hand nahmen. Sechs Jahre später unterschrieben Sie einen Vertrag in der NBA. Das klingt märchenhaft.

Amaechi: Ich hatte von Beginn an gute Coaches. Die Grundlagen haben gestimmt. Und ich hatte Trainer, die mich dabei unterstützt haben, die jeweils nächste Stufe zu erreichen. Sie haben mich gefördert statt zu kontrollieren, dass ich bloß um jeden Preis in ihrer Mannschaft bleibe. Ich lernte also, was es zu lernen gab, und dann kletterte ich auf das nächste höhere Niveau. Ich hatte einfach Glück, von Trainern geformt zu werden, die mein Potenzial erkannten und mir ermöglichen wollten, es voll auszuschöpfen. Daneben habe ich einfach verdammt hart gearbeitet.

DFB.de: Noch eine Basketball-Frage: Was halten Sie von Dirk Nowitzki?

Amaechi: Er ist ein grandioser Spieler. Er gehört ja nicht zu den ersten Europäern, die in die NBA kamen. Dazu zählte Detlef Schrempf, später dann auch ich. Die NBA-Leute haben uns anfangs gar nichts zugetraut. Aber weil Dirk so aussah wie er nun mal zu Beginn seiner Laufbahn aussah, dieser 2,13 Meter total dürre Riese aus Würzburg, wurde er anfangs noch mehr belächelt als jeder andere europäische Spieler vor ihm. Die Dallas Mavericks tauschten damals einen Spieler namens Robert Traylor, um Dirk nach Dallas zu holen, und die Milwaukee Bucks feierten das Tauschgeschäft als unglaubliches Schnäppchen. So war das am Anfang. Dirk ist ein ganz außergewöhnlicher Basketballer, sein Spiel ist so facettenreich, er ist der neue Larry Bird in der NBA.

DFB.de: Deutschlands größte Städte Berlin und Hamburg haben und hatten einen offen bekennenden schwulen Oberbürgermeister, führende Politiker des Landes sind homosexuell, auch Führungskräfte in der Wirtschaft und der Kultur. Doch noch hat sich kein Bundesligaprofi geoutet. Warum nicht?

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Amaechi: Der Sport insgesamt verlangt nach einem hyper-maskulinen Profi. Wir haben völlig verdrehte Vorstellungen davon, wie ein Mann sein muss. Im Sport ist man überzeugt davon, Schwulsein bedeute, man sei kein ganzer Mann. Sie sagen, bislang habe sich kein Fußballer geoutet. Das stimmt nicht. Es gibt einige Spieler, die sich gegenüber ihren Familien und Mitspielern geoutet haben. Sie sind so öffentlich, wie es die meisten schwulen Männer und lesbischen Frauen sind, nämlich gegenüber den Menschen aus ihrem direkten Umfeld. Aber der große Sport hinkt der Zeit hinterher, das Sportgeschäft ist einfach noch nicht so weit wie andere Wirtschaftsbereiche, etwa Banken und der Handel. Viele Unternehmen verstehen inzwischen, dass es unprofitabel ist, auf Vorstellungen aus dem 19. Jahrhundert zu beharren. Aber viele Leute aus der Führungsetage im Sport und viele Trainer sehen das anders. Sie sind noch etwas altmodisch.

DFB.de: Und die Fans?

Amaechi: Vorurteilsbeladene Fans, die schlecht über schwule Menschen reden, gibt es. Es gibt auch Fußballfans, die abwertend über Schwarze denken und reden. Aber das ist doch eine verschwindend kleine Menge von Fans. Die Realität ist eine andere: Wenn der Spieler da unten auf dem Rasen kämpft, wenn er mit Einsatz und Arbeitsethos jeden Spieltag zur Sache geht, ist den meisten Fans sein Privatleben egal.

DFB.de: Würden Sie einem schwulen Bundesligaprofi raten, sich zu outen?

Amaechi: Rauszugehen ist immer das beste, aber Leute haben Gründe, nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Zeit ist noch nicht reif. Und das liegt weniger an Mitspielern oder an Fans. In den Organisationen selbst muss sich einiges ändern.

DFB.de: Wie fielen die Reaktion damals nach der Veröffentlichung von "Man in the Middle" aus?

Amaechi: 90 Prozent Zustimmung, aber diese Zustimmung war eher ruhig, sachlich, zurückhaltend. Die zehn Prozent, die Probleme mit meinem Coming-Out hatten, waren dagegen sehr laut. Noch heute wünscht mir im Schnitt jede Woche einer anonym per Mail, ich solle sterben, jemand solle mich umbringen, ich solle zur Hölle fahren.

DFB.de: Charles Barkley und Shaquille O’Neal reagierten positiv, andere NBA-Spieler nicht. Tim Hardaway forderte, schwule Menschen aus dem Sport zu verbannen.

Amaechi: Sein Kommentar war schmerzhaft, weniger für mich, aber für viele junge Athleten. Barkley und O’Neal haben sich großartig geäußert.

DFB.de: Was erhoffen Sie sich für Hennef?

Amaechi: Hennef könnte für den deutschen Fußball eine Initialzündung sein, dabei will ich mithelfen. Es geht einfach nicht darum, die vielleicht 15 bis 20 schwulen Profifußballs ein Stück glücklicher oder freier zu machen. Es geht um den bestmöglichen Zugriff auf die meistmöglichen Talente.