Moritz Volz: "Es besteht die Gefahr, vergessen zu werden"

Als das Spiel angepfiffen wurde, atmete Moritz Volz noch einmal tief durch. Dann ging es los. Schalke gegen St. Pauli, kein Spitzenspiel, eines von 306 Spielen einer Bundesliga-Saison. Ziemlich bald werden es die meisten vergessen haben. St. Paulis Moritz Volz (27) verlor das Spiel mit 0:3. Vergessen wird er es nie. Es war sein erster Eínsatz in der Bundesliga, und schon allein das ist etwas Besonderes. Vor allem aber war es der Endpunkt einer Leidenszeit. Der Abwehrspieler war mehr als ein Jahr verletzt und ohne Verein gewesen. Ein paar Jahre zuvor hatte er auf dem Sprung in die Nationalmannschaft gestanden. Mit DFB.de-Redakteur Gereon Tönnihsen hat er über Motivation und Anstrengung gesprochen, über kleines Glück und große Momente und über das Licht am Ende des Tunnels.

DFB.de: Herr Volz, Sie waren ein Jahr ohne Verein, sind dann zu St. Pauli gewechselt, haben jetzt Ihr Bundesliga-Debüt gefeiert. Wie sieht es momentan in Ihnen aus?

Moritz Volz: Es war sehr schön, dass ich die Chance bekommen habe, zu spielen nach einer langen, langen Zeit, in der ich das nicht konnte. Es war der Schlussstrich unter meine Verletzungsphase. Alles außer das Ergebnis war sehr erfreulich, auch die Tatsache, dass mir mein Bundesliga-Debüt auf Schalke gelungen ist, wo ich ja lange in der Jugend gespielt habe. Im Grunde war es ein Debüt auf Umwegen.

DFB.de: Waren Sie nervös?

Volz: Nein, ich habe mich gut gefühlt. Eine gewisse Anspannung oder Aufregung ist ja immer da, aber das ist auch gut so. Ich war lange verletzt, hatte über ein Jahr Beschwerden, konnte zeitweise nicht trainieren und spielen. Manchmal habe ich mich gefragt, ob ich es überhaupt noch mal schaffe, zurückzukommen. Ich hatte im April 2009 mein letztes Profi-Spiel bestritten. Darum überwog vor allem die Vorfreude.

DFB.de: Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie ein Jahr ohne Verein waren?

Volz: Ich habe mich 2009 zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt verletzt, nämlich im letzten Vertragsjahr. Ich hatte eine Schambeinentzündung, einen Adduktoren-Abriss, zwei Operationen wegen einer weichen Leiste. Drei Monate habe ich in der Reha in Donaustauf verbracht. Es war eine sehr harte Zeit, und ich bin froh, dass sie vorbei ist und ich jetzt endlich schmerz- und beschwerdefrei bin.

DFB.de: Fällt es schwer, sich zu motivieren, wenn man Tag für Tag auf sich allein gestellt ist?

Volz: Damit hatte ich eigentlich keine Probleme. Manchmal gab es Momente, in denen es Rückschläge gab, in denen ich das Gefühl hatte, jegliche Therapie schlägt nicht an. Man sieht das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr. Dann drängen Ängste und Bedenken in den Kopf. Zum Glück waren diese Phasen bei mir nur sehr kurz. Entscheidend war, eine gute Fitness zu erlangen. Dazu habe ich mir einen Fitnesscoach genommen. Ich habe sehr gezielt auf mein Comeback hingearbeitet und, als ich Anfang des Jahres nach meiner Reha wieder beschwerdefrei war, die Intensität immer mehr gesteigert. Ich habe beim FC Fulham und bei den Queens Park Rangers mittrainiert, bin eine Woche mit Schalke ins Trainingslager nach Spanien gefahren. Dafür bin ich den Vereinen sehr dankbar. Es war schön, wieder mit anderen Spielern zusammen zu sein, das hat mich weitergebracht.

DFB.de: Hat man in solch einer Zeit Angst, aus dem Blickfeld zu geraten, vielleicht sogar vergessen zu werden?

Volz: Natürlich spielt das eine Rolle, die Gefahr ist ganz eindeutig da. Als Spieler ist man abhängig davon, dass ein Trainer einem das Vertrauen schenkt. Man muss eine Chance bekommen, sonst kann mit nicht zeigen, was man drauf hat. Umso wichtiger war es, körperlich zu alter Stärke zu finden.

DFB.de: Was vermisst man als „Einzelkämpfer“?

Volz: Das Training, die Arbeit auf die Spiele hin, den Wettbewerb, die Gemeinschaft. Das Schwierigste ist, dass man Tag für Tag schuftet und womöglich noch mehr macht als man es vorher getan hat. Doch das Entscheidende, das Spielen, fehlt. Man tut das nur für sich selbst. Als ich in der Reha war, begannen die Arbeitstage um sieben Uhr oder halb acht und konnten schon mal bis 18 Uhr dauern. Dann habe ich Kraft und Stabilisation trainiert, habe Läufe gemacht und später mit fußballspezifischem Training angefangen. Ich habe den ganzen Frühsommer durchgearbeitet, ohne zu wissen, ob ich einen Verein finden würde. Darüber hinaus war ich regelmäßig bei Spielen, in München, Nürnberg, in England. Auch St. Pauli habe ich mir angeschaut. Vielleicht habe ich mich so ein bisschen ins Gedächtnis bringen können. Vor allem aber war es mir wichtig, wenn ich schon nicht spielen konnte, mich zumindest im Kopf weiterzuentwickeln, indem ich Spiele analysiert habe.

DFB.de: Was ist denn schwieriger, die mentale Belastung oder die körperliche?

Volz: Die mentale Belastung ist riesengroß. Ich war ein Jahr arbeitslos. Das ist unglaublich belastend gewesen, nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie und meine Freunde. Teilweise kapselt man sich ab, weil man nichts Neues zu berichten hat und immer wieder die gleichen Fragen hört. Das ist nicht einfach. Körperlich kann man deutlich mehr tun. Es war immer entscheidend, das Ziel vor Augen zu haben, wieder in den Profifußball zurückzukommen.

DFB.de: Haben Sie nie mit dem Gedanken gespielt, was sein könnte, wenn Sie es doch nicht schaffen würden?

Volz: Sporadisch, schon. Aber ich habe mir immer wieder eingetrichtert, nicht aufzugeben. Ich will selbst die Entscheidung treffen, wann ich mit dem Fußball aufhöre und mir das nicht von meinem Körper diktieren lassen. Das heißt nicht, dass ich mir keine Gedanken mache, was ich nach der Karriere tun will. Doch konkret sind diese Überlegungen noch nicht.

DFB.de: Gibt es auch positive Dinge, die Sie aus dieser Zeit mitgenommen haben?

Volz: Im alltäglichen Leben regt man sich oft über Kleinigkeiten auf, dabei muss man sich immer wieder vor Augen führen, dass es andere Menschen gibt, denen es noch viel schlechter geht. Ich habe eine Zeit erlebt, in der ich schon mit scheinbar wenig glücklich war, nämlich gesund zu sein. Wer das ist, hat schon viel erreicht.

DFB.de: Vor sechs Jahren gehörten Sie zum Kreis der Nationalmannschaft. Vor einem Jahr waren Sie arbeitslos. Wie haben Sie diese Extreme erlebt?

Volz: Irgendwie wähnt man sich schon manchmal im falschen Film. Aber ich wusste auch immer, dass ich kein Einzelschicksal bin. Ich kenne weitere Spieler, die lange in ihren Vereinen gespielt haben und auf einmal aufs Abstellgleis geraten, das hat auch mit der Wirtschaftskrise zu tun. Ich konnte mir das immerhin noch durch meine Verletzungen erklären. Ich habe gemerkt, dass die Bedenken bei einigen Vereinen groß waren, mich zu verpflichten, obwohl ich beschwerdefrei war, einen einwandfreien Lebenslauf hatte und viele positiv über mich gesprochen haben.

DFB.de: Heißt das, Ihre lange Pause hat Sie stigmatisiert?

Volz: Ja, nur wenige waren bereit, sich mit mir zu befassen. Für sie war das ein Risiko. Dabei hatte ich in meiner Karriere zuvor nie Muskel- oder Bänderverletzungen. Nur dieses eine Mal hat es mich länger erwischt. Darum freut es mich sehr, dass man mir in St. Pauli die Chance gegeben hat, mich zu beweisen. Dieses Vertrauen möchte ich zurückzahlen.

DFB.de: Ändern sich die eigenen Ansprüche, wenn man so lange mehr oder weniger raus war aus dem Geschäft?

Volz: Ja, natürlich ist es das Ziel eines Profis, so hoch wie möglich zu spielen. Aber man muss auch sehen, was möglich ist. Ich wäre auch bereit gewesen, Abstriche zu machen und in die 2. Bundesliga zu wechseln. Wichtig war es, überhaupt wieder zurückzukommen. Umso mehr hat es mich gefreut, dass sich ein Erstligist wie St. Pauli für mich interessiert hat.

DFB.de: War es für Sie ein Nachteil, dass Sie durch Ihre lange Zeit in England hier nicht so einen großen Namen haben wie dort?

Volz: Fakt ist, dass ich in England viel bekannter bin als hier. In der Zeit meiner Verletzung habe ich dort Interviews gegeben, Spiele kommentiert, Kolumnen geschrieben. Ich habe mich gefreut, wie gefragt ich dort war, obwohl ich nicht spielte. Deutschland habe ich verlassen, als ich 16 war. Natürlich ist man im Ausland nicht so im Blick wie in der Heimat. Aus den Augen, aus dem Sinn. Das ist eben so.

DFB.de: War es denn Ihr Ziel, nach Deutschland zu wechseln?

Volz: Nicht unbedingt mein Ziel, aber das Interesse war da. Ich habe mich immer schon gefragt, wie es ist, Bundesliga-Profi zu sein.

DFB.de: Und wie ist es?

Volz: Anders als in der Premier League. Man zeigt sich mehr in der Öffentlichkeit, gibt mehr Autogrammstunden und Interviews. Das war ich selbst bei Arsenal nicht in dieser Form gewohnt. Außerdem wird in Deutschland mehr am Nachmittag trainiert als in England. Insgesamt ist es ein gutes Gefühl.

2004 beim Nationalteam: Volz (rechts) mit Jürgen Klinsmann.
2004 beim Nationalteam: Volz (rechts) mit Bundestrainer Jürgen Klinsmann

DFB.de: Denken Sie manchmal noch an Ihre Zeit im Kreis der Nationalmannschaft im November 2004?

Volz: Eigentlich nicht, das ist ja auch schon ziemlich lange her, und ich habe ja auch nicht gespielt. Die Erinnerungen in den Jugendnationalmannschaften sind intensiver. Von der U 15 bis zur U 21 war ich regelmäßig dabei. Ich habe diese Zeit sehr genossen, wir haben viele Turniere bestritten, interessante Reisen gemacht. Ich habe viele Trainer mit unterschiedlichen Spielauffassungen kennengelernt. Das war sehr wertvoll für mich. Und als ich dann in den Seniorenbereich gekommen bin, hat mir das auch sehr gefehlt.

DFB.de: Wo sehen Sie sich jetzt?

Volz: Fit war ich schon, als ich nach St. Pauli kam, aber ich musste mich erst wieder an Spielsituationen gewöhnen. Man kann trainieren, wie man will. Spiele sind durch nichts zu ersetzen. Ich bin glücklich, dass ich nun zum ersten Mal auch in der Liga dabei sein durfte. Es ist auch das Schöne in der Bundesliga, dass ich immer wieder alte Weggefährten treffe. Mit Ralph Gunesch und Matthias Lehmann, die jetzt wie ich bei St. Pauli spielen, habe ich früher in den DFB-Mannschaften gespielt. So gibt es eigentlich an jedem Wochenende schöne Begegnungen.

DFB.de: Setzt man sich nach so langer Pause überhaupt noch langfristige Ziele? Oder schauen Sie mehr von Tag zu Tag?

Volz: Ziele habe ich immer. Sie sind wichtig. Mein erstes Ziel war es, für St. Pauli in der Bundesliga zu spielen. Jetzt geht es weiter. Ich behalte lieber für mich, was ich mir sonst noch vorgenommen habe. Eines ist aber klar: Ich möchte mit St. Pauli den Klassenverbleib schaffen.

Zur Person: Moritz Volz

Moritz Volz, geboren am 21. Januar 1983, wechselte als 16-Jähriger von Schalke 04 zum FC Arsenal nach London, wo er auch den Sprung in den Seniorenbereich schaffte. Nach einer Ausleihe zum FC Wimbledon schloss er sich dem FC Fulham an, wo er sich einen Stammplatz auf der rechten Abwehrseite erkämpfte. Im November 2004 berief ihn der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann in den Kader der Nationalmannschaft für das Spiel gegen Kamerun in Leipzig. Dort jedoch kam Volz, der zuvor alle Jugendauswahlmannschaften des DFB durchlaufen hatte, nicht zum Einsatz. 2008 verlieh ihn Fulham zum Zweitligisten Ipswich Town. Im April 2009 bestritt er gegen Sheffield United sein vorerst letztes Ligaspiel. Danach verletzte er sich schwer. Sein Vertrag lief aus, und Volz fand keinen neuen Verein. Erst zur aktuellen Saison bekam er eine Anstellung bei Bundesliga-Aufsteiger FC St. Pauli. Gegen Schalke gab er am vergangenen Wochenende sein Bundesliga-Debüt.

[gt]

[bild1]

Als das Spiel angepfiffen wurde, atmete Moritz Volz noch einmal tief durch. Dann ging es los. Schalke gegen St. Pauli, kein Spitzenspiel, eines von 306 Spielen einer Bundesliga-Saison. Ziemlich bald werden es die meisten vergessen haben. St. Paulis Moritz Volz (27) verlor das Spiel mit 0:3. Vergessen wird er es nie. Es war sein erster Eínsatz in der Bundesliga, und schon allein das ist etwas Besonderes. Vor allem aber war es der Endpunkt einer Leidenszeit. Der Abwehrspieler war mehr als ein Jahr verletzt und ohne Verein gewesen. Ein paar Jahre zuvor hatte er auf dem Sprung in die Nationalmannschaft gestanden. Mit DFB.de-Redakteur Gereon Tönnihsen hat er über Motivation und Anstrengung gesprochen, über kleines Glück und große Momente und über das Licht am Ende des Tunnels.

DFB.de: Herr Volz, Sie waren ein Jahr ohne Verein, sind dann zu St. Pauli gewechselt, haben jetzt Ihr Bundesliga-Debüt gefeiert. Wie sieht es momentan in Ihnen aus?

Moritz Volz: Es war sehr schön, dass ich die Chance bekommen habe, zu spielen nach einer langen, langen Zeit, in der ich das nicht konnte. Es war der Schlussstrich unter meine Verletzungsphase. Alles außer das Ergebnis war sehr erfreulich, auch die Tatsache, dass mir mein Bundesliga-Debüt auf Schalke gelungen ist, wo ich ja lange in der Jugend gespielt habe. Im Grunde war es ein Debüt auf Umwegen.

DFB.de: Waren Sie nervös?

Volz: Nein, ich habe mich gut gefühlt. Eine gewisse Anspannung oder Aufregung ist ja immer da, aber das ist auch gut so. Ich war lange verletzt, hatte über ein Jahr Beschwerden, konnte zeitweise nicht trainieren und spielen. Manchmal habe ich mich gefragt, ob ich es überhaupt noch mal schaffe, zurückzukommen. Ich hatte im April 2009 mein letztes Profi-Spiel bestritten. Darum überwog vor allem die Vorfreude.

DFB.de: Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie ein Jahr ohne Verein waren?

Volz: Ich habe mich 2009 zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt verletzt, nämlich im letzten Vertragsjahr. Ich hatte eine Schambeinentzündung, einen Adduktoren-Abriss, zwei Operationen wegen einer weichen Leiste. Drei Monate habe ich in der Reha in Donaustauf verbracht. Es war eine sehr harte Zeit, und ich bin froh, dass sie vorbei ist und ich jetzt endlich schmerz- und beschwerdefrei bin.

DFB.de: Fällt es schwer, sich zu motivieren, wenn man Tag für Tag auf sich allein gestellt ist?

Volz: Damit hatte ich eigentlich keine Probleme. Manchmal gab es Momente, in denen es Rückschläge gab, in denen ich das Gefühl hatte, jegliche Therapie schlägt nicht an. Man sieht das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr. Dann drängen Ängste und Bedenken in den Kopf. Zum Glück waren diese Phasen bei mir nur sehr kurz. Entscheidend war, eine gute Fitness zu erlangen. Dazu habe ich mir einen Fitnesscoach genommen. Ich habe sehr gezielt auf mein Comeback hingearbeitet und, als ich Anfang des Jahres nach meiner Reha wieder beschwerdefrei war, die Intensität immer mehr gesteigert. Ich habe beim FC Fulham und bei den Queens Park Rangers mittrainiert, bin eine Woche mit Schalke ins Trainingslager nach Spanien gefahren. Dafür bin ich den Vereinen sehr dankbar. Es war schön, wieder mit anderen Spielern zusammen zu sein, das hat mich weitergebracht.

DFB.de: Hat man in solch einer Zeit Angst, aus dem Blickfeld zu geraten, vielleicht sogar vergessen zu werden?

Volz: Natürlich spielt das eine Rolle, die Gefahr ist ganz eindeutig da. Als Spieler ist man abhängig davon, dass ein Trainer einem das Vertrauen schenkt. Man muss eine Chance bekommen, sonst kann mit nicht zeigen, was man drauf hat. Umso wichtiger war es, körperlich zu alter Stärke zu finden.

DFB.de: Was vermisst man als „Einzelkämpfer“?

Volz: Das Training, die Arbeit auf die Spiele hin, den Wettbewerb, die Gemeinschaft. Das Schwierigste ist, dass man Tag für Tag schuftet und womöglich noch mehr macht als man es vorher getan hat. Doch das Entscheidende, das Spielen, fehlt. Man tut das nur für sich selbst. Als ich in der Reha war, begannen die Arbeitstage um sieben Uhr oder halb acht und konnten schon mal bis 18 Uhr dauern. Dann habe ich Kraft und Stabilisation trainiert, habe Läufe gemacht und später mit fußballspezifischem Training angefangen. Ich habe den ganzen Frühsommer durchgearbeitet, ohne zu wissen, ob ich einen Verein finden würde. Darüber hinaus war ich regelmäßig bei Spielen, in München, Nürnberg, in England. Auch St. Pauli habe ich mir angeschaut. Vielleicht habe ich mich so ein bisschen ins Gedächtnis bringen können. Vor allem aber war es mir wichtig, wenn ich schon nicht spielen konnte, mich zumindest im Kopf weiterzuentwickeln, indem ich Spiele analysiert habe.

[bild2]

DFB.de: Was ist denn schwieriger, die mentale Belastung oder die körperliche?

Volz: Die mentale Belastung ist riesengroß. Ich war ein Jahr arbeitslos. Das ist unglaublich belastend gewesen, nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie und meine Freunde. Teilweise kapselt man sich ab, weil man nichts Neues zu berichten hat und immer wieder die gleichen Fragen hört. Das ist nicht einfach. Körperlich kann man deutlich mehr tun. Es war immer entscheidend, das Ziel vor Augen zu haben, wieder in den Profifußball zurückzukommen.

DFB.de: Haben Sie nie mit dem Gedanken gespielt, was sein könnte, wenn Sie es doch nicht schaffen würden?

Volz: Sporadisch, schon. Aber ich habe mir immer wieder eingetrichtert, nicht aufzugeben. Ich will selbst die Entscheidung treffen, wann ich mit dem Fußball aufhöre und mir das nicht von meinem Körper diktieren lassen. Das heißt nicht, dass ich mir keine Gedanken mache, was ich nach der Karriere tun will. Doch konkret sind diese Überlegungen noch nicht.

DFB.de: Gibt es auch positive Dinge, die Sie aus dieser Zeit mitgenommen haben?

Volz: Im alltäglichen Leben regt man sich oft über Kleinigkeiten auf, dabei muss man sich immer wieder vor Augen führen, dass es andere Menschen gibt, denen es noch viel schlechter geht. Ich habe eine Zeit erlebt, in der ich schon mit scheinbar wenig glücklich war, nämlich gesund zu sein. Wer das ist, hat schon viel erreicht.

DFB.de: Vor sechs Jahren gehörten Sie zum Kreis der Nationalmannschaft. Vor einem Jahr waren Sie arbeitslos. Wie haben Sie diese Extreme erlebt?

Volz: Irgendwie wähnt man sich schon manchmal im falschen Film. Aber ich wusste auch immer, dass ich kein Einzelschicksal bin. Ich kenne weitere Spieler, die lange in ihren Vereinen gespielt haben und auf einmal aufs Abstellgleis geraten, das hat auch mit der Wirtschaftskrise zu tun. Ich konnte mir das immerhin noch durch meine Verletzungen erklären. Ich habe gemerkt, dass die Bedenken bei einigen Vereinen groß waren, mich zu verpflichten, obwohl ich beschwerdefrei war, einen einwandfreien Lebenslauf hatte und viele positiv über mich gesprochen haben.

DFB.de: Heißt das, Ihre lange Pause hat Sie stigmatisiert?

Volz: Ja, nur wenige waren bereit, sich mit mir zu befassen. Für sie war das ein Risiko. Dabei hatte ich in meiner Karriere zuvor nie Muskel- oder Bänderverletzungen. Nur dieses eine Mal hat es mich länger erwischt. Darum freut es mich sehr, dass man mir in St. Pauli die Chance gegeben hat, mich zu beweisen. Dieses Vertrauen möchte ich zurückzahlen.

DFB.de: Ändern sich die eigenen Ansprüche, wenn man so lange mehr oder weniger raus war aus dem Geschäft?

Volz: Ja, natürlich ist es das Ziel eines Profis, so hoch wie möglich zu spielen. Aber man muss auch sehen, was möglich ist. Ich wäre auch bereit gewesen, Abstriche zu machen und in die 2. Bundesliga zu wechseln. Wichtig war es, überhaupt wieder zurückzukommen. Umso mehr hat es mich gefreut, dass sich ein Erstligist wie St. Pauli für mich interessiert hat.

DFB.de: War es für Sie ein Nachteil, dass Sie durch Ihre lange Zeit in England hier nicht so einen großen Namen haben wie dort?

Volz: Fakt ist, dass ich in England viel bekannter bin als hier. In der Zeit meiner Verletzung habe ich dort Interviews gegeben, Spiele kommentiert, Kolumnen geschrieben. Ich habe mich gefreut, wie gefragt ich dort war, obwohl ich nicht spielte. Deutschland habe ich verlassen, als ich 16 war. Natürlich ist man im Ausland nicht so im Blick wie in der Heimat. Aus den Augen, aus dem Sinn. Das ist eben so.

DFB.de: War es denn Ihr Ziel, nach Deutschland zu wechseln?

Volz: Nicht unbedingt mein Ziel, aber das Interesse war da. Ich habe mich immer schon gefragt, wie es ist, Bundesliga-Profi zu sein.

DFB.de: Und wie ist es?

Volz: Anders als in der Premier League. Man zeigt sich mehr in der Öffentlichkeit, gibt mehr Autogrammstunden und Interviews. Das war ich selbst bei Arsenal nicht in dieser Form gewohnt. Außerdem wird in Deutschland mehr am Nachmittag trainiert als in England. Insgesamt ist es ein gutes Gefühl.

2004 beim Nationalteam: Volz (rechts) mit Jürgen Klinsmann.
2004 beim Nationalteam: Volz (rechts) mit Bundestrainer Jürgen Klinsmann

DFB.de: Denken Sie manchmal noch an Ihre Zeit im Kreis der Nationalmannschaft im November 2004?

Volz: Eigentlich nicht, das ist ja auch schon ziemlich lange her, und ich habe ja auch nicht gespielt. Die Erinnerungen in den Jugendnationalmannschaften sind intensiver. Von der U 15 bis zur U 21 war ich regelmäßig dabei. Ich habe diese Zeit sehr genossen, wir haben viele Turniere bestritten, interessante Reisen gemacht. Ich habe viele Trainer mit unterschiedlichen Spielauffassungen kennengelernt. Das war sehr wertvoll für mich. Und als ich dann in den Seniorenbereich gekommen bin, hat mir das auch sehr gefehlt.

DFB.de: Wo sehen Sie sich jetzt?

Volz: Fit war ich schon, als ich nach St. Pauli kam, aber ich musste mich erst wieder an Spielsituationen gewöhnen. Man kann trainieren, wie man will. Spiele sind durch nichts zu ersetzen. Ich bin glücklich, dass ich nun zum ersten Mal auch in der Liga dabei sein durfte. Es ist auch das Schöne in der Bundesliga, dass ich immer wieder alte Weggefährten treffe. Mit Ralph Gunesch und Matthias Lehmann, die jetzt wie ich bei St. Pauli spielen, habe ich früher in den DFB-Mannschaften gespielt. So gibt es eigentlich an jedem Wochenende schöne Begegnungen.

DFB.de: Setzt man sich nach so langer Pause überhaupt noch langfristige Ziele? Oder schauen Sie mehr von Tag zu Tag?

Volz: Ziele habe ich immer. Sie sind wichtig. Mein erstes Ziel war es, für St. Pauli in der Bundesliga zu spielen. Jetzt geht es weiter. Ich behalte lieber für mich, was ich mir sonst noch vorgenommen habe. Eines ist aber klar: Ich möchte mit St. Pauli den Klassenverbleib schaffen.

Zur Person: Moritz Volz

Moritz Volz, geboren am 21. Januar 1983, wechselte als 16-Jähriger von Schalke 04 zum FC Arsenal nach London, wo er auch den Sprung in den Seniorenbereich schaffte. Nach einer Ausleihe zum FC Wimbledon schloss er sich dem FC Fulham an, wo er sich einen Stammplatz auf der rechten Abwehrseite erkämpfte. Im November 2004 berief ihn der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann in den Kader der Nationalmannschaft für das Spiel gegen Kamerun in Leipzig. Dort jedoch kam Volz, der zuvor alle Jugendauswahlmannschaften des DFB durchlaufen hatte, nicht zum Einsatz. 2008 verlieh ihn Fulham zum Zweitligisten Ipswich Town. Im April 2009 bestritt er gegen Sheffield United sein vorerst letztes Ligaspiel. Danach verletzte er sich schwer. Sein Vertrag lief aus, und Volz fand keinen neuen Verein. Erst zur aktuellen Saison bekam er eine Anstellung bei Bundesliga-Aufsteiger FC St. Pauli. Gegen Schalke gab er am vergangenen Wochenende sein Bundesliga-Debüt.