Mats Hummels: "Es tut weh, zugucken zu müssen"

Mats Hummels klopft auf Holz, als er den Raum zum Interview betritt. Borussia Dortmunds Abwehrchef ist gesund. Und das soll jetzt auch tunlichst so bleiben. Jetzt, da die Saison in ihre entscheidenden Wochen geht - heute (ab 15.30 Uhr, live bei Sky) mit dem Bundesliga-Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach.

Drei Monate hatte Hummels im letzten Quartal 2013 verletzt zuschauen müssen. Und dann noch einmal vier Wochen im Februar. Im DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Nils Hotze spricht der 25 Jahre alte Nationalspieler über Grenzen und grenzenloses Glück, über Lust und Lob, Trott und Titel, über Verantwortung und Selbstschutz, über fremdbestimmte Wochen und bewusst erlebte Tage.

DFB.de: Herr Hummels, Sie haben vor der Saison gesagt, dass Niederlagen zu einer guten Sport-Geschichte dazu gehören. Gilt das auch für Verletzungen?

Mats Hummels: Ja, leider. Es gibt keinen Leistungssportler, der es geschafft hat, 15 Jahre auf hohem Niveau und ohne Verletzung zu spielen. Also vielleicht gibt es einen, aber den kenne ich dann nicht. Verletzungen gehören einfach dazu. Man fordert seinem Körper viel ab. Und irgendwann, in einer unglücklichen Situation, sind die Grenzen dann mal überstrapaziert, sind sie überschritten. Im Laufe der Zeit lernt man aber, besser damit umzugehen. Besser jedenfalls als bei der Verletzung, die ich mit 19, 20 hatte.

DFB.de: Hat eine solch längere Verletzungspause vielleicht sogar auch etwas Gutes im Schlechten? Womöglich, dass man mal rauskommt aus dem Hamsterrad, weg von diesem "immer weiter", "immer mehr"?

Hummels: Ja, durchaus. Man kriegt zumindest wieder diese komplette, hundertprozentige Motivation und Lust. Wenn man so wie wir so viele Englische Wochen hat, verfällt man schon irgendwann in einen Trott.

DFB.de: Inwiefern?

Hummels: Man schläft im Hotel, spielt, fährt nach Hause, schläft dort aber nur eine Nacht, dann geht’s schon wieder ins Hotel, schläft dort, wieder ein anderes Bett. Man schläft vier von sieben Nächten in irgendwelchen Hotels. Das ist wirklich etwas, was für den Kopf nicht so einfach ist. Denn man kann sehr wenig selbst bestimmen. Man kann nicht entscheiden, wo man sich gerne befinden würde und was man gerade machen möchte. Im Prinzip ist die ganze Woche fremdbestimmt. Wenn man dann mal drei Monate verletzt ist, so wie ich es war, kann man sich auch mal wieder mit anderen Dingen beschäftigen. Man hat mehr Zeit zu Hause – und ist dann eben umso motivierter, wenn man wieder am Ball ist.



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Mats Hummels klopft auf Holz, als er den Raum zum Interview betritt. Borussia Dortmunds Abwehrchef ist gesund. Und das soll jetzt auch tunlichst so bleiben. Jetzt, da die Saison in ihre entscheidenden Wochen geht - heute (ab 15.30 Uhr, live bei Sky) mit dem Bundesliga-Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach.

Drei Monate hatte Hummels im letzten Quartal 2013 verletzt zuschauen müssen. Und dann noch einmal vier Wochen im Februar. Im DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Nils Hotze spricht der 25 Jahre alte Nationalspieler über Grenzen und grenzenloses Glück, über Lust und Lob, Trott und Titel, über Verantwortung und Selbstschutz, über fremdbestimmte Wochen und bewusst erlebte Tage.

DFB.de: Herr Hummels, Sie haben vor der Saison gesagt, dass Niederlagen zu einer guten Sport-Geschichte dazu gehören. Gilt das auch für Verletzungen?

Mats Hummels: Ja, leider. Es gibt keinen Leistungssportler, der es geschafft hat, 15 Jahre auf hohem Niveau und ohne Verletzung zu spielen. Also vielleicht gibt es einen, aber den kenne ich dann nicht. Verletzungen gehören einfach dazu. Man fordert seinem Körper viel ab. Und irgendwann, in einer unglücklichen Situation, sind die Grenzen dann mal überstrapaziert, sind sie überschritten. Im Laufe der Zeit lernt man aber, besser damit umzugehen. Besser jedenfalls als bei der Verletzung, die ich mit 19, 20 hatte.

DFB.de: Hat eine solch längere Verletzungspause vielleicht sogar auch etwas Gutes im Schlechten? Womöglich, dass man mal rauskommt aus dem Hamsterrad, weg von diesem "immer weiter", "immer mehr"?

Hummels: Ja, durchaus. Man kriegt zumindest wieder diese komplette, hundertprozentige Motivation und Lust. Wenn man so wie wir so viele Englische Wochen hat, verfällt man schon irgendwann in einen Trott.

DFB.de: Inwiefern?

Hummels: Man schläft im Hotel, spielt, fährt nach Hause, schläft dort aber nur eine Nacht, dann geht’s schon wieder ins Hotel, schläft dort, wieder ein anderes Bett. Man schläft vier von sieben Nächten in irgendwelchen Hotels. Das ist wirklich etwas, was für den Kopf nicht so einfach ist. Denn man kann sehr wenig selbst bestimmen. Man kann nicht entscheiden, wo man sich gerne befinden würde und was man gerade machen möchte. Im Prinzip ist die ganze Woche fremdbestimmt. Wenn man dann mal drei Monate verletzt ist, so wie ich es war, kann man sich auch mal wieder mit anderen Dingen beschäftigen. Man hat mehr Zeit zu Hause – und ist dann eben umso motivierter, wenn man wieder am Ball ist.

DFB.de: Womit haben Sie sich beschäftigt?

Hummels: Es waren Kleinigkeiten, Alltägliches, nichts Besonderes. Ich habe mich zu Hause mehr eingebracht, die Dinge bewusster wahrgenommen. Sonst macht man Sachen einfach so nebenbei. Ich habe mich mit Freunden getroffen, habe etwas unternommen, bin rausgegangen. Denn wenn man spielt, ist man nur noch zur Erholung zu Hause – man macht nichts mehr.

DFB.de: Ein weiterer Vorteil könnte sein, dass man von der Tribüne aus mal eine ganz andere Perspektive aufs Spiel der eigenen Mannschaft hat.

Hummels: Der Blickwinkel ist anders, klar. Aber im Prinzip hat man die Fernsehkamera-Perspektive. Wenn ich mir andere Spiele anschaue oder unsere eigenen auf Video, dann habe ich diese Perspektive auch. Allerdings, das stimmt, von der Tribüne hat man zusätzlich definitiv den besseren Überblick. Wenn jeder Spieler auf dem Platz diesen Überblick hätte, dann würden noch sehr viel mehr Entscheidungen noch besser getroffen werden.

DFB.de: Welche Entscheidungen sind in der Schwächeperiode des BVB im zweiten Teil der Hinrunde nicht gut getroffen worden?

Hummels: Im Endeffekt geht es nur um richtige Entscheidungen, also um die Frage, wo Mitspieler frei sind oder im nächsten Moment frei werden könnten. Diese Dinge sieht man von oben natürlich besser. Ehrlich gesagt, ertappe ich mich dann auch dabei, dass ich rufe: "Mensch, guck doch, der ist doch völlig blank! Wie kannst Du den denn nur übersehen?" In solchen Momenten kann ich verstehen, warum Zuschauer sich manchmal fragen, wie bloß diese einfachen Fehler passieren können. Wenn Du aber selber auf dem Platz stehst, dann hast Du diesen 360-Grad-Blick eben nicht.

DFB.de: Sie sind ein Spieler und ein Mensch, der aus sich heraus gerne Verantwortung übernimmt. Wie schwer fällt es, wenn man als Verletzter genau diese Verantwortung für seine Mannschaft nicht übernehmen kann?

Hummels: Die Zeit war sehr schwierig. Wenn man weiß, dass man länger verletzt ist, dann schafft man sich selber eine kleine Distanz zu dem Ganzen. Man muss sich auch selber in Schutz nehmen. Wenn ich in dieser Zeit den Jungs jeden Tag beim Training zugucken würde, dann würde das mein Kopf nicht mitmachen. Da wirst Du verrückt. Und genau dann bringst Du nicht die nötige Geduld für die Reha auf. Ich habe in meiner Verletzungszeit insgesamt sehr wenig Fußball geschaut, weil es – so doof das klingt – tatsächlich weh tut, zugucken zu müssen und zu wissen, dass man selber nicht so schnell wieder mitspielen kann.

DFB.de: Wie befreiend war vor diesem Hintergrund Ihr Führungstor gegen Nürnberg? Sie haben ihn ja gleich mal rein gemacht.

Hummels: Ja gut, ich hab das Ding regelrecht rein gezirkelt aus geschätzten 13 Zentimetern. (lacht) Aber im Ernst: Ich habe schon oft gesagt, ich würde gerne mal so ein Kack-Tor schießen, bei dem man den Ball nur noch ins leere Tor schießen muss. Es hat mich gefreut, dass das geklappt hat. Da ich aber weiß, dass ich nicht in jedem Spiel ein Tor schieße, war mir der restliche Teil noch wichtiger.

DFB.de: Wie zufrieden waren Sie mit dem Rest?

Hummels: Damit war ich relativ zufrieden. Das Gefühl für Zweikämpfe, das Gefühl für Räume, das war schon okay. Aber natürlich dauert es auch noch ein paar Spiele, bis ich wieder quasi von alleine die richtigen Entscheidungen treffe.

DFB.de: Bei wie viel Prozent sind Sie?

Hummels: Joa, also von der Fitness her ist alles in Ordnung. Vielleicht hat gegen Nürnberg noch das eine oder andere Prozent gefehlt, aber gegen Gladbach müsste mit jetzt drei vollen Trainingswochen und zwei Spielen eigentlich alles wieder aufgeholt sein. Das Gefühl für die Situation, das lässt sich allerdings echt schwer in Prozent ausdrücken. Da muss ich auf jeden Fall noch besser in den Rhythmus kommen, bis ich wirklich komplett wieder da angelangt bin, wo ich selber hin möchte.

DFB.de: Sie sind sehr selbstkritisch. Wann waren Sie als Fußballer eigentlich das letzte Mal rundum zufrieden, wann waren Sie zuletzt glücklich?

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Hummels: Das bin ich eigentlich nach jedem gelungenen Spiel von der Mannschaft. Wenn wir als Mannschaft das abrufen, was wir können; wenn wir etwas überraschende Siege einfahren, wie beim 2:1 in London, als wir in der zweiten Hälfte sicher nicht die bessere Mannschaft waren; oder wenn wir herausragende Spiele haben, wie zu Hause beim 6:2 gegen Hamburg, beim 5:0 gegen Freiburg, beim 6:1 gegen Stuttgart. Nach solchen Spielen bin ich abends ohne Einschränkung glücklich.

DFB.de: Herr Hummels, so etwas wie Bestätigung – sei es Applaus von den Zuschauern, Lob vom Trainer oder von den Mitspielern – inwieweit fehlt so etwas, wenn man drei Monate nicht dabei ist?

Hummels: Das fehlt nicht, wenn man verletzt ist. Ehrlich gesagt, habe ich daran überhaupt nicht gedacht. Allerdings ist es sehr schön, wenn man diese Bestätigung dann wieder bekommt. Das muss ich schon sagen. Für mich ich das wichtigste Lob das der Mitspieler. Denn das sind die Jungs, die Dir auf dem Platz vertrauen müssen; und denen auch Du vertrauen musst. Und wenn die wissen, Du machst Deine Sache in der Regel gut, und wenn Du selber weißt, die spielen gerne mit Dir zusammen, dann gibt das einem ein unglaublich gutes Gefühl.

DFB.de: Apropos gutes Gefühl: Zu einer guten Sport-Geschichte gehören auch Titel. Sie haben schon ein paar gewonnen. Welche kommen denn in diesem Jahr dazu?

Hummels: Ja gut, das mit der Meisterschaft wird schwierig… Aber natürlich wollen wir ins Pokalfinale, das ist doch klar. Wir haben ein Heimspiel, das wollten wir, auch wenn Wolfsburg mittlerweile eine richtig gute Mannschaft stellt. Und in der Champions League kann man nicht davon reden, dass wir den Titel holen wollen. Es hat noch nie eine Mannschaft den Titel verteidigt. Das bedeutet…

DFB.de: …dass die Bayern zumindest diesen Titel noch nicht sicher haben…

Hummels: …ja, auch, vor allem aber, dass es offensichtlich mehr als zwei gute Mannschaften gibt, die den Titel holen können. Die Leistungsdichte in der Champions League ist so enorm hoch, dass man da nach der Gruppenphase auch auf Tagesform und vielleicht ein bisschen Losglück angewiesen ist. Wobei es eigentlich gar keine schwachen Gegner mehr gibt. Insofern sind wir dem DFB-Pokal mit zwei theoretischen Siegen am nächsten – aber da stehen auch noch Wolfsburg und mutmaßlich die Bayern im Weg.

DFB.de: Und dann gibt es im Sommer eine Fußball-Weltmeisterschaft.

Hummels: Ja – aber ehrlich gesagt, denke ich da noch gar nicht so sehr dran. Ich will jetzt erst einmal BVB-Fußball spielen. Und ab dem Tag nach dem Pokalfinale denke ich an den DFB.

Als Mats Hummels den Interviewraum verlässt, klopft er wieder auf Holz.