Marco Grüttner: Karriere mit Brüchen

Es kann ein ehemaliger Nationalspieler sein. Oder ein Talent. Oder ein Trainer. Oder ein Urgestein. Die 3. Liga hat in ihrer fünften Saison eine Menge Charakterköpfe zu bieten, Figuren und Protagonisten, die ihren Vereinen und der Liga Profil verleihen. Sie sind die "Gesichter der 3. Liga". DFB.de stellt sie jeden Freitag in seiner neuen Serie vor. Heute: Marco Grüttner von den Stuttgarter Kickers.

Es gibt schönere Nächte. Um 4.30 Uhr war Marco Grüttner endlich zu Hause. Ohne Tore, ohne Punkte. Nach dem Aufstehen musste der Stürmer der Stuttgarter Kickers lesen, dass er das Duell der Torjäger gegen Fabian Klos verloren habe. Der Bielefelder hatte das entscheidende 1:0 erzielt. Natürlich hat sich Grüttner geärgert. Über die Niederlage seiner Mannschaft und darüber, dass er diesmal leer ausgegangen war. Aber um den Schlaf hat es ihn nicht gebracht.

Abgesehen davon, dass fünf Tore für einen Angreifer, der bei einem Aufsteiger spielt und der erst seine zweite Saison in der 3. Liga absolviert, immer noch bemerkenswert sind: Sportliche Momentaufnahmen können den gebürtigen Ludwigsburger nicht mehr aus der Bahn werfen in Anbetracht der Rückschläge, die er hinter sich hat.

Sensationeller Einzug ins DFB-Pokalfinale

Marco Grüttner wird im Oktober 27 Jahre alt. Über den Status eines Talents ist er längst hinaus. Ein Talent war er beim GSV Erdmannshausen, bei dem er den Großteil seiner Jugendzeit verbrachte, und dem SGV Freiberg, mit dem er 2004 sensationell das Finale im DFB-Junioren-Vereinspokal erreichte. 0:5 ging das Endspiel gegen Hertha BSC verloren, mit Grüttner als Einwechselspieler. Im Viertelfinale gegen den Karlsruher SC war er noch Stammkraft gewesen, hatte sich dort aber das Schienbein gebrochen.

In einer Phase, in der sich Altersgenossen wie sein damaliger Teamkollege Marc Schnatterer (heute FC Heidenheim) für den Aktivenbereich empfehlen, muss Grüttner sich darauf beschränken, gesund zu werden. Fünf Jahre verbringt er anschließend in der Verbands- und Oberliga. Mit der SG Sonnenhof Großaspach und dem TSV Schwieberdingen feiert er Aufstiege. Zweimal wird er Torschützenkönig, einmal in der Verbandsliga, einmal in der Oberliga Baden-Württemberg, da wieder in Diensten des SGV Freiberg.

Schock nach Schädelbruch

Im Sommer 2010 scheint die nächste Stufe auf der Karriereleiter genommen. Im Winter ist Grüttner nach einem kurzen Gastspiel beim Regionalligisten SSV Ulm zum Ligakonkurrenten VfR Aalen gewechselt, jetzt hat er mit dem Klub den Sprung in die 3. Liga geschafft. Im DFB-Pokal bekommt der VfR als Erstrundengegner Schalke 04 zugelost. Grüttner darf beim 1:2 gegen den Bundesligisten von Anfang an ran, ebenso wie in den meisten Ligaspielen. Es läuft gut – bis zum nächsten Knall.

Marco Grüttner weiß nicht mehr viel vom 5. Oktober 2010. Die Ereignisse kennt er nur von Erzählungen. Eine Flanke, ein herauseilender Torwart. Köpfe, die gegeneinander krachen. Ein fürchterliches Geräusch, geschockte Mitspieler. Minutenlange Bewusstlosigkeit. Im Krankenhaus wird festgestellt, dass Grüttners Schädel gebrochen ist. Drei Monate darf er keinen Sport treiben, "nicht einmal Nordic Walking", wie er erzählt. Sogar Autofahren ist verboten.

Der "Cech-Helm" verstaubt im Keller

Nach fünf Monaten kehrt der gebürtige Ludwigsburger auf den Fußballplatz zurück. Im ersten Training trägt er einen Helm wie Chelseas Torwart Petr Cech. Als er bei einer Übung den Ball überall hin köpft, nur nicht dahin, wo er hin soll, pfeffert Grüttner die Kopfbedeckung in die Ecke. Kurz darauf versenkt er beim Trainingsspiel einen Kopfball im Tor. Das Signal für ihn: Er ist wieder da. Im zweiten Punktspiel nach dem Comeback schießt er seinen ersten Drittligatreffer, das 2:1 gegen Carl Zeiss Jena. Der Helm verstaubt seitdem zu Hause im Keller.

Nach Saisonende schließt sich Grüttner den Stuttgarter Kickers an. Es dauert zwei Monate, ehe wieder ein Knochen bricht. Diesmal ist es das Jochbein. Nach vier Wochen Pause handelt sich der Stürmer gleich eine Rote Karte ein. Es sind Momente, in denen Fußballer zweifeln und leicht auch verzweifeln können. Grüttner schüttelt den Kopf. Nein, alles in Frage gestellt habe er nie. "Ich bin ein Typ, der nicht aufgibt", sagt er. Auch die Angst spiele nach den Verletzungen nicht mit. "Ich gehe weiterhin dahin, wo es weh tut. Ich lebe von meinem Einsatz und meinem Kopfballspiel."

"Für uns ist jedes Spiel ein Highlight"

Die gegnerischen Verteidiger bekommen es zu spüren. In der Rückrunde der Saison 2011/2012 platzt bei Grüttner der Knoten. Für den 26-Jährigen springen elf Treffer in der Regionalliga Süd heraus, für die Kickers die Rückkehr in die 3. Liga. Dort knüpft Grüttner nahtlos an seine guten Leistungen an. Sieben Spiele, fünf Treffer – so die Zwischenbilanz, mit seinem Doppelpack beim 4:1-Derbysieg gegen den VfB Stuttgart II als Höhepunkt.

"Für uns ist jedes Spiel ein Highlight", betont Grüttner: "Wir genießen die Stimmung, die Stadien, die vielen Zuschauer." Am Samstag (ab 14 Uhr) kommt Alemannia Aachen nach Stuttgart-Degerloch. Erneut ist die Vorfreude groß. "Spieler wie Albert Streit kennen wir bisher nur aus dem Fernsehen, jetzt stehen sie uns gegenüber", verdeutlicht Grüttner.

Den Klassenverbleib hat er mit seinem Team fest im Visier. Die Frage nach weiteren persönlichen Zielen lässt Grüttner unbeantwortet. "Ich will mich nicht unter Druck setzen und lasse fußballerisch alles auf mich zukommen", sagt er. Eine Lehre aus den gesundheitlichen Rückschlägen. Abseits des Rasens stellt der gelernte Industriekaufmann mit seinem Sportmanagementstudium die Weichen für die Zeit nach der aktiven Karriere. Es besteht also kein Grund zu schlaflosen Nächte für Marco Grüttner. Auch nicht nach Niederlagen.

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Es kann ein ehemaliger Nationalspieler sein. Oder ein Talent. Oder ein Trainer. Oder ein Urgestein. Die 3. Liga hat in ihrer fünften Saison eine Menge Charakterköpfe zu bieten, Figuren und Protagonisten, die ihren Vereinen und der Liga Profil verleihen. Sie sind die "Gesichter der 3. Liga". DFB.de stellt sie jeden Freitag in seiner neuen Serie vor. Heute: Marco Grüttner von den Stuttgarter Kickers.

Es gibt schönere Nächte. Um 4.30 Uhr war Marco Grüttner endlich zu Hause. Ohne Tore, ohne Punkte. Nach dem Aufstehen musste der Stürmer der Stuttgarter Kickers lesen, dass er das Duell der Torjäger gegen Fabian Klos verloren habe. Der Bielefelder hatte das entscheidende 1:0 erzielt. Natürlich hat sich Grüttner geärgert. Über die Niederlage seiner Mannschaft und darüber, dass er diesmal leer ausgegangen war. Aber um den Schlaf hat es ihn nicht gebracht.

Abgesehen davon, dass fünf Tore für einen Angreifer, der bei einem Aufsteiger spielt und der erst seine zweite Saison in der 3. Liga absolviert, immer noch bemerkenswert sind: Sportliche Momentaufnahmen können den gebürtigen Ludwigsburger nicht mehr aus der Bahn werfen in Anbetracht der Rückschläge, die er hinter sich hat.

Sensationeller Einzug ins DFB-Pokalfinale

Marco Grüttner wird im Oktober 27 Jahre alt. Über den Status eines Talents ist er längst hinaus. Ein Talent war er beim GSV Erdmannshausen, bei dem er den Großteil seiner Jugendzeit verbrachte, und dem SGV Freiberg, mit dem er 2004 sensationell das Finale im DFB-Junioren-Vereinspokal erreichte. 0:5 ging das Endspiel gegen Hertha BSC verloren, mit Grüttner als Einwechselspieler. Im Viertelfinale gegen den Karlsruher SC war er noch Stammkraft gewesen, hatte sich dort aber das Schienbein gebrochen.

In einer Phase, in der sich Altersgenossen wie sein damaliger Teamkollege Marc Schnatterer (heute FC Heidenheim) für den Aktivenbereich empfehlen, muss Grüttner sich darauf beschränken, gesund zu werden. Fünf Jahre verbringt er anschließend in der Verbands- und Oberliga. Mit der SG Sonnenhof Großaspach und dem TSV Schwieberdingen feiert er Aufstiege. Zweimal wird er Torschützenkönig, einmal in der Verbandsliga, einmal in der Oberliga Baden-Württemberg, da wieder in Diensten des SGV Freiberg.

Schock nach Schädelbruch

Im Sommer 2010 scheint die nächste Stufe auf der Karriereleiter genommen. Im Winter ist Grüttner nach einem kurzen Gastspiel beim Regionalligisten SSV Ulm zum Ligakonkurrenten VfR Aalen gewechselt, jetzt hat er mit dem Klub den Sprung in die 3. Liga geschafft. Im DFB-Pokal bekommt der VfR als Erstrundengegner Schalke 04 zugelost. Grüttner darf beim 1:2 gegen den Bundesligisten von Anfang an ran, ebenso wie in den meisten Ligaspielen. Es läuft gut – bis zum nächsten Knall.

Marco Grüttner weiß nicht mehr viel vom 5. Oktober 2010. Die Ereignisse kennt er nur von Erzählungen. Eine Flanke, ein herauseilender Torwart. Köpfe, die gegeneinander krachen. Ein fürchterliches Geräusch, geschockte Mitspieler. Minutenlange Bewusstlosigkeit. Im Krankenhaus wird festgestellt, dass Grüttners Schädel gebrochen ist. Drei Monate darf er keinen Sport treiben, "nicht einmal Nordic Walking", wie er erzählt. Sogar Autofahren ist verboten.

Der "Cech-Helm" verstaubt im Keller

Nach fünf Monaten kehrt der gebürtige Ludwigsburger auf den Fußballplatz zurück. Im ersten Training trägt er einen Helm wie Chelseas Torwart Petr Cech. Als er bei einer Übung den Ball überall hin köpft, nur nicht dahin, wo er hin soll, pfeffert Grüttner die Kopfbedeckung in die Ecke. Kurz darauf versenkt er beim Trainingsspiel einen Kopfball im Tor. Das Signal für ihn: Er ist wieder da. Im zweiten Punktspiel nach dem Comeback schießt er seinen ersten Drittligatreffer, das 2:1 gegen Carl Zeiss Jena. Der Helm verstaubt seitdem zu Hause im Keller.

Nach Saisonende schließt sich Grüttner den Stuttgarter Kickers an. Es dauert zwei Monate, ehe wieder ein Knochen bricht. Diesmal ist es das Jochbein. Nach vier Wochen Pause handelt sich der Stürmer gleich eine Rote Karte ein. Es sind Momente, in denen Fußballer zweifeln und leicht auch verzweifeln können. Grüttner schüttelt den Kopf. Nein, alles in Frage gestellt habe er nie. "Ich bin ein Typ, der nicht aufgibt", sagt er. Auch die Angst spiele nach den Verletzungen nicht mit. "Ich gehe weiterhin dahin, wo es weh tut. Ich lebe von meinem Einsatz und meinem Kopfballspiel."

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"Für uns ist jedes Spiel ein Highlight"

Die gegnerischen Verteidiger bekommen es zu spüren. In der Rückrunde der Saison 2011/2012 platzt bei Grüttner der Knoten. Für den 26-Jährigen springen elf Treffer in der Regionalliga Süd heraus, für die Kickers die Rückkehr in die 3. Liga. Dort knüpft Grüttner nahtlos an seine guten Leistungen an. Sieben Spiele, fünf Treffer – so die Zwischenbilanz, mit seinem Doppelpack beim 4:1-Derbysieg gegen den VfB Stuttgart II als Höhepunkt.

"Für uns ist jedes Spiel ein Highlight", betont Grüttner: "Wir genießen die Stimmung, die Stadien, die vielen Zuschauer." Am Samstag (ab 14 Uhr) kommt Alemannia Aachen nach Stuttgart-Degerloch. Erneut ist die Vorfreude groß. "Spieler wie Albert Streit kennen wir bisher nur aus dem Fernsehen, jetzt stehen sie uns gegenüber", verdeutlicht Grüttner.

Den Klassenverbleib hat er mit seinem Team fest im Visier. Die Frage nach weiteren persönlichen Zielen lässt Grüttner unbeantwortet. "Ich will mich nicht unter Druck setzen und lasse fußballerisch alles auf mich zukommen", sagt er. Eine Lehre aus den gesundheitlichen Rückschlägen. Abseits des Rasens stellt der gelernte Industriekaufmann mit seinem Sportmanagementstudium die Weichen für die Zeit nach der aktiven Karriere. Es besteht also kein Grund zu schlaflosen Nächte für Marco Grüttner. Auch nicht nach Niederlagen.