Löw: "Auch bei der EM soll der Titel wieder über uns gehen"

Zwei wichtige Spiele stehen an für den Weltmeister: In der EM-Qualifikation geht es für die Nationalmannschaft am Samstag (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) gegen Polen in Warschau und am 14. Oktober (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) gegen Irland in Gelsenkirchen. Im DFB.de-Gespräch der Woche sagt Bundestrainer Joachim Löw, was er von seiner Mannschaft dabei erwartet. Außerdem spricht Löw über die Nachwirkungen der WM - und über Neulinge und Rückkehrer im Kader der Nationalmannschaft.

DFB.de: Herr Löw, Sie waren am Sonntag in London und haben das 2:0 des FC Chelsea gegen Arsenal verfolgt. Wie hat Ihnen das Topspiel der Premier League gefallen?

Joachim Löw: Es war sehr beeindruckend, wie Chelsea aufgetreten ist. Das Spiel war sehr intensiv, so wie dies in dieser Konstellation zu erwarten war. Chelsea hat verdient gewonnen, die Mannschaft ist sehr gefestigt und setzt immer besser um, was Trainer José Mourinho ihr verordnet.

DFB.de: Wie einverstanden waren Sie mit dem, was Ihre Schützlinge in beiden Reihen gezeigt haben? Haben Sie über André Schürrle, Mesut Özil und Lukas Podolski etwas Neues gelernt?

Löw: Nein, darum geht es auch nicht. Generell halte ich es immer für wertvoll, wenn wir unsere Spieler vor Ort beobachten. Der direkte Eindruck ist durchs nichts zu ersetzen, außerdem ergeben sich im Rahmen der Beobachtung häufig Gelegenheiten zum Austausch mit den Spielern und ihren Vereinstrainern, und das ist meist sehr aufschlussreich. Bei André merkt man, wie gut ihm der WM-Titel getan hat. Er war vorher schon stark, jetzt hat er noch mehr Selbstbewusstsein. Er hatte viele gute Szenen, hat viel Druck gemacht. Mesut ist auf einem guten Weg, er hatte zuletzt richtig starke Auftritte für Arsenal. Die Situation von Lukas kennen wir, genauso aber kennen wir seine Qualitäten. Seine Situation ist im Moment sicher nicht ganz einfach, aber er wird sie meistern - da bin ich ganz sicher. Bei der Nationalmannschaft wissen wir seit zehn Jahren, was wir an Lukas haben.

DFB.de: Brasilien ist Vergangenheit, dennoch: Wie häufig wurden Sie in London auf die WM angesprochen?

Löw: Das Interesse ist groß, und das ist etwas sehr Positives. Ich kann gut verstehen, dass die Menschen von mir wissen wollen, wie das alles ganz genau gewesen ist. Auch meine Kollegen sind neugierig. Auf dem Trainerkongress in St. Petersburg wurde ich ständig gefragt, welche Erkenntnisse wir aus dem Titelgewinn gezogen haben. Und die Frage, welche Faktoren wir als entscheidend für den Erfolg ausgemacht haben, wurde mir auch mehr als einmal gestellt. Mir macht das nichts aus, und ganz ehrlich: Ähnliche Fragen habe ich auch formuliert, wenn ich früher die Gelegenheit hatte, mich mit Vicente del Bosque auszutauschen.

DFB.de: Wie man Weltmeister wird, wurden Sie also schon gefragt. Wie lebt es sich denn so als Weltmeister?

Löw: Sehr gut, danke. Wir haben in Brasilien magische Momente erlebt. Momente für die Ewigkeit. Wir alle haben das Turnier genossen, auch den begeisternden Empfang in der Heimat. Wir können stolz auf das sein, was wir erreicht haben. Wir dürfen nur einen Fehler nicht machen.

DFB.de: Ja?

Löw: Uns auf diesem Erfolg ausruhen. Es geht weiter, und wir haben noch immer große Ziele. Auch bei der EM 2016 in Frankreich soll der Titel wieder über uns gehen.

DFB.de: Der Start in die Qualifikation verlief mit dem 2:1 gegen Schottland erfolgreich. Am Samstag wartet schon im zweiten Spiel die vermeintlich größte Herausforderung: das Duell mit Polen in Warschau.

Löw: Beide Spiele im Oktober sind für uns von großer Bedeutung. Wenn wir gegen Polen und danach gegen Irland erfolgreich sind, können wir uns schon ein kleines Polster erspielen. Gerade den Mannschaften gegenüber, die wohl die größten Mitbewerber auf Platz eins sind. Diese Chance wollen wir nutzen. Aber: Wir befinden uns erst am Anfang eines langen Weges, nach drei Spielen hat sich noch niemand qualifiziert. Außerdem habe ich nicht nur Respekt vor der Mannschaft der Polen, schon unser erstes Qualifikationsspiel gegen Schottland hat gezeigt, dass wir unbequeme Gegner in der Gruppe haben. Für die Iren gilt dies genauso. Sie spielen mit hohem Aufwand, viel Begeisterung und Leidenschaft. Wir werden mit Sicherheit nicht den Fehler machen, irgendeinen der Kontrahenten zu unterschätzen. Wir sind Weltmeister - von alleine gewinnen wir Spiele deswegen aber noch lange nicht.

DFB.de: Was macht das Spiel der Polen für Sie so gefährlich?

Löw: Gegen Polen war es für uns meistens sehr eng. Oft waren diese Spiele Wegweiser, wir alle erinnern uns noch gut an das 1:0 in Dortmund bei der WM 2006. Damals wie heute gilt für die polnische Mannschaft: Sie verfügt über große individuelle Qualität, über viel Erfahrung und einen ausgeprägten Teamgeist. Robert Lewandowski ist ein Ausnahmefußballer, für mich gehört er zu den drei besten Stürmern der Welt. Das hat er am Samstag beim Spiel der Bayern gegen Hannover (4:0 mit zwei Lewandowski-Toren; Anm. d. Red.) einmal mehr unter Beweis gestellt. Wenige verstehen es wie er, den Ball auch unter Druck zu behaupten. Er ist eiskalt vor dem Tor und fußballerisch unglaublich gut, er ist wirklich komplett. Aber...

DFB.de: ... ja?

Löw: ... Polen ist nicht nur Lewandowski. Es reicht nicht, nur ihn aus dem Spiel zu nehmen. Wir haben die ganze Mannschaft auf der Rechnung, zumal sie sicher auch vom eigenen Publikum in Warschau nach vorn getrieben werden.

DFB.de: An welche Spieler denken Sie neben dem Bayern-Stürmer?

Löw: Jakub Blaszczykowski hat sich leider ins Dortmunder Lazarett eingereiht, an ihn würde man natürlich sofort denken. Dazu natürlich Lukasz Piszczek. Aber wer sich den Kader der Polen anschaut, der sieht, dass nicht nur die beiden Dortmunder und Lewandowski bei einem großen Verein unter Vertrag stehen. Die Spieler meines Kollegen Adam Nawałka sind über den gesamten Kontinent verteilt, spielen in der Premier League, der Primera Division und der Serie A. Sie haben große Erfahrung.

DFB.de: Das Spiel gegen Polen kann also ein Art Schlüsselspiel sein. Wie gut in Schuss sind Ihre Schlüsselspieler? Haben Sie das Gefühl, dass die Strapazen der WM noch eine Rolle spielen?

Löw: Natürlich stellt ein großes Turnier immer eine große Anforderung dar, körperlich und mental, zumal wir bei den vergangenen Großereignissen immer bis zum Schluss dabei waren. Generell aber finde ich, dass sich der Großteil unserer Nationalspieler inzwischen wieder in einer guten Verfassung befindet. Im September hatte der eine oder andere sicher noch kleinere Anlaufschwierigkeiten, jetzte sind die Spieler wieder weiter. Manuel Neuer, Jerome Boateng, Thomas Müller und Mario Götze spielen auf hohem Niveau. Christoph Kramer überzeugt Woche für Woche, für die Nationalspieler im Ausland gilt dies genauso. Toni Kroos ist die zentrale Figur bei Real, er hatte überhaupt keine Anlaufschwierigkeiten. Und wie gesagt: Auch Mesut Özil zeigt bei Arsenal aufsteigende Form, und André Schürrle ist sehr gut drauf.

DFB.de: Mats Hummels war lange verletzt, Bastian Schweinsteiger fehlt noch, Sami Khedira ebenfalls, auch Benedikt Höwedes verpasst die Spiele gegen Polen und Irland wegen einer Verletzung.

Löw: Das stimmt, und ich bedauere das sehr. Ich weiß aber nicht, ob man immer gleich reflexartig einen Zusammenhang mit der Überbelastung durch die WM herstellen sollte. Gerade bei den vier genannten Spielern trifft das Argument, sie seien überbelastet oder überspielt, nicht zu. Fakt hingegen ist, dass alle vier im vergangenen Winter und im Frühjahr lange verletzt waren. Dieses Quartett gehört zu den Spielern, die die wenigsten Einsätze in den Beinen haben. Wir kennen die Belastung, und wir kennen die Interessen der Vereine. In den Phasen, in denen die Spieler bei uns sind, schauen wir uns immer die individuelle Situation an, wir lassen auch individuell trainieren, wenn wir das für sinnvoll erachten. Es geht um die richtige Balance zwischen höchster Beanspruchung, Training und Spiel auf der einen sowie Regeneration und individueller Betreuung und Behandlung auf der anderen Seite.

DFB.de: Das heißt?

Löw: Wenn wir Pflichtspiele haben, wenn es also beispielsweise wie jetzt um Punkte in der Qualifikation geht, dann muss die Nationalmannschaft auch Priorität haben, darüber kann es keine zwei Meinungen geben. Insbesondere in den den Qualifikationsspielen wollen wir immer mit dem bestmöglichen Kader antreten. Aber wie gesagt: Wir haben die Belastung der Spieler im Blick. Wenn es sinnvoll ist, einem Spieler mal eine Pause zu geben, dann werden wir dies tun. So wie wir dies auch in der Vergangenheit gemacht haben. Es ist für mich selbstverständlich, dass ich immer auch die Interessen der Spieler und der Vereine im Blick behalte. Darüber tausche ich mich intensiv mit den Vereinstrainern aus.

DFB.de: So wie im Fall Kevin Großkreutz, den Sie jetzt nicht nominiert haben.

Löw: Über Kevin habe ich auch mit BVB-Trainer Jürgen Klopp gesprochen. Wir waren uns schnell einig, dass es jetzt mehr Sinn macht, ihn die Länderspielphase nutzen zu lassen, um individuell zu arbeiten und auch im Verein wieder richtig in Tritt zu kommen. Wenn er dann zu uns wieder zurückkehrt, wird davon dann auch die Nationalmannschaft profitieren.

DFB.de: In Abwesenheit von Schweinsteiger und Khedira stellt sich für die nächsten beiden Spiele die Frage nach dem Kapitän. Gegen Schottland war Manuel Neuer Spielführer...

Löw: Generell hängen wir die Frage nach dem Kapitän intern nicht so hoch - wir haben zum Glück einige Spieler, die Verantwortung übernehmen, auf und neben dem Platz. Zu ihnen gehört auch Manuel Neuer, und er wird die Mannschaft auch gegen Polen und Irland aufs Feld führen. In Vertretung von Bastian ist er ein würdiger Kapitän der Nationalmannschaft.

DFB.de: Zum ersten Mal dabei ist Thomas Schneider. Mit Ihrem neuen Assistenten haben Sie sich in den vergangenen Wochen intensiv abgestimmt, er war auch schon auf Beobachtungstour. Wie lief die Zusammenarbeit bisher, und was erwarten Sie in Zukunft?

Löw: Es ist ja nicht so, dass ich Thomas erst kennenlernen müsste, er war beim VfB Stuttgart ja mein Spieler, ist aus meiner Sicht inzwischen auch ein hervorragender Trainer, der eigene, neue Ideen einbringen und uns guttun wird. Wir haben uns mehrmals getroffen, hatten ständig Kontakt. Ich bin sicher, dass wir dort reibungslos weiterarbeiten können, wo wir mit Hansi Flick aufgehört haben. Ich freue mich darauf - und da spreche auch für Andreas Köpke und Oliver Bierhoff -, gemeinsam mit Thomas auf dem Trainingsplatz und an der Seitenlinie zu stehen.

DFB.de: Mit Karim Bellarabi haben Sie für die beiden Länderspiele einen Spieler erstmals in den Kader berufen, mit Max Kruse gibt es einen Rückkehrer. Welche Gründe waren für diese beiden Nominierungen ausschlaggebend?

Löw: Die gleichen wie immer: sportliche Gründe. Wir haben immer gesagt, dass Max über Fähigkeiten verfügt, die unser Potenzial in der Offensive bereichern können. Bei der WM hatten wir andere Pläne, das hat aber nichts mit seinen grundsätzlichen Qualitäten zu tun. Mit Gladbach ist er hervorragend in die Saison gestartet, er hat konstant stark gespielt, damit hat er sich diese weitere Chance ganz einfach verdient.

DFB.de: Und Bellarabi?

Löw: Ihn haben wir schon länger auf dem Zettel. Seine Entwicklung ist bemerkenswert, er ist wahnsinnig schnell, er hat einen starken Antritt. Und er hat sein Defensivverhalten verbessert. Mir gefällt, wie gut er auch gegen den Ball arbeitet. Ich bin sicher, dass er für uns eine Option werden kann. Ich freue mich nun darauf, ihn am Dienstag bei der Mannschaft begrüßen zu können und ihn dann auch persönlich kennenzulernen.

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Zwei wichtige Spiele stehen an für den Weltmeister: In der EM-Qualifikation geht es für die Nationalmannschaft am Samstag (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) gegen Polen in Warschau und am 14. Oktober (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) gegen Irland in Gelsenkirchen. Im DFB.de-Gespräch der Woche sagt Bundestrainer Joachim Löw, was er von seiner Mannschaft dabei erwartet. Außerdem spricht Löw über die Nachwirkungen der WM - und über Neulinge und Rückkehrer im Kader der Nationalmannschaft.

DFB.de: Herr Löw, Sie waren am Sonntag in London und haben das 2:0 des FC Chelsea gegen Arsenal verfolgt. Wie hat Ihnen das Topspiel der Premier League gefallen?

Joachim Löw: Es war sehr beeindruckend, wie Chelsea aufgetreten ist. Das Spiel war sehr intensiv, so wie dies in dieser Konstellation zu erwarten war. Chelsea hat verdient gewonnen, die Mannschaft ist sehr gefestigt und setzt immer besser um, was Trainer José Mourinho ihr verordnet.

DFB.de: Wie einverstanden waren Sie mit dem, was Ihre Schützlinge in beiden Reihen gezeigt haben? Haben Sie über André Schürrle, Mesut Özil und Lukas Podolski etwas Neues gelernt?

Löw: Nein, darum geht es auch nicht. Generell halte ich es immer für wertvoll, wenn wir unsere Spieler vor Ort beobachten. Der direkte Eindruck ist durchs nichts zu ersetzen, außerdem ergeben sich im Rahmen der Beobachtung häufig Gelegenheiten zum Austausch mit den Spielern und ihren Vereinstrainern, und das ist meist sehr aufschlussreich. Bei André merkt man, wie gut ihm der WM-Titel getan hat. Er war vorher schon stark, jetzt hat er noch mehr Selbstbewusstsein. Er hatte viele gute Szenen, hat viel Druck gemacht. Mesut ist auf einem guten Weg, er hatte zuletzt richtig starke Auftritte für Arsenal. Die Situation von Lukas kennen wir, genauso aber kennen wir seine Qualitäten. Seine Situation ist im Moment sicher nicht ganz einfach, aber er wird sie meistern - da bin ich ganz sicher. Bei der Nationalmannschaft wissen wir seit zehn Jahren, was wir an Lukas haben.

DFB.de: Brasilien ist Vergangenheit, dennoch: Wie häufig wurden Sie in London auf die WM angesprochen?

Löw: Das Interesse ist groß, und das ist etwas sehr Positives. Ich kann gut verstehen, dass die Menschen von mir wissen wollen, wie das alles ganz genau gewesen ist. Auch meine Kollegen sind neugierig. Auf dem Trainerkongress in St. Petersburg wurde ich ständig gefragt, welche Erkenntnisse wir aus dem Titelgewinn gezogen haben. Und die Frage, welche Faktoren wir als entscheidend für den Erfolg ausgemacht haben, wurde mir auch mehr als einmal gestellt. Mir macht das nichts aus, und ganz ehrlich: Ähnliche Fragen habe ich auch formuliert, wenn ich früher die Gelegenheit hatte, mich mit Vicente del Bosque auszutauschen.

DFB.de: Wie man Weltmeister wird, wurden Sie also schon gefragt. Wie lebt es sich denn so als Weltmeister?

Löw: Sehr gut, danke. Wir haben in Brasilien magische Momente erlebt. Momente für die Ewigkeit. Wir alle haben das Turnier genossen, auch den begeisternden Empfang in der Heimat. Wir können stolz auf das sein, was wir erreicht haben. Wir dürfen nur einen Fehler nicht machen.

DFB.de: Ja?

Löw: Uns auf diesem Erfolg ausruhen. Es geht weiter, und wir haben noch immer große Ziele. Auch bei der EM 2016 in Frankreich soll der Titel wieder über uns gehen.

DFB.de: Der Start in die Qualifikation verlief mit dem 2:1 gegen Schottland erfolgreich. Am Samstag wartet schon im zweiten Spiel die vermeintlich größte Herausforderung: das Duell mit Polen in Warschau.

Löw: Beide Spiele im Oktober sind für uns von großer Bedeutung. Wenn wir gegen Polen und danach gegen Irland erfolgreich sind, können wir uns schon ein kleines Polster erspielen. Gerade den Mannschaften gegenüber, die wohl die größten Mitbewerber auf Platz eins sind. Diese Chance wollen wir nutzen. Aber: Wir befinden uns erst am Anfang eines langen Weges, nach drei Spielen hat sich noch niemand qualifiziert. Außerdem habe ich nicht nur Respekt vor der Mannschaft der Polen, schon unser erstes Qualifikationsspiel gegen Schottland hat gezeigt, dass wir unbequeme Gegner in der Gruppe haben. Für die Iren gilt dies genauso. Sie spielen mit hohem Aufwand, viel Begeisterung und Leidenschaft. Wir werden mit Sicherheit nicht den Fehler machen, irgendeinen der Kontrahenten zu unterschätzen. Wir sind Weltmeister - von alleine gewinnen wir Spiele deswegen aber noch lange nicht.

DFB.de: Was macht das Spiel der Polen für Sie so gefährlich?

Löw: Gegen Polen war es für uns meistens sehr eng. Oft waren diese Spiele Wegweiser, wir alle erinnern uns noch gut an das 1:0 in Dortmund bei der WM 2006. Damals wie heute gilt für die polnische Mannschaft: Sie verfügt über große individuelle Qualität, über viel Erfahrung und einen ausgeprägten Teamgeist. Robert Lewandowski ist ein Ausnahmefußballer, für mich gehört er zu den drei besten Stürmern der Welt. Das hat er am Samstag beim Spiel der Bayern gegen Hannover (4:0 mit zwei Lewandowski-Toren; Anm. d. Red.) einmal mehr unter Beweis gestellt. Wenige verstehen es wie er, den Ball auch unter Druck zu behaupten. Er ist eiskalt vor dem Tor und fußballerisch unglaublich gut, er ist wirklich komplett. Aber...

DFB.de: ... ja?

Löw: ... Polen ist nicht nur Lewandowski. Es reicht nicht, nur ihn aus dem Spiel zu nehmen. Wir haben die ganze Mannschaft auf der Rechnung, zumal sie sicher auch vom eigenen Publikum in Warschau nach vorn getrieben werden.

DFB.de: An welche Spieler denken Sie neben dem Bayern-Stürmer?

Löw: Jakub Blaszczykowski hat sich leider ins Dortmunder Lazarett eingereiht, an ihn würde man natürlich sofort denken. Dazu natürlich Lukasz Piszczek. Aber wer sich den Kader der Polen anschaut, der sieht, dass nicht nur die beiden Dortmunder und Lewandowski bei einem großen Verein unter Vertrag stehen. Die Spieler meines Kollegen Adam Nawałka sind über den gesamten Kontinent verteilt, spielen in der Premier League, der Primera Division und der Serie A. Sie haben große Erfahrung.

DFB.de: Das Spiel gegen Polen kann also ein Art Schlüsselspiel sein. Wie gut in Schuss sind Ihre Schlüsselspieler? Haben Sie das Gefühl, dass die Strapazen der WM noch eine Rolle spielen?

Löw: Natürlich stellt ein großes Turnier immer eine große Anforderung dar, körperlich und mental, zumal wir bei den vergangenen Großereignissen immer bis zum Schluss dabei waren. Generell aber finde ich, dass sich der Großteil unserer Nationalspieler inzwischen wieder in einer guten Verfassung befindet. Im September hatte der eine oder andere sicher noch kleinere Anlaufschwierigkeiten, jetzte sind die Spieler wieder weiter. Manuel Neuer, Jerome Boateng, Thomas Müller und Mario Götze spielen auf hohem Niveau. Christoph Kramer überzeugt Woche für Woche, für die Nationalspieler im Ausland gilt dies genauso. Toni Kroos ist die zentrale Figur bei Real, er hatte überhaupt keine Anlaufschwierigkeiten. Und wie gesagt: Auch Mesut Özil zeigt bei Arsenal aufsteigende Form, und André Schürrle ist sehr gut drauf.

DFB.de: Mats Hummels war lange verletzt, Bastian Schweinsteiger fehlt noch, Sami Khedira ebenfalls, auch Benedikt Höwedes verpasst die Spiele gegen Polen und Irland wegen einer Verletzung.

Löw: Das stimmt, und ich bedauere das sehr. Ich weiß aber nicht, ob man immer gleich reflexartig einen Zusammenhang mit der Überbelastung durch die WM herstellen sollte. Gerade bei den vier genannten Spielern trifft das Argument, sie seien überbelastet oder überspielt, nicht zu. Fakt hingegen ist, dass alle vier im vergangenen Winter und im Frühjahr lange verletzt waren. Dieses Quartett gehört zu den Spielern, die die wenigsten Einsätze in den Beinen haben. Wir kennen die Belastung, und wir kennen die Interessen der Vereine. In den Phasen, in denen die Spieler bei uns sind, schauen wir uns immer die individuelle Situation an, wir lassen auch individuell trainieren, wenn wir das für sinnvoll erachten. Es geht um die richtige Balance zwischen höchster Beanspruchung, Training und Spiel auf der einen sowie Regeneration und individueller Betreuung und Behandlung auf der anderen Seite.

DFB.de: Das heißt?

Löw: Wenn wir Pflichtspiele haben, wenn es also beispielsweise wie jetzt um Punkte in der Qualifikation geht, dann muss die Nationalmannschaft auch Priorität haben, darüber kann es keine zwei Meinungen geben. Insbesondere in den den Qualifikationsspielen wollen wir immer mit dem bestmöglichen Kader antreten. Aber wie gesagt: Wir haben die Belastung der Spieler im Blick. Wenn es sinnvoll ist, einem Spieler mal eine Pause zu geben, dann werden wir dies tun. So wie wir dies auch in der Vergangenheit gemacht haben. Es ist für mich selbstverständlich, dass ich immer auch die Interessen der Spieler und der Vereine im Blick behalte. Darüber tausche ich mich intensiv mit den Vereinstrainern aus.

DFB.de: So wie im Fall Kevin Großkreutz, den Sie jetzt nicht nominiert haben.

Löw: Über Kevin habe ich auch mit BVB-Trainer Jürgen Klopp gesprochen. Wir waren uns schnell einig, dass es jetzt mehr Sinn macht, ihn die Länderspielphase nutzen zu lassen, um individuell zu arbeiten und auch im Verein wieder richtig in Tritt zu kommen. Wenn er dann zu uns wieder zurückkehrt, wird davon dann auch die Nationalmannschaft profitieren.

DFB.de: In Abwesenheit von Schweinsteiger und Khedira stellt sich für die nächsten beiden Spiele die Frage nach dem Kapitän. Gegen Schottland war Manuel Neuer Spielführer...

Löw: Generell hängen wir die Frage nach dem Kapitän intern nicht so hoch - wir haben zum Glück einige Spieler, die Verantwortung übernehmen, auf und neben dem Platz. Zu ihnen gehört auch Manuel Neuer, und er wird die Mannschaft auch gegen Polen und Irland aufs Feld führen. In Vertretung von Bastian ist er ein würdiger Kapitän der Nationalmannschaft.

DFB.de: Zum ersten Mal dabei ist Thomas Schneider. Mit Ihrem neuen Assistenten haben Sie sich in den vergangenen Wochen intensiv abgestimmt, er war auch schon auf Beobachtungstour. Wie lief die Zusammenarbeit bisher, und was erwarten Sie in Zukunft?

Löw: Es ist ja nicht so, dass ich Thomas erst kennenlernen müsste, er war beim VfB Stuttgart ja mein Spieler, ist aus meiner Sicht inzwischen auch ein hervorragender Trainer, der eigene, neue Ideen einbringen und uns guttun wird. Wir haben uns mehrmals getroffen, hatten ständig Kontakt. Ich bin sicher, dass wir dort reibungslos weiterarbeiten können, wo wir mit Hansi Flick aufgehört haben. Ich freue mich darauf - und da spreche auch für Andreas Köpke und Oliver Bierhoff -, gemeinsam mit Thomas auf dem Trainingsplatz und an der Seitenlinie zu stehen.

DFB.de: Mit Karim Bellarabi haben Sie für die beiden Länderspiele einen Spieler erstmals in den Kader berufen, mit Max Kruse gibt es einen Rückkehrer. Welche Gründe waren für diese beiden Nominierungen ausschlaggebend?

Löw: Die gleichen wie immer: sportliche Gründe. Wir haben immer gesagt, dass Max über Fähigkeiten verfügt, die unser Potenzial in der Offensive bereichern können. Bei der WM hatten wir andere Pläne, das hat aber nichts mit seinen grundsätzlichen Qualitäten zu tun. Mit Gladbach ist er hervorragend in die Saison gestartet, er hat konstant stark gespielt, damit hat er sich diese weitere Chance ganz einfach verdient.

DFB.de: Und Bellarabi?

Löw: Ihn haben wir schon länger auf dem Zettel. Seine Entwicklung ist bemerkenswert, er ist wahnsinnig schnell, er hat einen starken Antritt. Und er hat sein Defensivverhalten verbessert. Mir gefällt, wie gut er auch gegen den Ball arbeitet. Ich bin sicher, dass er für uns eine Option werden kann. Ich freue mich nun darauf, ihn am Dienstag bei der Mannschaft begrüßen zu können und ihn dann auch persönlich kennenzulernen.