Leonidas: Maßanzüge und Augenmaß vor dem Tor

19 Weltmeisterschaften, 19 Stars: Vor der Jubiläumsauflage im Sommer erinnert DFB.de in einer Serie an prominente und weniger bekannte Spieler, die den bisherigen WM-Turnieren ihren Stempel aufdrückten. Heute: Brasiliens Leonidas, Torschützenkönig 1938. Der vor etwas mehr als zehn Jahren verstorbene Stürmer wäre beim Turnier in seinem Heimatland in diesem Sommer 100 Jahre alt.

Wenn Fußballer Verträge unterschreiben, haben ihre Berater meist für alles gesorgt: Prämien, Ausstiegsklauseln, Freiflüge in die Heimat. Meist wissen sie selbst nicht so genau, was drin steht. In Zeiten, als Spieler ihre Verträge noch selbst aushandelten, war das natürlich anders. Wer Leonidas da Silva, den berühmten brasilianischen WM-Stürmer, haben wollte, tat gut daran, einen Schneider an der Hand zu haben. Denn fester Bestandteil eines Leonidas-Vertrag war die Bezahlung zweier maßgeschneiderter Anzüge.

Früher Ruhm - dank zweier Tore gegen den Erzrivalen

Es müssen einige zusammengekommen sein im Laufe seines Lebens, schließlich wechselte Wandervogel Leonidas neunmal den Klub und spielte in drei verschiedenen Ländern. Als die Künste des Jungen aus dem armen Stadtbezirk Rios, Sao Cristovao, mit 19 auf der großen Fußballbühne aufgeführt wurden, war er heiß begehrt in Südamerika. Für Brasilien hatte er am 4. Dezember 1932 in Montevideo beide Tore zum 2:1 gegen Uruguay erzielt, weshalb die Gastgeber ihn am liebsten gleich dabehalten hätten.

Jedenfalls ließen sie den neuen Stern am Himmel nicht aus den Augen, und so wechselte er 1933 zu Nacional Montevideo. Als die WM 1934 in Italien stieg, war er schon wieder in der Heimat bei Vasco da Gama und Mitglied der Selecao bei deren Übersee-Trip. Brasilien versagte zwar und schied schon mit dem ersten Spiel aus, aber Leonidas traf schon bei seiner WM-Premiere (1:3 gegen Spanien).

WM 1938: Brasiliens legendäres 6:5 gegen Polen

Die WM, die ihn berühmt machen sollte, fand aber vier Jahre später in Frankreich statt. Im Achtelfinale von Straßburg kam es im Mainaustadion zu einem legendären Spiel. Brasilien gegen Polen endete nach regenreichen 120 Minuten 6:5, die Fußball-Woche sprach von "einem märchenhaften Resultat für ein Weltmeisterschafts-Vorrundenspiel". Und das Märchen hatte zwei Helden: einen glücklichen (Leonidas) und einen tragischen (Ernst Willimowski). Beide erzielten sie vier Tore, aber für einen war die WM schon zu Ende.

"Leonidas, der große Stürmer Brasiliens, bot in Straßburg eine bestechende Leistung. Ihn in seinen Aktionen zu hindern, war fast ein Ding der Unmöglichkeit", schwärmte die Fußball-Woche und lobte ferner "seine Antrittsgeschwindigkeit und geschwindes Zutreten". Attacken wich der Brasilianer dank seiner Geschmeidigkeit und Sprungkraft immer wieder gekonnt aus, was ihn in der Presse zum "Rubber Man" machte.

Dieser "Gummimann" war einfach nicht zu bremsen, höchstens durch seinen eigenen Trainer. Nachdem Leonidas auch im WM-Viertelfinale 1938 gegen die Tschechoslowakei (1:1 n.V. und 2:1) in beiden Spielen traf, saß er im Halbfinale gegen Italien plötzlich auf der Tribüne.

Finale verpasst, aber Torschützenkönig

Dieser Fall ist ähnlich mysteriös geblieben wie der seines Landsmannes Ronaldo beim WM-Finale 1998. Denn auch bei der zweiten Weltmeisterschaft in Frankreich war unklar, wie es um Brasiiliens Starstürmer gesundheitlich stand. Mit dem Unterschied, dass Ronaldo spielte. Warum Leonidas 60 Jahre zuvor gefehlt hatte, wurde nie aufgeklärt. Ein Gerücht besagt, Nationaltrainer Ademir Pirmenta habe ihn für das Finale schonen wollen - doch das erreichte Brasilien bekanntlich nicht.

Im "kleinen Finale" um Platz drei stürmte Leonidas dann wieder putzmunter mit und sicherte sich mit zwei seiner insgesamt acht Treffer beim 4:2 über Schweden die Krone des Torschützenkönigs. Was gewesen wäre, wenn er gegen Italien gespielt hätte, dürfte er sich bis zu seinem Lebensende - er wurde 90 Jahre alt - sicher oft gefragt haben.

Werbestar in Kurzhaft

Seinen persönlichen Ruhm konnte er dennoch bestens vermarkten. River Plate lockte Leonidas nicht nur mit Anzügen nach Argentinien, die Werbung entdeckte den smarten Sonny-Boy für sich. Sein strahlendes Lächeln war prädestiniert für Zahnpasta-Werbung, also machte er Zahnpasta-Werbung. Auch eine kurze Haftstrafe (acht Monate) für den Versuch, sich vor dem Militärdienst zu drücken, warf ihn nicht aus der Erfolgsbahn.

1946 schoss er sein letztes Tor für Brasilien, da war er schon 33 Jahre alt. Seine Bilanz: in jedem seiner 25 Länderspiele ein Tor - rein statistisch betrachtet, jedenfalls. Danach blieb er als Sportreporter am Ball, wenn Brasilien spielte - und brachte es auch dabei zu einer beachtlichen Popularität.

Noch bis heute ist Leonidas in Brasilien buchstäblich in aller Munde, ihm zu Ehren wurde ein Schokoriegel benannt. "Diamante negro", schwarzer Diamant - so riefen sie ihn in der Heimat. Und selbst dem großen Pelé und den anderen brasilianischen Weltmeistern, die es seit 1958 gegeben hat, hat Leonidas etwas voraus: Vier Tore in einem WM-Spiel schaffte keiner mehr.

Leonidas da Silva

Geburtsdatum: 6. September 1913
Gestorben: 24. Januar 2004
Nationalität: brasilianisch
Länderspiele/Tore: 25 Spiele/25
Vereine als Spieler: São Cristóvão FR (1929), Sírio Libanês FC (1929-1930), Bonsucesso FC (1931-1932), Peñarol Montevideo (1933), CR Vasco da Gama (1934), SC Brasil (1935), Botafogo FR (1935-1936), Flamengo Rio de Janeiro (1936-1941), FC São Paulo (1942-1951)
Größte Erfolge im Nationalteam: WM-Dritter 1938
Größte Erfolge im Verein: Dreimal Staatsmeister von Rio de Janeiro: 1934, 1935, 1939; fünfmal Staatsmeister von São Paulo: 1943, 1945, 1946, 1948, 1949

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19 Weltmeisterschaften, 19 Stars: Vor der Jubiläumsauflage im Sommer erinnert DFB.de in einer Serie an prominente und weniger bekannte Spieler, die den bisherigen WM-Turnieren ihren Stempel aufdrückten. Heute: Brasiliens Leonidas, Torschützenkönig 1938. Der vor etwas mehr als zehn Jahren verstorbene Stürmer wäre beim Turnier in seinem Heimatland in diesem Sommer 100 Jahre alt.

Wenn Fußballer Verträge unterschreiben, haben ihre Berater meist für alles gesorgt: Prämien, Ausstiegsklauseln, Freiflüge in die Heimat. Meist wissen sie selbst nicht so genau, was drin steht. In Zeiten, als Spieler ihre Verträge noch selbst aushandelten, war das natürlich anders. Wer Leonidas da Silva, den berühmten brasilianischen WM-Stürmer, haben wollte, tat gut daran, einen Schneider an der Hand zu haben. Denn fester Bestandteil eines Leonidas-Vertrag war die Bezahlung zweier maßgeschneiderter Anzüge.

Früher Ruhm - dank zweier Tore gegen den Erzrivalen

Es müssen einige zusammengekommen sein im Laufe seines Lebens, schließlich wechselte Wandervogel Leonidas neunmal den Klub und spielte in drei verschiedenen Ländern. Als die Künste des Jungen aus dem armen Stadtbezirk Rios, Sao Cristovao, mit 19 auf der großen Fußballbühne aufgeführt wurden, war er heiß begehrt in Südamerika. Für Brasilien hatte er am 4. Dezember 1932 in Montevideo beide Tore zum 2:1 gegen Uruguay erzielt, weshalb die Gastgeber ihn am liebsten gleich dabehalten hätten.

Jedenfalls ließen sie den neuen Stern am Himmel nicht aus den Augen, und so wechselte er 1933 zu Nacional Montevideo. Als die WM 1934 in Italien stieg, war er schon wieder in der Heimat bei Vasco da Gama und Mitglied der Selecao bei deren Übersee-Trip. Brasilien versagte zwar und schied schon mit dem ersten Spiel aus, aber Leonidas traf schon bei seiner WM-Premiere (1:3 gegen Spanien).

WM 1938: Brasiliens legendäres 6:5 gegen Polen

Die WM, die ihn berühmt machen sollte, fand aber vier Jahre später in Frankreich statt. Im Achtelfinale von Straßburg kam es im Mainaustadion zu einem legendären Spiel. Brasilien gegen Polen endete nach regenreichen 120 Minuten 6:5, die Fußball-Woche sprach von "einem märchenhaften Resultat für ein Weltmeisterschafts-Vorrundenspiel". Und das Märchen hatte zwei Helden: einen glücklichen (Leonidas) und einen tragischen (Ernst Willimowski). Beide erzielten sie vier Tore, aber für einen war die WM schon zu Ende.

"Leonidas, der große Stürmer Brasiliens, bot in Straßburg eine bestechende Leistung. Ihn in seinen Aktionen zu hindern, war fast ein Ding der Unmöglichkeit", schwärmte die Fußball-Woche und lobte ferner "seine Antrittsgeschwindigkeit und geschwindes Zutreten". Attacken wich der Brasilianer dank seiner Geschmeidigkeit und Sprungkraft immer wieder gekonnt aus, was ihn in der Presse zum "Rubber Man" machte.

Dieser "Gummimann" war einfach nicht zu bremsen, höchstens durch seinen eigenen Trainer. Nachdem Leonidas auch im WM-Viertelfinale 1938 gegen die Tschechoslowakei (1:1 n.V. und 2:1) in beiden Spielen traf, saß er im Halbfinale gegen Italien plötzlich auf der Tribüne.

Finale verpasst, aber Torschützenkönig

Dieser Fall ist ähnlich mysteriös geblieben wie der seines Landsmannes Ronaldo beim WM-Finale 1998. Denn auch bei der zweiten Weltmeisterschaft in Frankreich war unklar, wie es um Brasiiliens Starstürmer gesundheitlich stand. Mit dem Unterschied, dass Ronaldo spielte. Warum Leonidas 60 Jahre zuvor gefehlt hatte, wurde nie aufgeklärt. Ein Gerücht besagt, Nationaltrainer Ademir Pirmenta habe ihn für das Finale schonen wollen - doch das erreichte Brasilien bekanntlich nicht.

Im "kleinen Finale" um Platz drei stürmte Leonidas dann wieder putzmunter mit und sicherte sich mit zwei seiner insgesamt acht Treffer beim 4:2 über Schweden die Krone des Torschützenkönigs. Was gewesen wäre, wenn er gegen Italien gespielt hätte, dürfte er sich bis zu seinem Lebensende - er wurde 90 Jahre alt - sicher oft gefragt haben.

Werbestar in Kurzhaft

Seinen persönlichen Ruhm konnte er dennoch bestens vermarkten. River Plate lockte Leonidas nicht nur mit Anzügen nach Argentinien, die Werbung entdeckte den smarten Sonny-Boy für sich. Sein strahlendes Lächeln war prädestiniert für Zahnpasta-Werbung, also machte er Zahnpasta-Werbung. Auch eine kurze Haftstrafe (acht Monate) für den Versuch, sich vor dem Militärdienst zu drücken, warf ihn nicht aus der Erfolgsbahn.

1946 schoss er sein letztes Tor für Brasilien, da war er schon 33 Jahre alt. Seine Bilanz: in jedem seiner 25 Länderspiele ein Tor - rein statistisch betrachtet, jedenfalls. Danach blieb er als Sportreporter am Ball, wenn Brasilien spielte - und brachte es auch dabei zu einer beachtlichen Popularität.

Noch bis heute ist Leonidas in Brasilien buchstäblich in aller Munde, ihm zu Ehren wurde ein Schokoriegel benannt. "Diamante negro", schwarzer Diamant - so riefen sie ihn in der Heimat. Und selbst dem großen Pelé und den anderen brasilianischen Weltmeistern, die es seit 1958 gegeben hat, hat Leonidas etwas voraus: Vier Tore in einem WM-Spiel schaffte keiner mehr.

Leonidas da Silva

Geburtsdatum: 6. September 1913
Gestorben: 24. Januar 2004
Nationalität: brasilianisch
Länderspiele/Tore: 25 Spiele/25
Vereine als Spieler: São Cristóvão FR (1929), Sírio Libanês FC (1929-1930), Bonsucesso FC (1931-1932), Peñarol Montevideo (1933), CR Vasco da Gama (1934), SC Brasil (1935), Botafogo FR (1935-1936), Flamengo Rio de Janeiro (1936-1941), FC São Paulo (1942-1951)
Größte Erfolge im Nationalteam: WM-Dritter 1938
Größte Erfolge im Verein: Dreimal Staatsmeister von Rio de Janeiro: 1934, 1935, 1939; fünfmal Staatsmeister von São Paulo: 1943, 1945, 1946, 1948, 1949