Kiels Müller: Erfolg dank "Holstein-Mentalität"

Seit sechs Jahren zieht Fabian Müller als Leiter des Leistungszentrums (LZ) von Holstein Kiel beim Nachwuchs des Drittligisten die Fäden. Besonders in dieser Saison sorgen die U 19 und auch die U 17 in der Staffeln Nord/Nordost der A- und B-Junioren-Bundesliga für Furore. Beide Mannschaften rangieren auf Platz vier, lassen damit einige Teams von Bundesligaklubs hinter sich. Die A-Junioren stehen außerdem erneut im Viertelfinale des DFB-Junioren-Vereinspokals gegen den 1. FC Köln aus der West-Staffel. Der 36 Jahre alte Diplom-Sportwissenschaftler Müller war vor seiner Tätigkeit in Kiel unter anderem Cheftrainer beim Schweizer Zweitligisten FC Schaffhausen sowie Assistent von Wolfgang Sidka beim arabischen Spitzenklub Al-Arabi Sportsclub aus Katar.

Im aktuellen DFB.de-Interview spricht Fußball-Lehrer Müller mit Martin Bytomski über das Kieler Erfolgsrezept, die Philosophie der "Holstein-Mentalität", die Bedeutung der Trainer, die Zusammenarbeit mit Cheftrainer Markus Anfang und weitere Steigerungsmöglichkeiten.

DFB.de: Sowohl die U 17 als auch die U 19 von Holstein Kiel mischen als Tabellenvierter in der Spitzengruppe der Junioren-Bundesliga mit. Wie lautet Ihr Erfolgsrezept, Herr Müller?

Müller: Das eine Erfolgsrezept gibt es nicht. Es ist vielmehr das Ergebnis zahlreicher Entwicklungsschritte, die wir bei Holstein Kiel seit 2010 angestoßen haben. Zum einen in der Weiterentwicklung des Leistungszentrums, zum anderen konnten wir die Entwicklung der Spieler unter idealen infrastrukturellen Voraussetzungen durchführen. Unsere U 19 spielt seit fünf Jahren ohne Unterbrechung in der A-Junioren-Bundesliga, die U 17 ist nur mit Ausnahme der vergangenen Saison ebenfalls dauerhaft in der höchsten Spielklasse vertreten. Außerdem arbeiten seit zwei Jahren unsere Chef-Trainer ab der U 14-Mannschaft hauptamtlich in Doppelfunktion, das hat die Professionalisierung deutlich vorangetrieben. Wichtig ist auch die räumliche Nähe der Nachwuchstrainer zur Profiabteilung. Die Kabinen und Büroräume befinden sich in einem Trakt. Das schafft Berührungspunkte in einem sehr familiären Umfeld, die am Ende des Tages den Spielern und damit auch unserer Spielweise zu Gute kommt. Dennoch liegt unser Fokus auf einer professionellen Vorbereitung unserer Talente auf die Inhalte unserer Drittliga-Mannschaft.

DFB.de: Gibt es eine übergeordnete Vereinsphilosophie?

Müller: Vordergründiges Ziel unserer Philosophie ist nicht in erster Linie das Erreichen von Mannschaftsergebnissen, sondern vielmehr die Entwicklung jedes individuellen Talents. Ein Ziel ist es, jedes Jahr unseren Nachwuchsspielern die besondere "Holstein-Mentalität" zu vermitteln, sie durch ehrgeizige Weiterentwicklung auf alle Spielfelder des Lebens vorzubereiten und an unseren Lizenzkader heranzuführen. Als Orientierung dient dabei der Storch. So sollen alle "Nachwuchsstörche" mit hocherhobenem Kopf stets aktiven und offensiven Fußball spielen. Die professionellen Infrastrukturbedingungen im "Storchennest" und die Möglichkeit, auf dem sportlich höchsten Niveau zu spielen, sind dabei weitere wichtige Pfeiler, um unsere gesteckten Zielen zu erreichen.

DFB.de: Wie sieht die konkrete Umsetzung aus?

Müller: Eine konkrete Philosophie bei der Spielerentwicklung sind unsere "Entwicklungszonen". Wir schaffen Vorgaben, an denen sich die Spieler orientieren können. Bei der Umsetzung lassen wir den Jungs aber die nötige Freiheit und Kreativität, um sich zu entwickeln und die Vorgaben zusammen mit den Trainern umzusetzen. Gerade im Jugendfußball gilt es, den Spielern Entwicklungsfelder und Spielphasen zuzugestehen, in denen sie auch einmal Fehler machen dürfen. Auf und neben dem Platz. Diese dann im richtigen Moment und in der richtigen Art und Weise aufzuzeigen und innerhalb einer Spielzeit zu verbessern ist entscheidend. Die Spieler müssen stetig ihr fußballerisches Handwerkszeug optimieren sowie ihre Trainingszeit nutzen. Das alles wollen wir fördernd begleiten.

DFB.de: Haben Sie bereits potentielle Talente für die erste Mannschaft im Visier?

Müller: Die Nähe zu unserer ersten Mannschaft ist absolut entscheidend. Gerade für Jungs aus der U 17- oder U 19-Mannschaft. Da ist der Sprung nicht mehr weit. Wir bieten Leistungssport in Heimatnähe an. Das darf man nicht unterschätzen. Die familiäre Atmosphäre - trotz des Leistungsgedankens - ist ein großes Plus. Bei mannschaftlichem Erfolg fällt es jedem Einzelnen leichter, auch in Trainingseinheiten der ersten Mannschaft gute Leistungen zu zeigen. Dann gibt es Spieler, die besonders in den Fokus rücken. Sie gilt es dann entsprechend zu fördern.

DFB.de: Mit welchen Maßnahmen?

Müller: Einmal pro Monat findet bei uns ein Perspektivtraining statt. Dort nehmen wir Spieler von der U 17 bis zur U 23, die besonders gute Leistungen gezeigt haben, gemeinsam mit den Trainern der ersten Mannschaft genauer unter die Lupe. Die jüngeren Spieler können sich mit Älteren messen, auch das ist eine interessante Erfahrung. Es besteht außerdem die Möglichkeit, dass Spieler bereits vorzeitig aufrücken. Aktuell hat unser U 17-Junioren-Nationalspieler Noah Awuku beim 4:1-Auswärtssieg über RB Leipzig sein Debüt bei der U 19 gegeben und gleich getroffen. Utku Sen aus der U 19 trainierte bereits bei den Profis mit. So sorgen wir für eine hohe Durchlässigkeit zwischen den Mannschaften.

DFB.de: Wie sieht Ihr Einzugsgebiet aus?

Müller: Wir verfügen über das einzige Leistungszentrum in Schleswig-Holstein. Deshalb halten wir vorrangig in unserem Bundesland die Augen nach neuen Spielern offen. Hierbei wollen wir den Spielern aus der Region ein Sprungbrett bieten. Aber es hat mittlerweile auch schon der eine oder andere Spieler aus einem anderen Bundesland den Weg nach Kiel gefunden.



Seit sechs Jahren zieht Fabian Müller als Leiter des Leistungszentrums (LZ) von Holstein Kiel beim Nachwuchs des Drittligisten die Fäden. Besonders in dieser Saison sorgen die U 19 und auch die U 17 in der Staffeln Nord/Nordost der A- und B-Junioren-Bundesliga für Furore. Beide Mannschaften rangieren auf Platz vier, lassen damit einige Teams von Bundesligaklubs hinter sich. Die A-Junioren stehen außerdem erneut im Viertelfinale des DFB-Junioren-Vereinspokals gegen den 1. FC Köln aus der West-Staffel. Der 36 Jahre alte Diplom-Sportwissenschaftler Müller war vor seiner Tätigkeit in Kiel unter anderem Cheftrainer beim Schweizer Zweitligisten FC Schaffhausen sowie Assistent von Wolfgang Sidka beim arabischen Spitzenklub Al-Arabi Sportsclub aus Katar.

Im aktuellen DFB.de-Interview spricht Fußball-Lehrer Müller mit Martin Bytomski über das Kieler Erfolgsrezept, die Philosophie der "Holstein-Mentalität", die Bedeutung der Trainer, die Zusammenarbeit mit Cheftrainer Markus Anfang und weitere Steigerungsmöglichkeiten.

DFB.de: Sowohl die U 17 als auch die U 19 von Holstein Kiel mischen als Tabellenvierter in der Spitzengruppe der Junioren-Bundesliga mit. Wie lautet Ihr Erfolgsrezept, Herr Müller?

Müller: Das eine Erfolgsrezept gibt es nicht. Es ist vielmehr das Ergebnis zahlreicher Entwicklungsschritte, die wir bei Holstein Kiel seit 2010 angestoßen haben. Zum einen in der Weiterentwicklung des Leistungszentrums, zum anderen konnten wir die Entwicklung der Spieler unter idealen infrastrukturellen Voraussetzungen durchführen. Unsere U 19 spielt seit fünf Jahren ohne Unterbrechung in der A-Junioren-Bundesliga, die U 17 ist nur mit Ausnahme der vergangenen Saison ebenfalls dauerhaft in der höchsten Spielklasse vertreten. Außerdem arbeiten seit zwei Jahren unsere Chef-Trainer ab der U 14-Mannschaft hauptamtlich in Doppelfunktion, das hat die Professionalisierung deutlich vorangetrieben. Wichtig ist auch die räumliche Nähe der Nachwuchstrainer zur Profiabteilung. Die Kabinen und Büroräume befinden sich in einem Trakt. Das schafft Berührungspunkte in einem sehr familiären Umfeld, die am Ende des Tages den Spielern und damit auch unserer Spielweise zu Gute kommt. Dennoch liegt unser Fokus auf einer professionellen Vorbereitung unserer Talente auf die Inhalte unserer Drittliga-Mannschaft.

DFB.de: Gibt es eine übergeordnete Vereinsphilosophie?

Müller: Vordergründiges Ziel unserer Philosophie ist nicht in erster Linie das Erreichen von Mannschaftsergebnissen, sondern vielmehr die Entwicklung jedes individuellen Talents. Ein Ziel ist es, jedes Jahr unseren Nachwuchsspielern die besondere "Holstein-Mentalität" zu vermitteln, sie durch ehrgeizige Weiterentwicklung auf alle Spielfelder des Lebens vorzubereiten und an unseren Lizenzkader heranzuführen. Als Orientierung dient dabei der Storch. So sollen alle "Nachwuchsstörche" mit hocherhobenem Kopf stets aktiven und offensiven Fußball spielen. Die professionellen Infrastrukturbedingungen im "Storchennest" und die Möglichkeit, auf dem sportlich höchsten Niveau zu spielen, sind dabei weitere wichtige Pfeiler, um unsere gesteckten Zielen zu erreichen.

DFB.de: Wie sieht die konkrete Umsetzung aus?

Müller: Eine konkrete Philosophie bei der Spielerentwicklung sind unsere "Entwicklungszonen". Wir schaffen Vorgaben, an denen sich die Spieler orientieren können. Bei der Umsetzung lassen wir den Jungs aber die nötige Freiheit und Kreativität, um sich zu entwickeln und die Vorgaben zusammen mit den Trainern umzusetzen. Gerade im Jugendfußball gilt es, den Spielern Entwicklungsfelder und Spielphasen zuzugestehen, in denen sie auch einmal Fehler machen dürfen. Auf und neben dem Platz. Diese dann im richtigen Moment und in der richtigen Art und Weise aufzuzeigen und innerhalb einer Spielzeit zu verbessern ist entscheidend. Die Spieler müssen stetig ihr fußballerisches Handwerkszeug optimieren sowie ihre Trainingszeit nutzen. Das alles wollen wir fördernd begleiten.

DFB.de: Haben Sie bereits potentielle Talente für die erste Mannschaft im Visier?

Müller: Die Nähe zu unserer ersten Mannschaft ist absolut entscheidend. Gerade für Jungs aus der U 17- oder U 19-Mannschaft. Da ist der Sprung nicht mehr weit. Wir bieten Leistungssport in Heimatnähe an. Das darf man nicht unterschätzen. Die familiäre Atmosphäre - trotz des Leistungsgedankens - ist ein großes Plus. Bei mannschaftlichem Erfolg fällt es jedem Einzelnen leichter, auch in Trainingseinheiten der ersten Mannschaft gute Leistungen zu zeigen. Dann gibt es Spieler, die besonders in den Fokus rücken. Sie gilt es dann entsprechend zu fördern.

DFB.de: Mit welchen Maßnahmen?

Müller: Einmal pro Monat findet bei uns ein Perspektivtraining statt. Dort nehmen wir Spieler von der U 17 bis zur U 23, die besonders gute Leistungen gezeigt haben, gemeinsam mit den Trainern der ersten Mannschaft genauer unter die Lupe. Die jüngeren Spieler können sich mit Älteren messen, auch das ist eine interessante Erfahrung. Es besteht außerdem die Möglichkeit, dass Spieler bereits vorzeitig aufrücken. Aktuell hat unser U 17-Junioren-Nationalspieler Noah Awuku beim 4:1-Auswärtssieg über RB Leipzig sein Debüt bei der U 19 gegeben und gleich getroffen. Utku Sen aus der U 19 trainierte bereits bei den Profis mit. So sorgen wir für eine hohe Durchlässigkeit zwischen den Mannschaften.

DFB.de: Wie sieht Ihr Einzugsgebiet aus?

Müller: Wir verfügen über das einzige Leistungszentrum in Schleswig-Holstein. Deshalb halten wir vorrangig in unserem Bundesland die Augen nach neuen Spielern offen. Hierbei wollen wir den Spielern aus der Region ein Sprungbrett bieten. Aber es hat mittlerweile auch schon der eine oder andere Spieler aus einem anderen Bundesland den Weg nach Kiel gefunden.

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DFB.de: Sehen Sie überhaupt noch Steigerungsmöglichkeiten?

Müller: Selbstverständlich, wir dürfen uns nicht ausruhen. Aktuell bringen wir viele Spieler in Gastfamilien unter, um Anfahrzeiten zu minimieren und Doppelbelastungen zu entspannen. Einige Spieler sind außerdem in einem Wohnhaus in der Nähe des Trainingszentrums untergebracht. Außerdem gibt es hier bisher leider keine Eliteschule des Fußballs. Auch das würden wir gerne ändern. Es gibt also noch eine Menge zu tun.

DFB.de: Sie sind 36 Jahre, A-Junioren-Trainer Hannes Drews ist 34, U 17-Trainer Finn Jaensch sogar erst 30. Gilt bei Ihnen das Prinzip "Jugend forscht"?

Müller: Bei uns gibt es kein Höchstalter für Trainer. Entscheidend ist allein, dass es fachlich und menschlich passt. Bei uns entwickeln sich nicht nur Spieler weiter, sondern wir wachsen auch gemeinsam mit unseren Trainern. Hannes Drews ist seit 2010 bei uns aktiv und hat zuletzt die Ausbildung zum Fußball-Lehrer erfolgreich abgeschlossen. So ist sichergestellt, dass wir auch in Zukunft qualitativ sehr gut aufgestellt sind. Die Trainer sind und bleiben der Schlüsselfaktor für nachhaltigen Erfolg. Unsere Trainer helfen uns enorm weiter. Sie füllen die neuen Strukturen mit Leben und Qualität.

DFB.de: Bereits seit 2010 sind Sie bei Holstein Kiel als Leiter der Nachwuchsabteilung tätig. Zu Beginn waren Sie in Personalunion auch Trainer der zweiten Mannschaft in der Schleswig-Holstein-Liga. Für fünf Partien saßen Sie interimsweise auf der Trainerbank der U 17. Warum haben sie aktuell kein Traineramt inne?

Müller: Momentan gibt es viele Themenfelder, die mich in meiner Verantwortung als Leiter des Leistungszentrums ausfüllen. Mir gefällt die Arbeit im Management, in der Nahtstelle zwischen der Profimannschaft und den Mannschaften des Leistungszentrums. Der Austausch mit den einzelnen Abteilungen, den Top-Talenten sowie die tägliche Zusammenarbeit mit unseren Trainern und Mitarbeitern reizen mich nach wie vor.

DFB.de: Erleichtert es die Arbeit, dass mit Markus Anfang, der in der vergangenen Saison mit der U 17 von Bayer 04 Leverkusen Deutscher B-Junioren-Meister wurde, nun ein ehemaliger Nachwuchstrainer bei der Drittligamannschaft an der Seitenlinie steht?

Müller: Ja, ohne Frage. Er kann mit jungen Spielern umgehen und weiß, wann die Jungs bereit für die ersten Einsätze sind. Außerdem hat er die nötige Geduld und das Vertrauen. Ein gutes Beispiel ist der aus unserer A-Jugend aufgerückte 19 Jahre alte Außenverteidiger Arne Sicker, der sich in unserer Drittligamannschaft momentan sehr gut entwickelt.

DFB.de: In der Saison 2004/2005 waren Sie Co-Trainer von Wolfgang Sidka beim arabischen Rekordmeister Al-Arabi Sportsclub. Wie kam es dazu?

Müller: Ich hatte gerade mein Studium der Sportwissenschaften an der Deutschen Sporthochschule in Köln beendet und bereits erste Erfahrungen als Trainer gesammelt. Dr. Stefan Lottermann, einer meiner Dozenten, stellte den Kontakt zu Wolfgang Sidka her, der einen Co-Trainer suchte. Außerdem hat mich der internationale Fußball gereizt. Ich habe die Chance ergriffen und den Einstieg in den Profibereich vollzogen. Al-Arabi Sportsclub ist Rekordmeister und so etwas wie der FC Bayern München in Katar. Das Arbeiten mit den Spielern, darunter auch Stars wie Gabriel Batistuta oder Taribo West, war absolut wertvoll für mich. Von Wolfgang Sidka, der ehrgeizig und gelassen zugleich war, habe ich einiges mitnehmen können. Auch kulturell habe ich mich weiterentwickelt und interessante Erfahrungen gesammelt.

DFB.de: Zum Beispiel?

Müller: Während des Aufwärmtrainings vor einer Partie liefen auf einmal fast alle Spieler hinter das Tor und begannen zu beten. Ich konnte es zunächst nicht fassen, aber Wolfgang Sidka meinte gelassen: ‚Die kommen gleich wieder‘. Das sind kulturelle Eigenheiten, die es zu respektieren gilt. Das gesamte Leben läuft dort etwas entspannter ab. Deshalb sind deutsche Trainer in diesen Ländern auch sehr begehrt. Denn wir gelten als zielstrebig, zuverlässig und effektiv.

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