Kick it like Ballack - DFB wirbt um ausländische Mädchen

Aufgeregt kichernd und wild durcheinander plappernd erreichen die Mädchen den Sportplatz. Tagsüber besuchen sie die Fridtjof-Nansen-Schule im Hannoveraner Stadtteil Vahrenheide. Am Mittag nun wollen sie Fußball spielen. Das erste Spiel in Diensten von Borussia Hannover steht an. Die zehnjährigen treffen auf die neunjährigen Mädchen. Es herrscht nervöse Premierenvorfreude - mehr als 100 Zuschauer, vor allem Eltern und Geschwister, sind gekommen. Anpfiff - und ein laufintensives Spiel beginnt, das die älteren Mädchen schließlich 3:0 gewinnen werden.

Wichtiger als das Endergebnis auf dem Fußballfeld aber ist eine andere Zahl: Mehr als 80 Prozent der Schülerinnen stammen aus Familien mit einem Migrationshintergrund. Mit Hilfe von inzwischen vier schulischen Arbeitsgemeinschaften haben sie den nicht immer leichten Weg zum Mädchenfußball gefunden. Hermann Städtler, Direktor der Fridtjof-Nansen-Schule, schwärmt: "Es ist schon fantastisch, in welch kurzer Zeit die Mädchen Fußballspielen gelernt haben und mit welcher Begeisterung sie in den Pausen dem Ball nachjagen. Die Schule, die Lehrkräfte und die Eltern – wir alle sind begeistert!" Ein Bericht von DFB-Internetredakteur Thomas Hackbarth.

DFB unterstützt Initiative mit 400.000 Euro

Dass türkische Mädchen in großer Zahl anfangen, Fußball zu spielen, ist beileibe keine Selbstverständlichkeit. Das Gegenteil ist oft der Fall. Die daraus resultierende Unsportlichkeit wiederum hat Folgen. Der Anteil der adipiösen, also übergewichtigen und fettleibigen Mädchen und Jungen ausländischer Herkunft ist bedeutend höher als bei deutschen Jugendlichen und hat sich seit 1996 stetig gesteigert. "Kick it like Beckham" hat im Kino geklappt, im wirklichen Leben ist die Hemmschwelle oft schlicht zu hoch.

In Hannover wurde deshalb ein erfolgreiches Projekt durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) auf den Weg gebracht. Mit einem Budget von 400.000 Euro unterstützt der DFB das auf drei Jahre angelegte Vorhaben. Dr. Ulf Gebken leitet die mittlerweile in zehn Standorten angesiedelte Initiative "Soziale Integration von Mädchen durch Fußball" - eine Art "Kick it like Ballack" mit Vorbildfunktion.

"Überall stoßen wir auf großes Interesse. Gerade die Mädchen aus Familien mit Migrationshintergund wollen unbedingt Fußball spielen. Und wenn sie erst einmal angefangen haben, sind auch die Väter stolz auf ihre kickenden Töchter", berichtet Gebken, der während der Laufzeit des Projektes von der Universität Osnabrück weitgehend freigestellt wurde. Lediglich für einen einzigen Kurs hat der Sportwissenschaftler noch Zeit gefunden.

Es geht um mehr als Nachwuchsförderung

Ansonsten ist er unterwegs, in Berlin und Hannover, in Leizig und in Neuruppin, in Saarbrücken und Dietzenbach. Für das ambitionierte Projekt sprechen zahlreiche Gründe. Denn es geht um weit mehr, als den fußballerischen Nachwuchs zu fördern. Wie keine andere Sportart gelingt es dem Fußball, Einfluss auf die Entwicklung junger Menschen mit Migrationshintergrund zu nehmen, ihnen Anerkennung zu verschaffen und sie in kulturell durchmischte Gruppen zu integrieren. Dabei ist viel gewonnen, wenn ein junges ausländisches Mädchen anfängt, Fußball zu spielen. Schließlich werden normative Überzeugungen über das Maß an gesellschaftlicher Benachteiligung auch davon geprägt, ob der Jugendliche einen Zugang zu Bildung, Kultur und Sport hat.

Soziale Benachteiligung bedeutet für Jugendliche ein Aufwachsen unter Lebensbedingungen, in denen die körperlichen und seelischen Grundbedürfnisse nicht ausreichend erfüllt werden. Hier setzen Gebken und das komplett vom DFB finanzierte Projekt an. Örtlich wird die Initiative immer in Stadtteilen angesiedelt, die als soziale Brennpunkte gelten. In Berlin-Wedding, Duisburg-Hamborn und Hannover-Vahrenheide rollt der Ball schon. Ist der Endausbau erreicht, soll in zehn Metropolen gekickt werden. "Über 1000 Schülerinnen", so Gebken, "werden dann mitmachen können."

Ein Projekt für mehr Fairplay - auch außerhalb des Fußballfeldes

Den PISA-Ergebnissen zufolge stammen 27 Prozent der 15-Jährigen im gesamten deutschen Schulsystem aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde. In den zehn ausgewählten Stadtvierteln dürfte der Anteil wesentlich höher liegen. Ebenfalls für das gesamte Bundesgebiet stellte die PISA-Studie den international höchsten mathematischen Kompetenzvorsprung von "einheimischen" Jugendlichen gegenüber Jugendlichen mit Migrationshintergrund fest. Wenn man so will, sorgt Gebkens Projekt also für etwas mehr Fairplay in Deutschland - auch außerhalb des Fußballfeldes.

Das Projekt besteht aus vier Bausteinen:
1. Fußball wird zum Thema im Sportunterricht.
2. Mädchen können in von Jungen getrennten Arbeitsgemeinschaften miteinander Fußball spielen.
3. Schülerinnen der Klassenstufen 7 bis 9 werden zu Trainer- und Schulsportassistentinnen ausgebildet.
4. Schulfußballturniere für Mädchen werden etabliert.

"Integration durch Sport muss in der Schule ansetzen"

Durch Vahrenheide jedenfalls rollt der Ball, und die Begeisterung wirkt auf die Menschen, egal welcher Herkunft. Der bereits initiierte Aufbruch ist nicht mehr zu übersehen. Auf die Frage, nach dem Erfolgsrezept für den erfolgreichen Start des Modellversuchs antwortet Gebken: "Integration durch Sport muss niedrigschwellig in der Schule ansetzen. Wenn Schulen für die Arbeitsgemeinschaften werben, diese wiederum eng mit einem örtlichen Verein verzahnt werden, können Kinder mit Migrationshintergrund für Bewegungsangebote gewonnen werden. Auch für Mädchen hat der Fußball einen hohen Aufforderungscharakter."

Dabei begegnet Gebken vielen Problemen in seiner alltäglichen Arbeit an der Bewusstseinsbildung. "Der erste Schritt ist immer, Schule und Verein miteinander vertraut zu machen", so der Sportwissenschaftler. "Oft kennen sich die später kooperierenden Personen gar nicht. Zuerst muss ich immer wieder Vertrauen aufbauen. Aber auch logistisch gibt es hohe Hürden. Gerade in unseren Stadtvierteln steht die Sporthalle oft leer, weil sie längst hätte renoviert werden müssen. Auch die Fußballvereine sind gefordert, denn die Einrichtung von Mädchenteams verlangt manchmal auch baulich neue Strukturen."

Trotz aller Hindernisse ist das Projekt auf dem besten Weg. Auf die Idee kam Ulf Gebken übrigens, als er für seine damals sechsjährige Tochter Ida einen Fußballverein suchte. "Als sie dann angefangen hatte, wollten ihre Schulkameradinnen plötzlich auch spielen. Und die waren eben zum Großteil ausländischer Herkunft."

Ein Video zum Thema Integration finden Sie hier.

[th]

[bild1]

Aufgeregt kichernd und wild durcheinander plappernd erreichen die Mädchen den Sportplatz. Tagsüber besuchen sie die Fridtjof-Nansen-Schule im Hannoveraner Stadtteil Vahrenheide. Am Mittag nun wollen sie Fußball spielen. Das erste Spiel in Diensten von Borussia Hannover steht an. Die zehnjährigen treffen auf die neunjährigen Mädchen. Es herrscht nervöse Premierenvorfreude - mehr als 100 Zuschauer, vor allem Eltern und Geschwister, sind gekommen. Anpfiff - und ein laufintensives Spiel beginnt, das die älteren Mädchen schließlich 3:0 gewinnen werden.

Wichtiger als das Endergebnis auf dem Fußballfeld aber ist eine andere Zahl: Mehr als 80 Prozent der Schülerinnen stammen aus Familien mit einem Migrationshintergrund. Mit Hilfe von inzwischen vier schulischen Arbeitsgemeinschaften haben sie den nicht immer leichten Weg zum Mädchenfußball gefunden. Hermann Städtler, Direktor der Fridtjof-Nansen-Schule, schwärmt: "Es ist schon fantastisch, in welch kurzer Zeit die Mädchen Fußballspielen gelernt haben und mit welcher Begeisterung sie in den Pausen dem Ball nachjagen. Die Schule, die Lehrkräfte und die Eltern – wir alle sind begeistert!" Ein Bericht von DFB-Internetredakteur Thomas Hackbarth.

DFB unterstützt Initiative mit 400.000 Euro

Dass türkische Mädchen in großer Zahl anfangen, Fußball zu spielen, ist beileibe keine Selbstverständlichkeit. Das Gegenteil ist oft der Fall. Die daraus resultierende Unsportlichkeit wiederum hat Folgen. Der Anteil der adipiösen, also übergewichtigen und fettleibigen Mädchen und Jungen ausländischer Herkunft ist bedeutend höher als bei deutschen Jugendlichen und hat sich seit 1996 stetig gesteigert. "Kick it like Beckham" hat im Kino geklappt, im wirklichen Leben ist die Hemmschwelle oft schlicht zu hoch.

In Hannover wurde deshalb ein erfolgreiches Projekt durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) auf den Weg gebracht. Mit einem Budget von 400.000 Euro unterstützt der DFB das auf drei Jahre angelegte Vorhaben. Dr. Ulf Gebken leitet die mittlerweile in zehn Standorten angesiedelte Initiative "Soziale Integration von Mädchen durch Fußball" - eine Art "Kick it like Ballack" mit Vorbildfunktion.

"Überall stoßen wir auf großes Interesse. Gerade die Mädchen aus Familien mit Migrationshintergund wollen unbedingt Fußball spielen. Und wenn sie erst einmal angefangen haben, sind auch die Väter stolz auf ihre kickenden Töchter", berichtet Gebken, der während der Laufzeit des Projektes von der Universität Osnabrück weitgehend freigestellt wurde. Lediglich für einen einzigen Kurs hat der Sportwissenschaftler noch Zeit gefunden.

[bild2]Es geht um mehr als Nachwuchsförderung

Ansonsten ist er unterwegs, in Berlin und Hannover, in Leizig und in Neuruppin, in Saarbrücken und Dietzenbach. Für das ambitionierte Projekt sprechen zahlreiche Gründe. Denn es geht um weit mehr, als den fußballerischen Nachwuchs zu fördern. Wie keine andere Sportart gelingt es dem Fußball, Einfluss auf die Entwicklung junger Menschen mit Migrationshintergrund zu nehmen, ihnen Anerkennung zu verschaffen und sie in kulturell durchmischte Gruppen zu integrieren. Dabei ist viel gewonnen, wenn ein junges ausländisches Mädchen anfängt, Fußball zu spielen. Schließlich werden normative Überzeugungen über das Maß an gesellschaftlicher Benachteiligung auch davon geprägt, ob der Jugendliche einen Zugang zu Bildung, Kultur und Sport hat.

Soziale Benachteiligung bedeutet für Jugendliche ein Aufwachsen unter Lebensbedingungen, in denen die körperlichen und seelischen Grundbedürfnisse nicht ausreichend erfüllt werden. Hier setzen Gebken und das komplett vom DFB finanzierte Projekt an. Örtlich wird die Initiative immer in Stadtteilen angesiedelt, die als soziale Brennpunkte gelten. In Berlin-Wedding, Duisburg-Hamborn und Hannover-Vahrenheide rollt der Ball schon. Ist der Endausbau erreicht, soll in zehn Metropolen gekickt werden. "Über 1000 Schülerinnen", so Gebken, "werden dann mitmachen können."

Ein Projekt für mehr Fairplay - auch außerhalb des Fußballfeldes

Den PISA-Ergebnissen zufolge stammen 27 Prozent der 15-Jährigen im gesamten deutschen Schulsystem aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde. In den zehn ausgewählten Stadtvierteln dürfte der Anteil wesentlich höher liegen. Ebenfalls für das gesamte Bundesgebiet stellte die PISA-Studie den international höchsten mathematischen Kompetenzvorsprung von "einheimischen" Jugendlichen gegenüber Jugendlichen mit Migrationshintergrund fest. Wenn man so will, sorgt Gebkens Projekt also für etwas mehr Fairplay in Deutschland - auch außerhalb des Fußballfeldes.

Das Projekt besteht aus vier Bausteinen:
1. Fußball wird zum Thema im Sportunterricht.
2. Mädchen können in von Jungen getrennten Arbeitsgemeinschaften miteinander Fußball spielen.
3. Schülerinnen der Klassenstufen 7 bis 9 werden zu Trainer- und Schulsportassistentinnen ausgebildet.
4. Schulfußballturniere für Mädchen werden etabliert.

"Integration durch Sport muss in der Schule ansetzen"

Durch Vahrenheide jedenfalls rollt der Ball, und die Begeisterung wirkt auf die Menschen, egal welcher Herkunft. Der bereits initiierte Aufbruch ist nicht mehr zu übersehen. Auf die Frage, nach dem Erfolgsrezept für den erfolgreichen Start des Modellversuchs antwortet Gebken: "Integration durch Sport muss niedrigschwellig in der Schule ansetzen. Wenn Schulen für die Arbeitsgemeinschaften werben, diese wiederum eng mit einem örtlichen Verein verzahnt werden, können Kinder mit Migrationshintergrund für Bewegungsangebote gewonnen werden. Auch für Mädchen hat der Fußball einen hohen Aufforderungscharakter."

Dabei begegnet Gebken vielen Problemen in seiner alltäglichen Arbeit an der Bewusstseinsbildung. "Der erste Schritt ist immer, Schule und Verein miteinander vertraut zu machen", so der Sportwissenschaftler. "Oft kennen sich die später kooperierenden Personen gar nicht. Zuerst muss ich immer wieder Vertrauen aufbauen. Aber auch logistisch gibt es hohe Hürden. Gerade in unseren Stadtvierteln steht die Sporthalle oft leer, weil sie längst hätte renoviert werden müssen. Auch die Fußballvereine sind gefordert, denn die Einrichtung von Mädchenteams verlangt manchmal auch baulich neue Strukturen."

Trotz aller Hindernisse ist das Projekt auf dem besten Weg. Auf die Idee kam Ulf Gebken übrigens, als er für seine damals sechsjährige Tochter Ida einen Fußballverein suchte. "Als sie dann angefangen hatte, wollten ihre Schulkameradinnen plötzlich auch spielen. Und die waren eben zum Großteil ausländischer Herkunft."

Ein Video zum Thema Integration finden Sie hier.