Keskinler: "Benennung der Sportrichter wäre Fortschritt"

Gül Keskinler, in Istanbul geboren und in Bergisch-Gladbach aufgewachsen, arbeitet seit Ende 2006 ehrenamtlich im Dienste des Fußballs in Deutschland. Für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) sorgt sich die gebürtige Türkin mit deutschem Pass um die Integration der verschiedenen kulturellen Milieus und Gruppen unter dem Dach des Verbandes.

Ein Highlight ihrer Arbeit kommt gleich zum Jahrebeginn: Oliver Bierhoff übergibt am 4. Januar 2008 erstmals den Integrationspreis, mit dem der DFB gemeinsam mit Generalsponsor Mercedes-Benz engagierte Vereine, Schulen und Projekte ehrt. Das Preisgeld allein hat ein Volumen von EURO 150.000.

Im aktuellen "DFB.de-Gespräch der Woche" mit DFB-Internetredakteur Thomas Hackbarth lobt die 44-jährige Keskinler die Arbeit der mono-ethnischen Klubs und rät den Vereinen in Ballungszentren und sozialen Brennpunkten, sich stärker zu vernetzen. "Trainer und Vorstände versuchen dort durch den Fußball, den Jugendlichen beim Aufbau einer Existenz zu helfen, stellen aber fest, dass die Zeit einer ehrenamtlichen Tätigkeit dafür manchmal gar nicht reicht."

Frage: Türkiyemspor Berlin wurde vom DFB und Mercedes-Benz mit dem Integrationspreis ausgezeichnet. Was gab den Ausschlag für einen mono-ethnischen Klub?

Gül Keskinler: Aus Sicht des DFB senden wir mit der Prämierung eines mono-ethnischen Vereins ein Signal, denn gerade diese Klubs geraten in die Kritik, nicht immer zu recht. Bei Türkiyem stehen Spieler aus sieben Nationen in der 1. Mannschaft und der Trainer ist deutscher Abstammung. Dennoch sind diese sogenannten mono-ethnischen Vereine in der Öffentlichkeit umstritten. Der DFB will mit der Preisvergabe die gute Arbeit, die in diesen Vereinen geleistet wird, honorieren und für eine größere Akzeptanz sorgen. Die Arbeit ist beispielhaft für gleichgroße und ähnlich strukturierte Vereine. Bei Türkiyem gab es zum Saisonbeginn Verhaltensschulungen für Trainer und Spieler, um Streitigkeiten und Eskalationen auf dem Fußballplatz zu vermeiden. Damit hat der Verein positiv und konstruktiv auf einen Missstand reagiert. Mit seinen Mädchenteams bezieht Türkiyem innerhalb der türkischen Gemeinschaft von Berlin eine starke und selbstbewusste Position - und findet Akzeptanz bei den Eltern. Dass ein mono-ethnischer Verein außerdem den Schwulen- und Lesbenfußball fördert, ist bemerkenswert. Türkiyem ist also voll und ganz in Berlin angekommen. In der Vereinsarbeit spiegelt sich die Vielfalt unserer Gesellschaft – wirklich ein würdiger Preisträger.

Frage: Wie zufrieden waren Sie insgesamt mit der Anzahl der Bewerbungen für den Integrationspreis?

Keskinler: Fast 200 Vereine, Schulen und Projekte haben uns ihre Unterlagen geschickt. Damit waren wir zufrieden, zumal wir erstmals gemeinsam mit unserem Generalsponsor Mercedes-Benz einen Integrationspreis ausgelobt haben. In den Fußballvereinen geschieht viel an Grundlagenarbeit für die Integration ausländischer Mitbürger.

Frage: Wie hoch ist das Gesamtvolumen der vergebenen Preisgelder?



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Gül Keskinler, in Istanbul geboren und in Bergisch-Gladbach aufgewachsen, arbeitet seit Ende 2006 ehrenamtlich im Dienste des Fußballs in Deutschland. Für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) sorgt sich die gebürtige Türkin mit deutschem Pass um die Integration der verschiedenen kulturellen Milieus und Gruppen unter dem Dach des Verbandes.

Ein Highlight ihrer Arbeit kommt gleich zum Jahrebeginn: Oliver Bierhoff übergibt am 4. Januar 2008 erstmals den Integrationspreis, mit dem der DFB gemeinsam mit Generalsponsor Mercedes-Benz engagierte Vereine, Schulen und Projekte ehrt. Das Preisgeld allein hat ein Volumen von EURO 150.000.

Im aktuellen "DFB.de-Gespräch der Woche" mit DFB-Internetredakteur Thomas Hackbarth lobt die 44-jährige Keskinler die Arbeit der mono-ethnischen Klubs und rät den Vereinen in Ballungszentren und sozialen Brennpunkten, sich stärker zu vernetzen. "Trainer und Vorstände versuchen dort durch den Fußball, den Jugendlichen beim Aufbau einer Existenz zu helfen, stellen aber fest, dass die Zeit einer ehrenamtlichen Tätigkeit dafür manchmal gar nicht reicht."

Frage: Türkiyemspor Berlin wurde vom DFB und Mercedes-Benz mit dem Integrationspreis ausgezeichnet. Was gab den Ausschlag für einen mono-ethnischen Klub?

Gül Keskinler: Aus Sicht des DFB senden wir mit der Prämierung eines mono-ethnischen Vereins ein Signal, denn gerade diese Klubs geraten in die Kritik, nicht immer zu recht. Bei Türkiyem stehen Spieler aus sieben Nationen in der 1. Mannschaft und der Trainer ist deutscher Abstammung. Dennoch sind diese sogenannten mono-ethnischen Vereine in der Öffentlichkeit umstritten. Der DFB will mit der Preisvergabe die gute Arbeit, die in diesen Vereinen geleistet wird, honorieren und für eine größere Akzeptanz sorgen. Die Arbeit ist beispielhaft für gleichgroße und ähnlich strukturierte Vereine. Bei Türkiyem gab es zum Saisonbeginn Verhaltensschulungen für Trainer und Spieler, um Streitigkeiten und Eskalationen auf dem Fußballplatz zu vermeiden. Damit hat der Verein positiv und konstruktiv auf einen Missstand reagiert. Mit seinen Mädchenteams bezieht Türkiyem innerhalb der türkischen Gemeinschaft von Berlin eine starke und selbstbewusste Position - und findet Akzeptanz bei den Eltern. Dass ein mono-ethnischer Verein außerdem den Schwulen- und Lesbenfußball fördert, ist bemerkenswert. Türkiyem ist also voll und ganz in Berlin angekommen. In der Vereinsarbeit spiegelt sich die Vielfalt unserer Gesellschaft – wirklich ein würdiger Preisträger.

Frage: Wie zufrieden waren Sie insgesamt mit der Anzahl der Bewerbungen für den Integrationspreis?

Keskinler: Fast 200 Vereine, Schulen und Projekte haben uns ihre Unterlagen geschickt. Damit waren wir zufrieden, zumal wir erstmals gemeinsam mit unserem Generalsponsor Mercedes-Benz einen Integrationspreis ausgelobt haben. In den Fußballvereinen geschieht viel an Grundlagenarbeit für die Integration ausländischer Mitbürger.

Frage: Wie hoch ist das Gesamtvolumen der vergebenen Preisgelder?

Keskinler: Die drei Erstplatzierten erhalten einen Mercedes-Benz Vito im Wert von jeweils rund EURO 35.000. Das ausgegebene Bargeld addiert, kommt der Integrationspreis auf ein Gesamtvolumen an Preisen in Höhe von EURO 150.000.

Frage: Warum wird der Integrationspreis in Sindelfingen überreicht?

Keskinler: Oliver Bierhoff wird den Preis beim Mercedes-Benz Junior Cup in Sindelfingen überreichen. Wir haben uns für diese Veranstaltung am 4. und 5. Januar auf Wunsch unseres Generalsponsors entschieden, aber auch, weil hier Jugendmannschaften aus vielen Ländern spielen, in denen Mercedes-Benz Fabriken betreibt. Auch in Sindelfingen wird also ein interkultureller Dialog geführt werden, und über den Fußball werden Freundschaften entstehen. Das passt zum Grundgedanken unseres Preises.

Frage: Haben Sie das Thema Integration in ihrem ersten Jahr in den Landesverbänden verankern können?

Keskinler: Wir haben alle 21 Landesverbände angeschrieben und sind bislang von elf Verbänden persönlich eingeladen worden. Besucht habe ich bislang die Landesverbände Bremen, Mittelrhein und Rheinland. Man kann die Entwicklung nicht von oben durchsetzen, es müssen viele mitgenommen werden, damit das Vorhaben Erfolg hat. In jedem Verband stoßen wir Prozesse an, die dann auch verbindlich weiter entwickelt werden müssen. Jeder Verband hat seine ganz eigene Position und Geschichte der Integration. Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund leben in dem jeweiligen Bundesland? Wie viele spielen Fußball? Was für Konflikte gab es etwa mit mono-ethnischen Vereinen? Die Leute sind zurückhaltend, weil sie unsicher sind, ob der DFB sich dauerhaft engagieren wird. Sie fordern Verbindlichkeit. Dass unser Präsident Dr. Theo Zwanziger hinter dem Thema steht und in der Öffentlichkeit eine Vorreiterrolle übernimmt, ist eminent wichtig. Und mit Rolf Hocke haben wir einen Vizepräsidenten, der das Thema Integration ebenfalls nach vorne bringt.

Frage: Gibt es einen Vorreiter unter den Landesverbänden des DFB?

Keskinler: Als erstes fällt mir da der Fußball-Verband Rheinland ein, weil dort in jeden der neun Kreisverbände ein Integrationsbeauftragter in den Vorstand berufen wurde. Das ist eine tolle Entwicklung. Den Kreis-Integrationsbeauftragten, die ich bereits kennengelernt habe und die teilweise auch über einen Migrationshintergrund verfügen, fällt eine wichtige Aufgabe zu und ich bin auf die Entwicklung gespannt.

Frage: Welchen Ratschlag geben Sie den Verbänden und den Vereinen, wenn Sie vor Ort sind?

Keskinler: Dass sie sich vernetzen sollen. Wir als Fußball-Strukturen können nicht alles. Es gibt zahlreiche kommunale Angebote und Institutionen, auf die der Fußballkreis oder –verein bei bestimmten Fragen zurückgreifen kann. Neben dem Sportamt sollte ein Verein auch den Kontakt zum Jugendamt etablieren. Wir dürfen und können uns nicht jedes Problem zu eigen machen. Vereine, die in Stadtteilen zuhause sind, in denen ein hoher Ausländeranteil vorliegt und oft dann ja auch andere Indikatoren eines sozialen Brennpunktes – viele Hartz-IV-Empfänger, Alkohol- und Drogenprobleme – solche Vereine werden im ganz normalen Fußball-Alltag mit unzähligen sozialen Problemen konfrontiert. Die Trainer und Vorstände fühlen sich dann regelrecht überwältigt und überfordert. Durch den Fußball versuchen sie, den Jugendlichen beim Aufbau einer Existenz zu helfen, nur um festzustellen, dass die Zeit einer ehrenamtlichen Tätigkeit gar nicht dafür ausreicht. Trainer sein, und dazu arbeitslosen Jugendlichen helfen, Schulprobleme zu beheben, einen Job zu finden, oder Deutsch zu lernen – das ist in der Summe oft einfach zu viel. Die Verbände, Kreise und Vereine müssen sich besser vernetzen, um sich mehr Hilfe zu holen.

Frage: Ein Ziel ist es, in den Sportgerichten der Landesverbände Richter und Beisitzer mit Migrationshintergrund zu etablieren. Wie weit sind Sie?

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Keskinler: Sicher eine ganz wichtige Maßnahme, aber das wird eine Weile dauern. Der Vorschlag von Hans Lorenz, des Vorsitzenden des DFB-Sportgerichts, künftig Sportrichter auf Ebene der Landesverbände zu ernennen statt sie zu wählen, ist hilfreich. Ansonsten haben Ausländer und Migranten einen weiten Weg vor sich. Um zum Sportrichter gewählt zu werden, braucht es im Verband solide Netzwerke in der Struktur, und die haben Ausländer oder Menschen mit Migrationshintergrund oft nicht. Andererseits gibt es noch zu wenige Menschen mit Migrationshintergrund, die sich in solchen Positionen einbringen können.

Frage: Wie antworten Sie auf Kritik, dass der Fußball ganz natürlich für Integration sorge und alle von oben aufgesetzten Programme überzogen und kopflastig seien?

Keskinler: Natürlich ist der Fußball schon heute das perfekte Mittel zur Integration. Nirgendwo kommen Menschen unterschiedlicher Kultur, Hautfarbe oder Religion so zwanglos und positiv zusammen, wie beim Fußball. Das funktioniert auch prima ganz ohne eine DFB-Integrationsbeauftragte. Die Leute treffen sich auf dem Fußballplatz und haben zusammen Spaß. Aber der DFB ist eine ehrenamtlich getragene und täglich aktivierte Organisation. Mit Blick auf den demographischen Wandel stellt sich die Frage, wer zukünftig in den Verbänden und auch Vereinen die ehrenamtliche organisatorische Arbeit leisten soll. Es gibt Vereine, die haben 60 Prozent Spieler mit Migrationshintergrund, doch im Vorstand sitzen ausschließlich Deutsche. Damit gerade in den Ballungszentren die Abläufe auch morgen reibungslos funktionieren, müssen wir schon heute Veränderungen einleiten.

Frage: Wie kamen Sie selbst dazu, die ‚Integration im Sport’ zur Aufgabe ihrer beruflichen Laufbahn zu machen?

Keskinler: Als Kind einer türkischen Familie in Deutschland habe ich viele Stunden meiner Jugend im Turnverein verbracht. Damals merkte ich, dass ich die einzige Ausländerin im Training war. Keine andere Italienerin, keine Spanierin, keine Griechin, keine Türkin. Später als junge Mutter machte ich ähnliche Erfahrungen. In der Krabbelgruppe war ich ziemlich die einzige Ausländerin. Als mein Sohn in den Fußballverein ging, war natürlich fast die Hälfte der Spieler Türken. Aber deren Eltern haben sich wenig in den Verein eingebracht, der war fest in deutscher Hand. Und das ist leider noch heute so.

Frage: Welche Meilensteine stehen für 2008 an?

Keskinler: Integration ist ein Querschnittsthema, weshalb die Zusammenarbeit der einzelnen Direktionen des DFB eminent wichtig ist und sein wird. Ich bin jetzt als Integrationsbeauftragte in den Kommissionen Bildung und Ehrenamt Mitglied – das hilft, unser Thema besser zu platzieren. Wir wollen beim DFB eine Kommission zur Integration mit Experten aus verschiedenen Bereichen der Integration bilden, die konkrete Themen bearbeitet. Auf Ebene der Landesverbände wollen wir Integrationsbeauftragte finden und in den Strukturen verankern. Im übrigen halte ich es für ein gutes Ergebnis der drei Workshops Integration, die wir 2007 veranstaltet haben, dass die vertretenen Landesverbände die Schwerpunkte Integration und Prävention in Zukunft nicht in einen Arbeitsbereich legen. Denn die Eingliederung von Menschen mit Migrationshintergrund wird eben nicht als Mittel zur Gewaltverhinderung gesehen. Eine wichtige Aufgabe für 2008 ist auch, dass wir bekannte Botschafter der Integration finden und berufen – das können Spieler der Bundesliga und 2. Bundesliga sein, sicher aber auch Spielerinnen und Schiedsrichter. Für Vorstände und Schiedsrichter wollen wir 2008 ein Lehrmodul „Interkulturelle Kompetenz“ erarbeiten. Oliver Bierhoff hat uns kürzlich ermahnt, wir dürften auch die Aussiedler nicht vergessen. Auch hier werden wir uns besser vernetzen und die Arbeit auf mehreren Schultern tragen. Die Gefahr ist, sich bei all diesen Aufgaben und Zielen zu verzetteln. Wir werden uns bemühen, weiterhin fokussiert zu arbeiten.