Kahn: "Neuer hat das Torwartspiel auf eine neue Ebene gebracht"

Wenigen Torhütern ist es gelungen, sich bei individuellen Auszeichnungen ins Rampenlicht zu stellen. Oliver Kahn gehört zu diesen besonderen Schlussleuten. 1963 bekam Lev Yashin (Sowjetunion) zwar als bisher einziger Torwart den Ballon d'Or, der "Titan" aber ist der einzige Torhüter, der den Titel als bester WM-Spieler erringen konnte. 2002 in Korea und Japan verhalf der Keeper des FC Bayern München seinem Team mit überragenden Leistungen zum Einzug ins Finale, das Deutschland dann 0:2 gegen Brasilien durch zwei Ronaldo-Tore verlor. Dennoch gab es für Kahn den Goldenen Ball von adidas. "Natürlich ist es schade, ich wäre sehr gerne Weltmeister geworden", meint der heute 46-Jährigen im Exklusivinterview mit FIFA.com.

Im selben Jahr schaffte es Oliver Kahn auch unter die letzten Drei beim FIFA Ballon d’Or - musste sich aber erneut Ronaldo geschlagen geben. Auch wenn für den achtmaligen Deutschen Meister beim Fußball immer der Mannschaftssport im Vordergrund stand, war die Wahl in die Top 3 für ihn etwas Besonderes. Und sie weist Parallelen zur Situation von Weltmeister Manuel Neuer im vergangenen Jahr auf. Auf DFB.de spricht der Champions-League- und Weltpokalsieger von 2001 unter anderem über die Rolle des Torwarts bei der Weltfußballerwahl und über die Unterschiede zwischen ihm und Neuer.

Frage: 2014 waren nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft fünf Deutsche unter den Nominierten - und mit Manuel Neuer sogar ein Torhüter. Am Ende siegte wieder Cristiano Ronaldo. Waren Sie enttäuscht?

Oliver Kahn:Ich kann mich daran erinnern, dass Manuel im Vorfeld in Deutschland im Gespräch war. Aber ich glaube, es wird vor allem im Ausland nicht immer hundertprozentig verstanden, warum ein Torhüter bei so einer Wahl überhaupt dabei ist. Ich finde, es sollte den Ballon d'Or für Feldspieler geben, und man sollte Torhüter gesondert in einer anderen Kategorie auszeichnen. Dann würden die Torhüter damit gar nicht mehr konfrontiert. Das führt nämlich immer zu großen Diskussionen.

Frage: Warum wird im Ausland noch nicht verstanden, dass auch ein Torhüter unter den Nominierten sein kann?

Kahn:Der Stellenwert des Torhüters ist in Deutschland sehr hoch. Ich gehe zwar davon aus, dass sich mittlerweile auch weltweit herumgesprochen hat, dass der Torhüter ein entscheidender, wenn nicht der entscheidende Spieler ist und man große Titel nur mit einem großartigen Torhüter gewinnen kann. Aber ich glaube, dass der Torhüter in Europa einen höheren Stellenwert hat als beispielsweise in Südamerika.

Frage: 2002 hatten Sie eine ähnliche Situation erlebt. Sie waren unter den letzten Drei, die Auszeichnung ging aber an Weltmeister Ronaldo. Konnten Sie sich vergangenen Jahr in Manuel Neuer hineinversetzen?

Kahn: Ich hätte es mir damals kaum vorstellen können, diesen Titel zu gewinnen, aus den eben genannten Gründen. Es wäre damals schon außergewöhnlich gewesen. Ich habe ja bei der Weltmeisterschaft die Auszeichnung zum besten Spieler bekommen. Dann diese Ballon d’Or-Auszeichnung noch zu erhalten, wäre etwas absolut Unglaubliches gewesen für einen Torwart.



Wenigen Torhütern ist es gelungen, sich bei individuellen Auszeichnungen ins Rampenlicht zu stellen. Oliver Kahn gehört zu diesen besonderen Schlussleuten. 1963 bekam Lev Yashin (Sowjetunion) zwar als bisher einziger Torwart den Ballon d'Or, der "Titan" aber ist der einzige Torhüter, der den Titel als bester WM-Spieler erringen konnte. 2002 in Korea und Japan verhalf der Keeper des FC Bayern München seinem Team mit überragenden Leistungen zum Einzug ins Finale, das Deutschland dann 0:2 gegen Brasilien durch zwei Ronaldo-Tore verlor. Dennoch gab es für Kahn den Goldenen Ball von adidas. "Natürlich ist es schade, ich wäre sehr gerne Weltmeister geworden", meint der heute 46-Jährigen im Exklusivinterview mit FIFA.com.

Im selben Jahr schaffte es Oliver Kahn auch unter die letzten Drei beim FIFA Ballon d’Or - musste sich aber erneut Ronaldo geschlagen geben. Auch wenn für den achtmaligen Deutschen Meister beim Fußball immer der Mannschaftssport im Vordergrund stand, war die Wahl in die Top 3 für ihn etwas Besonderes. Und sie weist Parallelen zur Situation von Weltmeister Manuel Neuer im vergangenen Jahr auf. Auf DFB.de spricht der Champions-League- und Weltpokalsieger von 2001 unter anderem über die Rolle des Torwarts bei der Weltfußballerwahl und über die Unterschiede zwischen ihm und Neuer.

Frage: 2014 waren nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft fünf Deutsche unter den Nominierten - und mit Manuel Neuer sogar ein Torhüter. Am Ende siegte wieder Cristiano Ronaldo. Waren Sie enttäuscht?

Oliver Kahn:Ich kann mich daran erinnern, dass Manuel im Vorfeld in Deutschland im Gespräch war. Aber ich glaube, es wird vor allem im Ausland nicht immer hundertprozentig verstanden, warum ein Torhüter bei so einer Wahl überhaupt dabei ist. Ich finde, es sollte den Ballon d'Or für Feldspieler geben, und man sollte Torhüter gesondert in einer anderen Kategorie auszeichnen. Dann würden die Torhüter damit gar nicht mehr konfrontiert. Das führt nämlich immer zu großen Diskussionen.

Frage: Warum wird im Ausland noch nicht verstanden, dass auch ein Torhüter unter den Nominierten sein kann?

Kahn:Der Stellenwert des Torhüters ist in Deutschland sehr hoch. Ich gehe zwar davon aus, dass sich mittlerweile auch weltweit herumgesprochen hat, dass der Torhüter ein entscheidender, wenn nicht der entscheidende Spieler ist und man große Titel nur mit einem großartigen Torhüter gewinnen kann. Aber ich glaube, dass der Torhüter in Europa einen höheren Stellenwert hat als beispielsweise in Südamerika.

Frage: 2002 hatten Sie eine ähnliche Situation erlebt. Sie waren unter den letzten Drei, die Auszeichnung ging aber an Weltmeister Ronaldo. Konnten Sie sich vergangenen Jahr in Manuel Neuer hineinversetzen?

Kahn: Ich hätte es mir damals kaum vorstellen können, diesen Titel zu gewinnen, aus den eben genannten Gründen. Es wäre damals schon außergewöhnlich gewesen. Ich habe ja bei der Weltmeisterschaft die Auszeichnung zum besten Spieler bekommen. Dann diese Ballon d’Or-Auszeichnung noch zu erhalten, wäre etwas absolut Unglaubliches gewesen für einen Torwart.

###more###

Frage: Glauben Sie, dass der Ausgang der WM 2002 den Ausgang der Weltfußballerwahl beeinflusst hat? Hätten Sie die Auszeichnung erhalten, wenn Sie den WM-Titel geholt hätten?

Kahn: Das macht schon sehr viel aus. Wenn du dann wirklich einen großen Titel wie die WM, EM oder Champions League in dem jeweiligen Jahr gewinnst, sind das treibende Kriterien. Oder auch, wie viele Tore jemand erzielt hat. Daher sind auch Lionel Messi und Cristiano Ronaldo immer nominiert. Man darf natürlich nicht vergessen, dass diese Spieler auch Freude bereiten und dem Zuschauer Spaß machen. Das ging mir ja selbst auch schon so, als ich noch im Tor gespielt habe. Einem Zinédine Zidane beim Fußballspielen zuzusehen, war einfach ein Genuss. Daher haben diese Spieler auch die Auszeichnungen verdient.

Frage: Welche Erinnerungen haben Sie noch an die Gala und die Auszeichnung in Madrid 2002?

Kahn: Ich weiß noch, dass ich von spanischen Medien gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, bei Real Madrid zu spielen. Meine Antwort war damals: "Nein, wieso? Ich spiele doch schon beim besten Verein der Welt." Also Bayern München. Das war eigentlich eher als Spaß gemeint, kam aber nicht so gut an. (lacht) Das wurde mir hinterher als Arroganz ausgelegt, obwohl es eigentlich nur ein Scherz sein sollte - der komplett misslungen ist.

Frage: Sie haben einige persönliche Auszeichnungen gewonnen, heben aber immer den Teamfaktor hervor. Wie wichtig waren Ihnen die individuellen Auszeichnungen denn nun?

Kahn: Was heißt wichtig? Ich konnte mich dagegen ja nicht wehren. (lacht) Aber ich habe sie natürlich sehr gerne angenommen, und mir war es wichtig, dass ich diese stellvertretend für das Team entgegengenommen habe. Wenn man nicht die Möglichkeit hat, bei einem Spitzenverein wie Manchester United, FC Barcelona oder Bayern München zu spielen, bekommt man kaum die Chance, diese großen Titel zu gewinnen. Daher war es mir immer wichtig, darauf hinzuweisen, dass meine Mitspieler, die ich an meiner Seite hatte, einen großen Teil zu der Auszeichnung beigetragen hatten. Manchmal habe ich etwas für die Jungs gerettet, mal haben sie mich gerettet. So ist das eben im Fußball.

Frage: Der Erfolg der deutschen Nationalmannschaft wird oft dem Team zugeschrieben. Glauben Sie, dass dies ein Problem sein könnte, wenn es um individuelle Auszeichnungen geht? Ist es zu schwer, aus diesem starken Kollektiv einen Einzelnen herauszupicken?

Kahn: Die deutsche Mannschaft hat viele exzellente Könner, aber sie hat keinen Ronaldo oder Messi. Die deutsche Mannschaft ist in ihrer Zusammensetzung optimal austariert. Das Verhältnis zwischen Individualisten wie Mario Götze oder Mesut Özil, den Kollektivspielern - den eher unauffälligen Spielern, die aber wichtige Funktionen übernehmen - und den Führungsspielern war bei der WM 2014 perfekt balanciert. Dieser Faktor hat den Ausschlag gegeben gegenüber einer Mannschaft wie Argentinien, die stark auf einen Spieler zugeschnitten war. So etwas gibt es in der deutschen Nationalmannschaft nicht. Ich möchte aber nicht den Fehler machen, hier wertend zu sein und zu sagen, das eine sei besser als das andere. Bei dieser Weltmeisterschaft hat sich eben ein sehr starkes deutsches Kollektiv durchgesetzt.

###more###

Frage: In diesem Jahr ist Manuel Neuer einer von drei deutschen Nominierten bei den Männern. Rechnen Sie damit, dass er wirkliche Chancen hat? Falls nicht, wer wird die Auszeichnung bekommen?

Kahn: Es geht dabei auch immer um die großen Titel. Barcelona hat die Champions League gewonnen, Juventus war im Finale. Dann ist die Frage, wer hat viele Tore erzielt. (Liest die Liste mit den Nominierten) Gareth Bale, Thomas Müller, Manuel Neuer, Neymar (überlegt lange). Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich wird es sich wieder zwischen Messi, der eine starke Saison gespielt hat, und Ronaldo, der wieder viele Tore geschossen hat, entscheiden. Ich gehe davon aus, dass es wieder Ronaldo wird, der von sich sagt, er sei der beste Spieler. Was soll er auch anderes tun. (lacht) Arjen Robben ist für mich ein Spieler, der exzellente Leistungen bringt, aber immer wieder große Verletzungsprobleme hat. Noch ist es nicht so, dass ein Verein wie Bayern weltweit so häufig zu sehen ist wie Madrid, Barcelona oder Manchester United. Das sind alles Vereine, die im Ausland stark im Fokus sind. Die Bundesliga sieht man weltweit betrachtet noch zu wenig. Auch das sind Faktoren, die bei der Wahl eine Rolle spielen. Wie soll ich jemanden wählen, den ich kaum zu sehen bekomme? Deswegen haben es die Deutschen immer besonders schwer, außer sie spielen - wie Toni Kroos - bei einem Verein wie Real Madrid.

Frage: Wie würden Sie sich mit Manuel Neuer vergleichen?

Kahn: Ich bin kein Freund davon, Generationen miteinander zu vergleichen. Denn jede Generation hat ihr eigenes Anforderungsprofil. Manuel ist ein Topspieler, der das Torwartspiel auf eine neue Ebene gebracht hat, der immer wieder hohes Risiko geht und sich zu einem elften Feldspieler entwickelt hat. Er ist immer anspielbar und technisch sowohl links als auch rechts sehr stark. Seine Mitspieler können ihn selbst in bedrängten Situationen ins Spiel mit einbeziehen. Das ist für eine Defensive ein riesiges Plus. Darüber hinaus versucht er, viele Situationen antizipativ zu klären. Teilweise schon weit außerhalb des Strafraums. Bisher ist es noch nicht passiert, dass er in einem entscheidenden Spiel einen Fehler gemacht hat. Das ist sein Spielstil. Allerdings wurde das Mitspielen auch zu meiner Zeit schon gefordert. Manuel hat es perfektioniert.

Frage: Wenn Sie die Wahl hätten für Ihr Team, wen würden Sie ins Tor stellen: Manuel Neuer oder Oliver Kahn zu seinen besten Zeiten?

Kahn: (lacht) Ich glaube, das wäre schwierig. Ich würde immer wieder wechseln. Bei mir gäbe es keine Nummer eins. Derjenige, der gerade besser drauf ist, würde spielen.

Frage: Sehen Sie bei Manuel Neuer noch Schwächen?

Kahn: Da gibt es keine wirklichen Schwächen mehr. Man arbeitet auf diesem Niveau konsequent immer weiter, das war bei mir auch irgendwann so. Das Torwartspiel ist eigentlich an sich komplett, und man versucht, die einzelnen Facetten immer weiter zu perfektionieren. Bei Flanken ist Manuel sehr mutig und versucht, der Mannschaft zu helfen, indem er den Fünf-Meter-Raum verlässt. Trotzdem passieren immer wieder mal Fehler. Das ist normal. Er hat starke Reflexe und ist aus der Distanz schwer zu bezwingen. Es geht darum, dieses Niveau zu halten und daran zu arbeiten, sich in allen Bereichen noch etwas absetzen zu können. Das ist die Herausforderung, die man auf dem Niveau von Manuel Neuer irgendwann hat.