Julius Hirsch Preis: Flagge zeigen gegen rechts

Die Ultra-Gruppe Schickeria bekommt heute in Gelsenkirchen den Julius Hirsch Preis 2014 verliehen. Die Münchner Fans haben die Erinnerung an den ehemaligen Bayern-Präsidenten Kurt Landauer wieder aufleben lassen. Bereits seit 2005 und damit zum zehnten Mal zeichnet der DFB damit Engagement im Fußball gegen Rassismus und Diskriminierung aus.

Es war eine der besonders schönen Geschichten des deutschen Fußballs. Der FC Bayern spielte in der Schweiz, es war 1943, mitten im Krieg. Und oben auf den Holzbänken unterm Stadiondach im Züricher Stadion saß Kurt Landauer, Ex-Präsident des Vereins, wegen seines jüdischen Glaubens in Dachau inhaftiert und schließlich in die Schweiz geflüchtet. Die Gestapo hatte die Bayern zum Freundschaftsspiel nach Zürich begleitet, ein kaltes und striktes Verbot, "den Juden" zu begrüßen, war ausgegeben worden. Doch die Bayern-Spieler ließen sich die Begrüßung nicht verbieten, winkten ihrem langjährigen Präsidenten zu. Manche Zeitzeugen berichten sogar, dass Spieler zu Landauer auf die Tribüne gelaufen seien. Eine große Geste in einer furchtbaren Zeit. Ein Zeichen der Verbundenheit.

Seine Maßnahmen gipfelten in der Meisterschaft

Und doch: An den Mann, der das Fundament des Champions-League- Siegers gelegt hat, wollte sich jahrzehntelang kaum jemand erinnern. Kurt Landauer, kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs und dann von 1919 bis unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme Präsident des Klubs, hatte den heutigen Rekordmeister früh geprägt. "Als viele andere Ver- eine in dumpfer Deutschtümelei stagnierten, organisierte Landauer internationale Freundschaftsspiele. Er holte ausländische Trainer nach München, er baute eine Jugendarbeit auf. Seine Maßnahmen gipfelten 1932 im Gewinn der ersten Deutschen Meisterschaft", erzählt Simon Müller von den Münchner Ultras.

Die Schickeria-Aktionen – kurvenfüllende Choreografien in der Alli- anz-Arena, Lesungen und Fußballturniere – haben den Lebens- und Leidensweg Landauers wieder in die Gegenwart geholt. Die Münchner Ultras haben Landauer, der 1961 starb, dem Vergessen entrissen. Einer Fußball-Fangruppe gelang es, nicht ganz alleine, aber doch maßgeblich, ein großes Thema neu zu platzieren. Landauer ist heute Ehrenpräsident des FC Bayern, und auch die ARD hat reagiert. Ein Spielfilm über Landauers Leben läuft am Mittwoch, 15. Oktober, ab 20.15 Uhr im Ersten. Für ihr Engagement wurde die durchaus nicht unumstrittene Ultra-Gruppe heute mit dem Julius Hirsch Preis ausgezeichnet.

Deutliches Zeichen gegen Diskriminierung

Wolfgang Niersbach leitet die Jury, der unter anderem Charlotte Knobloch, zwischen 2006 und 2010 Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ligapräsident Dr. Reinhard Rauball und Vertreter der Familie Hirsch angehören. Der DFB-Präsident wird heute Mittag auch den Preis überreichen. "Die Schickeria hat ein deutlich sichtbares Zeichen gegen jede Art der Diskriminierung gesetzt", sagt Niersbach. "Mit dem Preis wollen wir die Schickeria und andere Ultragruppen dazu ermutigen, mehr Verantwortung in diesem Bereich zu übernehmen."

Die Stadion-Choreografie am 19. Spieltag der vergangenen Saison war genau das, was der DFB-Präsident lobt – deutlich sichtbar. Von Eckfahne zu Eckfahne zeigten ausgerollte Stoffbahnen das Konterfei des ehemaligen Bayern-Präsidenten. Vier seiner fünf Geschwister hatten die Nazis ermordet. Und dennoch war er nach München zurückgekehrt und hatte erneut die Präsidentschaft übernommen. Dank seiner Überzeugungskraft gelang der Erwerb des Vereinsgeländes an der Säbener Straße. Das Magazin "11Freunde" zeichnete die Münchner Choreo als "Fanaktion des Jahres" aus. Auf 40 Meter langen Banderolen stand dazu ein Zitat Landauers aus dem Jahr 1949: "Der FC Bayern und ich gehören nun einmal zusammen und sind untrennbar voneinander."

Wochenlange Vorbereitung für Choreographien

Wochenlang dauere die Vorbereitung, erzählt Müller (32), der seit der Gründung im Jahr 2002 zur Schickeria gehört. "Wir stehen dann in irgendwelchen Hallen, da wird mit Overhead-Projektoren gearbeitet, wir bemalen riesige Stoffbahnen." Klarer Grundsatz der Schickeria: "Wir finanzieren solche Aktionen selbst, das sind schon höhere vierstellige Beträge."

Bereits 2009 hatte man mit einer Choreo an Landauer erinnert. Dessen unbedingte Leidenschaft für den FCB mag ein Grund sein, warum sich junge Ultras 100 Jahre nach seiner ersten Präsidentschaft an ihn erinnern. Müller nennt einen weiteren Grund: "Für uns stand früh fest, dass Landauer eine Identifikationsfigur darstellt. Die Schickeria hat eine klare anti-rassistische Ausrichtung. Landauers Geschichte ist für uns von großer Bedeutung." Müller berichtet weiter: "Uns wurde vorgeworfen, wir würden die Politik ins Stadion tragen. Dabei ist unsere Position zu Anti-Rassismus eine Antwort auf Probleme, die wir im Stadion erleben. Wir tragen hier nichts rein."

Facebook-Seite erreicht mehr Menschen als staatliche Kampagnen

Reagiert hat auch der Berliner Mario Bendel (47), ausgezeichnet mit dem Julius Hirsch Ehrenpreis. Bendel, der 2011 die Facebookseite "FUSSBALL-FANS GEGEN RECHTS" startete, die heute mehr Menschen erreicht als die meisten staatlichen Kampagnen gegen Rechtsextremismus, erklärt: "Im Stadion oder in der Kneipe, wenn ich Fußball geguckt habe, wurden immer dieselben homophoben, rassistischen Sprüche gekloppt. Genauso wie beim Jugendfußball, wenn ich ein Spiel von meinem Stiefsohn gesehen habe. Darauf wollte ich aufmerksam machen." Auf einer Zug-Heimfahrt hatte er sich geärgert, als Fans nach einer Niederlage einen eigenen Spieler rassistisch verhöhnt hatten. Das war sein Auslöser, nun wurde seine Arbeit vom DFB ausgezeichnet.

Der 2. Preis ging an eine Aktion von Borussia Dortmund, der Fan- und Förderabteilung, dem Fanprojekt sowie der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache. Gemeinsam organisierten die Partner in diesem Sommer eine Erinnerungsreise von 32 BVB-Fans. Die Fahrt führte zur Gedenkstätte Lublin, in die Ghettos der polnische Kleinstadt Zamosc sowie zu den Gedenkstätten Bełzec, Majdanek und Sobibór. Die Reise der jungen Fußballfans hatte einen furchtbaren Hintergrund. In den letzten Apriltagen des Jahres 1942 waren 800 jüdische Frauen und Männer aus Dortmund und Umgebung nach Polen deportiert worden. Niemand von ihnen kehrte zurück.

"Kicker, Kämpfer und Legenden"

Die Volkshochschule Roth hatte die Ausstellung "Kicker, Kämpfer und Legenden" über die Geschichte des jüdischen Fußballs durchgeführt und mit zahlreichen eigenen Aktionen begleitet. Dafür belegte die VHS in diesem Jahr den 3. Platz.

Mit der Stiftung des Julius Hirsch Preises erinnert der DFB an den deutsch-jüdischen Fußball-Nationalspieler Julius Hirsch (1892 – 1943) und an alle, insbesondere die jüdischen Opfer, des nationalsozialistischen Unrechtsstaates. Ausgezeichnet werden Personen, Initiativen und Vereine, die sich als Aktive auf dem Fußballplatz, als Fans im Stadion, im Verein und in der Gesellschaft beispielhaft und unübersehbar einsetzen: für die Unverletzbarkeit der Würde des Menschen und gegen Antisemitismus und Rassismus, für Verständigung und gegen Ausgrenzung von Menschen, für die Vielfalt aller Menschen und gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit.

[th]

Die Ultra-Gruppe Schickeria bekommt heute in Gelsenkirchen den Julius Hirsch Preis 2014 verliehen. Die Münchner Fans haben die Erinnerung an den ehemaligen Bayern-Präsidenten Kurt Landauer wieder aufleben lassen. Bereits seit 2005 und damit zum zehnten Mal zeichnet der DFB damit Engagement im Fußball gegen Rassismus und Diskriminierung aus.

Es war eine der besonders schönen Geschichten des deutschen Fußballs. Der FC Bayern spielte in der Schweiz, es war 1943, mitten im Krieg. Und oben auf den Holzbänken unterm Stadiondach im Züricher Stadion saß Kurt Landauer, Ex-Präsident des Vereins, wegen seines jüdischen Glaubens in Dachau inhaftiert und schließlich in die Schweiz geflüchtet. Die Gestapo hatte die Bayern zum Freundschaftsspiel nach Zürich begleitet, ein kaltes und striktes Verbot, "den Juden" zu begrüßen, war ausgegeben worden. Doch die Bayern-Spieler ließen sich die Begrüßung nicht verbieten, winkten ihrem langjährigen Präsidenten zu. Manche Zeitzeugen berichten sogar, dass Spieler zu Landauer auf die Tribüne gelaufen seien. Eine große Geste in einer furchtbaren Zeit. Ein Zeichen der Verbundenheit.

Seine Maßnahmen gipfelten in der Meisterschaft

Und doch: An den Mann, der das Fundament des Champions-League- Siegers gelegt hat, wollte sich jahrzehntelang kaum jemand erinnern. Kurt Landauer, kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs und dann von 1919 bis unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme Präsident des Klubs, hatte den heutigen Rekordmeister früh geprägt. "Als viele andere Ver- eine in dumpfer Deutschtümelei stagnierten, organisierte Landauer internationale Freundschaftsspiele. Er holte ausländische Trainer nach München, er baute eine Jugendarbeit auf. Seine Maßnahmen gipfelten 1932 im Gewinn der ersten Deutschen Meisterschaft", erzählt Simon Müller von den Münchner Ultras.

Die Schickeria-Aktionen – kurvenfüllende Choreografien in der Alli- anz-Arena, Lesungen und Fußballturniere – haben den Lebens- und Leidensweg Landauers wieder in die Gegenwart geholt. Die Münchner Ultras haben Landauer, der 1961 starb, dem Vergessen entrissen. Einer Fußball-Fangruppe gelang es, nicht ganz alleine, aber doch maßgeblich, ein großes Thema neu zu platzieren. Landauer ist heute Ehrenpräsident des FC Bayern, und auch die ARD hat reagiert. Ein Spielfilm über Landauers Leben läuft am Mittwoch, 15. Oktober, ab 20.15 Uhr im Ersten. Für ihr Engagement wurde die durchaus nicht unumstrittene Ultra-Gruppe heute mit dem Julius Hirsch Preis ausgezeichnet.

Deutliches Zeichen gegen Diskriminierung

Wolfgang Niersbach leitet die Jury, der unter anderem Charlotte Knobloch, zwischen 2006 und 2010 Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ligapräsident Dr. Reinhard Rauball und Vertreter der Familie Hirsch angehören. Der DFB-Präsident wird heute Mittag auch den Preis überreichen. "Die Schickeria hat ein deutlich sichtbares Zeichen gegen jede Art der Diskriminierung gesetzt", sagt Niersbach. "Mit dem Preis wollen wir die Schickeria und andere Ultragruppen dazu ermutigen, mehr Verantwortung in diesem Bereich zu übernehmen."

Die Stadion-Choreografie am 19. Spieltag der vergangenen Saison war genau das, was der DFB-Präsident lobt – deutlich sichtbar. Von Eckfahne zu Eckfahne zeigten ausgerollte Stoffbahnen das Konterfei des ehemaligen Bayern-Präsidenten. Vier seiner fünf Geschwister hatten die Nazis ermordet. Und dennoch war er nach München zurückgekehrt und hatte erneut die Präsidentschaft übernommen. Dank seiner Überzeugungskraft gelang der Erwerb des Vereinsgeländes an der Säbener Straße. Das Magazin "11Freunde" zeichnete die Münchner Choreo als "Fanaktion des Jahres" aus. Auf 40 Meter langen Banderolen stand dazu ein Zitat Landauers aus dem Jahr 1949: "Der FC Bayern und ich gehören nun einmal zusammen und sind untrennbar voneinander."

Wochenlange Vorbereitung für Choreographien

Wochenlang dauere die Vorbereitung, erzählt Müller (32), der seit der Gründung im Jahr 2002 zur Schickeria gehört. "Wir stehen dann in irgendwelchen Hallen, da wird mit Overhead-Projektoren gearbeitet, wir bemalen riesige Stoffbahnen." Klarer Grundsatz der Schickeria: "Wir finanzieren solche Aktionen selbst, das sind schon höhere vierstellige Beträge."

Bereits 2009 hatte man mit einer Choreo an Landauer erinnert. Dessen unbedingte Leidenschaft für den FCB mag ein Grund sein, warum sich junge Ultras 100 Jahre nach seiner ersten Präsidentschaft an ihn erinnern. Müller nennt einen weiteren Grund: "Für uns stand früh fest, dass Landauer eine Identifikationsfigur darstellt. Die Schickeria hat eine klare anti-rassistische Ausrichtung. Landauers Geschichte ist für uns von großer Bedeutung." Müller berichtet weiter: "Uns wurde vorgeworfen, wir würden die Politik ins Stadion tragen. Dabei ist unsere Position zu Anti-Rassismus eine Antwort auf Probleme, die wir im Stadion erleben. Wir tragen hier nichts rein."

Facebook-Seite erreicht mehr Menschen als staatliche Kampagnen

Reagiert hat auch der Berliner Mario Bendel (47), ausgezeichnet mit dem Julius Hirsch Ehrenpreis. Bendel, der 2011 die Facebookseite "FUSSBALL-FANS GEGEN RECHTS" startete, die heute mehr Menschen erreicht als die meisten staatlichen Kampagnen gegen Rechtsextremismus, erklärt: "Im Stadion oder in der Kneipe, wenn ich Fußball geguckt habe, wurden immer dieselben homophoben, rassistischen Sprüche gekloppt. Genauso wie beim Jugendfußball, wenn ich ein Spiel von meinem Stiefsohn gesehen habe. Darauf wollte ich aufmerksam machen." Auf einer Zug-Heimfahrt hatte er sich geärgert, als Fans nach einer Niederlage einen eigenen Spieler rassistisch verhöhnt hatten. Das war sein Auslöser, nun wurde seine Arbeit vom DFB ausgezeichnet.

Der 2. Preis ging an eine Aktion von Borussia Dortmund, der Fan- und Förderabteilung, dem Fanprojekt sowie der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache. Gemeinsam organisierten die Partner in diesem Sommer eine Erinnerungsreise von 32 BVB-Fans. Die Fahrt führte zur Gedenkstätte Lublin, in die Ghettos der polnische Kleinstadt Zamosc sowie zu den Gedenkstätten Bełzec, Majdanek und Sobibór. Die Reise der jungen Fußballfans hatte einen furchtbaren Hintergrund. In den letzten Apriltagen des Jahres 1942 waren 800 jüdische Frauen und Männer aus Dortmund und Umgebung nach Polen deportiert worden. Niemand von ihnen kehrte zurück.

"Kicker, Kämpfer und Legenden"

Die Volkshochschule Roth hatte die Ausstellung "Kicker, Kämpfer und Legenden" über die Geschichte des jüdischen Fußballs durchgeführt und mit zahlreichen eigenen Aktionen begleitet. Dafür belegte die VHS in diesem Jahr den 3. Platz.

Mit der Stiftung des Julius Hirsch Preises erinnert der DFB an den deutsch-jüdischen Fußball-Nationalspieler Julius Hirsch (1892 – 1943) und an alle, insbesondere die jüdischen Opfer, des nationalsozialistischen Unrechtsstaates. Ausgezeichnet werden Personen, Initiativen und Vereine, die sich als Aktive auf dem Fußballplatz, als Fans im Stadion, im Verein und in der Gesellschaft beispielhaft und unübersehbar einsetzen: für die Unverletzbarkeit der Würde des Menschen und gegen Antisemitismus und Rassismus, für Verständigung und gegen Ausgrenzung von Menschen, für die Vielfalt aller Menschen und gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit.