Jubiläum: Kroos vor seinem 100. Länderspiel

Neben Manuel Neuer ist er der letzte verbliebene aus der Weltmeisterelf, die 2014 in Maracana auf dem Feld stand. Zehn Jahre und sieben Monate darf sich Toni Kroos schon A-Nationalspieler nennen, nun kommt er in den nächsten elitären Kreis. In Köln zieht er heute Abend (ab 20.45 Uhr, live in der ARD) gegen die Schweiz in den illustren Hunderterklub ein, als 16. deutscher Fußballer. Wie weit sich der Profi von Real Madrid noch nach oben hangelt, wird spannend zu sehen sein. Er ist ja erst 30 Jahre jung und hat die nächsten großen Herausforderungen fest im Visier: seine dritte EM im kommenden Jahr und seine vierte WM 2022 in Katar.

Interessant: Hätte er nach seiner Premiere am 3. März 2010 gegen Argentinien (0:1), als er in München für den zweiten Debütanten des Tages, Thomas Müller, eingewechselt worden war, niemals gefehlt, müsste Rekordnationalspieler Lothar Matthäus (150 Spiele) jetzt schon allmählich zittern. Kroos stünde dann bei 141 Länderspielen. Aber so sehr Joachim Löw ihn auch schätzt – immer konnte er ihn auch nicht aufstellen. 16-mal wurde er eingewechselt (zuletzt 2013), neunmal ließ Löw ihn ganz auf der Bank, 32-mal stand Kroos in diesen zehneinhalb Jahren gar nicht im Kader. Leistungsgründe hatte es eher selten, nach seiner Rückkehr von Bayer Leverkusen zu den Bayern im Sommer 2010 wurde er auch im DFB-Team zusehends unverzichtbar.

Kroos wird bei Real zum Weltstar

Meist geschah der Verzicht mit Rücksicht auf seine Belastungen bei Real Madrid in beiderseitigen Interesse – wie etwa beim Confed Cup 2017, als Löw dem Nachwuchs eine Chance gab. In jenem Jahr fehlte Kroos tatsächlich mal sieben Spiele in Folge, das war die längste Abwesenheitsphase des Hochbegabten, der "bei Real Madrid zum Weltstar wurde", wie Löw zu Recht feststellte.

Zurück zu den Anfängen: Sein Debüt war unspektakulär, aber durchaus vielversprechend. Zwar zu kurz eingesetzt (23 Minuten) für eine kicker-Note, aber nicht für ein fachliches Lob: "…sorgte mit seinen Aktionen für etwas mehr Zug nach vorne."

In den folgenden drei Spielen war er dabei und schon flog der 20 Jahre alte Wahl-Leverkusener mit zur WM nach Südafrika, wo er eine Nebenrolle als viermaliger Joker spielte. Sein WM-Debüt gab der gebürtige Greifswalder im dritten Gruppenspiel gegen Ghana (1:0). Insgesamt steht er heute bei 14 WM-Spielen  und drei Toren.

Sternstunde beim 7:1 gegen Brasilien

Die Sternstunde der nie aus der Ruhe zu bringenden Präzisionsmaschine, der quasi keine Fehlpässe unterlaufen, ereignete sich zweifellos vier Jahre später im Halbfinale von Belo Horizonte. Als er, nun längst Stammspieler, beim historischen 7:1 mit einem Doppelschlag zum 3:0 und 4:0 Gastgeber Brasilien schon vor der Pause den Genickschlag versetzte. Er traf mit rechts und mit links, da macht der Techniker keinen Unterschied. Die FIFA kürte ihn zum Man of the Match, aber das war für Kroos "ganz ehrlich in diesem Moment zweitrangig". 

Zwei Kroos-Tore in einem Spiel, das gab's nur noch zweimal: 2012 in Dublin – als Joker – und 2019 gegen Weißrussland. Es ist ja nicht sein Kerngeschäft, leider. Seine vergebene Großchance im WM-Halbfinale 2010 gegen Spanien (0:1) ließ die Nation vor dem Bildschirm seufzen, da nahm er die Innenseite statt den Spann. Löw verzieh ihm, er braucht ihn für das Kreativzentrum. Kroos soll das Spiel schließlich lenken, auch mal beruhigen, und Tore vorbereiten. Trotzdem finden sich in den Annalen, für einen Mittelfeldspieler sehr beachtliche, 17 Länderspieltore - das erste am 6. September 2011 in Danzig. Bei der EM in Polen und der Ukraine 2012 war er zwar noch eher Statist, doch 2014, 2016 und 2018 stand er stets in der Startelf der großen Turniere und verpasste dabei nur eine Spielminute.

Das am meisten umjubelte Tor fiel vor zwei Jahren in Sotschi: der phänomenale Freistoß zum 2:1 gegen Schweden bei der WM 2018, der den da noch amtierenden Weltmeister ein paar Tage länger von der Titelverteidigung träumen ließ. Es war ein Fest für Wortspielakrobaten, plötzlich war Deutschland "ganz Kroos" (Frankfurter Rundschau) und der Held des Tages einfach nur "kroosartig". Der Schuss war Ausdruck des gestiegenen Selbstbewusstseins und Stellenwerts von Toni Kroos, der 2014 zu Real Madrid wechselte und dreimal in Folge die Champions League gewann. So einer hat keine Selbstzweifel mehr, und an diesem Abend übernahm er eben die Verantwortung für den Alles-oder-nichts-Schuss aus spitzem Winkel. Der saß und danach war sofort Schluss, es war sein 144. und letzter Ballkontakt. Natürlich waren es die meisten, denn seit Jahren gilt: Wenn einer nicht weiter weiß, spielt er den Ball zu Toni, der Ruhepol im DFB-Dress, das er auch in zehn EM-Partien trug.

Siegwahrscheinlichkeit mit Kroos bei 64 Prozent

Wenn er es trägt, liegt die Siegwahrscheinlichkeit derzeit bei 64,35 Prozent, denn 65 Siege waren es in den bislang 99 Spielen – bei 17 Remis und 17 Niederlagen. Und wie verteilen sich seine dann 100 Spiele auf seine drei Klubs? Real Madrid (49), Bayern München (43) und Bayer Leverkusen (8).

Dass die Madrilenen in dieser Beziehung überhaupt auftauchen, bedauert man in München übrigens längst. 2014 ließen ihn die Bayern ziehen, weil Kroos "nicht Weltklasse" sei, so Vorstand Karl-Heinz Rummenigge damals, und sie sein Gehalt nicht erhöhen wollten. Ehrenpräsident Uli Hoeneß hat im vielbeachteten Kroos-Film, der 2019 im deutschen Kino lief, zugegeben, das sei "vielleicht ein Fehler gewesen". Das "vielleicht" darf man getrost streichen.

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Neben Manuel Neuer ist er der letzte verbliebene aus der Weltmeisterelf, die 2014 in Maracana auf dem Feld stand. Zehn Jahre und sieben Monate darf sich Toni Kroos schon A-Nationalspieler nennen, nun kommt er in den nächsten elitären Kreis. In Köln zieht er heute Abend (ab 20.45 Uhr, live in der ARD) gegen die Schweiz in den illustren Hunderterklub ein, als 16. deutscher Fußballer. Wie weit sich der Profi von Real Madrid noch nach oben hangelt, wird spannend zu sehen sein. Er ist ja erst 30 Jahre jung und hat die nächsten großen Herausforderungen fest im Visier: seine dritte EM im kommenden Jahr und seine vierte WM 2022 in Katar.

Interessant: Hätte er nach seiner Premiere am 3. März 2010 gegen Argentinien (0:1), als er in München für den zweiten Debütanten des Tages, Thomas Müller, eingewechselt worden war, niemals gefehlt, müsste Rekordnationalspieler Lothar Matthäus (150 Spiele) jetzt schon allmählich zittern. Kroos stünde dann bei 141 Länderspielen. Aber so sehr Joachim Löw ihn auch schätzt – immer konnte er ihn auch nicht aufstellen. 16-mal wurde er eingewechselt (zuletzt 2013), neunmal ließ Löw ihn ganz auf der Bank, 32-mal stand Kroos in diesen zehneinhalb Jahren gar nicht im Kader. Leistungsgründe hatte es eher selten, nach seiner Rückkehr von Bayer Leverkusen zu den Bayern im Sommer 2010 wurde er auch im DFB-Team zusehends unverzichtbar.

Kroos wird bei Real zum Weltstar

Meist geschah der Verzicht mit Rücksicht auf seine Belastungen bei Real Madrid in beiderseitigen Interesse – wie etwa beim Confed Cup 2017, als Löw dem Nachwuchs eine Chance gab. In jenem Jahr fehlte Kroos tatsächlich mal sieben Spiele in Folge, das war die längste Abwesenheitsphase des Hochbegabten, der "bei Real Madrid zum Weltstar wurde", wie Löw zu Recht feststellte.

Zurück zu den Anfängen: Sein Debüt war unspektakulär, aber durchaus vielversprechend. Zwar zu kurz eingesetzt (23 Minuten) für eine kicker-Note, aber nicht für ein fachliches Lob: "…sorgte mit seinen Aktionen für etwas mehr Zug nach vorne."

In den folgenden drei Spielen war er dabei und schon flog der 20 Jahre alte Wahl-Leverkusener mit zur WM nach Südafrika, wo er eine Nebenrolle als viermaliger Joker spielte. Sein WM-Debüt gab der gebürtige Greifswalder im dritten Gruppenspiel gegen Ghana (1:0). Insgesamt steht er heute bei 14 WM-Spielen  und drei Toren.

Sternstunde beim 7:1 gegen Brasilien

Die Sternstunde der nie aus der Ruhe zu bringenden Präzisionsmaschine, der quasi keine Fehlpässe unterlaufen, ereignete sich zweifellos vier Jahre später im Halbfinale von Belo Horizonte. Als er, nun längst Stammspieler, beim historischen 7:1 mit einem Doppelschlag zum 3:0 und 4:0 Gastgeber Brasilien schon vor der Pause den Genickschlag versetzte. Er traf mit rechts und mit links, da macht der Techniker keinen Unterschied. Die FIFA kürte ihn zum Man of the Match, aber das war für Kroos "ganz ehrlich in diesem Moment zweitrangig". 

Zwei Kroos-Tore in einem Spiel, das gab's nur noch zweimal: 2012 in Dublin – als Joker – und 2019 gegen Weißrussland. Es ist ja nicht sein Kerngeschäft, leider. Seine vergebene Großchance im WM-Halbfinale 2010 gegen Spanien (0:1) ließ die Nation vor dem Bildschirm seufzen, da nahm er die Innenseite statt den Spann. Löw verzieh ihm, er braucht ihn für das Kreativzentrum. Kroos soll das Spiel schließlich lenken, auch mal beruhigen, und Tore vorbereiten. Trotzdem finden sich in den Annalen, für einen Mittelfeldspieler sehr beachtliche, 17 Länderspieltore - das erste am 6. September 2011 in Danzig. Bei der EM in Polen und der Ukraine 2012 war er zwar noch eher Statist, doch 2014, 2016 und 2018 stand er stets in der Startelf der großen Turniere und verpasste dabei nur eine Spielminute.

Das am meisten umjubelte Tor fiel vor zwei Jahren in Sotschi: der phänomenale Freistoß zum 2:1 gegen Schweden bei der WM 2018, der den da noch amtierenden Weltmeister ein paar Tage länger von der Titelverteidigung träumen ließ. Es war ein Fest für Wortspielakrobaten, plötzlich war Deutschland "ganz Kroos" (Frankfurter Rundschau) und der Held des Tages einfach nur "kroosartig". Der Schuss war Ausdruck des gestiegenen Selbstbewusstseins und Stellenwerts von Toni Kroos, der 2014 zu Real Madrid wechselte und dreimal in Folge die Champions League gewann. So einer hat keine Selbstzweifel mehr, und an diesem Abend übernahm er eben die Verantwortung für den Alles-oder-nichts-Schuss aus spitzem Winkel. Der saß und danach war sofort Schluss, es war sein 144. und letzter Ballkontakt. Natürlich waren es die meisten, denn seit Jahren gilt: Wenn einer nicht weiter weiß, spielt er den Ball zu Toni, der Ruhepol im DFB-Dress, das er auch in zehn EM-Partien trug.

Siegwahrscheinlichkeit mit Kroos bei 64 Prozent

Wenn er es trägt, liegt die Siegwahrscheinlichkeit derzeit bei 64,35 Prozent, denn 65 Siege waren es in den bislang 99 Spielen – bei 17 Remis und 17 Niederlagen. Und wie verteilen sich seine dann 100 Spiele auf seine drei Klubs? Real Madrid (49), Bayern München (43) und Bayer Leverkusen (8).

Dass die Madrilenen in dieser Beziehung überhaupt auftauchen, bedauert man in München übrigens längst. 2014 ließen ihn die Bayern ziehen, weil Kroos "nicht Weltklasse" sei, so Vorstand Karl-Heinz Rummenigge damals, und sie sein Gehalt nicht erhöhen wollten. Ehrenpräsident Uli Hoeneß hat im vielbeachteten Kroos-Film, der 2019 im deutschen Kino lief, zugegeben, das sei "vielleicht ein Fehler gewesen". Das "vielleicht" darf man getrost streichen.

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