Jerome Boateng: "Ich wollte Bierhoff sein"

Binnen vier Jahren hat Jerome Boateng vier Mal den Verein und zwei Mal das Land gewechselt. Von Deutschland nach England und zurück, von Hertha zum HSV und von dort über Manchester City zum FC Bayern. Sein Leben hat sich rasant verändert, erst Recht, seit er vor fast einem Jahr Vater von Zwillingen geworden ist. Über die neuen Herausforderungen in seinem Leben hat er sich mit Redakteur Steffen Lüdeke unterhalten. Und er verrät, warum er früher Oliver Bierhoff sein wollte.

DFB.de: Herr Boateng, Sie haben in Berlin gelebt, in Hamburg und in Manchester. Aktuell leben sie in München. Wo gefällt es ihnen am Besten?

Jerome Boateng: Alle Städte haben ihre Reize. Hamburg hat mir sehr gut gefallen, die ganze Atmosphäre kam mir entgegen, ich habe gerne dort gelebt. Über München kann ich noch nicht so viel sagen, solange bin ich ja noch nicht dort und deshalb habe ich mir dort auch noch nicht so viel anschauen können. Berlin muss ich aus dieser Liste herausnehmen, die Stadt kann ich nicht mit normalen Maßstäben beurteilen. Berlin ist meine Heimat, in Berlin kenne ich alles in und auswendig, Berlin bleibt immer die Nummer eins für mich.

DFB.de: In Hamburg haben Sie einen guten Döner vermisst. Wie sieht es in München aus – schon einen Dönerladen gefunden, der mit denen in Berlin mithalten kann?

Boateng: Noch nicht, ich habe aber auch noch nicht gesucht. In Hamburg habe ich zwei, drei Versuche unternommen, aber die Döner in Berlin sind eine andere Liga.

DFB.de: Wie groß ist Ihr Bezug zu Hertha BSC noch. Haben Sie Kontakt zu Ihrem ehemaligen Verein?

Boateng: Klar. Mit Patrick Ebert, mit Änis Ben Hatira, auch mit Tunay Torun und Andreas Ottl. Hertha ist einer schweren Situation. Ich fände es ganz schlimm, wenn der Verein wieder absteigen würde. Ich will unbedingt, dass Hertha in der ersten Liga bleibt.

DFB.de: Sie sind in kurzer Zeit von Berlin über Hamburg nach Manchester und dann nach München gewechselt. Wie sehr haben Sie diese Erfahrungen verändert?

Boateng: Der Schritt nach Hamburg war der Schritt weg aus der Heimat. Für mich war dieser Schritt wertvoll, genau so wertvoll wie die Erfahrung im Ausland, die ich bereits in jungen Jahren machen durfte. Am meisten verändert hat mich natürlich etwas ganz anderes.

DFB.de: Die Geburt Ihrer Zwillinge.

Boateng: Ja, ich habe jetzt zwei Töchter. Ich bin Familienvater, habe Verantwortung für andere Menschen. Seither ist kaum noch etwas, wie es vorher war. Bei allem, was ich mache, denke ich darüber nach, dass ich dies später vor meinen Kindern rechtfertigen kann. Als Fußballer stehe ich in der Öffentlichkeit, viele meine Äußerungen und Verhaltensweisen werden dokumentiert. Ich will nicht, dass meine Töchter eines Tages enttäuscht von mir sind.

DFB.de: Welche Werte wollen Sie Ihren Kindern vermitteln?

Boateng: Ich will meine Kinder so erziehen, wie ich erzogen worden bin. Ganz wichtig finde ich, dass sie allen Menschen gegenüber respektvoll auftreten. Meine Kinder sollen höflich sein, sollen aber eine eigene Meinung entwickeln und sich nicht verbiegen. Sie sollen ihren eigenen Weg gehen und immer ihrem Herzen folgen.

DFB.de: Ihre Zwillinge werden bald ein Jahr alt. Können sie schon "Papa" sagen?

Boateng: Ja.

DFB.de: Was haben Sie empfunden, als Sie dieses Wort zum ersten Mal gehört haben?

Boateng: Gänsehaut. Das Herz lacht, man ist stolz, freut sich, alles zusammen.

DFB.de: Genug Privates, zum Sport. Nach dem 2:0-Sieg gegen Schalke – ist bei den Bayern jetzt wieder alles gut?

Boateng: Mit einem Sieg haben wir nichts erreicht. Wir dürfen es uns nicht mehr leisten, in der Liga Punkte liegen zu lassen. Deshalb dürfen wir jetzt nicht den Fehler machen, zu denken, dass jetzt alles wieder von alleine läuft.

DFB.de: War in der Trainingswoche vor dem Spiel gegen Schalke zu merken, dass sich im Team etwas gewandelt hat?

Boateng: Nein. Wir haben auch vor den Spielen gegen Basel und Freiburg gut trainiert, alle waren motiviert, keiner hat sich hängen lassen. Unsere schlechten Spiele hatten auch nichts mit unserer Einstellung zu tun. Gegen Schalke haben einige Dinge wieder besser funktioniert. Wir sind geschlossener aufgetreten, haben enger zusammen gestanden. Jeder hat für den anderen gearbeitet. All das haben wir aber auch schon zuvor machen wollen, aber wir konnten es nicht umsetzen.

DFB.de: Sie haben die letzten Spiele auf der Position des Innenverteidigers gespielt. Endlich. Wie gut tut es Ihnen, dass Sie jetzt regelmäßig Spielpraxis auf Ihrer erklärten Lieblingsposition bekommen?

Boateng: Es ist immer gut, wenn man sich auf einer Position einspielen kann. Rhythmus und Sicherheit kommen dann fast von ganz alleine. Ich fühle mich von Spiel zu Spiel besser, das Gespür für die Position wächst. Ich habe immer gesagt, dass ich meine Stärken am Besten als Innenverteidiger einbringen kann. Jetzt habe ich die Chance, dies auch zu zeigen.

DFB.de: In Ihrer Jugend haben Sie sich nicht an großen Stars orientiert, sondern an Spielern, die eine Alterstufe über Ihnen gespielt haben. Gibt es heute noch Spieler, an denen Sie sich orientieren?

Boateng: Für mich geht es darum, einige Bereiche meines Spiels zu verfeinern. Die Spieler, die es in den Kreis der Nationalmannschaft geschafft haben, dürfen von sich behaupten, dass sie viele Dinge recht gut beherrschen. Am Ende der Entwicklung ist aber niemand. Selbst Miroslav Klose ist bestrebt, noch Kleinigkeiten in seinem Spiel zu verbessern. Für einen jungen Spieler wie mich gilt dies natürlich noch mehr. Ich will mich stabilisieren, will mehr Konstanz in meine Leistung bekommen. Auch einzelne Sachen kann ich verbessern: Kopfball, Stellungsspiel, Spieleröffnung.

DFB.de: Gibt es Sachen, die Sie sich von den Kollegen abschauen können?

Boateng: Klar.

DFB.de: Zum Beispiel? Was können Sie von Holger Badstuber lernen?

Boateng: Sein Passspiel, seine Spieleröffnung. Holger hat einen beeindruckenden linken Fuß und eine beeindruckende Spieleröffnung. Ganz generell achte ich sehr darauf, wie die internationalen Top-Spieler meine Position interpretieren.

DFB.de: Sie schauen sich zu Hause viele Spiele auf DVD an, nicht nur die eigenen. Wie viel Zeit verbringen Sie mit Fußball, wenn Sie nicht an der Säbener Straße oder mit der Nationalmannschaft unterwegs sind?

Boateng: Eine Menge. Ich achte aber darauf, dass meine Freunde und meine Familie nicht darunter leiden. Wenn ich zu Hause allein bin, dann schaue ich mir alles an, was möglich ist. Mir wird Fußball nie zu viel, Fußball ist mein Leben.

DFB.de: Wenn man in Ihrer Karriere nach Makeln sucht, wird man an einer erstaunlichen Stelle fündig. Sie haben in Ihrer Profikarriere noch keinen Treffer erzielt.

Boateng: Stimmt, in der Bundesliga ist mir noch kein Tor gelungen, auch in der A-Nationalmannschaft warte ich auf den ersten Treffer. Das ärgert mich sehr. In der Bundesliga war ich ein paar Mal dicht an einem Tor dran, auch bei der Nationalmannschaft gab es schon mehrere Situation, in denen ich ein Treffer hätte machen können. Das ist also auch ein Sache, an der ich arbeite: Ich muss torgefährlicher werden.

DFB.de: Was eigentlich erstaunlich ist, da Sie Ihre Karriere in der Jugend als Stürmer begonnen und gleich im ersten Spiel für Tennis Borussia fünf Tore erzielt haben. Sie wissen also durchaus, wo das Tor steht.

Boateng: (lacht) Stimmt, eigentlich schon. Aber meine Prioritäten haben sich verschoben. Wichtig ist für mich jetzt, Gegentore zu verhindern.

DFB.de: Sie haben als Stürmer angefangen, waren dann auf der Zehn als Spielmacher und sind jetzt Innenverteidiger. Für Sie ging es auf dem Spielfeld Schritt für Schritt nach hinten. Bedeutet das in letzter Konsequenz, dass sich Manuel Neuer Sorgen machen muss?

Boateng: (lacht) Manu ist so gut, er muss sich keine Sorgen machen, nicht mal vor mir. Obwohl ich früher durchaus im Tor gespielt habe, das war bei Turnieren in der E-Jugend bei Tebe. Auch bei Elfmeterschießen bin ich manchmal zwischen die Pfosten gegangen.

DFB.de: Und? Sind Sie ein Elfmeter-Killer?

Boateng: Absolut, „Katze-Boateng“ hat man mich genannt. (lacht)

DFB.de: Sie waren acht Jahr alt, als Deutschland bei der EM 1996 zum letzten Mal einen großen Titel gewonnen hat. Wie bewusst haben Sie das Turnier in England erlebt?

Boateng: Ich kann mich an die Bilder erinnern, auch an die meisten Spiele. Durch das Land ging eine Welle der Begeisterung, auch als Kind habe ich das gespürt. Ich weiß noch, wie wir danach den Spielern nachgeeifert haben. Wir wollten dann alle Bierhoff sein, auch ich. Er hat schließlich das entscheidende Tor gemacht. Wenn dann ein Ball in den Strafraum gekommen ist, haben wir gerufen `Bierhoff, Kopfball, Tor.`

DFB.de: Ist es für Sie noch merkwürdig, dass Kindern heute wie Jerome Boateng sein wollen?

Boateng: Na, ob das so viele wollen, das weiß ich nicht. Aber klar ist, dass ich als Bayern- und Nationalspieler eine Vorbildfunktion habe. Mich macht das stolz und ich bin mir der damit verbundenen Verantwortung bewusst.

DFB.de: Im Sommer steht die EM an. Sie wissen, wie es sich anfühlt, Europameister zu werden. Im Jahr 2009 haben Sie mit der U 21 in Schweden den Titel gewonnen. Wie sehr hat Sie dieser Erfolg geprägt?

Boateng: Titel sind immer wichtig. Es ist natürlich etwas anderes, einen EM-Titel mit der Junioren-Nationalmannschaft zu gewinnen als mit dem A-Team. Aber, wir haben uns mit der U21 bei einem Turnier gegen die Besten Europas durchgesetzt, das prägt. Der Erfolg hat uns allen Selbstvertrauen gegeben, das Standing der Spieler hat sich erhöht.

DFB.de: Horst Hrubesch hat nach dem Turnier gesagt, dass Sie in Schweden eine Rolle eingenommen haben, die einige überrascht hat. Sie waren Führungsspieler, haben auch abseits des Spielfeldes Verantwortung übernommen. Müssen Sie in eine vergleichbare Rolle im A-Team noch hineinwachsen?

Boateng: So ist es richtig formuliert. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Alterstruktur in den U-Mannschaften ziemlich ausgeglichen ist. Wir waren fast alle in einem Jahrgang. Hier sind Spieler dabei, die viel mehr Erfahrung haben. Ich kann schlecht hingehen und Miro sagen, wie er sich zu verhalten hat. Da würde ich mich lächerlich machen, mal abgesehen davon, dass es an seinem Verhalten nichts zu kritisieren gibt. Ich habe meine Meinung, die äußere ich auch. Aber Führungsspieler wird man über die Leistung auf dem Platz und über Erfahrungen, die man an andere Spieler weitergeben kann.

DFB.de: Was würde Ihnen der Titelgewinn bei der EM bedeuten?

Boateng: Schwer zu sagen. Das wäre der Wahnsinn, mein größter Erfolg. Es wäre eine Bestätigung unsere Arbeit in den vergangenen Monaten. Die Fans erwarten von uns den Titel, das macht es nicht einfacher, der Druck wird dadurch nicht geringer. Aber wir glauben an uns, wir haben unheimlich viel Potenzial. Wir müssen es schaffen, dass der Druck uns beflügelt, dann kann in Polen und der Ukraine einiges gehen.

DFB.de: Heute geht es gegen Frankreich und damit auch gegen Franck Ribery. Was dieses Spiel schon bei den Bayern ein Thema?

Boateng: Klar. Vor dem Spiel gegen Schalke haben wir am Freitag im Hotel geflachst. Die üblichen Späße, die üblichen Sprüche. Franck ist ein super Typ, er ist immer positiv, immer locker. Und er ist einer der besten Fußballer der Welt. Ich würde mich freuen, wenn ich gegen ihn spielen dürfte.

Das meinen DFB.de-User:

"Klasse Artikel über einen Spieler mit einem sehr positivem Weg. Ich möchte nur daran erinnern, daß er noch als B-Jugendspieler im Tor einspringen musste und dabei sogar deutscher Meister der Schulen (Jugend trainiert für Olympia) wurde." (Michael Wolf)

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Binnen vier Jahren hat Jerome Boateng vier Mal den Verein und zwei Mal das Land gewechselt. Von Deutschland nach England und zurück, von Hertha zum HSV und von dort über Manchester City zum FC Bayern. Sein Leben hat sich rasant verändert, erst Recht, seit er vor fast einem Jahr Vater von Zwillingen geworden ist. Über die neuen Herausforderungen in seinem Leben hat er sich mit Redakteur Steffen Lüdeke unterhalten. Und er verrät, warum er früher Oliver Bierhoff sein wollte.

DFB.de: Herr Boateng, Sie haben in Berlin gelebt, in Hamburg und in Manchester. Aktuell leben sie in München. Wo gefällt es ihnen am Besten?

Jerome Boateng: Alle Städte haben ihre Reize. Hamburg hat mir sehr gut gefallen, die ganze Atmosphäre kam mir entgegen, ich habe gerne dort gelebt. Über München kann ich noch nicht so viel sagen, solange bin ich ja noch nicht dort und deshalb habe ich mir dort auch noch nicht so viel anschauen können. Berlin muss ich aus dieser Liste herausnehmen, die Stadt kann ich nicht mit normalen Maßstäben beurteilen. Berlin ist meine Heimat, in Berlin kenne ich alles in und auswendig, Berlin bleibt immer die Nummer eins für mich.

DFB.de: In Hamburg haben Sie einen guten Döner vermisst. Wie sieht es in München aus – schon einen Dönerladen gefunden, der mit denen in Berlin mithalten kann?

Boateng: Noch nicht, ich habe aber auch noch nicht gesucht. In Hamburg habe ich zwei, drei Versuche unternommen, aber die Döner in Berlin sind eine andere Liga.

DFB.de: Wie groß ist Ihr Bezug zu Hertha BSC noch. Haben Sie Kontakt zu Ihrem ehemaligen Verein?

Boateng: Klar. Mit Patrick Ebert, mit Änis Ben Hatira, auch mit Tunay Torun und Andreas Ottl. Hertha ist einer schweren Situation. Ich fände es ganz schlimm, wenn der Verein wieder absteigen würde. Ich will unbedingt, dass Hertha in der ersten Liga bleibt.

DFB.de: Sie sind in kurzer Zeit von Berlin über Hamburg nach Manchester und dann nach München gewechselt. Wie sehr haben Sie diese Erfahrungen verändert?

Boateng: Der Schritt nach Hamburg war der Schritt weg aus der Heimat. Für mich war dieser Schritt wertvoll, genau so wertvoll wie die Erfahrung im Ausland, die ich bereits in jungen Jahren machen durfte. Am meisten verändert hat mich natürlich etwas ganz anderes.

DFB.de: Die Geburt Ihrer Zwillinge.

Boateng: Ja, ich habe jetzt zwei Töchter. Ich bin Familienvater, habe Verantwortung für andere Menschen. Seither ist kaum noch etwas, wie es vorher war. Bei allem, was ich mache, denke ich darüber nach, dass ich dies später vor meinen Kindern rechtfertigen kann. Als Fußballer stehe ich in der Öffentlichkeit, viele meine Äußerungen und Verhaltensweisen werden dokumentiert. Ich will nicht, dass meine Töchter eines Tages enttäuscht von mir sind.

DFB.de: Welche Werte wollen Sie Ihren Kindern vermitteln?

Boateng: Ich will meine Kinder so erziehen, wie ich erzogen worden bin. Ganz wichtig finde ich, dass sie allen Menschen gegenüber respektvoll auftreten. Meine Kinder sollen höflich sein, sollen aber eine eigene Meinung entwickeln und sich nicht verbiegen. Sie sollen ihren eigenen Weg gehen und immer ihrem Herzen folgen.

DFB.de: Ihre Zwillinge werden bald ein Jahr alt. Können sie schon "Papa" sagen?

Boateng: Ja.

DFB.de: Was haben Sie empfunden, als Sie dieses Wort zum ersten Mal gehört haben?

Boateng: Gänsehaut. Das Herz lacht, man ist stolz, freut sich, alles zusammen.

DFB.de: Genug Privates, zum Sport. Nach dem 2:0-Sieg gegen Schalke – ist bei den Bayern jetzt wieder alles gut?

Boateng: Mit einem Sieg haben wir nichts erreicht. Wir dürfen es uns nicht mehr leisten, in der Liga Punkte liegen zu lassen. Deshalb dürfen wir jetzt nicht den Fehler machen, zu denken, dass jetzt alles wieder von alleine läuft.

DFB.de: War in der Trainingswoche vor dem Spiel gegen Schalke zu merken, dass sich im Team etwas gewandelt hat?

Boateng: Nein. Wir haben auch vor den Spielen gegen Basel und Freiburg gut trainiert, alle waren motiviert, keiner hat sich hängen lassen. Unsere schlechten Spiele hatten auch nichts mit unserer Einstellung zu tun. Gegen Schalke haben einige Dinge wieder besser funktioniert. Wir sind geschlossener aufgetreten, haben enger zusammen gestanden. Jeder hat für den anderen gearbeitet. All das haben wir aber auch schon zuvor machen wollen, aber wir konnten es nicht umsetzen.

DFB.de: Sie haben die letzten Spiele auf der Position des Innenverteidigers gespielt. Endlich. Wie gut tut es Ihnen, dass Sie jetzt regelmäßig Spielpraxis auf Ihrer erklärten Lieblingsposition bekommen?

Boateng: Es ist immer gut, wenn man sich auf einer Position einspielen kann. Rhythmus und Sicherheit kommen dann fast von ganz alleine. Ich fühle mich von Spiel zu Spiel besser, das Gespür für die Position wächst. Ich habe immer gesagt, dass ich meine Stärken am Besten als Innenverteidiger einbringen kann. Jetzt habe ich die Chance, dies auch zu zeigen.

DFB.de: In Ihrer Jugend haben Sie sich nicht an großen Stars orientiert, sondern an Spielern, die eine Alterstufe über Ihnen gespielt haben. Gibt es heute noch Spieler, an denen Sie sich orientieren?

Boateng: Für mich geht es darum, einige Bereiche meines Spiels zu verfeinern. Die Spieler, die es in den Kreis der Nationalmannschaft geschafft haben, dürfen von sich behaupten, dass sie viele Dinge recht gut beherrschen. Am Ende der Entwicklung ist aber niemand. Selbst Miroslav Klose ist bestrebt, noch Kleinigkeiten in seinem Spiel zu verbessern. Für einen jungen Spieler wie mich gilt dies natürlich noch mehr. Ich will mich stabilisieren, will mehr Konstanz in meine Leistung bekommen. Auch einzelne Sachen kann ich verbessern: Kopfball, Stellungsspiel, Spieleröffnung.

DFB.de: Gibt es Sachen, die Sie sich von den Kollegen abschauen können?

Boateng: Klar.

DFB.de: Zum Beispiel? Was können Sie von Holger Badstuber lernen?

Boateng: Sein Passspiel, seine Spieleröffnung. Holger hat einen beeindruckenden linken Fuß und eine beeindruckende Spieleröffnung. Ganz generell achte ich sehr darauf, wie die internationalen Top-Spieler meine Position interpretieren.

DFB.de: Sie schauen sich zu Hause viele Spiele auf DVD an, nicht nur die eigenen. Wie viel Zeit verbringen Sie mit Fußball, wenn Sie nicht an der Säbener Straße oder mit der Nationalmannschaft unterwegs sind?

Boateng: Eine Menge. Ich achte aber darauf, dass meine Freunde und meine Familie nicht darunter leiden. Wenn ich zu Hause allein bin, dann schaue ich mir alles an, was möglich ist. Mir wird Fußball nie zu viel, Fußball ist mein Leben.

DFB.de: Wenn man in Ihrer Karriere nach Makeln sucht, wird man an einer erstaunlichen Stelle fündig. Sie haben in Ihrer Profikarriere noch keinen Treffer erzielt.

Boateng: Stimmt, in der Bundesliga ist mir noch kein Tor gelungen, auch in der A-Nationalmannschaft warte ich auf den ersten Treffer. Das ärgert mich sehr. In der Bundesliga war ich ein paar Mal dicht an einem Tor dran, auch bei der Nationalmannschaft gab es schon mehrere Situation, in denen ich ein Treffer hätte machen können. Das ist also auch ein Sache, an der ich arbeite: Ich muss torgefährlicher werden.

DFB.de: Was eigentlich erstaunlich ist, da Sie Ihre Karriere in der Jugend als Stürmer begonnen und gleich im ersten Spiel für Tennis Borussia fünf Tore erzielt haben. Sie wissen also durchaus, wo das Tor steht.

Boateng: (lacht) Stimmt, eigentlich schon. Aber meine Prioritäten haben sich verschoben. Wichtig ist für mich jetzt, Gegentore zu verhindern.

DFB.de: Sie haben als Stürmer angefangen, waren dann auf der Zehn als Spielmacher und sind jetzt Innenverteidiger. Für Sie ging es auf dem Spielfeld Schritt für Schritt nach hinten. Bedeutet das in letzter Konsequenz, dass sich Manuel Neuer Sorgen machen muss?

Boateng: (lacht) Manu ist so gut, er muss sich keine Sorgen machen, nicht mal vor mir. Obwohl ich früher durchaus im Tor gespielt habe, das war bei Turnieren in der E-Jugend bei Tebe. Auch bei Elfmeterschießen bin ich manchmal zwischen die Pfosten gegangen.

DFB.de: Und? Sind Sie ein Elfmeter-Killer?

Boateng: Absolut, „Katze-Boateng“ hat man mich genannt. (lacht)

DFB.de: Sie waren acht Jahr alt, als Deutschland bei der EM 1996 zum letzten Mal einen großen Titel gewonnen hat. Wie bewusst haben Sie das Turnier in England erlebt?

Boateng: Ich kann mich an die Bilder erinnern, auch an die meisten Spiele. Durch das Land ging eine Welle der Begeisterung, auch als Kind habe ich das gespürt. Ich weiß noch, wie wir danach den Spielern nachgeeifert haben. Wir wollten dann alle Bierhoff sein, auch ich. Er hat schließlich das entscheidende Tor gemacht. Wenn dann ein Ball in den Strafraum gekommen ist, haben wir gerufen `Bierhoff, Kopfball, Tor.`

DFB.de: Ist es für Sie noch merkwürdig, dass Kindern heute wie Jerome Boateng sein wollen?

Boateng: Na, ob das so viele wollen, das weiß ich nicht. Aber klar ist, dass ich als Bayern- und Nationalspieler eine Vorbildfunktion habe. Mich macht das stolz und ich bin mir der damit verbundenen Verantwortung bewusst.

DFB.de: Im Sommer steht die EM an. Sie wissen, wie es sich anfühlt, Europameister zu werden. Im Jahr 2009 haben Sie mit der U 21 in Schweden den Titel gewonnen. Wie sehr hat Sie dieser Erfolg geprägt?

Boateng: Titel sind immer wichtig. Es ist natürlich etwas anderes, einen EM-Titel mit der Junioren-Nationalmannschaft zu gewinnen als mit dem A-Team. Aber, wir haben uns mit der U21 bei einem Turnier gegen die Besten Europas durchgesetzt, das prägt. Der Erfolg hat uns allen Selbstvertrauen gegeben, das Standing der Spieler hat sich erhöht.

DFB.de: Horst Hrubesch hat nach dem Turnier gesagt, dass Sie in Schweden eine Rolle eingenommen haben, die einige überrascht hat. Sie waren Führungsspieler, haben auch abseits des Spielfeldes Verantwortung übernommen. Müssen Sie in eine vergleichbare Rolle im A-Team noch hineinwachsen?

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Boateng: So ist es richtig formuliert. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Alterstruktur in den U-Mannschaften ziemlich ausgeglichen ist. Wir waren fast alle in einem Jahrgang. Hier sind Spieler dabei, die viel mehr Erfahrung haben. Ich kann schlecht hingehen und Miro sagen, wie er sich zu verhalten hat. Da würde ich mich lächerlich machen, mal abgesehen davon, dass es an seinem Verhalten nichts zu kritisieren gibt. Ich habe meine Meinung, die äußere ich auch. Aber Führungsspieler wird man über die Leistung auf dem Platz und über Erfahrungen, die man an andere Spieler weitergeben kann.

DFB.de: Was würde Ihnen der Titelgewinn bei der EM bedeuten?

Boateng: Schwer zu sagen. Das wäre der Wahnsinn, mein größter Erfolg. Es wäre eine Bestätigung unsere Arbeit in den vergangenen Monaten. Die Fans erwarten von uns den Titel, das macht es nicht einfacher, der Druck wird dadurch nicht geringer. Aber wir glauben an uns, wir haben unheimlich viel Potenzial. Wir müssen es schaffen, dass der Druck uns beflügelt, dann kann in Polen und der Ukraine einiges gehen.

DFB.de: Heute geht es gegen Frankreich und damit auch gegen Franck Ribery. Was dieses Spiel schon bei den Bayern ein Thema?

Boateng: Klar. Vor dem Spiel gegen Schalke haben wir am Freitag im Hotel geflachst. Die üblichen Späße, die üblichen Sprüche. Franck ist ein super Typ, er ist immer positiv, immer locker. Und er ist einer der besten Fußballer der Welt. Ich würde mich freuen, wenn ich gegen ihn spielen dürfte.

Das meinen DFB.de-User:

"Klasse Artikel über einen Spieler mit einem sehr positivem Weg. Ich möchte nur daran erinnern, daß er noch als B-Jugendspieler im Tor einspringen musste und dabei sogar deutscher Meister der Schulen (Jugend trainiert für Olympia) wurde." (Michael Wolf)