Hitzlsperger: "Moderner Fußball kein Lebensraum für Gestrige"

Thomas Hitzlsperger wirkt nicht so, als habe es ihm viel Mut abverlangt, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen. In einem Video auf seiner Internetseite spricht der ehemalige Nationalspieler ganz entspannt über seine Normalität, die im Fußball noch immer ein sensibles Thema ist.

"Für mich ist es der richtige Zeitpunkt, weil ich aufgehört habe, Fußball zu spielen", sagt der 52-malige Nationalspieler, WM-Dritte und Vizeeuropameister. "Ich stehe vor einer neuen Lebensphase und möchte die Gelegenheit nutzen, über meine Erfahrungen zu sprechen als homosexueller Fußballprofi."

Vor allem will er jungen Spieler Mut machen, er will Vorurteile aufzeigen und überwinden helfen. "Bei mir hat die Bewusstwerdung länger gedauert", so Hitzlsperger. "Ich denke aber, dass junge Spieler heute, die sich viel früher über ihre Neigungen im Klaren sind, es tun können. Sie können darüber sprechen, sie können offen damit umgehen, weil sie an meinem Beispiel sehen und an wenigen anderen: dass man homosexuell sein kann auf der einen Seite - und auf der anderen Seite ein erfolgreicher Profifußballer."

"Ich möchte eine öffentliche Diskussion voranbringen"

Im viel beachteten Interview mit der ZEIT hat sich der 31-Jährige am Mittwochnachmittag dazu bekannt, Männer zu lieben. In Deutschland haben sich schon einige Politiker öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannt, etliche Künstler, viele Stars und Sternchen. Auch Fußballer haben sich schon geoutet, darunter bei den Frauen Prominente wie DFB-Nationalkeeperin Nadine Angerer - Europas Fußballerin des Jahres spricht offen über ihre Bisexualität.

Unter den homosexuellen Männern ist Hitzlsperger der prominenteste Fußballer. Mit dem VfB Stuttgart wurde er im Jahr 2007 Deutscher Meister, 52-mal spielte er für Deutschland und wurde dabei Vizeeuropameister 2008 und WM-Dritter 2006. Sein letztes Spiel für das DFB-Team absolviert er am 11. August 2010 gegen Dänemark, beim 2:2 in Kopenhagen führte er die Mannschaft als Kapitän aufs Feld. Auch außerhalb des Fußballfeldes setzte er sich ein. Für seine Kolumnen im Blog 'Störungsmelder', in denen er sich auch gegen Rechtsextremismus in der Fankurve wandte, wurde er 2011 mit dem Julius Hirsch Preis ausgezeichnet.

Hitzlsperger weiß um seine Vita und die damit einhergehende Prominenz. Nach dem Ende seiner Karriere sieht er sich auch durch sie in der Pflicht. "Ich möchte eine öffentliche Diskussion voranbringen - die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern", sagt er. "Ich möchte dazu beitragen, indem ich einmal öffentlich darüber spreche, dass die sexuelle Orientierung eines Sportlers wieder seine Privatangelegenheit wird, weil es auf diesem Gebiet einfach nichts Unnatürliches gibt."

Homophobe Äußerungen: Angriff auf die Identität

Während seiner aktiven Karriere hat Hitzlsperger geschwiegen, vor allem, weil er sich seiner Orientierung erst nach und nach bewusst wurde. Diesen Werdegang beschreibt er so: "Ich selber bin im katholisch geprägten Bayern in einer kleinen Gemeinde aufgewachsen. Homosexualität wurde als etwas Widernatürliches, gar Verbrecherisches behandelt." Für diese Vorurteile interessierte sich Hitzlsperger damals nicht, er glaubte sich von ihnen nicht betroffen. "Das war mir egal", sagt er. "Denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass dies mal für mich ein Thema werden würde."

Hitzlsperger lebte lange in einer heterosexuellen Partnerschaft. Die Beziehung war keine für die Öffentlichkeit, sie war ehrlich und glücklich. "Unsere Beziehung half mir über viele Schwierigkeiten hinweg, weil meine Partnerin immer zu mir stand", berichtet er. "Die Beziehung hielt länger als die meisten Beziehungen in unserem Bekanntenkreis."

Seine Gefühle für das eigene Geschlecht entwickelten sich daneben. Erst im Herbst seiner Karriere gestand der Profi sich ein, dass homophobe Äußerungen ein Angriff auf seine Identität sind. Damals war er noch nicht fähig, seine Neigungen auch öffentlich zu machen. Weniger wegen seiner Andersartigkeit in der Macho-Welt Fußball, sondern vielmehr, weil er die Gesellschaft insgesamt damals für zu intolerant hielt: "Es gibt in der Gesellschaft auch heute noch immer so etwas wie eine Pflichtsexualität. Wer sich darüber hinwegsetzt, wird belächelt."

"Es ist purer Unsinn, dass Homosexuelle 'unmännlich' seien"

Aber natürlich gab es auch Situationen, in denen sich Hitzlsperger im Kreis der Kollegen unwohl fühlte. "Der Gruppenzwang kann enorm sein", sagt er und gibt ein Beispiel: "Da sitzen 20 junge Männer an den Tischen und trinken. Da lässt man die Mehrheit gewähren, solange die Witze halbwegs witzig sind und das Gequatsche über Homosexuelle nicht massiv beleidigend wird."

Mit seinem Gang an die Öffentlichkeit will Hitzlsperger seinen Beitrag leisten, dass das Gequatsche über Homosexuelle abnimmt. In seiner Person lösen sich viele Vorurteile auf, der Ex-Profi ist sich dessen bewusst, seine Hoffnung beruht auch darauf: "Es ist doch purer Unsinn, dass Homosexuelle 'unmännlich' seien. Auf dieses Vorurteil trifft man immer wieder. Wer meinen Auftritt auf dem Spielfeld unmännlich fand, dem ist wahrscheinlich nicht zu helfen. Ich war ein schwerer Brocken, mit einem extrem harten Schuss. Mein Spitzname ist 'Hammer'. Das passt nicht zu dem Bild, das sich viele Leute von einem Homosexuellen machen, nämlich: Schwule sind Weicheier."

Insgesamt aber glaubt Thomas Hitzlsperger, dass sich das Klima wandelt. In der Gesellschaft, auch im Fußball. "Der moderne Fußball ist kein Lebensraum für Gestrige und Leute mit angestaubten Vorurteilen", sagt er. "Das macht Mut für die Jungen, die jetzt vor dem Schritt in den Profisport stehen." So hofft er, dass sein Outing ein erster Schritt auf dem Weg zur Normalität ist: dass sich eines Tages kein Sportler mehr offenbaren muss, weil sich niemand mehr dafür interessiert, ob er Männer oder Frauen liebt.

[sl]

Thomas Hitzlsperger wirkt nicht so, als habe es ihm viel Mut abverlangt, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen. In einem Video auf seiner Internetseite spricht der ehemalige Nationalspieler ganz entspannt über seine Normalität, die im Fußball noch immer ein sensibles Thema ist.

"Für mich ist es der richtige Zeitpunkt, weil ich aufgehört habe, Fußball zu spielen", sagt der 52-malige Nationalspieler, WM-Dritte und Vizeeuropameister. "Ich stehe vor einer neuen Lebensphase und möchte die Gelegenheit nutzen, über meine Erfahrungen zu sprechen als homosexueller Fußballprofi."

Vor allem will er jungen Spieler Mut machen, er will Vorurteile aufzeigen und überwinden helfen. "Bei mir hat die Bewusstwerdung länger gedauert", so Hitzlsperger. "Ich denke aber, dass junge Spieler heute, die sich viel früher über ihre Neigungen im Klaren sind, es tun können. Sie können darüber sprechen, sie können offen damit umgehen, weil sie an meinem Beispiel sehen und an wenigen anderen: dass man homosexuell sein kann auf der einen Seite - und auf der anderen Seite ein erfolgreicher Profifußballer."

"Ich möchte eine öffentliche Diskussion voranbringen"

Im viel beachteten Interview mit der ZEIT hat sich der 31-Jährige am Mittwochnachmittag dazu bekannt, Männer zu lieben. In Deutschland haben sich schon einige Politiker öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannt, etliche Künstler, viele Stars und Sternchen. Auch Fußballer haben sich schon geoutet, darunter bei den Frauen Prominente wie DFB-Nationalkeeperin Nadine Angerer - Europas Fußballerin des Jahres spricht offen über ihre Bisexualität.

Unter den homosexuellen Männern ist Hitzlsperger der prominenteste Fußballer. Mit dem VfB Stuttgart wurde er im Jahr 2007 Deutscher Meister, 52-mal spielte er für Deutschland und wurde dabei Vizeeuropameister 2008 und WM-Dritter 2006. Sein letztes Spiel für das DFB-Team absolviert er am 11. August 2010 gegen Dänemark, beim 2:2 in Kopenhagen führte er die Mannschaft als Kapitän aufs Feld. Auch außerhalb des Fußballfeldes setzte er sich ein. Für seine Kolumnen im Blog 'Störungsmelder', in denen er sich auch gegen Rechtsextremismus in der Fankurve wandte, wurde er 2011 mit dem Julius Hirsch Preis ausgezeichnet.

Hitzlsperger weiß um seine Vita und die damit einhergehende Prominenz. Nach dem Ende seiner Karriere sieht er sich auch durch sie in der Pflicht. "Ich möchte eine öffentliche Diskussion voranbringen - die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern", sagt er. "Ich möchte dazu beitragen, indem ich einmal öffentlich darüber spreche, dass die sexuelle Orientierung eines Sportlers wieder seine Privatangelegenheit wird, weil es auf diesem Gebiet einfach nichts Unnatürliches gibt."

Homophobe Äußerungen: Angriff auf die Identität

Während seiner aktiven Karriere hat Hitzlsperger geschwiegen, vor allem, weil er sich seiner Orientierung erst nach und nach bewusst wurde. Diesen Werdegang beschreibt er so: "Ich selber bin im katholisch geprägten Bayern in einer kleinen Gemeinde aufgewachsen. Homosexualität wurde als etwas Widernatürliches, gar Verbrecherisches behandelt." Für diese Vorurteile interessierte sich Hitzlsperger damals nicht, er glaubte sich von ihnen nicht betroffen. "Das war mir egal", sagt er. "Denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass dies mal für mich ein Thema werden würde."

Hitzlsperger lebte lange in einer heterosexuellen Partnerschaft. Die Beziehung war keine für die Öffentlichkeit, sie war ehrlich und glücklich. "Unsere Beziehung half mir über viele Schwierigkeiten hinweg, weil meine Partnerin immer zu mir stand", berichtet er. "Die Beziehung hielt länger als die meisten Beziehungen in unserem Bekanntenkreis."

Seine Gefühle für das eigene Geschlecht entwickelten sich daneben. Erst im Herbst seiner Karriere gestand der Profi sich ein, dass homophobe Äußerungen ein Angriff auf seine Identität sind. Damals war er noch nicht fähig, seine Neigungen auch öffentlich zu machen. Weniger wegen seiner Andersartigkeit in der Macho-Welt Fußball, sondern vielmehr, weil er die Gesellschaft insgesamt damals für zu intolerant hielt: "Es gibt in der Gesellschaft auch heute noch immer so etwas wie eine Pflichtsexualität. Wer sich darüber hinwegsetzt, wird belächelt."

"Es ist purer Unsinn, dass Homosexuelle 'unmännlich' seien"

Aber natürlich gab es auch Situationen, in denen sich Hitzlsperger im Kreis der Kollegen unwohl fühlte. "Der Gruppenzwang kann enorm sein", sagt er und gibt ein Beispiel: "Da sitzen 20 junge Männer an den Tischen und trinken. Da lässt man die Mehrheit gewähren, solange die Witze halbwegs witzig sind und das Gequatsche über Homosexuelle nicht massiv beleidigend wird."

Mit seinem Gang an die Öffentlichkeit will Hitzlsperger seinen Beitrag leisten, dass das Gequatsche über Homosexuelle abnimmt. In seiner Person lösen sich viele Vorurteile auf, der Ex-Profi ist sich dessen bewusst, seine Hoffnung beruht auch darauf: "Es ist doch purer Unsinn, dass Homosexuelle 'unmännlich' seien. Auf dieses Vorurteil trifft man immer wieder. Wer meinen Auftritt auf dem Spielfeld unmännlich fand, dem ist wahrscheinlich nicht zu helfen. Ich war ein schwerer Brocken, mit einem extrem harten Schuss. Mein Spitzname ist 'Hammer'. Das passt nicht zu dem Bild, das sich viele Leute von einem Homosexuellen machen, nämlich: Schwule sind Weicheier."

Insgesamt aber glaubt Thomas Hitzlsperger, dass sich das Klima wandelt. In der Gesellschaft, auch im Fußball. "Der moderne Fußball ist kein Lebensraum für Gestrige und Leute mit angestaubten Vorurteilen", sagt er. "Das macht Mut für die Jungen, die jetzt vor dem Schritt in den Profisport stehen." So hofft er, dass sein Outing ein erster Schritt auf dem Weg zur Normalität ist: dass sich eines Tages kein Sportler mehr offenbaren muss, weil sich niemand mehr dafür interessiert, ob er Männer oder Frauen liebt.