Hirsch-Biograf Skrentny: "Widerstand im Fußball gab es nicht"

Heute vor genau 120 Jahren, am 7. April 1892, wurde Julius Hirsch geboren. Der Journalist und Buchautor Werner Skrentny hat eine Biografie verfasst, die in diesen Tagen unter dem Titel "Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet" im Werkstatt-Verlag erscheint.

Julius Hirsch, ein deutscher Nationalspieler jüdischen Glaubens, bestritt sieben Länderspiele und war Teil der Olympiamannschaft von Stockholm. Zweimal gewann der Stürmer die Deutsche Meisterschaft, 1910 mit dem Karlsruher FV und 1914 mit der Spielvereinigung Fürth. Nach der Machtergreifung begann für Julius Hirsch – wie für Millionen anderer Opfer der verbrecherischen Nationalsozialisten – ein Leidensweg, auf dem er gedemütigt, entrechtet, verfolgt und schließlich ermordet wurde. 1943 wurde Julius Hirsch in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und kehrte nicht mehr zurück.

DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth sprach mit dem Hirsch-Biografen über einige wichtige Lebensstationen des Mannes, dessen Erinnerung der DFB allzu lange missachtet und vergessen hatte und in dessen Namen seit 2005 jährlich ein renommierter Sozialpreis vergeben wird.

DFB.de: Herr Skrentny, Ihr Buch wird von Dr. Theo Zwanziger als ausführlichste Biografie eines jüdischen Opfers im Sport gewürdigt. Wie lange waren Sie auf Spurensuche?

Werner Skrentny: Mit Hirschs Leben setze ich mich bereits seit 1993 auseinander. Die intensive Recherche für das Buch hat ein Jahr gedauert.

DFB.de: Sie sind quer durchs Land gereist, um in den Archiven zu stöbern.

Skrentny: Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts erschienen zahlreiche Fußballzeitschriften. Um Julius Hirschs Karriere nachzuspüren, mangelte es mir also nicht an Material, aber die Archive liegen über ganz Deutschland verstreut. In Leipzig, in der Sporthochschule Köln, in Frankfurt, Berlin und natürlich Karlsruhe war ich schon häufiger, teils auch im Ausland.

DFB.de: 350 Seiten Annäherung an Julius Hirsch. Was für ein Mensch war er denn?



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Heute vor genau 120 Jahren, am 7. April 1892, wurde Julius Hirsch geboren. Der Journalist und Buchautor Werner Skrentny hat eine Biografie verfasst, die in diesen Tagen unter dem Titel "Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet" im Werkstatt-Verlag erscheint.

Julius Hirsch, ein deutscher Nationalspieler jüdischen Glaubens, bestritt sieben Länderspiele und war Teil der Olympiamannschaft von Stockholm. Zweimal gewann der Stürmer die Deutsche Meisterschaft, 1910 mit dem Karlsruher FV und 1914 mit der Spielvereinigung Fürth. Nach der Machtergreifung begann für Julius Hirsch – wie für Millionen anderer Opfer der verbrecherischen Nationalsozialisten – ein Leidensweg, auf dem er gedemütigt, entrechtet, verfolgt und schließlich ermordet wurde. 1943 wurde Julius Hirsch in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und kehrte nicht mehr zurück.

DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth sprach mit dem Hirsch-Biografen über einige wichtige Lebensstationen des Mannes, dessen Erinnerung der DFB allzu lange missachtet und vergessen hatte und in dessen Namen seit 2005 jährlich ein renommierter Sozialpreis vergeben wird.

DFB.de: Herr Skrentny, Ihr Buch wird von Dr. Theo Zwanziger als ausführlichste Biografie eines jüdischen Opfers im Sport gewürdigt. Wie lange waren Sie auf Spurensuche?

Werner Skrentny: Mit Hirschs Leben setze ich mich bereits seit 1993 auseinander. Die intensive Recherche für das Buch hat ein Jahr gedauert.

DFB.de: Sie sind quer durchs Land gereist, um in den Archiven zu stöbern.

Skrentny: Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts erschienen zahlreiche Fußballzeitschriften. Um Julius Hirschs Karriere nachzuspüren, mangelte es mir also nicht an Material, aber die Archive liegen über ganz Deutschland verstreut. In Leipzig, in der Sporthochschule Köln, in Frankfurt, Berlin und natürlich Karlsruhe war ich schon häufiger, teils auch im Ausland.

DFB.de: 350 Seiten Annäherung an Julius Hirsch. Was für ein Mensch war er denn?

Skrentny: Er gehört genauso wie sein jüdischer Glaubensgenosse Gottfried Fuchs, der bis heute mit zehn Treffern in einem Spiel den Torrekord der Nationalmannschaft hält, zu den Fußballpionieren Deutschlands. Julius Hirsch war in seiner aktiven Zeit völlig integriert, genauso wie viele andere Juden in anderen Sportarten auch. Antisemitische Vorfälle gab es damals nicht. Als er dann nach 1933 ausgegrenzt und auch im direkten Kontakt mit ehemaligen Fußballfreunden geschnitten wurde, hat ihn das sehr hart getroffen.

DFB.de: Als Fußballer war Julius Hirsch sehr früh sehr erfolgreich.

Skrentny: Stimmt, Hirsch war gerade 18 Jahre jung und damit der jüngste Spieler in seiner Mannschaft, als der Karlsruher FV 1910 zum ersten und einzigen Mal Deutscher Meister wurde, betreut übrigens von William Townley - einem britischen Trainer. Vier Jahre später, als er mit der Spielvereinigung Fürth Deutscher Meister wurde, war er schon Spielmacher und Kapitän. Er war ein kleiner, schneller und sehr trickreicher Stürmer, der zudem über enorme Schusskraft verfügte. In wenigen Jahren hat er eine erstaunliche Karriere hingelegt. Dann begann der 1. Weltkrieg.

DFB.de: Was war seine beste Stunde als deutscher Nationalspieler?

Skrentny: Ich denke mal, das war das Länderspiel 1912 gegen die Niederlande in der Kleinstadt Zwolle. Der Endstand lautete 5:5, und Julius Hirsch hat in diesem Spiel vier Tore erzielt. Vor ihm hatte das noch kein deutscher Nationalspieler geschafft.

DFB.de: Hirsch war ein dekorierter Soldat, wurde unter anderem mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. In den zwanziger Jahren heiratete er, zwei Kinder kamen zur Welt, seine Tochter Esther und sein Sohn Heinold, er gründete ein Sportartikelunternehmen. Und dann kam der 10. April 1933.

Skrentny: Fast alle süddeutschen Spitzenvereine unterschrieben 1933 nach Hitlers Machtergreifung eine Erklärung, dass sie die neue nationale Regierung unterstützen werden und insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen mitziehen wollten. Julius Hirsch hat das aus der Zeitung erfahren. Am 10. April 1933, einem Montag, las er damals die Schlagzeile im Sportbericht. Unterschrieben hatten fast alle süddeutschen Spitzenvereine, auch "sein" Karlsruher FV. Das war für ihn ein Schock. Er hatte im 1. Weltkrieg als Freiwilliger gekämpft, hatte im letzten Kriegsjahr seinen Bruder verloren. Julius Hirsch hat deutsch und national gedacht. Und plötzlich soll er aus dem Sportleben seines Vaterlandes ausgeschlossen werden. Noch am selben Tag schickte er seine Austrittserklärung ab, "mit bewegtem Herzen", wie er es in dem Brief formulierte.

DFB.de: Wie kam es zu dem Beschluss der süddeutschen Fußballvereine?

Skrentny: Eine Art vorauseilender Gehorsam. Gesetzlich gab es seitens des Nazi-Regimes hierfür gar keine Vorgabe, es dauerte noch zwei Jahre bis zu den Nürnberger Gesetzen. Allerdings hat die Deutsche Turnerschaft zur gleichen Zeit noch viel rigider den Ausschluss jüdischer Sportler beschlossen.

DFB.de: Gab es Widerstand im Fußball?

Skrentny: Sein Mitspieler aus der Meistermannschaft Fritz Tscherter, der KFV-Nationalspieler Lorenz Huber oder der spätere FIFA-Generalsekretär Ivo Schricker haben ihm auch in dieser Zeit geholfen. Einige Vereine haben den Ausschluss jüdischer Sportler mit Verzögerung durchgezogen. Aber einen wirklichen Widerstand gab es im bürgerlichen Fußball nicht.

DFB.de: Irgendwann öffnete sich eine Möglichkeit zur Flucht, doch er lehnte ab.

Skrentny: Genau. Von Karlsruhe aus fuhr jeden Morgen ein Postwagen in die Schweiz. Julius Hirsch wurde angeboten, mit diesem versiegelten Postwagen am frühen Morgen in die Schweiz zu flüchten. Das Postauto wartete bis 5 Uhr früh, doch er kam nicht. Er lehnte dieses Angebot ab, weil er mit Gefährdungen für seine in Karlsruhe zurückbleibende Familie rechnete.

DFB.de: Wann wurde Julius Hirsch schließlich deportiert?

Skrentny: Das war am 1. März 1943. Er bekam eine Benachrichtigung der Reichsvereinigung der Juden, dass er sich zu einem Arbeitseinsatz einzufinden habe. Der Transport ging dann nach Stuttgart und von dort weiter über Trier und Dortmund bis in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dort wird der Name von Julius Hirsch nicht erwähnt. Das lässt darauf schließen, dass er unmittelbar nach der Ankunft ermordet wurde.

DFB.de: Sie kritisieren in Ihrem Buch, wie nachlässig der DFB bis in die achtziger Jahre mit dem Gedenken an Julius Hirsch umgegangen ist.

Skrentny: Der Umgang mit Julius Hirsch in der Geschichtsschreibung war geradezu schlampig. Es gab andere wirklich unschöne Momente. Noch 1972, als Sepp Herberger angefragt hatte, ob Gottfried Fuchs zur Einweihung des Münchner Olympiastadions eingeladen wird, lehnte das DFB-Präsidium diesen Wunsch ab. Heute hat sich sehr, sehr vieles zum Positiven gewandelt. Einen großen Anteil an dieser lobenswerten Entwicklung hat der ehemalige DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger.

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DFB.de: Wie wichtig ist es, dass sich Profis und Nationalspieler äußern, wenn im Fußball diskriminiert wird?

Skrentny: Nationalspieler haben eine Vorbildfunktion. Das Engagement von Thomas Hitzlsperger gegen Nazis und Rechtsextremismus im Fußball, für das er vom DFB mit dem Julius Hirsch Preis ausgezeichnet wurde, ist deshalb besonders beachtlich.

DFB.de: Sie leben seit 1978 in Hamburg und haben bereits etliche Sportbücher verfasst. Wie kam es zu der Idee, eine Hirsch-Biografie zu verfassen?

Skrentny: Im Lauf der Jahrzehnte hat sich die Berichterstattung über Fußball verändert. Wenn früher über Fußball-Geschichte berichtet wurde, dann nur in Form von Anekdoten. In den letzten zehn Jahren hat sich hier einiges gewandelt. Es gab, auch unter den Vereinen, eine intensive Aufarbeitung der NS-Zeit. Wir gehen heute viel kritischer mit der Geschichte des Fußballs um. Das Buch stelle ich übrigens am 21. Juni in Karlsruhe und am 25. Juni in Mainz vor. Im Handel ist es ab Dienstag nach Ostern erhältlich.