Grass und der Fußball: Sonderausstellung mit WM-Originaltor

Werke wie "Die Blechtrommel" oder "Katz und Maus" machten Günter Grass zur internationalen Größe. Die Fußballbegeisterung des Literatur-Nobelpreisträgers ist hingegen weniger bekannt. Gemeinsam mit dem Deutschen Fußballmuseum und durch Unterstützung der DFB-Kulturstiftung widmet ihr das Günter Grass-Haus in Lübeck, das dank der Lockerungen der Corona-Maßnahmen nun wieder geöffnet ist, eine Sonderausstellung. Im DFB.de-Interview spricht Museumsleiter Dr. Jörg-Philipp über ein WM-Tor im Museumsgarten, einen schmerzlichen Auftritt bei den Alten Herren und den Einfluss des Fußballs auf Grass' Werke.

DFB.de: Mit dem Thema Fußball würde man das Günter Grass-Haus spontan nicht in Verbindung bringen. Warum passt es dennoch zusammen, Herr Thomsa?

Dr. Jörg-Philipp Thomsa: Wer glaubt, dass sich Günter Grass nur für Literatur und Bildende Kunst interessiert habe, verkennt seine Persönlichkeit. Er hatte sehr vielfältige Interessen, der Fußball begeisterte ihn besonders. Grass mochte es, sich mit Freunden und Bekannten darüber zu unterhalten. Unsere Sonderausstellung "Mein Fußballjahrhundert" spiegelt diese Leidenschaft wider.

DFB.de: Eines der Highlights der Ausstellung ist das originale WM-Tor aus dem Halbfinalspiel zwischen Deutschland und Brasilien. Das legendäre 7:1.

Thomsa: Das ist eine sehr schöne Geschichte. Der brasilianische Stadionbetreiber schenkte das Tor damals der "DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe", die bereits seit etwa 60 Jahren in Brasilien aktiv ist. Aus dem "Tor der Schande" für die Brasilianer sollte das "Tor der Hoffnung" werden, um die DAHW bei der Bekämpfung von Armutskrankheiten zu unterstützen. Bisher wurde es nur bei einzelnen Events eingesetzt, um Spenden zu sammeln. Während unserer Sonderausstellung wird dieses außergewöhnliche Tor nun erstmals dauerhaft in unserem Skulpturenhof zu sehen sein. Danach wird es im Deutschen Fußballmuseum ausgestellt. Mein persönliches Highlight ist jedoch der Finalball der WM 1954, den uns unsere Kollegen aus Dortmund dankenswerterweise als Leihgabe überlassen.

DFB.de: Wie viel Fußball ist in Grass' Werken zu finden?

Thomsa: Er verfasste beispielsweise schon 1956 ein Fußballgedicht, zahlreiche weitere folgten. Vor dem Eröffnungsspiel der WM 2002 in Japan und Südkorea las er sogar eines im südkoreanischen Fernsehen vor. Diese Lesung wurde in viele Länder übertragen. Schade, dass es ausgerechnet im deutschen Fernsehen nicht gezeigt wurde. Auf der Tribüne in Seoul freute er sich über den Überraschungssieg des Außenseiters Senegal gegen den Weltmeister Frankreich.

DFB.de: Seine Sympathien für die Underdogs lassen sich auch in Deutschland erkennen.

Thomsa: Das stimmt. Die kleineren Vereine lagen ihm sehr am Herzen, er sympathisierte mit dem SC Freiburg, dem VfB Lübeck und dem FC St. Pauli. Als die Hamburger in finanzielle Not gerieten, spendete er die Einnahmen aus einer Lesung am Millerntor für die Rettung des Vereins.

DFB.de: Wie werden Sie diese Fußballbegeisterung in Ihrer Sonderausstellung aufgreifen?

Thomsa: 1999 veröffentlichte Grass das Buch "Mein Jahrhundert", indem er aus verschiedenen Perspektiven auf jedes Jahr im 20. Jahrhundert zurückblickt, jeweils mit kurzen Geschichten und einem Aquarell. Drei der hundert Geschichten handeln vom Fußball und dienen als Grundlage für unsere Ausstellung. Mit spannenden Exponaten des Deutschen Fußballmuseums können wir diese Geschichten weitererzählen. Dafür sind wir sehr dankbar.

DFB.de: Können Sie ein Beispiel nennen?

Thomsa: In der Geschichte für das Jahr 1974 blickt Grass auf das deutsch-deutsche WM-Spiel zwischen der BRD und der DDR zurück und schildert dieses Duell aus der Perspektive des berühmten Stasi-Agenten Günter Guillaume. Er kann sich in seiner Gefängniszelle nicht entscheiden, welcher Mannschaft er die Daumen drücken soll. In unserer Ausstellung bauen wir die Gefängniszelle nach und zieren sie mit Originaltrikots aus der WM-Partie. Zusätzlich leiht uns das Fußballmuseum den Wimpel des Spiels und die Schiedsrichterpfeife des Endspiels 1974.

DFB.de: Jetzt haben Sie uns neugierig auf die beiden anderen Geschichten gemacht.

Thomsa: Für das Jahr 1903 thematisiert Grass das erste Endspiel um die Deutsche Meisterschaft zwischen dem VfB Leipzig und der Deutschen FC Prag, als der Fußball noch kein Breitensport, sondern eher bürgerlich geprägt war und auf viele Anglizismen zurückgriff. 1954 geht es um die Weltmeisterschaft in der Schweiz. Grass erzählt das Endspiel aus der Perspektive eines Wirtschaftsberaters, der sich Gedanken darüber macht, wie sich Fritz Walter und Ferenc Puskás am besten vermarkten ließen. Sie sehen, Grass sah die Kommerzialisierung des Fußballs schon sehr früh kommen.

DFB.de: Schnürte er denn auch selbst die Fußballschuhe?

Thomsa: Nicht regelmäßig. In seinem Buch "Die Box" berichtet er aber über ein Spiel für die Alten Herren des TSV Wewelsfleth gegen ein Werftteam, zu dem ihn sein Sohn Bruno überredet hatte. Politisch passend als Linksaußen aufgestellt, fesselten ihn sein Muskelkater und Knöchelschmerzen danach noch vier Tage ans Bett.

DFB.de: Während der Sonderausstellung planen Sie unter anderem spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche. Sogar ein kleines FIFA-Turnier ist geplant. Wie wichtig sind solche Ideen, um Jugendliche auf Günter Grass' Leben aufmerksam zu machen?

Thomsa: Günter Grass hatte 18 Enkelkinder. Nicht nur deshalb ist uns die Vermittlung für Kinder und Jugendliche sehr wichtig. Das Fußball-Turnier, aber auch unsere Workshops und das große Kinderfest sollen helfen, unsere Ausstellung auch für die Kleinsten attraktiv zu gestalten. Mit der Sonderausstellung möchten wir aber nicht nur Kinder und Jugendliche auf Günter Grass und die Literatur aufmerksam machen, sondern auch Fußballfans. Unser Leitmotiv ist Kultur für alle!

Die Sonderausstellung "Mein Fußballjahrhundert" im Günter Grass-Haus (Glockengießerstr. 21, 23552 Lübeck) läuft noch bis zum 30. September 2020. Informationen über Eintrittspreise und Sonderveranstaltungen während der Ausstellungsphase, sowie zahlreiche Online-Angebote finden Sie auf der Homepage, sowie der Facebook-, YouTube- und Instagram-Seite des Museums.

Die Lübecker Museen öffnen ab 12. Mai 2020 wieder ihre Türen. Beachten Sie bitte die dafür notwendigen Hygiene- und Sicherheitsbedingungen, häufig gestellte Fragen zur Wiedereröffnung werden hier beantwortet.

[th]

Werke wie "Die Blechtrommel" oder "Katz und Maus" machten Günter Grass zur internationalen Größe. Die Fußballbegeisterung des Literatur-Nobelpreisträgers ist hingegen weniger bekannt. Gemeinsam mit dem Deutschen Fußballmuseum und durch Unterstützung der DFB-Kulturstiftung widmet ihr das Günter Grass-Haus in Lübeck, das dank der Lockerungen der Corona-Maßnahmen nun wieder geöffnet ist, eine Sonderausstellung. Im DFB.de-Interview spricht Museumsleiter Dr. Jörg-Philipp über ein WM-Tor im Museumsgarten, einen schmerzlichen Auftritt bei den Alten Herren und den Einfluss des Fußballs auf Grass' Werke.

DFB.de: Mit dem Thema Fußball würde man das Günter Grass-Haus spontan nicht in Verbindung bringen. Warum passt es dennoch zusammen, Herr Thomsa?

Dr. Jörg-Philipp Thomsa: Wer glaubt, dass sich Günter Grass nur für Literatur und Bildende Kunst interessiert habe, verkennt seine Persönlichkeit. Er hatte sehr vielfältige Interessen, der Fußball begeisterte ihn besonders. Grass mochte es, sich mit Freunden und Bekannten darüber zu unterhalten. Unsere Sonderausstellung "Mein Fußballjahrhundert" spiegelt diese Leidenschaft wider.

DFB.de: Eines der Highlights der Ausstellung ist das originale WM-Tor aus dem Halbfinalspiel zwischen Deutschland und Brasilien. Das legendäre 7:1.

Thomsa: Das ist eine sehr schöne Geschichte. Der brasilianische Stadionbetreiber schenkte das Tor damals der "DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe", die bereits seit etwa 60 Jahren in Brasilien aktiv ist. Aus dem "Tor der Schande" für die Brasilianer sollte das "Tor der Hoffnung" werden, um die DAHW bei der Bekämpfung von Armutskrankheiten zu unterstützen. Bisher wurde es nur bei einzelnen Events eingesetzt, um Spenden zu sammeln. Während unserer Sonderausstellung wird dieses außergewöhnliche Tor nun erstmals dauerhaft in unserem Skulpturenhof zu sehen sein. Danach wird es im Deutschen Fußballmuseum ausgestellt. Mein persönliches Highlight ist jedoch der Finalball der WM 1954, den uns unsere Kollegen aus Dortmund dankenswerterweise als Leihgabe überlassen.

DFB.de: Wie viel Fußball ist in Grass' Werken zu finden?

Thomsa: Er verfasste beispielsweise schon 1956 ein Fußballgedicht, zahlreiche weitere folgten. Vor dem Eröffnungsspiel der WM 2002 in Japan und Südkorea las er sogar eines im südkoreanischen Fernsehen vor. Diese Lesung wurde in viele Länder übertragen. Schade, dass es ausgerechnet im deutschen Fernsehen nicht gezeigt wurde. Auf der Tribüne in Seoul freute er sich über den Überraschungssieg des Außenseiters Senegal gegen den Weltmeister Frankreich.

DFB.de: Seine Sympathien für die Underdogs lassen sich auch in Deutschland erkennen.

Thomsa: Das stimmt. Die kleineren Vereine lagen ihm sehr am Herzen, er sympathisierte mit dem SC Freiburg, dem VfB Lübeck und dem FC St. Pauli. Als die Hamburger in finanzielle Not gerieten, spendete er die Einnahmen aus einer Lesung am Millerntor für die Rettung des Vereins.

DFB.de: Wie werden Sie diese Fußballbegeisterung in Ihrer Sonderausstellung aufgreifen?

Thomsa: 1999 veröffentlichte Grass das Buch "Mein Jahrhundert", indem er aus verschiedenen Perspektiven auf jedes Jahr im 20. Jahrhundert zurückblickt, jeweils mit kurzen Geschichten und einem Aquarell. Drei der hundert Geschichten handeln vom Fußball und dienen als Grundlage für unsere Ausstellung. Mit spannenden Exponaten des Deutschen Fußballmuseums können wir diese Geschichten weitererzählen. Dafür sind wir sehr dankbar.

DFB.de: Können Sie ein Beispiel nennen?

Thomsa: In der Geschichte für das Jahr 1974 blickt Grass auf das deutsch-deutsche WM-Spiel zwischen der BRD und der DDR zurück und schildert dieses Duell aus der Perspektive des berühmten Stasi-Agenten Günter Guillaume. Er kann sich in seiner Gefängniszelle nicht entscheiden, welcher Mannschaft er die Daumen drücken soll. In unserer Ausstellung bauen wir die Gefängniszelle nach und zieren sie mit Originaltrikots aus der WM-Partie. Zusätzlich leiht uns das Fußballmuseum den Wimpel des Spiels und die Schiedsrichterpfeife des Endspiels 1974.

DFB.de: Jetzt haben Sie uns neugierig auf die beiden anderen Geschichten gemacht.

Thomsa: Für das Jahr 1903 thematisiert Grass das erste Endspiel um die Deutsche Meisterschaft zwischen dem VfB Leipzig und der Deutschen FC Prag, als der Fußball noch kein Breitensport, sondern eher bürgerlich geprägt war und auf viele Anglizismen zurückgriff. 1954 geht es um die Weltmeisterschaft in der Schweiz. Grass erzählt das Endspiel aus der Perspektive eines Wirtschaftsberaters, der sich Gedanken darüber macht, wie sich Fritz Walter und Ferenc Puskás am besten vermarkten ließen. Sie sehen, Grass sah die Kommerzialisierung des Fußballs schon sehr früh kommen.

DFB.de: Schnürte er denn auch selbst die Fußballschuhe?

Thomsa: Nicht regelmäßig. In seinem Buch "Die Box" berichtet er aber über ein Spiel für die Alten Herren des TSV Wewelsfleth gegen ein Werftteam, zu dem ihn sein Sohn Bruno überredet hatte. Politisch passend als Linksaußen aufgestellt, fesselten ihn sein Muskelkater und Knöchelschmerzen danach noch vier Tage ans Bett.

DFB.de: Während der Sonderausstellung planen Sie unter anderem spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche. Sogar ein kleines FIFA-Turnier ist geplant. Wie wichtig sind solche Ideen, um Jugendliche auf Günter Grass' Leben aufmerksam zu machen?

Thomsa: Günter Grass hatte 18 Enkelkinder. Nicht nur deshalb ist uns die Vermittlung für Kinder und Jugendliche sehr wichtig. Das Fußball-Turnier, aber auch unsere Workshops und das große Kinderfest sollen helfen, unsere Ausstellung auch für die Kleinsten attraktiv zu gestalten. Mit der Sonderausstellung möchten wir aber nicht nur Kinder und Jugendliche auf Günter Grass und die Literatur aufmerksam machen, sondern auch Fußballfans. Unser Leitmotiv ist Kultur für alle!

Die Sonderausstellung "Mein Fußballjahrhundert" im Günter Grass-Haus (Glockengießerstr. 21, 23552 Lübeck) läuft noch bis zum 30. September 2020. Informationen über Eintrittspreise und Sonderveranstaltungen während der Ausstellungsphase, sowie zahlreiche Online-Angebote finden Sie auf der Homepage, sowie der Facebook-, YouTube- und Instagram-Seite des Museums.

Die Lübecker Museen öffnen ab 12. Mai 2020 wieder ihre Türen. Beachten Sie bitte die dafür notwendigen Hygiene- und Sicherheitsbedingungen, häufig gestellte Fragen zur Wiedereröffnung werden hier beantwortet.

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