Fußballerinnen unter sich: Ein Foto mit der Kanzlerin

Es sagt schon etwas über "Discover Football" aus, dass sich Angela Merkel gerade in diesen bewegten Tagen Zeit für ein Gruppenbild nimmt. Rund 100 Fußballerinnen aus Ägypten und Argentinien, Tibet und China, Brasilien, Tansania und dem Rest der Welt besteigen also die Busse und fahren von Kreuzberg zum Bundeskanzleramt. Mit Vorfreude, etwas nervös. Immerhin, ein Foto mit der Kanzlerin. Mit Angela Merkel, die vom Forbes-Magazin fünfmal in Folge zur mächtigsten Frau der Erde gekürt wurde. Für viele Spielerinnen aus Südamerikas ärmsten urbanen Metropolen, aus Afrika und Asien, die erstmals ihre Heimat verlassen haben, ein kaum fassbares Erlebnis. Das Foto soll nachwirken. Die Diplom-Pädagogin Sonja Klümper sagt: "Die Frauenteams nehmen das Foto mit nach Hause und werden plötzlich in ihrer Arbeit etwas ernster genommen."

"Empowerment" ist das Grundprinzip von "Discover Football", das dort im Willy-Kressmann-Stadion in Kreuzberg nun zum vierten Mal stattfindet und noch bis zum 5. Juli läuft. Es begann mit einem Abenteuer. Ein Berliner Frauenfußballteam reiste im Frühjahr 2006 nach Teheran und trat dort an zum Spiel gegen die iranische Frauennationalmannschaft. Es war nicht weniger als das erste öffentliche Frauenspiel nach der Revolution 1979. Männer mussten draußen bleiben, die iranischen Frauen im Stadion nur leise jubeln. Der türkischstämmige Präsident des Berliner Klubs stand vor dem Stadion, und als seine Spielerinnen das 1:0 erzielten, rief er leise 'Deutschland'. Aus diesem merkwürdigen, vielsagenden Ereignis entstand der preisgekrönte Kinofilm "Football Under Cover". Und daraus das mehrtägige Festival "Discover Football". Sonja Klümper lädt seitdem Frauenteams aus aller Welt nach Berlin ein. Es geht um Fußball, um Kultur, um Diskussion und Austausch, auch ums gemeinsame Feiern. Die internationalen Teams zahlen nichts. Rund 200.000 Euro kostet das Festival, das immer parallel zu den großen Turnieren des Frauenfußballs stattfindet. Diesmal also parallel zur WM in Kanada. Klümper sagt: "Fußball ist eine Plattform, um über Frauenrechte zu reden, ohne die Leute gleich zu verschrecken."

DF steht auf einer UN-Liste förderungswürdiger Projekte. Frankreichs große Tageszeitung 'Le Monde' verlieh bereits einen Preis, die Friedrich-Ebert-Stiftung auch. Das Auswärtige Amt und der Deutsche Fußball-Bund durch seine Kulturstiftung fördern dieses Treffen der Fußballerinnen aus aller Welt. Steffi Jones schaute vorbei, diesmal Horst R. Schmidt, der als Abteilungsleiter, Direktor und Generalsekretär den DFB über vier Jahrzehnte mitgestaltete und später prägte. Innenminister Thomas de Maizière eröffnete am Dienstag das Festival. Abseits fast jeder Öffentlichkeit entfacht dieses Welttreffen von Fußballerinnen eine gewaltige Wirkung.

"Fußball veränderte unser Leben", sagt Juliana Romana Lozano aus Buenos Aires. La Villa 31 ist der größte Slum in Argentiniens Hauptstadt. 40.000 Menschen leben hier schätzungsweise, jeder zweite ist Ausländer. Die Menschen kommen aus Paraguay, Bolivien, Peru. Der Anstieg der Mietpreise drängte viele nach La Villa. Als 2008 acht Frauen auf dem Bolzplatz Fußball spielten, wurden sie beschimpft. "Geht nach Hause, ihr gehört in die Küche, kümmert euch um eure Kinder". Dann flogen Stöcke und Steine, erzählt Juliana. Es gäbe einfach Milieus, glaubt die Anthropologin, die in La Villa seit der Projektgründung mithilft, in denen Frauen sich bis heute ihren öffentlichen Platz erobern müssen.

Esraa ist eine ehemalige Nationalspielerin, sieben Jahre trug sie das Trikot Ägyptens. Mit dem Team Wadi Degla aus Kairo gewann sie viermal in Folge die Meisterschaft. "Fußball hat mir Möglichkeiten eröffnet", sagt sie. Religion und Sport seien vereinbar in ihrer Heimat, berichtet sie. "98 Prozent unserer Spielerinnen in Ägypten sind Muslima. Sie spielen größtenteils mit einem Kopftuch, aber das ist überhaupt kein Problem." Schwierig sei es nur, wenn man älter wird. "Wenn du 25 Jahre alt wirst, erwarten wir Ägypter, dass Frauen mit dem Sport aufhören, Kinder bekommen und sich nur noch um die Familie kümmern." Esraa ist über 30 Jahre alt – und spielt immer noch Fußball.

Auch die afghanische Frauennationalmannschaft spielte bereits in Berlin. Mitten im Hochsommer dribbelten und schossen die Frauen aus Kabul mit Kopftuch, langen Hemden und Hosen. Sonja Klümper verweigert kulturelle Bewertungen. "Wir freuen uns über alle Frauen, die hier Fußball spielen. Die finden bestimmt auch Sachen schräg, die wir hier in Deutschland so machen. Unsere Aufgabe ist es nur, dass Frauen aus aller Welt hier gemeinsam Fußball spielen."

Im Austausch und im Dialog unter den Teilnehmerinnen entwickeln sich Strategien, um auch außerhalb des Fußballplatzes selbstbestimmt zu leben und eigene Interessen selbstbewusst einzufordern. Empowerment ist das Grundprinzip des Festivals. Die Argentinierin Juliana und die Ägypterin Esraa jedenfalls sind begeistert. "Ich dachte anfangs, dass sei nur ein Fußballturnier. Heute weiß ich, dass es einfach gut tut zu erleben, dass Frauen aus anderen Teilen der Welt ähnliche Probleme haben", sagt Esraa. Und Juliana berichtet, dass in La Villa 31 mittlerweile 90 Mädchen und Frauen dreimal in der Woche Fußball spielen. Die Stadt hat einen Kunstrasenplatz bauen lassen. "Auch die Brüder und Väter verstehen uns Fußballerinnen heute besser. Oft schauen sie uns beim Fußballspiel zu."

[th]

Es sagt schon etwas über "Discover Football" aus, dass sich Angela Merkel gerade in diesen bewegten Tagen Zeit für ein Gruppenbild nimmt. Rund 100 Fußballerinnen aus Ägypten und Argentinien, Tibet und China, Brasilien, Tansania und dem Rest der Welt besteigen also die Busse und fahren von Kreuzberg zum Bundeskanzleramt. Mit Vorfreude, etwas nervös. Immerhin, ein Foto mit der Kanzlerin. Mit Angela Merkel, die vom Forbes-Magazin fünfmal in Folge zur mächtigsten Frau der Erde gekürt wurde. Für viele Spielerinnen aus Südamerikas ärmsten urbanen Metropolen, aus Afrika und Asien, die erstmals ihre Heimat verlassen haben, ein kaum fassbares Erlebnis. Das Foto soll nachwirken. Die Diplom-Pädagogin Sonja Klümper sagt: "Die Frauenteams nehmen das Foto mit nach Hause und werden plötzlich in ihrer Arbeit etwas ernster genommen."

"Empowerment" ist das Grundprinzip von "Discover Football", das dort im Willy-Kressmann-Stadion in Kreuzberg nun zum vierten Mal stattfindet und noch bis zum 5. Juli läuft. Es begann mit einem Abenteuer. Ein Berliner Frauenfußballteam reiste im Frühjahr 2006 nach Teheran und trat dort an zum Spiel gegen die iranische Frauennationalmannschaft. Es war nicht weniger als das erste öffentliche Frauenspiel nach der Revolution 1979. Männer mussten draußen bleiben, die iranischen Frauen im Stadion nur leise jubeln. Der türkischstämmige Präsident des Berliner Klubs stand vor dem Stadion, und als seine Spielerinnen das 1:0 erzielten, rief er leise 'Deutschland'. Aus diesem merkwürdigen, vielsagenden Ereignis entstand der preisgekrönte Kinofilm "Football Under Cover". Und daraus das mehrtägige Festival "Discover Football". Sonja Klümper lädt seitdem Frauenteams aus aller Welt nach Berlin ein. Es geht um Fußball, um Kultur, um Diskussion und Austausch, auch ums gemeinsame Feiern. Die internationalen Teams zahlen nichts. Rund 200.000 Euro kostet das Festival, das immer parallel zu den großen Turnieren des Frauenfußballs stattfindet. Diesmal also parallel zur WM in Kanada. Klümper sagt: "Fußball ist eine Plattform, um über Frauenrechte zu reden, ohne die Leute gleich zu verschrecken."

DF steht auf einer UN-Liste förderungswürdiger Projekte. Frankreichs große Tageszeitung 'Le Monde' verlieh bereits einen Preis, die Friedrich-Ebert-Stiftung auch. Das Auswärtige Amt und der Deutsche Fußball-Bund durch seine Kulturstiftung fördern dieses Treffen der Fußballerinnen aus aller Welt. Steffi Jones schaute vorbei, diesmal Horst R. Schmidt, der als Abteilungsleiter, Direktor und Generalsekretär den DFB über vier Jahrzehnte mitgestaltete und später prägte. Innenminister Thomas de Maizière eröffnete am Dienstag das Festival. Abseits fast jeder Öffentlichkeit entfacht dieses Welttreffen von Fußballerinnen eine gewaltige Wirkung.

"Fußball veränderte unser Leben", sagt Juliana Romana Lozano aus Buenos Aires. La Villa 31 ist der größte Slum in Argentiniens Hauptstadt. 40.000 Menschen leben hier schätzungsweise, jeder zweite ist Ausländer. Die Menschen kommen aus Paraguay, Bolivien, Peru. Der Anstieg der Mietpreise drängte viele nach La Villa. Als 2008 acht Frauen auf dem Bolzplatz Fußball spielten, wurden sie beschimpft. "Geht nach Hause, ihr gehört in die Küche, kümmert euch um eure Kinder". Dann flogen Stöcke und Steine, erzählt Juliana. Es gäbe einfach Milieus, glaubt die Anthropologin, die in La Villa seit der Projektgründung mithilft, in denen Frauen sich bis heute ihren öffentlichen Platz erobern müssen.

Esraa ist eine ehemalige Nationalspielerin, sieben Jahre trug sie das Trikot Ägyptens. Mit dem Team Wadi Degla aus Kairo gewann sie viermal in Folge die Meisterschaft. "Fußball hat mir Möglichkeiten eröffnet", sagt sie. Religion und Sport seien vereinbar in ihrer Heimat, berichtet sie. "98 Prozent unserer Spielerinnen in Ägypten sind Muslima. Sie spielen größtenteils mit einem Kopftuch, aber das ist überhaupt kein Problem." Schwierig sei es nur, wenn man älter wird. "Wenn du 25 Jahre alt wirst, erwarten wir Ägypter, dass Frauen mit dem Sport aufhören, Kinder bekommen und sich nur noch um die Familie kümmern." Esraa ist über 30 Jahre alt – und spielt immer noch Fußball.

Auch die afghanische Frauennationalmannschaft spielte bereits in Berlin. Mitten im Hochsommer dribbelten und schossen die Frauen aus Kabul mit Kopftuch, langen Hemden und Hosen. Sonja Klümper verweigert kulturelle Bewertungen. "Wir freuen uns über alle Frauen, die hier Fußball spielen. Die finden bestimmt auch Sachen schräg, die wir hier in Deutschland so machen. Unsere Aufgabe ist es nur, dass Frauen aus aller Welt hier gemeinsam Fußball spielen."

Im Austausch und im Dialog unter den Teilnehmerinnen entwickeln sich Strategien, um auch außerhalb des Fußballplatzes selbstbestimmt zu leben und eigene Interessen selbstbewusst einzufordern. Empowerment ist das Grundprinzip des Festivals. Die Argentinierin Juliana und die Ägypterin Esraa jedenfalls sind begeistert. "Ich dachte anfangs, dass sei nur ein Fußballturnier. Heute weiß ich, dass es einfach gut tut zu erleben, dass Frauen aus anderen Teilen der Welt ähnliche Probleme haben", sagt Esraa. Und Juliana berichtet, dass in La Villa 31 mittlerweile 90 Mädchen und Frauen dreimal in der Woche Fußball spielen. Die Stadt hat einen Kunstrasenplatz bauen lassen. "Auch die Brüder und Väter verstehen uns Fußballerinnen heute besser. Oft schauen sie uns beim Fußballspiel zu."