Friedlicher Fußball? Nur alle 2175 Amateurspiele ein Abbruch

Feuerzeugwurf in Osnabrück und auch im Amateurfußball immer mal wieder alarmierende Meldungen über attackierte Schiedsrichter und Spielerschlägereien. Um jenseits von völlig unterschiedlich gelagerten Einzelfällen ein Lagebild der Gewaltvorfälle im deutschen Fußball zu erstellen, haben der DFB und seine Landesverbände seit einem Jahr Daten erfasst und ausgewertet. Nun liegen die Zahlen für die erste vollständige Saison vor. Zum Abbruch kam es bei 0,046 Prozent der Spiele. 99,36 Prozent der Spiele verliefen störungsfrei. Um weiter vorbeugend tätig zu sein, wird das Gewaltpräventionskonzept "Fair ist mehr“ weiter vorangetrieben.

Von 1,2 Millionen Fußballspielen wurden in der vergangenen Saison 567 Spiele aufgrund von Gewalt- und/oder Diskriminierungshandlungen abgebrochen. Das entspricht einem Anteil der Abbrüche am Spielbetrieb der Saison 2014/2015 von 0,046 Prozent. Anders ausgedrückt: Man müsste schon 2175 Amateurspiele besuchen, um selbst einen Abbruch zu erleben.

„Jeder Abbruch ist einer zu viel“, sagt Hendrik Große-Lefert, der Sicherheitsbeauftragte des DFB. „Doch die vorliegenden Zahlen einer kompletten Saison machen deutlich, dass es überhaupt keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass wir ein flächendeckendes Gewaltproblem oder Diskriminierungsproblem im Amateurfußball haben. Ganz im Gegenteil, die vorliegenden Zahlen zeigen, was der Amateurfußball in den mehr als 25.000 Vereinen bietet: einen tollen Sport und eine gesellschaftliche Begegnungsstätte.“

Pilz: "Wir haben jetzt einen verlässlichen Seismographen"

„Wir haben jetzt einen verlässlichen Seismographen“, sagt der Konflikt- und Gewaltforscher Gunter A. Pilz. Der 70-jährige DFB-Beauftragte für Gesellschaftliche Verantwortung wurde 2012 mit dem Ethikpreis des Deutschen Olympischen Sportbundes ausgezeichnet und leitet beim DFB die AG Fairplay und Gewaltprävention. „Der Entschluss des DFB-Präsidiums vor etwa zwei Jahren, mittels des Online-Meldebogens der Schiedsrichter ein Lagebild der Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle im Amateurfußball zu erstellen, war gleichermaßen eine kluge wie zwingend notwendige Entscheidung.“

Pilz spricht von einer „Wahrnehmungsdiskrepanz“, auch weil die Gesellschaft gegenüber Gewalt zunehmend sensibler werde. Pilz weiter: „Medial wird immer wieder auf Einzelfälle mit der Behauptung reagiert, die Gewalt auch im Amateurfußball ufere aus oder die Vorfälle würden immer brutaler. Das geben die erhobenen Daten und das vorliegende Lagebild aber überhaupt nicht wider. Das Lagebild ist damit auch eine Antwort auf stereotype Vorwürfe.“



Feuerzeugwurf in Osnabrück und auch im Amateurfußball immer mal wieder alarmierende Meldungen über attackierte Schiedsrichter und Spielerschlägereien. Um jenseits von völlig unterschiedlich gelagerten Einzelfällen ein Lagebild der Gewaltvorfälle im deutschen Fußball zu erstellen, haben der DFB und seine Landesverbände seit einem Jahr Daten erfasst und ausgewertet. Nun liegen die Zahlen für die erste vollständige Saison vor. Zum Abbruch kam es bei 0,046 Prozent der Spiele. 99,36 Prozent der Spiele verliefen störungsfrei. Um weiter vorbeugend tätig zu sein, wird das Gewaltpräventionskonzept "Fair ist mehr“ weiter vorangetrieben.

Von 1,2 Millionen Fußballspielen wurden in der vergangenen Saison 567 Spiele aufgrund von Gewalt- und/oder Diskriminierungshandlungen abgebrochen. Das entspricht einem Anteil der Abbrüche am Spielbetrieb der Saison 2014/2015 von 0,046 Prozent. Anders ausgedrückt: Man müsste schon 2175 Amateurspiele besuchen, um selbst einen Abbruch zu erleben.

„Jeder Abbruch ist einer zu viel“, sagt Hendrik Große-Lefert, der Sicherheitsbeauftragte des DFB. „Doch die vorliegenden Zahlen einer kompletten Saison machen deutlich, dass es überhaupt keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass wir ein flächendeckendes Gewaltproblem oder Diskriminierungsproblem im Amateurfußball haben. Ganz im Gegenteil, die vorliegenden Zahlen zeigen, was der Amateurfußball in den mehr als 25.000 Vereinen bietet: einen tollen Sport und eine gesellschaftliche Begegnungsstätte.“

Pilz: "Wir haben jetzt einen verlässlichen Seismographen"

„Wir haben jetzt einen verlässlichen Seismographen“, sagt der Konflikt- und Gewaltforscher Gunter A. Pilz. Der 70-jährige DFB-Beauftragte für Gesellschaftliche Verantwortung wurde 2012 mit dem Ethikpreis des Deutschen Olympischen Sportbundes ausgezeichnet und leitet beim DFB die AG Fairplay und Gewaltprävention. „Der Entschluss des DFB-Präsidiums vor etwa zwei Jahren, mittels des Online-Meldebogens der Schiedsrichter ein Lagebild der Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle im Amateurfußball zu erstellen, war gleichermaßen eine kluge wie zwingend notwendige Entscheidung.“

Pilz spricht von einer „Wahrnehmungsdiskrepanz“, auch weil die Gesellschaft gegenüber Gewalt zunehmend sensibler werde. Pilz weiter: „Medial wird immer wieder auf Einzelfälle mit der Behauptung reagiert, die Gewalt auch im Amateurfußball ufere aus oder die Vorfälle würden immer brutaler. Das geben die erhobenen Daten und das vorliegende Lagebild aber überhaupt nicht wider. Das Lagebild ist damit auch eine Antwort auf stereotype Vorwürfe.“

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Entscheidend für die Datengewinnung ist der Schiedsrichter

Entscheidende Instanz bei der fortlaufenden Datengewinnung war und ist der Schiedsrichter, der im DFBnet Spielbericht Angaben über Gewalthandlungen und Diskriminierungen macht. Dadurch entsteht ein detailliertes Bild über die „Gesamtstörungslage“ – so der sperrige Begriff – im Amateurfußball. Das Ergebnis belegt: Amateurfußballspiele sind fast immer gewaltfreie und respektvolle Begegnungen. Kein Grund zur Zufriedenheit, meint DFB-Vizepräsident Dr. Rainer Koch: „Bei der Gesamtzahl der Spiele macht der ermittelte Wert nur einen verschwindend niedrigen Prozentsatz aus. Gleichzeitig gilt natürlich: jeder Fall ist einer zu viel.“

Noch werden nicht alle Spiele erfasst und auch bei den gemeldeten Diskriminierungsfällen müssen die Daten weiter optimiert werden. Momentan können lediglich knapp 70 Prozent der Spiele mit einer Angabe über Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle erfasst werden. In Zahlen: 1.234.706 von insgesamt 1.794.997 Spielen bildeten vergangene Saison die Grundlage des Lagebildes. Der Prozentwert ist insofern aussagekräftiger als die absolute Zahl der Abbrüche.

"Täterzahlen": 57 Prozent Spieler, 23 Prozent Zuschauer

Matthias Wittchen ist selbst Schiedsrichter in Berlin, seit acht Jahren leitet der 27 Jährige Partien, seit zwei Jahren in der Landesliga. „Dass jetzt konkrete Zahlen vorliegen, finde ich sehr gut“, sagt er. Die Meldung von Vorfällen mittels des DFBnet Spielberichts „erleichtert die schnelle Erfassung“. Überfordert jedenfalls fühle er sich durch die zusätzliche Aufgabe nicht. Generell, meint Wittchen, gäbe es nur wenige Gewaltvorfälle, die zur Anklage beim Sportgericht gebracht werden, und auch harte Diskriminierungen erlebe er fast nie.

Dennoch beobachtete er in seinen acht Jahren auf den Fußballplätzen der Hauptstadt eine leichte Entwicklung nach oben. Der Fußball sei ein Reflektor gesellschaftlicher Entwicklungen, erklärt sich Wittchen den seiner Meinung spürbar raueren Ton. „Man kümmert sich doch überall immer weniger um seine Mitmenschen. Früher war der Fußball noch mehr ein Freizeitvergnügen mit Freunden. Heute geht es immer und überall um den Sieg. Und auch im Amateurfußball durchaus schon mal ums Geld.“

Die ermittelten Daten gehen über die Zahl der Abbrüche hinaus. Auch wer Täter und wer Opfer ist, offenbart das Lagebild. So stammen 57 Prozent der Täter aus den Reihen der Spieler, 23,3 Prozent der Täter sind Zuschauer, 17,4 Prozent Betreuer. Bei den Opfern sind 49,7 Prozent Spieler, 39,6 Prozent Schiedsrichter. Bei 0,37 Prozent aller Spiele meldete der Schiedsrichter einen Gewaltvorfall, bei 0,31 Prozent einen Diskriminierungsvorfall. Die Daten werden künftig wöchentlich zur internen Verwendung an die DFB-Landesverbände verschickt. Geplant ist auch eine weiterführende Analyse des vorliegenden Datenmaterials, etwa nach Männer-, Frauen- und Jugendfußball oder nach ländlichen und städtischen Regionen.

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Konfliktmanagerin: "Es gibt keine Patentrezepte"

Verena Hundertmark war Sportrichterin im Bayrischen Fußball-Verband. Rund vier Jahre lang hat die heute 47-jährige Bank-Angestellte Regelbrecher erstmal eine Weile gesperrt, im Zweifel um ihr Mütchen abzukühlen. „Irgendwann ging es mir wie dem Mediziner: Nur Medikamente verabreichen war mir nicht genug. Ich wollte die Ursachen für die Vergehen finden.“ Verena Hundertmark ließ sich zur Konfliktmanagerin ausbilden, immer wieder an den Wochenenden dauerte die Schulung knapp ein Jahr. Sie sagt: „Es gibt keine Patentrezepte. Bei meiner Aufgabe gebe ich auch keine Lösungen vor. Bei den leichten Fällen reicht es, zuzuhören und Empathie zu zeigen.“

Bei den schweren Fällen verlangt ihre Aufgabe beides: Diplomatie und Rückgrat. Immer wieder waren beim BFV massive Beschwerden über eine Mädchenmannschaft aus dem Süden Münchens eingegangen. Fast alle der U 17-Mädchen waren türkischer Herkunft. „Ich habe mir dann anonym ein paar Spiele angeschaut und musste erleben, wie gegnerische Spielerinnen vor dem Anpfiff sagten: Gegen die Kanaken spielen wir nicht. Wir haben dann viele Trainer aus der Liga zusammengerufen, die reagierten auch total bereitwillig. Zusammen wurde die Situation gelöst.“ Hundertmark: „Gerade Kinder und Jugendliche sollten einfach nur Spaß am Fußball haben. Dazu will ich meinen Beitrag leisten.“

FairPlayLiga, Gesten des Fairplay, Vorbilder

„Fair ist mehr“ heißt das umfangreiche, im DFB-Masterplan verankerte Gewaltpräventionskonzept, mit dem der Verband versucht, präventiv gegen eine Entwertung des fairen Spiels vorzugehen. Etwa durch die FairPlayLiga, die ab diesem Sommer mindestens in einer F-Junioren-Staffel pro Kreis praktiziert wird. Die Mädchen und Jungen entscheiden selbst über Foul und Einwurf, die beiden Trainer begreifen sich als Partner und verfolgen das Spiel aus einer gemeinsamen Coaching-Zone. Um überbordenden Ehrgeiz mancher Eltern räumlich wie auch symbolisch zurückzufahren, gibt es eine etwa 15 Meter vom Feld entfernte Fanzone.

Seit zwei Jahrzehnten prämiert der DFB zusammen mit seinen Landesverbänden faire Gesten: Auf nationaler Bühne mit der jährlichen Verleihung der Fairplay-Medaillen, immer im Rahmen eines A-Länderspiels. Und beginnend dieses Saison durch die monatliche Auszeichnung vorbildlichen Fairplays auf Länderebene. Das aktuelle Plakat- und Anzeigenmotiv „Großer Sport lebt von kleinen Gesten“, zeigt Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller, wie sie nach dem Abpfiff in Belo Horizonte den Brasilianer Dante trösteten. Zu Beginn der Saison 2014/2015 verschickte der DFB Ordnerwesten an alle 26.000 Vereine, nachdem ein Pilotprojekt im Württembergischen Fußballverband sich als wirksam erwiesen hatte.

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Der Fußball kann nicht jedes Problem lösen

Dass es keine Garantien gibt, darüber hatte der Autor und Kritiker Robert Musil zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts geschrieben. Klar, der Sport könne durchaus positive Werte vermitteln, aber „ebenso sicher kann man auch behaupten, dass er einem weit verbreiteten Bedürfnis, dem Nebenmann eine aufs Dach zu geben oder ihn umzulegen entgegenkommt, dem Ehrgeiz, der Überlegene zu sein.“

Der Sport an sich ist eben kein Königsweg der Gewaltprävention und auch nicht, wie einmal von einem Bundesbeauftragten formuliert „eine Schutzimpfung gegen soziale Auffälligkeit“. Der Sport muss sich diese Attribute immer wieder erarbeiten. Gunter Pilz: „Die unreflektierten Hochgesänge auf die bildende, erzieherische, präventive Bedeutung des Sports verdecken die auch im Sport immanenten Problemfelder der Gewalt, rücksichtsloser Interessendurchsetzung und Gesundheitsgefährdung.“ Und Pilz warnt auch: „Nicht alles, was im Fußball passiert, hat er zu verantworten oder kann er lösen.“

"Keiner kann davon reden, dass der Fußball ein Gewaltproblem hat"

Der Fußball auf einem guten Weg. Denn nur wer konkret weiß, was in der Wirklichkeit passiert, kann effektiv und zielgerichtet handeln – etwa mit Blick auf Maßnahmen zur Stärkung des Fairplay. „Angesichts der Zahlen kann doch keiner davon reden, dass der Fußball ein Gewaltproblem habe“, sagt Pilz. „Gleichzeitig nehmen wir die Lage ernst und arbeiten weiter daran, die Ursachen von Gewalt und Diskriminierung im Amateurfußball zu entkräften.“

Und sogar etwas Optimismus gönnt sich der Soziologe: „Mit Blick auf den Masterplan und unser Gewaltpräventionskonzept bin ich der festen Überzeugung, dass wir die Zahlen auch in den kommenden Jahren herunterfahren können.“