Freund vor BVB gegen Schalke: "Am Derbytag an die Grenze gehen"

Besondere Begegnungen, besondere Zeitzeugen. Auf DFB.de erinnern sich prägende Figuren der Bundesliga an ganz spezielle Duelle, passend zu dem jeweils aktuellen Spieltag. Heute: Ex-Nationalspieler Steffen Freund, einst für Schalke und Dortmund in Derbys aktiv.

Am Samstag (ab 15.30 Uhr, live bei Sky) empfängt Borussia Dortmund den FC Schalke 04 zum 167. Revierderby. Von 1991 bis 1998 spielte Steffen Freund das Duell zwölfmal, dreimal für Königsblau, neunmal für Schwarz-Gelb. Der Europameister von 1996 und frühere DFB-Trainer, heute Technischer Koordinator bei Tottenham Hotspur, erinnert sich im historischen DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Thorsten Langenbahn an umkämpfte Duelle, historische Siege, unangenehme Gegenspieler und feurige Traineransprachen.

DFB.de: Ihr erstes Revierderby, 24. August 1991, 5. Spieltag, Parkstadion Gelsenkirchen. Sie waren gerade von Stahl Brandenburg zu Schalke gewechselt, 21 Jahre jung. Hatten Sie die Buchse voll, wie man im Ruhrgebiet sagt?

Steffen Freund: Eigentlich schon. Wir waren Aufsteiger und ich dankbar und glücklich, bei einem Bundesligisten im Aufgebot zu sein. Borussia Dortmund kam mit seinem neuen Trainer Ottmar Hitzfeld. Ich kann mich noch genau erinnern: 70.000 im Parkstadion. Ich habe Manndecker gespielt gegen Flemming Polvsen und Frank Mill. Das war ein unglaubliches Spiel mit unglaublichen Toren.

DFB.de: Mit dem für Schalke richtigen Ausgang...

Freund: Auf jeden Fall. Wir haben 5:2 gewonnen gegen den späteren Vizemeister. Am Ende haben wir zusammen mit den Fans auf dem Platz gefeiert, eine Ehrenrunde gedreht. Wir waren alle wie im Rausch, weil es nach dem Aufstieg endlich wieder dieses große Derby gab und wir Dortmund mit 5:2 nach Hause geschickt hatten.

DFB.de: Wodurch wurde Ihr erster Derbysieg besiegelt?

Freund: Durch Günter Schlippers Solo zum 4:2, kurz vor Schluss. Er nimmt sich den Ball, dribbelt los fast vom eigenen Strafraum. Trainer Alex Ristic rief mehrmals von draußen rein: "Spiel den Ball ab, spiel den Ball ab!" Aber er spielte nicht ab, lief immer weiter und schoss ihn mit der Picke ins Tor. Das war ein Riesensolo, das an Maradona gegen England erinnerte. Danach war Ristic auf der Bank ruhig und zeigte den Daumen nach oben. Das sind Szenen, die vergisst man sein Leben lang nicht.



Besondere Begegnungen, besondere Zeitzeugen. Auf DFB.de erinnern sich prägende Figuren der Bundesliga an ganz spezielle Duelle, passend zu dem jeweils aktuellen Spieltag. Heute: Ex-Nationalspieler Steffen Freund, einst für Schalke und Dortmund in Derbys aktiv.

Am Samstag (ab 15.30 Uhr, live bei Sky) empfängt Borussia Dortmund den FC Schalke 04 zum 167. Revierderby. Von 1991 bis 1998 spielte Steffen Freund das Duell zwölfmal, dreimal für Königsblau, neunmal für Schwarz-Gelb. Der Europameister von 1996 und frühere DFB-Trainer, heute Technischer Koordinator bei Tottenham Hotspur, erinnert sich im historischen DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Thorsten Langenbahn an umkämpfte Duelle, historische Siege, unangenehme Gegenspieler und feurige Traineransprachen.

DFB.de: Ihr erstes Revierderby, 24. August 1991, 5. Spieltag, Parkstadion Gelsenkirchen. Sie waren gerade von Stahl Brandenburg zu Schalke gewechselt, 21 Jahre jung. Hatten Sie die Buchse voll, wie man im Ruhrgebiet sagt?

Steffen Freund: Eigentlich schon. Wir waren Aufsteiger und ich dankbar und glücklich, bei einem Bundesligisten im Aufgebot zu sein. Borussia Dortmund kam mit seinem neuen Trainer Ottmar Hitzfeld. Ich kann mich noch genau erinnern: 70.000 im Parkstadion. Ich habe Manndecker gespielt gegen Flemming Polvsen und Frank Mill. Das war ein unglaubliches Spiel mit unglaublichen Toren.

DFB.de: Mit dem für Schalke richtigen Ausgang...

Freund: Auf jeden Fall. Wir haben 5:2 gewonnen gegen den späteren Vizemeister. Am Ende haben wir zusammen mit den Fans auf dem Platz gefeiert, eine Ehrenrunde gedreht. Wir waren alle wie im Rausch, weil es nach dem Aufstieg endlich wieder dieses große Derby gab und wir Dortmund mit 5:2 nach Hause geschickt hatten.

DFB.de: Wodurch wurde Ihr erster Derbysieg besiegelt?

Freund: Durch Günter Schlippers Solo zum 4:2, kurz vor Schluss. Er nimmt sich den Ball, dribbelt los fast vom eigenen Strafraum. Trainer Alex Ristic rief mehrmals von draußen rein: "Spiel den Ball ab, spiel den Ball ab!" Aber er spielte nicht ab, lief immer weiter und schoss ihn mit der Picke ins Tor. Das war ein Riesensolo, das an Maradona gegen England erinnerte. Danach war Ristic auf der Bank ruhig und zeigte den Daumen nach oben. Das sind Szenen, die vergisst man sein Leben lang nicht.

DFB.de: Zwölfmal haben Sie das Revierderby als Spieler bestritten. Was war Ihr schönstes?

Freund: Auf Schalker Seite war das 5:2 bei meiner Derbypremiere nicht zu toppen. Auf Dortmunder Seite haben wir in der ersten Meistersaison 1994/1995 im Westfalenstadion 3:2 gewonnen. Ein tolles Spiel, wo es hoch und runter ging. Der Druck war immens: Andreas Möller und Julio Cesar waren gerade gekauft worden, das Team mit Matthias Sammer, Stefan Reuter oder Karl-Heinz Riedle spielte endlich um die Meisterschaft. In dieser Saison gelang mir auch der persönliche Durchbruch in Dortmund. Ich war als Spieler im zentralen Mittelfeld gesetzt, dazu rückte ich in den Kreis der Nationalmannschaft. Die Fans haben gespürt, dass sie einen Spieler von Schalke verpflichtet hatten, der auch für Dortmund Leistung bringt.

DFB.de: Ihr erstes Derby in Schwarz-Gelb nach dem Vereinswechsel 1993: War das gleichzeitig Ihr schwerstes?

Freund: Das haben wir 0:1 auf Schalke verloren. Das war extrem bitter, weil wir mit unglaublich hohen Ansprüchen in die Saison gestartet waren. Ich war zum Meisterschaftskandidaten gewechselt, wir hatten nicht gut gespielt, ich auch nicht. Ich war der Judas, die Todesanzeige - alles was nach einem Wechsel negativ auf einen einströmen kann, kam in diesem Spiel zusammen. Insgesamt war das im ersten Jahr sehr hart für mich, als ehemaliger Schalker in Dortmund zu spielen. Die Favoritenrolle in der Meisterschaft wurde zum Boomerang.

DFB.de: Wie war Ihr Vereinswechsel damals zustande gekommen?

Freund: Schalke hatte extreme finanzielle Probleme. Der einzige Spieler, der zu diesem Zeitpunkt schnell verkauft werden konnte, war ich. Und Dortmund hatte Interesse. Es gab damals noch Wechselkoeffizienten, woraus sich in Kombination mit dem aktuellen und künftigen Gehalt die Ablösesumme errechnete. Schalke war so klamm, sie mussten mich verkaufen. Sonst wäre es finanziell sehr, sehr eng geworden, die Saison zu überstehen. Dortmund wurde auch gebeten, die Ablösesumme schon im März 1993 zu zahlen. Ich war also noch Spieler von Schalke 04, aber die Ablösesumme musste schon fließen, sonst wäre der Verein höchstwahrscheinlich zahlungsunfähig gewesen.

DFB.de: Die Fans waren gar nicht glücklich über Ihren Wechsel, hatten beim ersten Derby Ihre Todesanzeige als Banner dabei und Sie darin als "Borussenschwein" beschimpft. Wo hört die gesunde Rivalität auf?

Freund: Für die Fans ist es wie eine Beleidigung, wenn man zum Erzrivalen wechselt. Das ist ein No-Go. Deswegen kann ich verstehen, dass sie erst mal enttäuscht reagieren. Für viele ist der Verein ihr Ein und Alles. Ich weiß, wie die Fans im Ruhrgebiet fühlen, und genau wegen dieser Emotionen habe ich auch sehr gerne dort gespielt. Trotzdem ging die Todesanzeige dann natürlich doch einen Schritt zu weit.

DFB.de: Ist bei so viel Leidenschaft auch die Motivationslage für die Spieler vor dem Derby eine besondere?

Freund: Beim Derby geht es um mehr als Motivation. Dieses Spiel ist extrem wichtig für den Bereich, wo du lebst, für deine Fans und den Verein, für den du spielst. Da muss die Motivation einfach am Anschlag sein. Wenn man aus der Kabine kam und damals noch die Rolltreppe im Parkstadion runtergefahren ist, da konnte man es ja gar nicht erwarten, dass man die erste Grätsche ansetzt oder ein offensiver Spieler den Ball in den Winkel knallt. Da auf dem Platz zu stehen, ist einfach ein besonderes Erlebnis. An diesem Tag musst du an die Grenze gehen - und die Stimmung reißt dich als Spieler zusätzlich mit.

DFB.de: Hat man da ein paar Prozent mehr Reserven als sonst?

Freund: Das ist schwer zu beantworten. Wenn du über die Grenze gehst, verletzt du dich auch schnell. Das ist ein Risiko, gerade bei einem Spielertypen wie mir, der nach 90 Minuten fix und fertig war, weil ich einfach eine extrem hohe Laufbereitschaft mitgebracht habe. Ich kann nicht von Andreas Möller verlangen, dass er am Tag des Derbys so läuft wie ich, und wenn er dann vor dem Tor steht, schießt er daneben, weil er einen Puls von 2000 hat. Daher muss man das für Offensiv- und Defensivspieler unterschiedlich beurteilen.

DFB.de: Wie sah die aus Ihrer Sicht beste Traineransprache vor einem Derby aus, wer hat Sie wie am besten heißgemacht?

Freund: Ich weiß zwar nicht mehr zu 100 Prozent, ob es ein Derby war, aber ich kann mich an eine Ansprache von Udo Lattek erinnern, der ja immer eine klare, einfache Ansprache hatte. Er sagte: "Wir sind hier zu Hause, schaut auch den Gegner an, diese A... sind doch nicht besser als ihr!" Diese Ansprache hat einfach funktioniert. Wir haben in der Saison 1992/1993, als er noch mal Schalke-Trainer war, nach 20 Jahren wieder in Dortmund gewonnen - 2:0.

DFB.de: Erzählen Sie mehr...

Freund: Zur Halbzeit stand es nach einem Riesensolo, wieder von Günter Schlipper, 1:0. Zur Halbzeit war er fix und fertig - da hat Udo den besten Spieler auf dem Platz einfach runtergenommen, ganz cool. Ich glaube, das hat ihm sogar gut in den Plan gepasst, denn mit dem eingewechselten Andreas Müller standen wir noch kompakter. Am Ende machte Bent Christensen noch das 2:0. Dieser erste Sieg dort war auch für einen alten Hasen wie Udo Lattek, der schon mit Barcelona, Bayern, und Gladbach Wahnsinnserfolge gefeiert hatte, etwas ganz Besonderes. Er ist durchgedreht - im positiven Sinne - und hat sich danach vor dem Schalker Block zurecht feiern lassen.

DFB.de: Kennen Sie eigentlich Ihre persönliche Derbybilanz?

Freund: Puh, ich müsste vielleicht ganz leicht im Plus sein?

DFB.de: Jeweils fünf Siege und Unentschieden, nur zwei Niederlagen. Zwei Siege und eine Niederlage mit Schalke; drei Siege, fünf Remis und eine Niederlage mit Dortmund.

Freund: Das ist doch nicht so schlecht. Da habe ich ja nur zweimal verloren, das ist ja geil!

DFB.de: Gab es besondere Anreize für einen Derbysieg, zum Beispiel eine Extraprämie?

Freund: Unter Günter Eichberg als Präsident war auf Schalke sicherlich vieles möglich, aber da kann ich mich wirklich nicht dran erinnern. Ich will es aber auch nicht ausschließen.

DFB.de: Wer ist Ihr persönlicher Derbyheld?

Freund: Der Derbyheld in meinen ersten beiden Spielzeiten bei Schalke war Günter Schlipper, ganz klar. Andersherum: Wir haben im Dezember 1997 im Westfalenstadion 2:1 geführt, und Schalkes Jens Lehmann macht in der letzten Aktion ein Kopfballtor als Torwart. Das war unfassbar. Ich bin heute noch schockiert. Ihn muss man umgekehrt auch als Derbyheld nennen.

DFB.de: Und Ihr härtester Gegenspieler im Revierderby?

Freund: Gegen Dortmund war es sehr schwierig, "Frankie" Mill auszuschalten, weil er so eine enorme Qualität vor dem Tor hatte und du ihn keine Sekunde aus den Augen verlieren durftest. Gegen Schalke war es Youri Mulder, weil er ein extrem pressender Stürmer war, so wie sie heute gefragt sind. Man konnte das Spiel nie in Ruhe aufbauen, was auch ein großer Verdienst von Mulder war.

DFB.de: Schauen wir voraus: Steht das Derby in diesem Jahr unter besonderen Vorzeichen?

Freund: Ja, steht es. Das ist eine Tabellenkonstellation, die die Schalker im Moment sehr genießen. Das kenne ich aus eigener Erfahrung, wenn man immer hinter seinem Konkurrenten ist. Wir sind mit Tottenham immer hinter Arsenal. Mittlerweile immer knapper, aber wir sind dahinter. Das ist in den Köpfen drin. Dieses Jahr wird Schalke in der Tabelle eben vor Borussia Dortmund sein, unabhängig davon, wie das Derby ausgeht. Das ist schon eine besondere Situation.

DFB.de: Schalke ist mit seinem Defensivkonzept erfolgreich, der BVB befindet sich im Aufwind. Begegnen sich die Teams auf Augenhöhe?

Freund: Es war ein guter Rückrundenstart für beide. In Dortmund gibt es eine positive Aufbruchstimmung. Durch das Champions-League-Spiel gegen Juventus Turin kam allerdings noch mal eine Belastung obendrauf. Für eine Mannschaft, die sich im Abstiegskampf befindet, ist das nicht so einfach, diesen Spagat zu schaffen. Das hat man in der Hinrunde gesehen. Die Schalker hatten nach dem Spiel gegen Real eine ganze Woche, um sich vorzubereiten und besser zu regenerieren. Daher sind sie aus meiner Sicht leicht im Vorteil. Aber am Ende bleibt es das Derby. Und Dortmund spielt zu Hause - das ist auch nicht ganz unwichtig.

DFB.de: Ihre Prognose: Wie geht's aus?

Freund: Dortmund kann Schalke vom spielerischen Potenzial sicherlich schlagen, was durch Schalkes defensive Ausrichtung allerdings nicht gerade leicht ist. Mein Gefühl sagt mir, dass es Unentschieden ausgeht. Für die Zuschauer würde ich mich freuen, wenn es ein frühes Tor und einen offenen Schlagabtausch gäbe. Das kann ich mir unter diesen Voraussetzungen aber nicht vorstellen. Ein Ergebnis mit sieben Toren, wie das 5:2 in meinem ersten Derby, wird's so schnell nicht noch mal geben.