Freitag: "Wir wollen Kopf-Barrieren abbauen"

Der Behindertenfußball liegt der Sepp-Herberger-Stiftung am Herzen. So teilfinanziert die älteste DFB-Stiftung den Spielbetrieb der Blindenfußball-Bundesliga und organisiert seit vielen Jahren gemeinsam mit der BAG:WfbM die Deutsche Meisterschaft der Werkstätten für behinderte Menschen. Zweimal großer Sport und couragierter Fußball.

Nun sorgt die Stiftung dafür, dass es in 20 Landesverbänden des Deutschen Fußball-Bundes künftig Ansprechpartner für Fragen des Behindertenfußballs geben wird. Mit dem Ziel, Fußballspielern mit einem Handicap den Zugang zum Fußball zu erleichtern. Die DFB-Stiftung Sepp Herberger stellt zur Finanzierung dieser Ansprechpartner 100.000 Euro zur Verfügung.

Inklusion - die Eingliederung von behinderten Menschen - wird politisch auch in anderen Gesellschaftsbereichen verfolgt. Die SPD-Politikerin Dagmar Freitag, die den Sportausschuss des Deutschen Bundestages leitet und am Mittwoch an der Kuratoriumssitzung der Herberger-Stiftung in Frankfurt teilnahm, spricht im DFB.de-Exklusivinterview mit Redakteur Thomas Hackbarth über die Chancen und Grenzen der Inklusion beim Fußball.

DFB.de: Frau Freitag, eine Initiative der Herberger-Stiftung sorgt dafür, dass es bei den DFB-Landesverbänden einen Ansprechpartner für den Behindertenfußball gibt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Dagmar Freitag: Der DFB zeigt mit diesem sehr begrüßenswerten Engagement, dass er die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ernst nimmt. Hier werden Strukturen geschaffen, die das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen im Fußball perspektivisch Realität werden lassen. Der DFB mit seinen 26.000 Vereinen verfügt über eine breite Basis und bietet hoffentlich schon bald auch Fußballbegeisterten mit einer Behinderung flächendeckend die Möglichkeit, ihrem Lieblingssport nachzugehen.

DFB.de: Die Entwicklung hängt zusammen mit einem Paradigmenwechsel, der nicht nur den Sport erreicht hat. Inklusion heißt das Stichwort. Was bedeutet diese neue Denkweise für den Sport in Deutschland?

Freitag: In der Tat ist die Inklusionsidee eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Um sie mit Leben zu erfüllen, müssen wir uns alle Gedanken machen, wie es gelingen kann, in allen Bereichen des Alltags Barrieren für Menschen mit Behinderungen abzubauen. Der Sport ist die beliebteste Freizeitbeschäftigung der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und kann mit seinen mehr als 27 Millionen Mitgliedern in über 90.000 Vereinen hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Viele Sportarten könn(t)en Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam betreiben – und sollte dies in Ausnahmefällen nicht möglich sein, spricht doch überhaupt nichts dagegen, dass man dann wenigstens unter einem gemeinsamen Vereinsdach Sport treibt und sich spätestens in der "dritten Halbzeit" trifft, oder?

DFB.de: Welche Vorteile soll es bringen, wenn behinderte Menschen im "normalen" Verein ihren Sport betreiben können?



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Der Behindertenfußball liegt der Sepp-Herberger-Stiftung am Herzen. So teilfinanziert die älteste DFB-Stiftung den Spielbetrieb der Blindenfußball-Bundesliga und organisiert seit vielen Jahren gemeinsam mit der BAG:WfbM die Deutsche Meisterschaft der Werkstätten für behinderte Menschen. Zweimal großer Sport und couragierter Fußball.

Nun sorgt die Stiftung dafür, dass es in 20 Landesverbänden des Deutschen Fußball-Bundes künftig Ansprechpartner für Fragen des Behindertenfußballs geben wird. Mit dem Ziel, Fußballspielern mit einem Handicap den Zugang zum Fußball zu erleichtern. Die DFB-Stiftung Sepp Herberger stellt zur Finanzierung dieser Ansprechpartner 100.000 Euro zur Verfügung.

Inklusion - die Eingliederung von behinderten Menschen - wird politisch auch in anderen Gesellschaftsbereichen verfolgt. Die SPD-Politikerin Dagmar Freitag, die den Sportausschuss des Deutschen Bundestages leitet und am Mittwoch an der Kuratoriumssitzung der Herberger-Stiftung in Frankfurt teilnahm, spricht im DFB.de-Exklusivinterview mit Redakteur Thomas Hackbarth über die Chancen und Grenzen der Inklusion beim Fußball.

DFB.de: Frau Freitag, eine Initiative der Herberger-Stiftung sorgt dafür, dass es bei den DFB-Landesverbänden einen Ansprechpartner für den Behindertenfußball gibt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Dagmar Freitag: Der DFB zeigt mit diesem sehr begrüßenswerten Engagement, dass er die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ernst nimmt. Hier werden Strukturen geschaffen, die das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen im Fußball perspektivisch Realität werden lassen. Der DFB mit seinen 26.000 Vereinen verfügt über eine breite Basis und bietet hoffentlich schon bald auch Fußballbegeisterten mit einer Behinderung flächendeckend die Möglichkeit, ihrem Lieblingssport nachzugehen.

DFB.de: Die Entwicklung hängt zusammen mit einem Paradigmenwechsel, der nicht nur den Sport erreicht hat. Inklusion heißt das Stichwort. Was bedeutet diese neue Denkweise für den Sport in Deutschland?

Freitag: In der Tat ist die Inklusionsidee eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Um sie mit Leben zu erfüllen, müssen wir uns alle Gedanken machen, wie es gelingen kann, in allen Bereichen des Alltags Barrieren für Menschen mit Behinderungen abzubauen. Der Sport ist die beliebteste Freizeitbeschäftigung der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und kann mit seinen mehr als 27 Millionen Mitgliedern in über 90.000 Vereinen hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Viele Sportarten könn(t)en Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam betreiben – und sollte dies in Ausnahmefällen nicht möglich sein, spricht doch überhaupt nichts dagegen, dass man dann wenigstens unter einem gemeinsamen Vereinsdach Sport treibt und sich spätestens in der "dritten Halbzeit" trifft, oder?

DFB.de: Welche Vorteile soll es bringen, wenn behinderte Menschen im "normalen" Verein ihren Sport betreiben können?

Freitag: Zunächst führt es die Menschen zusammen, baut Berührungsängste ab und Brücken auf. Für beide Seiten bieten sich wichtige Lerneffekte, die dazu führen, Barrieren zu überwinden und aufeinander zuzugehen. Die stärkste Kraft des Sports ist es nun einmal, Menschen mit gleichen Interessen zusammenzubringen. Es macht daher doch keinen Sinn, den Sport von Menschen mit Behinderungen nur ausgegliedert in "Spezialvereinen" zu organisieren – es gibt viele Sportarten, die Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam ausüben können. Rollstuhlbasketball, Sitzvolleyball oder Blindenfußball beispielsweise sind Sportarten, die auch für Menschen ohne Behinderung sehr spannend, herausfordernd und anspruchsvoll sind und in denen Inklusion problemlos funktionieren kann.

DFB.de: Artikel 3 des Grundgesetzes besagt: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Gehört dazu auch, dass behinderte Menschen nicht in abgetrennten Strukturen Sport treiben?

Freitag: Ja, das gehört ohne Frage dazu! Allerdings glaube ich, dass es auf lange Zeit leider nicht möglich sein wird, immer und überall sicherzustellen, dass es keine Barrieren für Menschen mit Behinderungen gibt, Sport zu treiben. Denn um die Inklusion im Sport vollständig zu leben, reicht es nicht, nur Organisationsformen zu verändern, Vereinsstrukturen zu öffnen und Übungsleiter zu schulen. Man braucht eben auch flächendeckend barrierefreie Sportstätten – und spätestes hier stehen wir vor einer riesigen Herausforderung, weil es auf absehbare Zeit aus Kostengründen sicher nicht möglich sein wird, alle Sportanlagen entsprechend auszustatten. Der wichtigste Schritt ist aber ohnehin erst einmal der Abbau der Barrieren in den Köpfen, nur dann wird das Miteinander zur Normalität.

DFB.de: Wo sehen Sie die Grenzen der Inklusion? Und wo konkret beim Fußball?

Freitag: Grenzen gibt es zunächst immer dort, wo sich die Menschen scheuen, den Inklusionsgedanken zu leben. Ich glaube aber, dass im Sport noch viel mehr möglich sein wird, als wir uns heute vorstellen können. Der Sport bietet auf jeden Fall mehr Chancen als Grenzen. Im Blindenfußball kicken doch schon heute Fußballer mit und ohne Sehbehinderung gemeinsam. Ich kann mir beispielsweise gut vorstellen, dass es gemeinsame Mannschaften von Menschen mit und ohne geistige Behinderungen gibt oder Gehörlose und Hörende gemeinsam spielen. Soweit ich weiß, gibt es schon einige besonders engagierte Übungsleiter vor allem im Jugendbereich, die sich bemühen, Kinder mit einer geistigen Behinderung in ihre Nachwuchsteams zu integrieren.

DFB.de: Fast sieben Millionen Menschen in Deutschland haben den Schwerstbehindertenstatus, die Mehrheit aber ist älter als 65 Jahre - also nicht unbedingt mehr im Sportleralter. Welche Bedeutung hat der Behindertensport?

Freitag: Nicht mehr im Sportleralter? Wir sollten uns doch bemühen, uns bis ins hohe Alter regelmäßig zu bewegen und sportlich aktiv zu sein! Die Demographie wird dazu führen, dass es zukünftig immer mehr alte Menschen gibt und diese auch immer älter werden. Wir müssen uns also unbedingt Gedanken machen, wie es gelingen kann, dass auch die älteren Bürgerinnen und Bürger aktiv bleiben (können). Die Wenigsten werden noch einen Marathon laufen wollen, aber wir sollten uns bemühen, Strukturen so zu verändern oder zu schaffen, dass altersgerechte Bewegungsangebote flächendeckend vorhanden sind. Sport hält schließlich auch im hohen Alter noch fit und ist ein wichtiger Präventionsfaktor.

DFB.de: Sie sind für die Paralympics selbst nach London gefahren. Welchen Eindruck haben die Spiele auf Sie gemacht? Wächst das Interesse am Behindertensport?

Freitag: Es war mein erster Besuch bei Paralympischen Spielen und eine großartige Erfahrung! Die Professionalität der Organisation war einmalig, aber noch viel mehr hat mich die ausgelassene Stimmung auf den Zuschauerrängen und die ehrliche Wertschätzung für die Leistungen der Athletinnen und Athletinnen beeindruckt. Das "Gesamtpaket" hat sicher auch dazu beigetragen, dass das Interesse am Behindertensport weiter wächst – und glücklicherweise hat ja auch das Fernsehen in bisher nie dagewesenem Umfang berichtet.

DFB.de: Sie sind seit 2009 Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, der 1969 zur Vorbereitung der Fußball-WM und der Olympischen Spiele gegründet wurde. In seinem Ursprung wurde der Sportausschuss also komplett auf den Spitzensport ausgerichtet. Warum beschäftigt man sich jetzt auch mit der Förderung des Behindertensports?

Freitag: Der Sportausschuss ist auch weiterhin vor allem zuständig für die Förderung des Spitzensports – und zwar unabhängig, ob es sich um den der Menschen mit oder ohne Behinderungen handelt. Selbstverständlich fördern wir also auch die Leistungsspitze des Behindertensports und zwar sowohl organisatorisch als auch finanziell. Beispielsweise stehen die Olympiastützpunkte auch den Spitzensportlerinnen und -sportlern mit Behinderungen offen, wir co-finanzieren Leistungssporttrainer und übernehmen Teile der Reisekosten unter anderem zu Paralympischen Spielen, Special Olympics oder Deaflympics

DFB.de: Mal etwas ganz anderes: Haben Sie "Ziemlich beste Freunde" im Kino gesehen?

Freitag: Ja – und es war umwerfend, mit welcher subtilen, aber grandiosen Selbstironie dieser Film und seine Darsteller aufwarteten.

DFB.de: "Forrest Gump" mit Tom Hanks, "Mein linker Fuß", "Ich bin Sam" mit Sean Penn oder auch "Schmetterling und Taucherglocke" - ist es nicht erstaunlich, wie viele erfolgreiche Filme über Behinderte im Kino laufen?

Freitag: Ich hatte ja vorhin gesagt, dass wir in allen gesellschaftlichen Bereichen den Inklusionsgedanken leben müssen. Deswegen finde ich nicht, dass wir diese Filme als "Filme über Behinderte" titulieren dürfen. Es sind Filme, die meist ganz unverkrampft – manchmal lustige, manchmal tragische, reale oder erfundene – Geschichten von Menschen erzählen.

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DFB.de: Sie sind Kuratoriumsmitglied der ältesten DFB-Stiftung, der Herberger-Stiftung, und nahmen gestern an der Sitzung teil. Welche Themen standen auf der Agenda?

Freitag: Wir haben uns mit einigen wichtigen Schwerpunkten der Arbeit der Stiftung beschäftigen. Im Fokus standen die Zusammenarbeit von Schule und Verein, die Projekte der Stiftung im Bereich der Resozialisierung junger Strafgefangener – und natürlich der Sport von Menschen mit Behinderungen.

DFB.de: Welcher Herberger-Satz passt besser zur Politik: "Elf Freunde müsst ihr sein" oder "Das nächste Spiel ist das schwerste"?

Freitag: Beide Sätze treffen zu, denn ohne verlässliche politische Mitstreiter und Freunde kann man kein politisches Projekt – also kein schweres Spiel – erfolgreich gestalten.