Erst die Hand, dann der Fuß (Teil 2)

Mit Handball spielen besser Fußball spielen lernen – Teil 2: Verteidigen (von Bartosch Gaul, aus der Zeitschrift fussball training)

Im Fußball gibt es eine Menge Defensivweisheiten, aber keine hat die Trainerwelt so geprägt wie „Die Null muss stehen!“ von Huub Stevens. Diese Zielsetzung prägte die großen Erfolge der Schalker Eurofighter. Doch wie erreichen wir mit unserer Mannschaft dieses Ziel perfekt? Der Schlüssel liegt in einer präzisen Defensivarbeit! Bartosch Gaul zeigt im zweiten Teil seiner Überlegungen zu den Gemeinsamkeiten der Sportarten Handball und Fußball auf, dass wir uns auch hier das eine oder andere bei den werfenden Kollegen abschauen können.

Das Handballspiel zeichnet sich durch eine enorme Handlungs- und Spielschnelligkeit aus. Viele Spielverlagerungen mit höchstem Passtempo und –schärfe sollen Lücken in den gegnerischen Block reißen. Die Ordnung muss also ständig beibehalten werden. Dies erfordert ein gutes peripheres Sehen, um die Abstände zu den Neben- und Vorderleuten möglichst optimal zu gestalten.

Hinzu kommt eine organisierte Verschiebebewegung im Defensivverbund, die ein gutes gegenseitiges Coaching verlangt. In dieser taktisch disziplinierten Ordnung muss jeder Spieler seine individualtaktischen Aufgaben verinnerlicht haben. Nach Ballgewinn wird sofort auf Offensive umgeschaltet, um schnellstmöglich einen Tempogegenstoß zu setzen. Also müssen die Spieler nach Ballverlust ebenfalls schnell in den kompakt stehenden Block kommen, um mögliche Konter zu unterbinden.

Fehler "schaffen" Tore

Auch im Handball sind zuweilen hervorragend heraus gespielte Treffer zu bewundern, doch zumeist führen – mehr noch als im Fußball – bereits kleinste Fehler in der Defensivarbeit zu Gegentoren. Die Defensive hat daher im Handballtraining einen ungemein hohen Stellenwert.

Im Fußball werden ähnliche Fehler zwar ebenfalls begangen (speziell in den vordersten Mannschaftsreihen), bleiben jedoch häufig ohne schwerwiegende Folgen. So manche Spitze lässt sich schon mal einfach ausspielen, ganz nach dem Motto „Wird schon schief gehen“. Ein höheres Verantwortungsbewusstsein lässt sich gut durch das Handballspiel auf engeren Räumen schulen, da dort jeder Abwehrfehler die Höchststrafe – ein Gegentor – bedeuten kann. Zudem werden taktische Defensiv-Automatismen durch die vielen Wiederholungen im Langzeitgedächtnis besser gespeichert.

Abwehrtaktische Gemeinsamkeiten

Wie schon beim bei Teil I zur Offensive finden sich auch auf der defensiven Ebene handballspezifische Verhaltensmuster, die das Abwehrspiel im Fußball im Detail perfektionieren können (siehe Info 1). Der Trainer muss nur einen Blick über den Tellerrand wagen und die für ihn relevanten Elemente in das eigene Abwehrspiel transferieren.

Im Fußball wird mittlerweile auch in unteren Klassen versucht, den Gegner in bestimmte Spielfeldbereiche zu lenken und dann dort den Ball zu erobern. Der erste Schritt dazu findet in der Regel vorne statt, wenn die Spitze den gegnerischen Ballbesitzer anläuft und stellt. Das lenkende Stellungsspiel auf allen Spielpositionen bestimmt die Qualität der gruppentaktischen Elemente und letztlich auch die der Mannschaftstaktik.

Also bildet die Individualtaktik eine Art „Keimzelle des Defensivspiels“. Lenkt etwa unsere Spitze das gegnerische Aufbauspiel nicht beziehungsweise nur unzureichend außerhalb unserer Pressingfalle, so wird unser Plan, den Ball gezielt zu erobern, nicht aufgehen. Bezüglich des richtigen und effektiven Lenkens bietet das Handballspiel hervorragenden „Anschauungsunterricht“, um taktische Automatismen im reinen Stellungsspiel zu schaffen.

Situationen schnell erfassen

Anders als im Fußball wird im Handball stets mit recht großer Geduld verteidigt, sicher auch deshalb, weil die Angreifer aufgrund der „Passives-Spiel-Regel“ sowieso unter einem gewissen Zeitdruck stehen und den Abschluss suchen müssen. Der eigene Torhüter darf beim Spielaufbau nur außerhalb des Kreises angespielt werden, Rückpässe in die eigene Hälfte sind verboten. Für das Abwehrspiel bedeutet das, konsequent dichtzumachen und dabei auf möglichst „einfache“ Ballgewinne zu lauern.

Die dabei wohl für alle Spieler wertvollste und unbedingt notwendige Fähigkeit ist die Antizipation. Die Verteidiger lesen das Spiel sehr aufmerksam, um Pässe abzufangen und sofort einen schnellen Tempogegenstoß einzuleiten. Dieser führt dann auch häufig zum Torerfolg. Hierbei ist es jedoch äußerst wichtig, dass der Abwehrspieler den antizipierten Pass auch tatsächlich abfängt, da er mit seinem Vorstoßen oder „Herausschießen“ eine Lücke in der defensiven Ordnung hinterlässt und somit eine Kettenreaktion stattfindet, die dem Gegner im Falle eines erfolglosen Abfangversuchs meist ein Überzahlspiel in unmittelbarer Tornähe ermöglicht!

Im Block abgestimmt verhalten

Sollten Handballer strikt mannorientiert decken und verteidigen, würde das nicht nur in einem gewissen Chaos auf dem Spielfeld enden, sondern kaum Erfolg haben, da der Bewegungsvorsprung des jeweils ballfordernden Spielers in der Regel nicht mehr von seinem Gegenspieler kompensiert werden könnte. Handball ist also ein perfektes Beispiel für das ballorientierte Verteidigen, egal ob in einer 6-0-, 5-1- oder anderen Formation agiert wird. Die dazu notwendige Verschiebebewegung ist durch recht klare Abstände zwischen den Spielern charakterisiert, die wiederum ein konkretes, ständiges und lautes gegenseitiges Coaching erfordern, um Übergabeprobleme zu vermeiden.

Hinzu kommt die hohe Bedeutung der Absicherung des aktiven Verteidigers durch den Hinter- oder besser Nebenmann beziehungsweise das Doppeln des in Ballbesitz befindlichen Kreisläufers, um mögliche Nahtstellenpässe oder Durchbrüche zu vermeiden. Wünschenswert im Fußball ist ein permanenter Druck auf den Ball (den Ball attackieren), um Pässe und Abschlüsse zu vermeiden.

Rasend schnell umschalten

Beim Handball fasziniert das enorm schnelle Umschalten auf Offensive wie Defensive. Der Vergleich mit einem ein- und ausschaltenden Lichtschalter vermittelt den Spielern diese rasende Schnelligkeit sehr anschaulich. Bei Ballverlust müssen alle möglichst schnell in den Block hinter den Ball kommen, um nicht in Unterzahl zu geraten.

Situativ kann der jeweils ballnahe Spieler noch kurz Druck auf den ballgewinnenden Spieler ausüben, um schnelle Pässe in die Tiefe zu verhindern. Dies würde dem aktuellen Trend des Gegenpressings im Fußball entsprechen. Hierbei müssen die Spieler die jeweilige Spielsituation und die in ihr liegende Gefahr sehr schnell wahrnehmen und einschätzen.

Die Einheit der Sprache

Selbst wenn es nicht explizit vom Trainer gefordert wird: Gerade beim Abwehrspiel nutzen viele Spieler in den Übungs- und Spielformen Coachingbegriffe besonders häufig – mehr noch als bei eigenem Ballbesitz. Dabei ist es wichtig, dass sie eine einheitliche taktische Sprache beherrschen, denn die vielen Positionswechsel in den modernen Sportspielen erfordern ein hohes Maß an schnellster Verständigung und Organisation im Team.

Die hier vorgestellte Trainingsform ist systematisch vom Handball zum Fußball aufgebaut. Da die Spieler zunächst mit der Hand spielen, können sie sich fast ausschließlich auf die taktischen Vorgaben fokussieren. Dank der detaillierten Korrekturen durch den Trainer und die vielen Wiederholungen bilden sich bei dieser Vorgehensweise rasch taktische Automatismen heraus.

[BG]

[bild1]Mit Handball spielen besser Fußball spielen lernen – Teil 2: Verteidigen (von Bartosch Gaul, aus der Zeitschrift fussball training)

Im Fußball gibt es eine Menge Defensivweisheiten, aber keine hat die Trainerwelt so geprägt wie „Die Null muss stehen!“ von Huub Stevens. Diese Zielsetzung prägte die großen Erfolge der Schalker Eurofighter. Doch wie erreichen wir mit unserer Mannschaft dieses Ziel perfekt? Der Schlüssel liegt in einer präzisen Defensivarbeit! Bartosch Gaul zeigt im zweiten Teil seiner Überlegungen zu den Gemeinsamkeiten der Sportarten Handball und Fußball auf, dass wir uns auch hier das eine oder andere bei den werfenden Kollegen abschauen können.

Das Handballspiel zeichnet sich durch eine enorme Handlungs- und Spielschnelligkeit aus. Viele Spielverlagerungen mit höchstem Passtempo und –schärfe sollen Lücken in den gegnerischen Block reißen. Die Ordnung muss also ständig beibehalten werden. Dies erfordert ein gutes peripheres Sehen, um die Abstände zu den Neben- und Vorderleuten möglichst optimal zu gestalten.

Hinzu kommt eine organisierte Verschiebebewegung im Defensivverbund, die ein gutes gegenseitiges Coaching verlangt. In dieser taktisch disziplinierten Ordnung muss jeder Spieler seine individualtaktischen Aufgaben verinnerlicht haben. Nach Ballgewinn wird sofort auf Offensive umgeschaltet, um schnellstmöglich einen Tempogegenstoß zu setzen. Also müssen die Spieler nach Ballverlust ebenfalls schnell in den kompakt stehenden Block kommen, um mögliche Konter zu unterbinden.

Fehler "schaffen" Tore

Auch im Handball sind zuweilen hervorragend heraus gespielte Treffer zu bewundern, doch zumeist führen – mehr noch als im Fußball – bereits kleinste Fehler in der Defensivarbeit zu Gegentoren. Die Defensive hat daher im Handballtraining einen ungemein hohen Stellenwert.

Im Fußball werden ähnliche Fehler zwar ebenfalls begangen (speziell in den vordersten Mannschaftsreihen), bleiben jedoch häufig ohne schwerwiegende Folgen. So manche Spitze lässt sich schon mal einfach ausspielen, ganz nach dem Motto „Wird schon schief gehen“. Ein höheres Verantwortungsbewusstsein lässt sich gut durch das Handballspiel auf engeren Räumen schulen, da dort jeder Abwehrfehler die Höchststrafe – ein Gegentor – bedeuten kann. Zudem werden taktische Defensiv-Automatismen durch die vielen Wiederholungen im Langzeitgedächtnis besser gespeichert.

Abwehrtaktische Gemeinsamkeiten

Wie schon beim bei Teil I zur Offensive finden sich auch auf der defensiven Ebene handballspezifische Verhaltensmuster, die das Abwehrspiel im Fußball im Detail perfektionieren können (siehe Info 1). Der Trainer muss nur einen Blick über den Tellerrand wagen und die für ihn relevanten Elemente in das eigene Abwehrspiel transferieren.

Im Fußball wird mittlerweile auch in unteren Klassen versucht, den Gegner in bestimmte Spielfeldbereiche zu lenken und dann dort den Ball zu erobern. Der erste Schritt dazu findet in der Regel vorne statt, wenn die Spitze den gegnerischen Ballbesitzer anläuft und stellt. Das lenkende Stellungsspiel auf allen Spielpositionen bestimmt die Qualität der gruppentaktischen Elemente und letztlich auch die der Mannschaftstaktik.

Also bildet die Individualtaktik eine Art „Keimzelle des Defensivspiels“. Lenkt etwa unsere Spitze das gegnerische Aufbauspiel nicht beziehungsweise nur unzureichend außerhalb unserer Pressingfalle, so wird unser Plan, den Ball gezielt zu erobern, nicht aufgehen. Bezüglich des richtigen und effektiven Lenkens bietet das Handballspiel hervorragenden „Anschauungsunterricht“, um taktische Automatismen im reinen Stellungsspiel zu schaffen.

Situationen schnell erfassen

[bild2]Anders als im Fußball wird im Handball stets mit recht großer Geduld verteidigt, sicher auch deshalb, weil die Angreifer aufgrund der „Passives-Spiel-Regel“ sowieso unter einem gewissen Zeitdruck stehen und den Abschluss suchen müssen. Der eigene Torhüter darf beim Spielaufbau nur außerhalb des Kreises angespielt werden, Rückpässe in die eigene Hälfte sind verboten. Für das Abwehrspiel bedeutet das, konsequent dichtzumachen und dabei auf möglichst „einfache“ Ballgewinne zu lauern.

Die dabei wohl für alle Spieler wertvollste und unbedingt notwendige Fähigkeit ist die Antizipation. Die Verteidiger lesen das Spiel sehr aufmerksam, um Pässe abzufangen und sofort einen schnellen Tempogegenstoß einzuleiten. Dieser führt dann auch häufig zum Torerfolg. Hierbei ist es jedoch äußerst wichtig, dass der Abwehrspieler den antizipierten Pass auch tatsächlich abfängt, da er mit seinem Vorstoßen oder „Herausschießen“ eine Lücke in der defensiven Ordnung hinterlässt und somit eine Kettenreaktion stattfindet, die dem Gegner im Falle eines erfolglosen Abfangversuchs meist ein Überzahlspiel in unmittelbarer Tornähe ermöglicht!

Im Block abgestimmt verhalten

Sollten Handballer strikt mannorientiert decken und verteidigen, würde das nicht nur in einem gewissen Chaos auf dem Spielfeld enden, sondern kaum Erfolg haben, da der Bewegungsvorsprung des jeweils ballfordernden Spielers in der Regel nicht mehr von seinem Gegenspieler kompensiert werden könnte. Handball ist also ein perfektes Beispiel für das ballorientierte Verteidigen, egal ob in einer 6-0-, 5-1- oder anderen Formation agiert wird. Die dazu notwendige Verschiebebewegung ist durch recht klare Abstände zwischen den Spielern charakterisiert, die wiederum ein konkretes, ständiges und lautes gegenseitiges Coaching erfordern, um Übergabeprobleme zu vermeiden.

Hinzu kommt die hohe Bedeutung der Absicherung des aktiven Verteidigers durch den Hinter- oder besser Nebenmann beziehungsweise das Doppeln des in Ballbesitz befindlichen Kreisläufers, um mögliche Nahtstellenpässe oder Durchbrüche zu vermeiden. Wünschenswert im Fußball ist ein permanenter Druck auf den Ball (den Ball attackieren), um Pässe und Abschlüsse zu vermeiden.

Rasend schnell umschalten

Beim Handball fasziniert das enorm schnelle Umschalten auf Offensive wie Defensive. Der Vergleich mit einem ein- und ausschaltenden Lichtschalter vermittelt den Spielern diese rasende Schnelligkeit sehr anschaulich. Bei Ballverlust müssen alle möglichst schnell in den Block hinter den Ball kommen, um nicht in Unterzahl zu geraten.

Situativ kann der jeweils ballnahe Spieler noch kurz Druck auf den ballgewinnenden Spieler ausüben, um schnelle Pässe in die Tiefe zu verhindern. Dies würde dem aktuellen Trend des Gegenpressings im Fußball entsprechen. Hierbei müssen die Spieler die jeweilige Spielsituation und die in ihr liegende Gefahr sehr schnell wahrnehmen und einschätzen.

Die Einheit der Sprache

Selbst wenn es nicht explizit vom Trainer gefordert wird: Gerade beim Abwehrspiel nutzen viele Spieler in den Übungs- und Spielformen Coachingbegriffe besonders häufig – mehr noch als bei eigenem Ballbesitz. Dabei ist es wichtig, dass sie eine einheitliche taktische Sprache beherrschen, denn die vielen Positionswechsel in den modernen Sportspielen erfordern ein hohes Maß an schnellster Verständigung und Organisation im Team.

Die hier vorgestellte Trainingsform ist systematisch vom Handball zum Fußball aufgebaut. Da die Spieler zunächst mit der Hand spielen, können sie sich fast ausschließlich auf die taktischen Vorgaben fokussieren. Dank der detaillierten Korrekturen durch den Trainer und die vielen Wiederholungen bilden sich bei dieser Vorgehensweise rasch taktische Automatismen heraus.