Duelle mit Polen: "Wasserschlacht" und Debütantenrekord

81 Jahre, 18 Spiele, zwölf Siege, keine Niederlage. Erfolgreiche Länderspiele gegen Polen sind deutsche Tradition. Und liegen gern schon mal auf dem Weg zu Weltmeistertiteln. Vor dem EM-Qualifikationspiel der beiden Gruppengegner heute (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) in Warschau erzählt der Historiker und Autor Udo Muras für DFB.de die Geschichte eines Nachbarschaftsduells, das legendäre Spiele hervorbrachte.

Es lief schon die letzte Minute im Berliner Poststadion, wo 35.000 Zuschauer an diesem 3. Dezember 1933 einen unvergnüglichen Nachmittag verbracht hatten. Nicht nur die Spieler litten unter den winterlichen Bedingungen, und viel fehlte nicht mehr zum großen Pfeifkonzert. Da passte Ludwig Lachner von 1860 München den Ball noch einmal in den polnischen Strafraum - und auch dank des hartgefrorenen Bodens verpasste ihn die Innenverteidigung, so dass Josef Rasselnberg vom VfL Benrath doch noch das erlösende 1:0 schoss.

Ein Auftakt mit Symbolwert: Am Ende lachten immer die Deutschen, aber nie bekamen sie etwas geschenkt von den Polen. Reichstrainer Otto Nerz kommentierte: "Gute Spieler spielen nicht immer gut." Für die Aufstellung war übrigens - so war das damals - nicht Nerz, sondern an diesem Tag auf Bitten des DFB Alfred Birlem, Berlins berühmtester Schiedsrichter, zuständig. Er sollte die Berliner Interessen berücksichtigen. Wichtiger als Aufstellung und Ergebnis war die Aufnahme der Länderspielbeziehungen an sich. Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Beziehungen gespannt, und polnische Bestrebungen nach einem Länderspiel wurden lapidar abgetan mit dem Spruch: "Nur im Tausch gegen den Korridor." Seit 1919 trennte ein kleiner Landstreifen an der Ostsee, der an Polen gefallen war, Ost- von Westpreußen.

1938: Helmut Schön krönt Comeback mit Tor

Nun aber war das Eis gebrochen, und bis Kriegsausbruch 1939 kam es zu vier weiteren Spielen. Das vereinbarte Rückspiel in Warschau am 9. September 1934 ist das bis dato torreichste, aber selbst der deutsche 5:2-Auswärtssieg war ein hartes Stück Arbeit, führten die Polen doch noch bis zur 70. Minute mit 2:1, und durch das völlig überfüllte Warschauer Stadion, in dem 30.000 Platz fanden und vor dem noch mal so viele warteten, schallen die "Polska"-Rufe. Dann drehten Tore von Karl Hohmann, Otto Siffling, Ernst Lehner per Elfmeter und Fritz Szepan das Spiel. Nun war nur noch der deutsche Schlacht-Ruf "Germania - Ra-Ra-Ra", der bei der WM 1934 erfunden worden war, zu hören. Nach Abpfiff wurden die Deutschen von ihren Anhängern vom Platz getragen. So also begann es.

Auch das zweite Heimspiel endete nur 1:0, Edmund Conen traf 1935 in Breslau, und die Zuschauer riefen enttäuscht: "Wir wollen Tore sehen!" Und auch: "Wo bleibt der deutsche Sturm?" Die polnische Defensive war das Produkt deutscher Wertarbeit, die Elf wurde damals vom Ex-Schalker Kurt Otto trainiert. Es war das erste DFB-Länderspiel, in dem ein Landsmann auf der gegnerischen Bank saß. Im Spiel eins nach dem Olympiadebakel 1936 gab es in Warschau auch den ersten Fleck auf der weißen deutschen Weste, in den Wirren um die beabsichtigte Ablösung von Reichstrainer Otto Nerz führte erstmals Sepp Herberger die Mannschaft. Aber nur in Vertretung, Nerz kam noch mal kurz zurück. Statistiker streiten bis heute, ob das 1:1 von Warschau Herbergers Debüt war oder nicht. Antwort: Offiziell war er im September 1938 längst am Ruder und verantwortete den bis heute höchsten Heimsieg (4:1), bei dem der Koblenzer Josef Gauchel (drei Tore) einen Glanztag erwischte.

Den meisten Jubel erntete jedoch der Sachse Helmut Schön, der nach seiner zweiten Meniskusoperation sein Comeback mit einem Tor krönte. Es war für 21 Jahre das letzte Länderspiel zwischen den Nachbarn, die beim Wiedersehen 1959 keine mehr waren. Europa und Deutschland waren in Ost und West geteilt, es kostete Überwindung, wieder aufeinander zuzugehen. Aber nachdem selbst die Russen 1955 wieder gegen die DFB-Auswahl gespielt hatten, wurden auch wieder Bande zu den Polen geknüpft. Am 20. Mai 1959 traten sie in Hamburg an und standen dicht vor dem ersten Sieg, ehe Amateur Erwin Stein von der zweitklassigen Spielvereinigung Griesheim 02 bei seinem Debüt noch der späte und beinahe schmeichelhafte Ausgleich gelang. Sein 1:1 war erst das dritte Jokertor in der DFB-Historie.

1971: Deutschland siegt auf dem Weg zum EM-Titel

Das vereinbarte Rückspiel im Oktober 1961 in Warschau litt unter Spannungen auf politischer Ebene. Weil die polnische Regierung 18 von 35 angemeldeten deutschen Journalisten die Einreise verweigert hatte, blieben aus Solidarität alle Kollegen fern. Die Kunde vom verdienten 2:0-Sieg durch Tore von Albert Brülls und Helmut Haller gelangte trotzdem in die Heimat.

Zehn Jahre später stieg an selber Stätte das erste Pflichtspiel. Vor 100.000 Zuschauern ging es um die EM-Qualifikation, und der dreimalige Torschütze Gerd Müller verdarb dem legendären Polen-Keeper Jan Tomaszewski sein Debüt. "In Warschau soll erst mal einer gewinnen", pustete Bundestrainer Schön durch. Die Klasse des Gegners wurde auch beim 0:0 im Rückspiel deutlich, als das Publikum bei Hamburger Schmuddelwetter wieder mal pfiff - trotz der Qualifikation für das Viertelfinale.

1974: Der Weg zum WM-Pokal führt über Sieg gegen Polen



81 Jahre, 18 Spiele, zwölf Siege, keine Niederlage. Erfolgreiche Länderspiele gegen Polen sind deutsche Tradition. Und liegen gern schon mal auf dem Weg zu Weltmeistertiteln. Vor dem EM-Qualifikationspiel der beiden Gruppengegner heute (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) in Warschau erzählt der Historiker und Autor Udo Muras für DFB.de die Geschichte eines Nachbarschaftsduells, das legendäre Spiele hervorbrachte.

Es lief schon die letzte Minute im Berliner Poststadion, wo 35.000 Zuschauer an diesem 3. Dezember 1933 einen unvergnüglichen Nachmittag verbracht hatten. Nicht nur die Spieler litten unter den winterlichen Bedingungen, und viel fehlte nicht mehr zum großen Pfeifkonzert. Da passte Ludwig Lachner von 1860 München den Ball noch einmal in den polnischen Strafraum - und auch dank des hartgefrorenen Bodens verpasste ihn die Innenverteidigung, so dass Josef Rasselnberg vom VfL Benrath doch noch das erlösende 1:0 schoss.

Ein Auftakt mit Symbolwert: Am Ende lachten immer die Deutschen, aber nie bekamen sie etwas geschenkt von den Polen. Reichstrainer Otto Nerz kommentierte: "Gute Spieler spielen nicht immer gut." Für die Aufstellung war übrigens - so war das damals - nicht Nerz, sondern an diesem Tag auf Bitten des DFB Alfred Birlem, Berlins berühmtester Schiedsrichter, zuständig. Er sollte die Berliner Interessen berücksichtigen. Wichtiger als Aufstellung und Ergebnis war die Aufnahme der Länderspielbeziehungen an sich. Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Beziehungen gespannt, und polnische Bestrebungen nach einem Länderspiel wurden lapidar abgetan mit dem Spruch: "Nur im Tausch gegen den Korridor." Seit 1919 trennte ein kleiner Landstreifen an der Ostsee, der an Polen gefallen war, Ost- von Westpreußen.

1938: Helmut Schön krönt Comeback mit Tor

Nun aber war das Eis gebrochen, und bis Kriegsausbruch 1939 kam es zu vier weiteren Spielen. Das vereinbarte Rückspiel in Warschau am 9. September 1934 ist das bis dato torreichste, aber selbst der deutsche 5:2-Auswärtssieg war ein hartes Stück Arbeit, führten die Polen doch noch bis zur 70. Minute mit 2:1, und durch das völlig überfüllte Warschauer Stadion, in dem 30.000 Platz fanden und vor dem noch mal so viele warteten, schallen die "Polska"-Rufe. Dann drehten Tore von Karl Hohmann, Otto Siffling, Ernst Lehner per Elfmeter und Fritz Szepan das Spiel. Nun war nur noch der deutsche Schlacht-Ruf "Germania - Ra-Ra-Ra", der bei der WM 1934 erfunden worden war, zu hören. Nach Abpfiff wurden die Deutschen von ihren Anhängern vom Platz getragen. So also begann es.

Auch das zweite Heimspiel endete nur 1:0, Edmund Conen traf 1935 in Breslau, und die Zuschauer riefen enttäuscht: "Wir wollen Tore sehen!" Und auch: "Wo bleibt der deutsche Sturm?" Die polnische Defensive war das Produkt deutscher Wertarbeit, die Elf wurde damals vom Ex-Schalker Kurt Otto trainiert. Es war das erste DFB-Länderspiel, in dem ein Landsmann auf der gegnerischen Bank saß. Im Spiel eins nach dem Olympiadebakel 1936 gab es in Warschau auch den ersten Fleck auf der weißen deutschen Weste, in den Wirren um die beabsichtigte Ablösung von Reichstrainer Otto Nerz führte erstmals Sepp Herberger die Mannschaft. Aber nur in Vertretung, Nerz kam noch mal kurz zurück. Statistiker streiten bis heute, ob das 1:1 von Warschau Herbergers Debüt war oder nicht. Antwort: Offiziell war er im September 1938 längst am Ruder und verantwortete den bis heute höchsten Heimsieg (4:1), bei dem der Koblenzer Josef Gauchel (drei Tore) einen Glanztag erwischte.

Den meisten Jubel erntete jedoch der Sachse Helmut Schön, der nach seiner zweiten Meniskusoperation sein Comeback mit einem Tor krönte. Es war für 21 Jahre das letzte Länderspiel zwischen den Nachbarn, die beim Wiedersehen 1959 keine mehr waren. Europa und Deutschland waren in Ost und West geteilt, es kostete Überwindung, wieder aufeinander zuzugehen. Aber nachdem selbst die Russen 1955 wieder gegen die DFB-Auswahl gespielt hatten, wurden auch wieder Bande zu den Polen geknüpft. Am 20. Mai 1959 traten sie in Hamburg an und standen dicht vor dem ersten Sieg, ehe Amateur Erwin Stein von der zweitklassigen Spielvereinigung Griesheim 02 bei seinem Debüt noch der späte und beinahe schmeichelhafte Ausgleich gelang. Sein 1:1 war erst das dritte Jokertor in der DFB-Historie.

1971: Deutschland siegt auf dem Weg zum EM-Titel

Das vereinbarte Rückspiel im Oktober 1961 in Warschau litt unter Spannungen auf politischer Ebene. Weil die polnische Regierung 18 von 35 angemeldeten deutschen Journalisten die Einreise verweigert hatte, blieben aus Solidarität alle Kollegen fern. Die Kunde vom verdienten 2:0-Sieg durch Tore von Albert Brülls und Helmut Haller gelangte trotzdem in die Heimat.

Zehn Jahre später stieg an selber Stätte das erste Pflichtspiel. Vor 100.000 Zuschauern ging es um die EM-Qualifikation, und der dreimalige Torschütze Gerd Müller verdarb dem legendären Polen-Keeper Jan Tomaszewski sein Debüt. "In Warschau soll erst mal einer gewinnen", pustete Bundestrainer Schön durch. Die Klasse des Gegners wurde auch beim 0:0 im Rückspiel deutlich, als das Publikum bei Hamburger Schmuddelwetter wieder mal pfiff - trotz der Qualifikation für das Viertelfinale.

1974: Der Weg zum WM-Pokal führt über Sieg gegen Polen

Wie 1972 führte der Weg zum Titel auch 1974 über Polen, das bei der WM in Deutschland seine wohl beste Mannschaft beisammen hatte. Und noch heute gibt es in Menschen Polen, die schwören, ihre Mannschaft hätte am 3. Juli in Frankfurt unter regulären Bedingungen niemals verloren. Im letzten Zwischenrundenspiel, das quasi ein Halbfinale war, wurde Fußballgeschichte geschrieben. Ein überaus heftiger Sommerregen in den Stunden vor dem Anpfiff machte aus dem Spiel eine legendäre "Wasserschlacht", die nur aufgrund des engen Zeitplans ausgetragen wurde. Mit 40-minütiger Verspätung, die Feuerwehrkräfte und Ordner mit Walzen und Schläuchen bedingt erfolgreich zur "Trockenlegung" nutzten, pfiff der Österreicher Erich Linemayr an.

Im ARD-Studio wurde noch die Zuschauerfrage gestellt, ob es erlaubt sei, barfuß zu spielen. Es hätte nichts geändert, manch gut gemeinter Ball strandete in einer Pfütze. Wenn an diesem Tag einer in der Lage war, ein Tor zu schießen, dann Gerd Müller. Und tatsächlich erlöste der Bomber in der 75. Minute die Nation, die nach einem verschossenen Elfmeter von Uli Hoeneß noch gezweifelt hatte am Finaleinzug. Neben "Bomber" Gerd Müller war Torwart Sepp Maier der zweite Held des Tages, er hielt eigentlich unhaltbare Freistöße von Robert Gadocha und Kazimierz Deyna.

Vier Jahre später schrieben die Partner wieder WM-Geschichte - das 0:0 in Buenos Aires gilt als schlechtestes Eröffnungsspiel aller Zeiten. Übergroße Nervosität und ein holpriger Platz prägten ein Spiel zum Abgewöhnen, wie Polens Trainer Jacek Gmoch ohne Widerspruch richtete. Es blieb für 28 Jahre das letzte Pflichtspiel der beiden Nationen.

WM 2006: Flanke Odonkor, Tor Neuville - Polen ist raus

Dreimal sah man sich bis dahin Freundschaft. 1980 in Frankfurt (3:1), als sich der kommende Europameister einspielte, 1981 in Chorzow (2:0) und 1996 in Zabrze (2:0), als deutsche Anhänger aus der Rolle fielen, wurde die Erfolgsserie fortgesetzt. Im zweiten Spiel der Heim-WM 2006 kam es in Dortmund wieder zu einem legendären Spiel, in dem die tapferen Polen bis zur ersten Minute der Nachspielzeit ein glückliches 0:0 verteidigten. Da schlug WM-Debütant David Odonkor eine letzte Flanke auf den anderen Joker Jürgen Klinsmanns - Oliver Neuville. Der drückte den Ball mit langem Bein über die Linie und sorgte für eine Gefühlsexplosion im ganzen Land. "Bei der Flanke wusste ich gar nicht, ob da jemand stand", gab Odonkor offenherzig zu.

Für die Polen bedeutete das Last-Minute-Tor das vorzeitige Aus, für die Deutschen war es die Initialzündung für eine wunderbare WM. Mit Miroslav Klose und Lukas Podolski standen zwei im DFB-Team, die polnische Wurzeln haben und sich nicht ganz so unbändig freuten. Zum Auftakt der EM 2008 in Klagenfurt wiederholte sich das Gefühlsdilemma besonders für Lukas Podolski, der beim 2:0 beide Tore schoss und doch "aus Respekt nicht gejubelt" hat, denn "das Land liegt mir am Herzen".

Und es liegt der deutschen Mannschaft, die bei Turnieren nie ein Tor gegen die Polen kassiert hat. Am 6. September 2011 wäre in Danzig um ein Haar die andere Serie gerissen, nach Jakub Blaszczykowskis Elfmeter zum 2:1 in der 90. Minute war der erste polnische Sieg zum Greifen nahe. Doch noch im Gegenzug glich Joker Cacau aus. Noch immer ist gegen Polen nichts verloren…

0:0 im Mai 2014 in Hamburg: Duell der Rekorde

Denn auch im 18. und vorerst letzten Duell gab es keinen Sieg des östlichen Nachbarn. Das 0:0 am 13. Mai dieses Jahres ging zwar gewiss nicht wegen spielerischer Klasse in die Länderspielhistorie ein, dafür aber wegen einiger Rekorde: Da Joachim Löw auf die Nationalspieler von Bayern München und Borussia Dortmund verzichten musste, die sich vier Tage darauf ein packendes DFB-Pokalfinale in Berlin liefern sollten (2:0 nach Verlängerung für den FC Bayern), machte er aus der Not eine Jugend.

Zwölf Debütanten setzte der experimentierfreudige Bundestrainer ein, davon acht in der Startformation - ein bis dahin und seitdem nie erreichter Wert. Mit durchschnittlich 21,87 Jahren spielte die jüngste deutsche Startelf der Länderspielgeschichte, mit Einwechselspielern die drittjüngste (22,21).

Unter anderem debütierte auch ein gewisser Christoph Kramer. Der Mönchengladbacher durfte danach mit ins Trainingslager nach Südtirol und überzeugte dort so, dass ihn Löw mit Brasilien nahm. Mehr noch: Bei der WM kam Kramer zu drei Einsätzen, im Finale gegen Argentinien durfte er sogar beginnen - und war danach Weltmeister. Der Ausgangspunkt für diesen märchenhaften Aufstieg war die Nullnummer gegen Polen. Durchaus kein schlechtes Omen für heute Abend.