Dietmar Hamann: Der letzte Torschütze im "alten" Wembley

Mit einem Schuss Geschichte schreiben – Dietmar Hamann hat dies geschafft. Am 7. Oktober 2000 spielt Deutschland gegen England im Rahmen der Qualifikation für die WM 2002. In der 14. Minute läuft Hamann zum Freistoß an – und erzielt das 1:0, den Siegtreffer. Es war das letzte Spiel im legendären alten Wembleystadion, ausgerechnet ein Deutscher erzielte das finale Tor. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Steffen Lüdeke erinnert sich Hamann daran - und an die anderen Höhepunkte seiner Karriere.

DFB.de: Herr Hamann, mal wieder steht ein Spiel zwischen Deutschland und England an – im Wembleystadion. Häufen sich die Anrufe bei Ihnen?

Dietmar Hamann: Es hält sich in Grenzen. Natürlich werde ich immer wieder auf mein Tor im alten Wembleystadion angesprochen, aber es ist überschaubar. Dass es jetzt nicht erheblich mehr geworden ist, liegt wahrscheinlich auch daran, dass das Spiel am Dienstag "nur" ein Testländerspiel ist.

DFB.de: Im Gegensatz zum Spiel am Dienstag ging es vor 13 Jahren um richtig viel. Deutschland gegen England, das letzte Spiel im alten Wembley-Stadion, war ein Spiel der Qualifikation zur WM 2002. Wie detailliert sind Ihre Erinnerungen an den 7. Oktober 2000?

Hamann: Es war mein erstes Spiel gegen England, außerdem habe ich damals schon in der Premier League Fußball gespielt. Hinzu kam, dass wir mit der deutschen Nationalmannschaft seit zwei, drei Jahren keinen "großen" Gegner mehr geschlagen hatten. Es stand also einiges auf dem Spiel.

DFB.de: Hat man als Spieler Sinn für die Historie? Wie sehr war Ihnen bewusst, dass das letzte Spiel in Wembley mindestens für den englischen Fußball eine Zäsur darstellt?

Hamann: Doch - die Spieler wissen das. Wir kennen ja die Geschichte dieses Stadions, die legendären Spiele, die es dort gegeben hat. Mir war durchaus bewusst, dass dieses Spiel besondere Umstände hat. Auch die anderen Spieler wussten das. Das alte Wembleystadion war ein Mythos, auch für die Spieler. Während des Spiels hat man dafür dann keine Gedanken mehr, da ist man nur noch auf seine Aufgaben konzentriert. Ich weiß noch, dass das Wetter typisch englisch war, es hat geregnet, der Rasen war glitschig.

DFB.de: Ein Umstand, den Sie beim Tor genutzt haben.



Mit einem Schuss Geschichte schreiben – Dietmar Hamann hat dies geschafft. Am 7. Oktober 2000 spielt Deutschland gegen England im Rahmen der Qualifikation für die WM 2002. In der 14. Minute läuft Hamann zum Freistoß an – und erzielt das 1:0, den Siegtreffer. Es war das letzte Spiel im legendären alten Wembleystadion, ausgerechnet ein Deutscher erzielte das finale Tor. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Steffen Lüdeke erinnert sich Hamann daran - und an die anderen Höhepunkte seiner Karriere.

DFB.de: Herr Hamann, mal wieder steht ein Spiel zwischen Deutschland und England an – im Wembleystadion. Häufen sich die Anrufe bei Ihnen?

Dietmar Hamann: Es hält sich in Grenzen. Natürlich werde ich immer wieder auf mein Tor im alten Wembleystadion angesprochen, aber es ist überschaubar. Dass es jetzt nicht erheblich mehr geworden ist, liegt wahrscheinlich auch daran, dass das Spiel am Dienstag "nur" ein Testländerspiel ist.

DFB.de: Im Gegensatz zum Spiel am Dienstag ging es vor 13 Jahren um richtig viel. Deutschland gegen England, das letzte Spiel im alten Wembley-Stadion, war ein Spiel der Qualifikation zur WM 2002. Wie detailliert sind Ihre Erinnerungen an den 7. Oktober 2000?

Hamann: Es war mein erstes Spiel gegen England, außerdem habe ich damals schon in der Premier League Fußball gespielt. Hinzu kam, dass wir mit der deutschen Nationalmannschaft seit zwei, drei Jahren keinen "großen" Gegner mehr geschlagen hatten. Es stand also einiges auf dem Spiel.

DFB.de: Hat man als Spieler Sinn für die Historie? Wie sehr war Ihnen bewusst, dass das letzte Spiel in Wembley mindestens für den englischen Fußball eine Zäsur darstellt?

Hamann: Doch - die Spieler wissen das. Wir kennen ja die Geschichte dieses Stadions, die legendären Spiele, die es dort gegeben hat. Mir war durchaus bewusst, dass dieses Spiel besondere Umstände hat. Auch die anderen Spieler wussten das. Das alte Wembleystadion war ein Mythos, auch für die Spieler. Während des Spiels hat man dafür dann keine Gedanken mehr, da ist man nur noch auf seine Aufgaben konzentriert. Ich weiß noch, dass das Wetter typisch englisch war, es hat geregnet, der Rasen war glitschig.

DFB.de: Ein Umstand, den Sie beim Tor genutzt haben.

Hamann: Ja, ohne den nassen Rasen hätte ich dieses Tor jedenfalls nicht so erzielt.

DFB.de: Von der Vorgeschichte Ihres Freistoßes gibt es zwei Versionen. Die eine besagt, dass Mehmet Scholl schießen wollte, sie ihn mit den Worten "schleich dich, das ist zu weit für dich" weggeschickt haben. Die andere besagt, dass Scholl Sie zum Schießen aufgefordert hat, weil er einsah, dass die Distanz für ihn zu groß war. Welche Version stimmt?

Hamann: Ganz ehrlich: ich weiß es nicht mehr. Aber es war eigentlich klar, dass es für ihn zu weit war. Er hat die Freistöße ja immer mit viel Gefühl und weniger Tempo geschossen. Das war bei dieser Entfernung nicht erfolgversprechend.

DFB.de: Deswegen haben Sie geschossen. Sie haben den Freistoß ziemlich schnell ausgeführt, die Mauer war noch nicht richtig positioniert.

Hamann: Ja. Ich habe gedacht, ich probiere es mal. Den Ball habe ich gut getroffen und dann war er drin.

DFB.de: Kann David Seaman den halten?

Hamann: Ja, schon. Wobei der Ball durch den nassen Boden natürlich auch immer schneller wurde und er ziemlich genau neben den Pfosten geflogen ist. Ein schlimmer Torwartfehler war es nicht.

DFB.de: Sie haben ganz bewusst flach geschossen.

Hamann: Klar. Ich habe ihn so geschossen, dass er mindestens einmal aufsetzt ist. Zum Glück hat es funktioniert.

DFB.de: Das Spiel gegen England fiel in die Zeit der Aufbruchstimmung unter dem neuen Trainer Rudi Völler, der nach der enttäuschenden EM 2000 Bundestrainer geworden war. Hat diese durch den ersten Sieg gegen einen großen Gegner noch einmal mehr Schub bekommen?

Hamann: Auf alle Fälle. In der Zeit vor Rudi Völler sind einige Dinge nicht so gelaufen. Mit ihm hat sich viel geändert, vor allem die Atmosphäre. Aber auch die Resultate. Schon vor dem Spiel gegen England haben wir einige gute Ergebnisse gehabt, aber dieser Sieg war für unser Selbstbewusstsein sehr wichtig.

DFB.de: Sie standen damals beim FC Liverpool unter Vertrag. Wie war der Empfang im Verein? Haben Sie den englischen Nationalspielern das Ergebnis unter die Nase gerieben?

Hamann: Nein, gar nicht. Schon deswegen nicht, weil die Engländer noch ein WM-Qualifikationsspiel in Finnland hatten. Als ich am Dienstag oder Mittwoch wieder im Training war, war von den Nationalspielern keiner da. Aber auch ansonsten war das Spiel im Verein ziemlich schnell kein Thema mehr. Man geht dann irgendwann zur Tagesordnung über und konzentriert sich auf die gemeinsamen Aufgaben mit dem Klub.

DFB.de: Nach dem Spiel haben deutsche Fans durch eine gemeinsame Aktion im Internet versucht dafür zu sorgen, dass die neue Brücke vom Bahnhof zum neuen Wembleystadion Ihren Namen trägt. Der englische Verband hatte die User bei der Namensgebung einbezogen. Diese Aktion hat damals viele Schlagzeilen produziert. Haben Sie damals davon gewusst?

Hamann: Nicht unmittelbar. Aber als die Aktion einige Zeit gelaufen war, ist mir von ihr erzählt worden. Mir war aber eigentlich klar, dass sie keinen Erfolg haben würde.

DFB.de: Warum nicht?

Hamann: Die Engländer sind gute Verlierer, gute Sportsmänner, sie haben auch einen guten Sinn für Humor. Aber bei aller Liebe – so weit geht es dann doch nicht, dass sie es zulassen, dass sie diese Brücke ausgerechnet nach einem Deutschen benennen würden.

DFB.de: Fanden Sie persönlich die Aktion gut? Hätte es Ihnen gefallen, Namensgeber der Brücke zum Wembleystadion zu sein?

Hamann: Ich hätte mich nicht dagegen gewehrt, wenn es so gekommen wäre. Aber wie gesagt: Ich wusste, dass es für die Engländer niemals in Frage gekommen wäre. Ich fand die Aktion nett und witzig, aber es hätte mich extrem gewundert, wenn sie tatsächlich erfolgreich gewesen wäre.

DFB.de: Die Nationalmannschaft hat am Freitag gegen Italien gespielt – in Mailand. Mit Mailand verbindet Sie ebenfalls eine sehr besondere Geschichte. Stimmt die Annahme, dass das Champions League Finale 2005 mit Liverpool gegen den AC Mailand das verrückteste Fußballspiel Ihrer Karriere war?

Hamann: Ja, überhaupt war es der Höhepunkt meiner Karriere. Das WM-Finale 2002 haben wir ja leider verloren, und danach ist der Champions-League-Titel das Größte, was es für einen Fußballer zu gewinnen gibt. Die Art und Weise des Sieges war unglaublich, wir haben das Spiel gleich mehrmals verloren – und am Ende doch gewonnen.

DFB.de: Sie haben in den Runden zuvor und auch in der Premiere League zumeist von Beginn an gespielt. Im Finale hat Rafael Benitez Sie zunächst auf die Bank gesetzt. Wie haben Sie die ersten 45 Minuten erlebt? Waren Sie sauer auf den Trainer?

Hamann: Es waren gemischte Gefühle. Zunächst einmal war ich niedergeschlagen. Vor allem, weil man sich natürlich einbildet, dass das Spiel anders gelaufen wäre, hätte man selber eingreifen können. Es ist ein Gefühl der Ohnmacht. Als Spieler will man der Mannschaft helfen und kann das nicht tun, wenn man nicht spielt. Und dann muss man tatenlos zusehen, wie eine einmalige Gelegenheit ungenutzt bleibt. Vermeintlich.

DFB.de: Sie haben mal gesagt, dass der AC Mailand in den ersten 45 Minuten auf so hohem Niveau Fußball gespielt hat, dass es für Sie ein Genuss war, diesem Spektakel beizuwohnen. Mit Verlaub, Herr Hamann, das glauben wir Ihnen nicht. Man kann sich doch nicht an der Spielkunst des Gegners erfreuen, wenn so viel auf dem Spiel steht?

Hamann: Warum eigentlich nicht?! Aber es stimmt schon, Genuss ist der falsche Begriff. Es war einfach außergewöhnlich gut, was Milan in der ersten Halbzeit gespielt hat. Es gab Szenen und Momente, die ganz objektiv große Kunst waren. Und es war faszinierend, dies zu sehen.

DFB.de: Sie wurden in der zweiten Halbzeit eingewechselt, 0:3 der Spielstand. Hatten Sie noch einen Funken Hoffnung, dass das Wunder gelingen würde?

Hamann: Ich wusste, dass es nicht sein darf, dass wir dieses Spiel so sang- und klanglos verlieren. Wir hatten in den Runden zuvor Juventus Turin und Chelsea ausgeschaltet. Wir waren eigentlich gut drauf und es unseren Fans schuldig, weiter an uns zu glauben. Und ich wusste, dass Fußballspiele eine komische Eigendynamik bekommen können. Mir war klar, dass wir mit einem frühen Tor für viel Unruhe sorgen könnten. Klar war auch, dass wir sehr nerven- und willenstark waren. Während der gesamten Saison haben wir fast alle knappen Spiele für uns entschieden. Aber dass es dann so läuft, wie es gelaufen ist, dass konnte niemand ahnen. Binnen sechs Minuten haben wir drei Tore erzielt. Gegen eine italienische Mannschaft. Mit so etwas kann man nicht rechnen.

DFB.de:Das Spiel ging in die Verlängerung. Dort haben Sie sich einen Ermüdungsbruch zugezogen.

Hamann: Das ist korrekt. Fünf oder sechs Minuten vor Ende der Verlängerung habe ich mir den Mittelfuß gebrochen.

DFB.de: Laut Wikipedia muss ein Ermüdungsbruch im Fuß wie folgt erstversorgt werden: „Der Verletze ist so wenig wie möglich zu bewegen, der Fuß ist zu fixieren.“ Sie haben weitergespielt – als Fixieren des Fußes kann man das kaum bezeichnen. Wie haben Sie das gemacht?

Hamann: Adrenalin, Endorphine. So sehr habe ich es gar nicht gespürt. Ich habe natürlich gemerkt, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Aber der Schmerz war erträglich. Ich hatte nie den Gedanken vom Feld zu gehen. Wir sprechen hier von der Endphase eines Finales in der Champions League.

DFB.de:Sie mussten auch nicht lange überlegen, als es an die Auswahl der Schützen für das Elfmeterschießen ging. Sie haben sofort „Ja“ gesagt, als Benitez Sie gefragt hat.

Hamann: Genickt habe ich.

DFB.de: Auch als der Trainer festgelegt hat, dass Sie als Erster schießen.

Hamann: Diese Wahl hatte ich nicht. Der Trainer kam dann kurze Zeit später zu mir und hat mich davon in Kenntnis gesetzt. Das war eine Anordnung.

DFB.de: Wie viel hatte diese Wahl mit Ihrer Nationalität zu tun?

Hamann: Vielleicht schon etwas. Wenn man sieht, wie sicher meine Vorgänger in der Nationalmannschaft bei der WM 1990 und der EM 1996 jeweils gegen England die Elfmeter verwandelt haben, dann kann es schon sein, dass Benitez diese Aufgabe auch aufgrund dieser Historie einem Deutschen am ehesten zugetraut hat.

DFB.de: Sie haben ihn nicht enttäuscht.

Hamann: Nein. Wobei es mir auch dadurch einfacher gemacht wurde, dass Serginho den ersten Elfmeter für Milan verschossen hat. Für mich war der Druck dadurch weniger massiv. Und zum Glück habe ich getroffen - und wir dann später das Elfmeterschießen und damit den Titel gewonnen.

DFB.de: Der Empfang in Liverpool soll unbeschreiblich gewesen sein. Erzählen Sie mal ein bisschen.

Hamann: Es war einfach nur gigantisch. Es waren eine Million Menschen unterwegs, die ganze Stadt. Wir sind vom Flughafen in die Stadt durch eine Menschenmenge gefahren. Es gab bemerkenswerte Szenen, mich haben am meisten die vielen älteren Menschen bewegt, die seit den 70er-Jahren auf so einen Erfolg gewartet haben. Das Glück ihn Ihren Auge zu sehen, den Stolz, auch die Dankbarkeit, viele dieser Bilder haben sich eingeprägt.

DFB.de: Sie haben immer betont, dass der FC Liverpool "Ihre Liebe", "Ihr Verein" ist. Neben den Erfolgen, woran haben Sie dies festgemacht?

Hamann: Wenn man neu in einen Verein kommt, dann merkt man ziemlich schnell, ob man zu diesem Verein passt oder ob nicht. Ich habe in Liverpool schon nach wenigen Tagen gefühlt, dass es einfach funktioniert. Der Verein, die Mitspieler, das Umfeld, die Fans, die Stadt – das hat irgendwie zu mir gepasst. Hinzu kommt dann natürlich der Erfolg. In Liverpool habe ich mich immer wohlgefühlt, das hat sich bis heute nicht geändert.

DFB.de: Haben Sie noch den Wunsch, diesen Verein eines Tages zu trainieren?

Hamann: Nicht wirklich. Ich wurde mal gefragt, bei welchen Vereinen mich der Trainerjob reizen würde. Darauf habe ich geantwortet: Bayern und Liverpool. Das ist aber keine Ambition, die ich konkret verfolge. Aber wer weiß, wie sich die Dinge entwickeln. Wenn sich eine Tages die Möglichkeit ergeben sollte, dann würde ich bestimmt nicht nein sagen.