DFB-Studie „Fußball unterm Hakenkreuz“ in Berlin vorgestellt

Der Deutsche Fußball-Bund hat in Berlin die Ergebnisse einer Studie zur Verbandsgeschichte zwischen 1933 und 1945 der Öffentlichkeit vorgestellt. Das 473 Seiten starke Werk mit dem Titel "Fußball unterm Hakenkreuz – Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz" erscheint im Campus Verlag Frankfurt/New York und ist seit Dienstag zu einem Preis von 19,90 Euro im Buchhandel erhältlich.

Teilnehmer der Pressekonferenz in der Mercedes-Welt am Salzufer waren der Bundesminister des Innern, Otto Schily, der Geschäftsführende DFB-Präsident, Dr. Theo Zwanziger, der 1. DFB-Vizepräsident Amateure, Engelbert Nelle, der DFB-Vizepräsident für sozial- und gesellschaftspolitische Aufgaben, Karl Schmidt, der Autor der Studie, Dr. Nils Havemann (Mainz), und der wissenschaftliche Leiter der Studie Prof. Klaus Hildebrand (Universität Bonn). Nicht anwesend sein konnten DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder und Ligapräsident Werner Hackmann wegen ihrer Teilnahme beim FIFA-Kongress in Marrakesch.

Die Studie ist das Ergebnis von drei Jahren intensiver Forschung durch die unabhängigen Historiker Dr. Nils Havemann und Prof. Klaus Hildebrand. Beide waren vom DFB-Präsidium im Juli 2001 beauftragt worden, die Geschichte des DFB im „Dritten Reich“ zu erforschen. Vorausgegangen war seinerzeit bereits ein halbjähriges Vorprojekt zur Erschließung und Sichtung wichtiger Quellen. Die beiden Historiker haben dem DFB die Ergebnisse ihrer Arbeit vertragsgemäß Anfang des Jahres vorgelegt. Nun werden sie auch der Öffentlichkeit in unveränderter Form vorgelegt.

"Die Studie", so Autor Havemann anlässlich der Pressekonferenz zum Inhalt seiner Aufarbeitung, "verdeutlicht die enge Verflechtung zwischen Sport, Politik und Kommerz in der Zeit des Nationalsozialismus. Sie zeigt, wie eng der Verband insbesondere in den ersten Jahren nach der ,Machtergreifung’ mit der nationalsozialistischen Regierung kooperierte, um die eigene Organisation zu erhalten. So ging der DFB, der sich 1933 in einer existenzbedrohenden Krise befunden hatte, zunächst als Gewinner aus der Zeitenwende hervor. Hinter der anfänglichen Begeisterung für das nationalsozialistische Regime verbarg sich allerdings meist keine bestimmte Ideologie. Unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und politischen Grundorientierung stand für viele Vereine, Funktionäre und Sportler zunächst die Einschätzung im Vordergrund, dass es nach 1933 in allen Bereichen rasant aufwärts zu gehen schien. Man ließ sich von den bombastischen Massenveranstaltungen und der Atmosphäre in den Stadien und nicht zuletzt von den vielen materiellen Privilegien für Verband und Vereine verführen, die das Regime Sportlern und Funktionären verschaffte. Die Begeisterung nahm nach 1935 allmählich ab. Das NS-Regime, das die grundsätzliche Ausrichtung des DFB für unvereinbar mit der nationalsozialistischen Weltanschauung hielt, begann sich in die Kompetenzen des Verbandes einzumischen, um ihn schließlich schrittweise aufzulösen. Zunehmend bestimmten Nähe und Distanz der DFB-Funktionäre zum Regime sich danach, inwieweit der Einzelne seine beruflichen Ambitionen und persönlichen Interessen wahren konnte. Obwohl nur wenige von ihnen der Menschen verachtenden NS-Ideologie anhingen, trugen die meisten Mitglieder des DFB somit – zumeist aus Gedankenlosigkeit, willentlicher Ignoranz, Opportunismus oder beruflichem Ehrgeiz – zur Stabilität der nationalsozialistischen Herrschaft bei. Wie so viele andere machten auch sie sich dadurch mitschuldig an Unterdrückung, Verfolgung, Krieg und Vernichtung."

Prof. Klaus Hildebrand, der die wissenschaftliche Leitung der Studie übernommen hatte, hob insbesondere die Qualität der vorgelegten Studie hervor: "Sie lässt alle bislang erschienen Publikationen zu diesem Thema qualitativ weit hinter sich. Auf einer bislang nicht annährend erreichten Quellenbasis wird die Geschichte des DFB so umfassend, abgewogen und kritisch wie nur möglich dargestellt. Der Autor zeigt, dass der DFB - wie andere Großorganisationen auch – im Ansehnlichen wie im Unansehnlichen, im Guten wie im Bösen untrennbar in die nationalsozialistische Diktatur verwoben war." Im Rahmen seiner Forschungen hatte Autor Nils Havemann in mehr als 40 in- und ausländischen Archiven recherchiert und dabei viele bislang unveröffentlichte Quellen gefunden.

Innen- und Sportminister Otto Schily begrüßte die Erarbeitung der Studie und spornte zu weiteren wissenschaftlichen Forschungen auf diesem Gebiet an: "Ich bin mir sicher, dass von dieser Studie neue Anregungen ausgehen, sich noch intensiver mit der Geschichte des Fußballs unterm Hakenkreuz zu beschäftigen." Darüber hinaus lobte er den DFB, sich nicht mit der Vorlage der Studie zu begnügen, sondern zukunftsweisende gesellschaftspolitische Projekte anzustoßen: "Allein die Stiftung des Julius Hirsch Preises spricht für sich. Dieses Engagement begrüße ich ausdrücklich."

Dr. Theo Zwanziger, Geschäftsführender Präsident des DFB, äußerte sich anlässlich der Pressekonferenz nachdenklich: "Ich danke den Wissenschaftlern für ihre Arbeit. Ich bin froh, dass nun eine unabhängige Studie zur Vergangenheit unseres Verbandes vorliegt, die weder schönt noch in Bausch und Bogen verdammt. Die Entscheidung des DFB-Präsidiums im Jahr 2001 war richtig. Es ist als öffentlich sehr präsenter Verband mit über sechs Millionen Mitgliedern, darunter vielen Kindern und Jugendlichen, einfach unsere Pflicht, uns auch mit den dunklen Kapiteln unserer Geschichte auseinanderzusetzen."

Gleichzeitig kündigte er eine Reihe von Maßnahmen für die kommenden Monate an: "Als ich die Studie Anfang des Jahres gelesen hatte, war mir sofort klar, dass es damit nicht sein Bewenden haben kann. Wir tragen als Sportverband auch gesellschaftliche und soziale Verantwortung – gerade an dieser Einsicht hat es zwischen 1933 und 1945 gemangelt."

Im Mittelpunkt der Maßnahmen steht die Stiftung des Julius Hirsch Preises für Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Diskriminierung. Die Auszeichnung erinnert an den siebenmaligen deutschen Nationalspieler Julius Hirsch, der als Jude im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde.

Darüber hinaus sollen die Ergebnisse der Studie im Rahmen eines Symposiums am 7./8. April 2006 in der Evangelischen Akademie Bad Boll mit wissenschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen und kirchlichen Gästen diskutiert und vertieft werden. Dabei soll unter anderem die Frage nach dem Umgang des Sports mit seiner Geschichte nach 1945 im Mittelpunkt stehen. Dr. Zwanziger kündigte weiterhin an, dass sich das DFB-Präsidium in den kommenden Monaten eingehend mit weiteren Vorschlägen beschäftigen wird.

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Der Deutsche Fußball-Bund hat in Berlin die Ergebnisse einer Studie zur Verbandsgeschichte zwischen 1933 und 1945 der Öffentlichkeit vorgestellt. Das 473 Seiten starke Werk mit dem Titel "Fußball unterm Hakenkreuz – Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz" erscheint im Campus Verlag Frankfurt/New York und ist seit Dienstag zu einem Preis von 19,90 Euro im Buchhandel erhältlich.



Teilnehmer der Pressekonferenz in der Mercedes-Welt am Salzufer waren der Bundesminister des Innern, Otto Schily, der Geschäftsführende DFB-Präsident, Dr. Theo Zwanziger, der 1. DFB-Vizepräsident Amateure, Engelbert Nelle, der DFB-Vizepräsident für sozial- und gesellschaftspolitische Aufgaben, Karl Schmidt, der Autor der Studie, Dr. Nils Havemann (Mainz), und der wissenschaftliche Leiter der Studie Prof. Klaus Hildebrand (Universität Bonn). Nicht anwesend sein konnten DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder und Ligapräsident Werner Hackmann wegen ihrer Teilnahme beim FIFA-Kongress in Marrakesch.



Die Studie ist das Ergebnis von drei Jahren intensiver Forschung durch die unabhängigen Historiker Dr. Nils Havemann und Prof. Klaus Hildebrand. Beide waren vom DFB-Präsidium im Juli 2001 beauftragt worden, die Geschichte des DFB im „Dritten Reich“ zu erforschen. Vorausgegangen war seinerzeit bereits ein halbjähriges Vorprojekt zur Erschließung und Sichtung wichtiger Quellen. Die beiden Historiker haben dem DFB die Ergebnisse ihrer Arbeit vertragsgemäß Anfang des Jahres vorgelegt. Nun werden sie auch der Öffentlichkeit in unveränderter Form vorgelegt.



"Die Studie", so Autor Havemann anlässlich der Pressekonferenz zum Inhalt seiner Aufarbeitung, "verdeutlicht die enge Verflechtung zwischen Sport, Politik und Kommerz in der Zeit des Nationalsozialismus. Sie zeigt, wie eng der Verband insbesondere in den ersten Jahren nach der ,Machtergreifung’ mit der nationalsozialistischen Regierung kooperierte, um die eigene Organisation zu erhalten. So ging der DFB, der sich 1933 in einer existenzbedrohenden Krise befunden hatte, zunächst als Gewinner aus der Zeitenwende hervor. Hinter der anfänglichen Begeisterung für das nationalsozialistische Regime verbarg sich allerdings meist keine bestimmte Ideologie. Unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und politischen Grundorientierung stand für viele Vereine, Funktionäre und Sportler zunächst die Einschätzung im Vordergrund, dass es nach 1933 in allen Bereichen rasant aufwärts zu gehen schien. Man ließ sich von den bombastischen Massenveranstaltungen und der Atmosphäre in den Stadien und nicht zuletzt von den vielen materiellen Privilegien für Verband und Vereine verführen, die das Regime Sportlern und Funktionären verschaffte. Die Begeisterung nahm nach 1935 allmählich ab. Das NS-Regime, das die grundsätzliche Ausrichtung des DFB für unvereinbar mit der nationalsozialistischen Weltanschauung hielt, begann sich in die Kompetenzen des Verbandes einzumischen, um ihn schließlich schrittweise aufzulösen. Zunehmend bestimmten Nähe und Distanz der DFB-Funktionäre zum Regime sich danach, inwieweit der Einzelne seine beruflichen Ambitionen und persönlichen Interessen wahren konnte. Obwohl nur wenige von ihnen der Menschen verachtenden NS-Ideologie anhingen, trugen die meisten Mitglieder des DFB somit – zumeist aus Gedankenlosigkeit, willentlicher Ignoranz, Opportunismus oder beruflichem Ehrgeiz – zur Stabilität der nationalsozialistischen Herrschaft bei. Wie so viele andere machten auch sie sich dadurch mitschuldig an Unterdrückung, Verfolgung, Krieg und Vernichtung."




Prof. Klaus Hildebrand, der die wissenschaftliche Leitung der Studie übernommen hatte, hob insbesondere die Qualität der vorgelegten Studie hervor: "Sie lässt alle bislang erschienen Publikationen zu diesem Thema qualitativ weit hinter sich. Auf einer bislang nicht annährend erreichten Quellenbasis wird die Geschichte des DFB so umfassend, abgewogen und kritisch wie nur möglich dargestellt. Der Autor zeigt, dass der DFB - wie andere Großorganisationen auch – im Ansehnlichen wie im Unansehnlichen, im Guten wie im Bösen untrennbar in die nationalsozialistische Diktatur verwoben war." Im Rahmen seiner Forschungen hatte Autor Nils Havemann in mehr als 40 in- und ausländischen Archiven recherchiert und dabei viele bislang unveröffentlichte Quellen gefunden.



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Innen- und Sportminister Otto Schily begrüßte die Erarbeitung der Studie und spornte zu weiteren wissenschaftlichen Forschungen auf diesem Gebiet an: "Ich bin mir sicher, dass von dieser Studie neue Anregungen ausgehen, sich noch intensiver mit der Geschichte des Fußballs unterm Hakenkreuz zu beschäftigen." Darüber hinaus lobte er den DFB, sich nicht mit der Vorlage der Studie zu begnügen, sondern zukunftsweisende gesellschaftspolitische Projekte anzustoßen: "Allein die Stiftung des Julius Hirsch Preises spricht für sich. Dieses Engagement begrüße ich ausdrücklich."



Dr. Theo Zwanziger, Geschäftsführender Präsident des DFB, äußerte sich anlässlich der Pressekonferenz nachdenklich: "Ich danke den Wissenschaftlern für ihre Arbeit. Ich bin froh, dass nun eine unabhängige Studie zur Vergangenheit unseres Verbandes vorliegt, die weder schönt noch in Bausch und Bogen verdammt. Die Entscheidung des DFB-Präsidiums im Jahr 2001 war richtig. Es ist als öffentlich sehr präsenter Verband mit über sechs Millionen Mitgliedern, darunter vielen Kindern und Jugendlichen, einfach unsere Pflicht, uns auch mit den dunklen Kapiteln unserer Geschichte auseinanderzusetzen."



Gleichzeitig kündigte er eine Reihe von Maßnahmen für die kommenden Monate an: "Als ich die Studie Anfang des Jahres gelesen hatte, war mir sofort klar, dass es damit nicht sein Bewenden haben kann. Wir tragen als Sportverband auch gesellschaftliche und soziale Verantwortung – gerade an dieser Einsicht hat es zwischen 1933 und 1945 gemangelt."



Im Mittelpunkt der Maßnahmen steht die Stiftung des Julius Hirsch Preises für Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Diskriminierung. Die Auszeichnung erinnert an den siebenmaligen deutschen Nationalspieler Julius Hirsch, der als Jude im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde.



Darüber hinaus sollen die Ergebnisse der Studie im Rahmen eines Symposiums am 7./8. April 2006 in der Evangelischen Akademie Bad Boll mit wissenschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen und kirchlichen Gästen diskutiert und vertieft werden. Dabei soll unter anderem die Frage nach dem Umgang des Sports mit seiner Geschichte nach 1945 im Mittelpunkt stehen. Dr. Zwanziger kündigte weiterhin an, dass sich das DFB-Präsidium in den kommenden Monaten eingehend mit weiteren Vorschlägen beschäftigen wird.