Mehr als nur Deutsch lernen: Fußballvereine schulen Flüchtlinge

Cacau und Stefan Reuß stellen ein Modellprojekt vor, mit dem Fußballvereine in Hessen Flüchtlinge beim Erlernen eines Grundwortschatzes unterstützen. Der neue DFB-Integrationsbeauftragte und der neue Präsident des Hessischen Fußball-Verbandes präsentierten VORTEIL! gestern Abend bei der TSG Hofgeismar. In 27 von 32 hessischen Fußballkreisen wird VORTEIL! in den kommenden Monaten umgesetzt. Doch es geht um mehr als nur um den Spracherwerb. DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth hat einen Schulungsabend mit syrischen und afghanischen Flüchtlingen besucht.

Elf treten ein, na das passt ja. Neun junge Männer, zwischen 17 und 20,  zwei weitere sind bereits in den 30er Jahren. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, einer aus Nordafrika. Passend zu ihrem jugendlichen Alter ist ihnen ihre politische und wirtschaftliche Bedeutung in der gegenwärtigen deutschen Großwetterlage gelinde gesagt ziemlich gleichgültig. Sie haben alle sehr coole Frisuren, was an Ibrahem liegen kann, altersgemäß starren sie bis zum Unterrichtsbeginn ziemlich ununterbrochen auf ihre Smartphones. Einer trägt eine schwarze Raver-Mütze. New York City steht auf der Kappe.

In Hessen startet Projekt "VORTEIL!"

Nicht ganz. Hofgeismar. Nördlichster Zipfel Hessens. Hier im Besprechungsraum des Kreisligaklubs TSG Hofgeismar findet eine Unterrichtsstunde von "VORTEIL!" statt, einer Sprachschulung für Flüchtlinge beim Fußball, durch den Fußball, mit dem Fußball. In 27 von 32 Kreisen des Hessischen Fußball-Verbandes (HFV) läuft "VORTEIL!" dieser Tage an. Träger des Projekts ist die Sozialstiftung des Hessischen Fußballs, Projektpartner sind der HFV, die Bundeszentrale für Politische Bildung, die Sportjugend Hessen mit dem Programm "Integration durch Sport" und die DFB-Kulturstiftung. "Es ist ein einzigartiges Projekt", sagt Stefan Reuß, seit Sommer HFV-Präsident und seit kurzem Vorsitzender der Sozialstiftung. "Tausende Fußballvereine in Deutschland erbringen zur Integration von Flüchtlingen eine große zivilgesellschaftliche Leistung. Jeder strickt sein eigenes Programm. Mit "Vorteil!" bieten wir eine zentrale Schulungsmaßnahme an."

Die Sprachförderung durch den Fußball füllt eine Leerstelle, denn bis zur Gewährung des Asyls oder des Duldungsstatus haben geflüchtete Menschen keinen Anspruch auf einen Deutschkurs. Durch die 32 Lerneinheiten an acht Schulungsabenden sollen neben den gängigsten Fußballvokabeln auch Basiswissen über die Strukturen des Vereins und des DFB sowie Werte des Fußballs vermittelt werden. Teilnehmer und Teilnehmerinnen sollen sich mit dem Demokratie- und Werteverständnis im Vereinsleben auseinandersetzen und auf die deutsche Gesellschaft transferieren.

Fußball als wichtiger Faktor bei der Integration

"Flüchtlinge kommen aus Ländern zu uns, in denen die Vorstellungen zur Rolle der Frau, über Meinungsfreiheit oder Kritikfähigkeit stark von unseren divergieren. Unsere Werte und Kompetenzen können geflüchtete Menschen im Fußballverein kennenlernen. Zumindest wollen wir die Leute erstmals dafür antippen", sagt der Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung, Thomas Krüger. Olliver Tietz, Geschäftsführer der DFB-Kulturstiftung, berichtet: "2015 wurden in den DFB-Landesverbänden 40.000 internationale Spielerpässe ausgestellt. Standard sind 10.000 pro Jahr. Wenn man dann noch überlegt, dass die Mehrzahl der Flüchtlinge in freien Fußballangeboten der Vereine spielen, wird deutlich, welche Rolle der Fußball bei der Integration geflüchteter Menschen ausfüllt." Doch mahnt Tietz zur Geduld: "Auch wenn der Vereinsfußball günstige Rahmenbedingungen bietet: Integration ist und bleibt eine Langzeitaufgabe."



Cacau und Stefan Reuß stellen ein Modellprojekt vor, mit dem Fußballvereine in Hessen Flüchtlinge beim Erlernen eines Grundwortschatzes unterstützen. Der neue DFB-Integrationsbeauftragte und der neue Präsident des Hessischen Fußball-Verbandes präsentierten VORTEIL! gestern Abend bei der TSG Hofgeismar. In 27 von 32 hessischen Fußballkreisen wird VORTEIL! in den kommenden Monaten umgesetzt. Doch es geht um mehr als nur um den Spracherwerb. DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth hat einen Schulungsabend mit syrischen und afghanischen Flüchtlingen besucht.

Elf treten ein, na das passt ja. Neun junge Männer, zwischen 17 und 20,  zwei weitere sind bereits in den 30er Jahren. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, einer aus Nordafrika. Passend zu ihrem jugendlichen Alter ist ihnen ihre politische und wirtschaftliche Bedeutung in der gegenwärtigen deutschen Großwetterlage gelinde gesagt ziemlich gleichgültig. Sie haben alle sehr coole Frisuren, was an Ibrahem liegen kann, altersgemäß starren sie bis zum Unterrichtsbeginn ziemlich ununterbrochen auf ihre Smartphones. Einer trägt eine schwarze Raver-Mütze. New York City steht auf der Kappe.

In Hessen startet Projekt "VORTEIL!"

Nicht ganz. Hofgeismar. Nördlichster Zipfel Hessens. Hier im Besprechungsraum des Kreisligaklubs TSG Hofgeismar findet eine Unterrichtsstunde von "VORTEIL!" statt, einer Sprachschulung für Flüchtlinge beim Fußball, durch den Fußball, mit dem Fußball. In 27 von 32 Kreisen des Hessischen Fußball-Verbandes (HFV) läuft "VORTEIL!" dieser Tage an. Träger des Projekts ist die Sozialstiftung des Hessischen Fußballs, Projektpartner sind der HFV, die Bundeszentrale für Politische Bildung, die Sportjugend Hessen mit dem Programm "Integration durch Sport" und die DFB-Kulturstiftung. "Es ist ein einzigartiges Projekt", sagt Stefan Reuß, seit Sommer HFV-Präsident und seit kurzem Vorsitzender der Sozialstiftung. "Tausende Fußballvereine in Deutschland erbringen zur Integration von Flüchtlingen eine große zivilgesellschaftliche Leistung. Jeder strickt sein eigenes Programm. Mit "Vorteil!" bieten wir eine zentrale Schulungsmaßnahme an."

Die Sprachförderung durch den Fußball füllt eine Leerstelle, denn bis zur Gewährung des Asyls oder des Duldungsstatus haben geflüchtete Menschen keinen Anspruch auf einen Deutschkurs. Durch die 32 Lerneinheiten an acht Schulungsabenden sollen neben den gängigsten Fußballvokabeln auch Basiswissen über die Strukturen des Vereins und des DFB sowie Werte des Fußballs vermittelt werden. Teilnehmer und Teilnehmerinnen sollen sich mit dem Demokratie- und Werteverständnis im Vereinsleben auseinandersetzen und auf die deutsche Gesellschaft transferieren.

Fußball als wichtiger Faktor bei der Integration

"Flüchtlinge kommen aus Ländern zu uns, in denen die Vorstellungen zur Rolle der Frau, über Meinungsfreiheit oder Kritikfähigkeit stark von unseren divergieren. Unsere Werte und Kompetenzen können geflüchtete Menschen im Fußballverein kennenlernen. Zumindest wollen wir die Leute erstmals dafür antippen", sagt der Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung, Thomas Krüger. Olliver Tietz, Geschäftsführer der DFB-Kulturstiftung, berichtet: "2015 wurden in den DFB-Landesverbänden 40.000 internationale Spielerpässe ausgestellt. Standard sind 10.000 pro Jahr. Wenn man dann noch überlegt, dass die Mehrzahl der Flüchtlinge in freien Fußballangeboten der Vereine spielen, wird deutlich, welche Rolle der Fußball bei der Integration geflüchteter Menschen ausfüllt." Doch mahnt Tietz zur Geduld: "Auch wenn der Vereinsfußball günstige Rahmenbedingungen bietet: Integration ist und bleibt eine Langzeitaufgabe."

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In Hofgeismar läuft vieles richtig, denn Marcel Bietendorf macht seine Sache super. Der HFV-Referent lässt zu Beginn der Stunde Vokabelkärtchen verteilen. Ball, Spielfeld, Seitenlinie, gestrecktes Bein, Mittelfeld. Die Begriffe stehen auf Deutsch, Englisch und Arabisch nebst einer Illustration auf den Kärtchen. Die meisten seiner elf Schüler sprechen kaum Deutsch. Sie wissen so viel über Fußball und so wenig über die deutsche Sprache. Wer steht im Torraum? Der Torwart. Und was macht er da? Schüsse parieren, Bälle halten, Tore verhindern. Sie wollen die Antwort geben, aber ihnen fehlen die Worte. Bietendorf spricht selbst mit Händen und Füßen, holt einige nach vorne, um vorzumachen, was sie nicht sagen können. Vor allem wird viel gelacht. Bietendorf ist Inhaber einer B-Lizenz. Immer wieder macht er einen Scherz, entspannt so die Situation. Er sagt: "Wir fangen bei Null an. So eine Stunde ist immer sehr unkonventionell."

Ibrahem und Bashir sind zwei von Bietendorfs Schülern. Ibrahem stammt aus al-Malikiya, einer Stadt im Nordosten Syriens. Als er 14 war, lernte er den Beruf des Friseurs, mit 16 Jahren floh er nach Deutschland, wie so viele während des eskalierenden Bürgerkriegs im Sommer 2015. Ibrahem sagt, dass er in Hofgeismar bleiben und nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zum Friseur beginnen will. Für den weiten Weg von Afghanistan nach Deutschland benötigte der 19-jährige Bashir 45 Tage. Eine schlimme Zeit, berichtet er, manchmal haben er und andere Männer auf der Ladefläche eines LKW gesessen, den ganzen Tag, das Wasser ging ihnen aus.

Schwierigste Umstellung: Die Sache mit der Pünktlichkeit

Bashir lebt jetzt in einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge, Ibrahem in einer Wohngemeinschaft mit anderen Jugendlichen. Er sagt: "Der Kurs ist gut, wir haben schon viel gelernt". Auch wenn die Unterrichtsstunde zu den Werten noch aussteht, wissen beide, worum es geht. "In meiner Heimat ist es ein Zeichen des Respekts der Frau für ihren Mann, wenn sie nicht arbeiten geht und in der Öffentlichkeit nur er spricht. Ich weiß, dass die Deutschen das anders machen", sagt Bashir. Sie lächeln bei der Frage, wie es wäre, wenn irgendwann eine Schiedsrichterin auf dem Platz stände. "Kein Problem", sagen beide. Ohnehin sei die schwerste Umstellung die Sache mit der Pünktlichkeit.

"Zum Spiel sind alle da, aber beim Training, da streckt sich das über eine halbe Stunde, bis alle eingetroffen sind", erzählt Maik Kolle mit einem Augenzwinkern. Der 45-jährige Postangestellte leitet die Fußballabteilung des TSV Hofgeismar. 210 Mitgliedern steht Kolle vor, doch "unsere zweite Mannschaft hätten wir ohne Flüchtlinge nicht mehr anmelden können". Dass Vielfalt bereichert, meint auch Kolle. "Wir haben da eine Menge lieber Kerle im Klub. Die tragen immer den Ballsack und die Schuhkiste."

Bislang habe er keine negativen Erfahrung gemacht, sagt Maik Kolle über seine "Flüchtlings-Fußballer". Durch "VORTEIL!" soll das Verständnis füreinander nun noch besser werden. Die Stunde Pauken ist rum. Jetzt geht’s raus auf den Platz. Und vom Platzrand hört man sie rufen: "Eckball". "Einwurf". "Doppelpass".

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