Bierhoffs WM-Blog: "Die zweite Reihe muss Druck machen"

Der Countdown läuft für die Weltmeisterschaft in Brasilien - und damit auch für die deutsche WM-Mission. Sportlich und organisatorisch. Genau an der Schnittstelle wirkt Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft. Jede Woche berichtet der 45-Jährige darüber, exklusiv für die User von DFB.de. Bierhoffs WM-Blog - heute erinnert sich der 45-Jährige an seine persönlichen WM-Geschichten.

Liebe Fans der Nationalmannschaft,

30. Juni 2002, das WM-Finale läuft. Ich sitze auf der Bank, versuche mich zu konzentrieren. Und warte. Kommt meine Chance? Wann darf ich aufs Feld? Natürlich denke ich auch an 1996. Während ich in Yokohama am Spielfeldrand mitfiebere, tauchen die Bilder vom EM-Finale im Wembleystadion vor meinem Auge auf. Die Situation ist vergleichbar, wieder ein großes Turnier, wieder ein Endspiel, wieder liegen wir 0:1 zurück. Und wieder muss ich das Spiel zunächst von der Bank aus betrachten.

Die Geschichte aus dem EM-Finale im Wembleystadion ist oft erzählt. Meine späte Einwechslung, der Ausgleich zum 1:1, dann das Golden Goal. Sechs Jahre später hat sich Geschichte nicht wiederholt. Leider. Obwohl wir einige damit überrascht haben, wie gut wir uns über weite Strecken gegen Brasilien präsentieren konnten. Uns kam entgegen, dass wir Außenseiter waren. Der Druck lag bei Brasilien, sie mussten das Spiel machen, von ihnen wurde das Spektakel erwartet. Das hat sie gelähmt. Und uns lag es, gegen den Ball zu arbeiten.

Mir war bereits im Vorfeld des Endspiells klar, dass wir nur eine Chance hätten, wenn wir mit der gleichen Effizienz spielen würden, die uns zuvor im Turnier ausgezeichnet hat. Wieder zurück ins Spiel: In der 74. Minute kommt meine Chance. Rudi Völler wechselt mich für Miro Klose ein, wir liegen immer noch mit 0:1 zurück. Ich renne aufs Feld und hoffe auf meinen Moment, darauf, dass 1996 eine Wiederholung findet. Doch ein zweites Mal wendet sich mir das Glück im Finale eines großen Turniers nicht zu. Fünf Minuten nach meiner Einwechslung besiegelt Ronaldo mit seinem zweiten Treffer unsere Niederlage. Nach dem 0:2 gibt es kaum noch Hoffnung, dass dieses Finale noch eine Wende erfährt.

Meine Karriere in der Nationalmannschaft war mit diesem Spiel beendet. Schon vor dem Turnier hatte ich beschlossen, dass ich mit dem letzten WM-Spiel auch mein letztes Spiel für Deutschland bestreiten würde. Ich war 34 Jahre alt, es war einfach an der Zeit. Mein Abschied kam also nicht schnell und überraschend, ich hatte Gelegenheit, mich darauf einzustellen und vorzubereiten. Daher war ich auch nicht wehmütig oder sonderlich emotional an diesem Abend des 30. Juni 2002. Ich war eher dankbar, dass ich diese Erfahrung noch machen und meine Nationalmannschaftskarriere in einem WM-Finale beenden durfte.

Bei der WM in Japan und Südkorea hat Rudi Völler zuerst auf andere Stürmer gesetzt. Für mich hieß das: Andere Spieler standen mehr im Fokus. Fünfmal kam ich zum Einsatz, aber fünfmal wurde ich "nur" eingewechselt. Das hat mir natürlich nicht gefallen, aber ich habe die Entscheidung von Rudi Völler akzeptiert und versucht, als Reservist der Mannschaft zu helfen. Auch wer kein Stammspieler ist, kann entscheidenden Beitrag zum Erfolg leisten - das ist keine Floskel.

Die Spieler aus der zweiten Reihe müssen Druck machen, sie müssen sich anbieten, sie müssen mit dafür sorgen, dass der Fokus bei allen geschärft bleibt. Ganz wesentlich die Spieler aus der zweiten Reihe sind es, die für Klima und Stimmung innerhalb der Mannschaft verantwortlich sind. Aber auch für das sportliche Niveau. Entscheidend für ein erfolgreiches Turnier ist, dass die Teams nicht nachlassen. Und das kann nur gelingen, wenn die Stammspieler wissen, dass hinter ihnen Akteure alles dafür tun, um beim nächsten Mal von Beginn an dabei zu sein.

Ich hatte überragende Jahre und Erlebnisse mit der Nationalmannschaft, das Finale bei der WM 2002 gehört dazu. Höhepunkt wird immer die EM 1996 in England bleiben, daneben war es die WM 1998. In der Rückschau wird die WM in Frankreich von vielen als große Enttäuschung bewertet. Ich sehe das anders.



Der Countdown läuft für die Weltmeisterschaft in Brasilien - und damit auch für die deutsche WM-Mission. Sportlich und organisatorisch. Genau an der Schnittstelle wirkt Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft. Jede Woche berichtet der 45-Jährige darüber, exklusiv für die User von DFB.de. Bierhoffs WM-Blog - heute erinnert sich der 45-Jährige an seine persönlichen WM-Geschichten.

Liebe Fans der Nationalmannschaft,

30. Juni 2002, das WM-Finale läuft. Ich sitze auf der Bank, versuche mich zu konzentrieren. Und warte. Kommt meine Chance? Wann darf ich aufs Feld? Natürlich denke ich auch an 1996. Während ich in Yokohama am Spielfeldrand mitfiebere, tauchen die Bilder vom EM-Finale im Wembleystadion vor meinem Auge auf. Die Situation ist vergleichbar, wieder ein großes Turnier, wieder ein Endspiel, wieder liegen wir 0:1 zurück. Und wieder muss ich das Spiel zunächst von der Bank aus betrachten.

Die Geschichte aus dem EM-Finale im Wembleystadion ist oft erzählt. Meine späte Einwechslung, der Ausgleich zum 1:1, dann das Golden Goal. Sechs Jahre später hat sich Geschichte nicht wiederholt. Leider. Obwohl wir einige damit überrascht haben, wie gut wir uns über weite Strecken gegen Brasilien präsentieren konnten. Uns kam entgegen, dass wir Außenseiter waren. Der Druck lag bei Brasilien, sie mussten das Spiel machen, von ihnen wurde das Spektakel erwartet. Das hat sie gelähmt. Und uns lag es, gegen den Ball zu arbeiten.

Mir war bereits im Vorfeld des Endspiells klar, dass wir nur eine Chance hätten, wenn wir mit der gleichen Effizienz spielen würden, die uns zuvor im Turnier ausgezeichnet hat. Wieder zurück ins Spiel: In der 74. Minute kommt meine Chance. Rudi Völler wechselt mich für Miro Klose ein, wir liegen immer noch mit 0:1 zurück. Ich renne aufs Feld und hoffe auf meinen Moment, darauf, dass 1996 eine Wiederholung findet. Doch ein zweites Mal wendet sich mir das Glück im Finale eines großen Turniers nicht zu. Fünf Minuten nach meiner Einwechslung besiegelt Ronaldo mit seinem zweiten Treffer unsere Niederlage. Nach dem 0:2 gibt es kaum noch Hoffnung, dass dieses Finale noch eine Wende erfährt.

Meine Karriere in der Nationalmannschaft war mit diesem Spiel beendet. Schon vor dem Turnier hatte ich beschlossen, dass ich mit dem letzten WM-Spiel auch mein letztes Spiel für Deutschland bestreiten würde. Ich war 34 Jahre alt, es war einfach an der Zeit. Mein Abschied kam also nicht schnell und überraschend, ich hatte Gelegenheit, mich darauf einzustellen und vorzubereiten. Daher war ich auch nicht wehmütig oder sonderlich emotional an diesem Abend des 30. Juni 2002. Ich war eher dankbar, dass ich diese Erfahrung noch machen und meine Nationalmannschaftskarriere in einem WM-Finale beenden durfte.

Bei der WM in Japan und Südkorea hat Rudi Völler zuerst auf andere Stürmer gesetzt. Für mich hieß das: Andere Spieler standen mehr im Fokus. Fünfmal kam ich zum Einsatz, aber fünfmal wurde ich "nur" eingewechselt. Das hat mir natürlich nicht gefallen, aber ich habe die Entscheidung von Rudi Völler akzeptiert und versucht, als Reservist der Mannschaft zu helfen. Auch wer kein Stammspieler ist, kann entscheidenden Beitrag zum Erfolg leisten - das ist keine Floskel.

Die Spieler aus der zweiten Reihe müssen Druck machen, sie müssen sich anbieten, sie müssen mit dafür sorgen, dass der Fokus bei allen geschärft bleibt. Ganz wesentlich die Spieler aus der zweiten Reihe sind es, die für Klima und Stimmung innerhalb der Mannschaft verantwortlich sind. Aber auch für das sportliche Niveau. Entscheidend für ein erfolgreiches Turnier ist, dass die Teams nicht nachlassen. Und das kann nur gelingen, wenn die Stammspieler wissen, dass hinter ihnen Akteure alles dafür tun, um beim nächsten Mal von Beginn an dabei zu sein.

Ich hatte überragende Jahre und Erlebnisse mit der Nationalmannschaft, das Finale bei der WM 2002 gehört dazu. Höhepunkt wird immer die EM 1996 in England bleiben, daneben war es die WM 1998. In der Rückschau wird die WM in Frankreich von vielen als große Enttäuschung bewertet. Ich sehe das anders.

Wir sind im Viertelfinale ausgeschieden, und dies lässt sich auch nicht wegdiskutieren. Dabei wird häufig übersehen, dass wir vorher viele begeisternde und spannende Spiele hatten. Jeweils mit gutem Ende für uns. In der Vorrunde sind wir nach einem 0:2 gegen Jugoslawien noch zurückgekommen. Und das Achtelfinale gegen Mexiko war ein Krimi: Wir lagen lange 0:1 zurück, hatten dann noch Glück bei einem Pfostentreffer der Mexikaner. Durch unsere hervorragende Moral haben wir es geschafft, dieses Spiel noch zu wenden. Jürgen Klinsmann hat in der 75. Minute den Ausgleich erzielt. Mir ist vier Minuten vor Abpfiff der Siegtreffer gelungen. Unter meinen vier WM-Toren hat dieser Treffer für mich den höchsten Stellenwert. Weil er so wichtig war. Und auch, weil es kein leichter Treffer war. Die Flanke von Ulf Kirsten kam sehr langsam in den Strafraum gesegelt, ich kam auf Höhe des Elfmeterpunktes an den Ball und konnte ihn per Kopf im rechten Winkel platzieren.

Auch das Viertelfinale gegen Kroatien war besser, als viele heute meinen. Nach einem 0:3 hat man natürlich wenige Argumente. Wahr ist aber, dass wir gegen starke Kroaten trotz Unterzahl mehrfach die Möglichkeit zum Augleich hatten. Wir haben das Spiel offen gestaltet, waren mindestens gleichwertig. Die beiden späten Gegentore geben den Spielverlauf nicht wider. Unter dem Strich stehen Niederlage und Enttäuschung, für mich zählt aber auch, wie wir uns im gesamten Turnier als Team präsentiert haben. Deswegen denke ich heute noch gerne an die WM 1998 zurück. Wir haben den Titel nicht gewonnen - in meiner Erinnerung haben wir dennoch eine gute Weltmeisterschaft gespielt.

Wenn ich mich an meine WM-Turnieren als Spieler erinnere, denke ich natürlich auch an die Zukunft. Wieder liegt eine WM vor uns, wieder fahren wir mit großen Ambitionen zum Treffen der Besten. Durch unsere tollen Leistungen in den vergangenen Jahren und Monaten haben wir Erwartungen geweckt, die Rolle als Mitfavorit nehmen wir gerne an. Trotz der Probleme, die wir aktuell mit ein paar verletzten Spielern haben, bin ich sicher: Wir verfügen über genügend Qualität, um bei der WM um den Titel mitzuspielen. Ob es am Ende dafür reicht, wird sich in Brasilien zeigen. Sicher ist: Wir werden in den kommenden Woche alles dafür tun, um optimal vorbereitet zu sein, wenn es für uns am 16. Juni in Salvador mit dem Spiel gegen Portugal losgeht.

Herzlichst
Oliver Bierhoff