Behinderte im "normalen" Fußball - geht das?

Pop ist Wahrheit. Als Christina Aguilera 2002 den Song "Beautiful" veröffentlichte, sang sie voller Pathos über die Idee der Vielfalt. "I am beautiful no matter what they say, words can't bring me down, I am beautiful in every single way", schmachtete die New Yorkerin und zeigte im Video ihre Helden vor dem Spiegel: ein magersüchtiges Mädchen, einen kahlköpfigen alten Mann, der sich schminkt, einen Hänfling, der den Muskelmann mimt. Die Botschaft: Schönheit ist der unverstellte Blick auf das innere Ich, gesellschaftliche Wertungen verwelken gegen die selbstbewusste Pose einer neuen Generation. "Ich bin schön, ganz gleich was sie sagen, Worte können mich nicht mehr runterbringen, ich bin schön, auf jede erdenkliche Weise."

Aguileras klares Ja zur Vielfalt ist heute Konsens, und spätestens seit dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz sind nun alle Bereiche des öffentlichen Lebens auf dem langen Weg zur Inklusion, also einem barrierefreien Miteinander. Längst auch der Fußball. Dazu gehört selbstverständlich, dass unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) behinderte Fußballer ihren Deutschen Meister ermitteln. Von Montag bis heute trugen 16 Männer- und sieben Frauenteams in Duisburg die Deutsche Meisterschaft der Werkstätten für Behinderte Menschen aus. Für DFB.de hat Redakteur Thomas Hackbarth vor Ort nachgefragt: Wie inklusiv ist der Fußball heute?

"Weil wir ein Team sind, sind wir stark"

Wenn die Fußballer des neuen Deutschen Meisters Berliner Werkstätten, des Finalisten Behinderten-Werk Main-Kinzig oder vom Dritten Westfalenfleiß aus Münster ihren Sport ausüben, fällt ihre Behinderung erstmal nicht auf. Sie haben ein Handicap, aber vor allem sind sie hervorragende Fußballer. Das Leder eng am Fuß, dann druckvoll und zielgenau auf den Mann weitergeleitet, so schaut das aus. Als dann aber einer den Ball vor dem Seitenaus retten will, kommt er fast ins Straucheln. Bei einer Drehung im Mittelfeld, rotieren die Arme wie Windmühlenflügel. Würden die Teams sonntags im Park kicken, müsste ein Spaziergänger lange zuschauen, bis auffiele, dass hier ein besonderes Fußballspiel stattfindet. Es sind nur feine Unterschiede. Und auch die Kernsätze des Fußballs funktionieren hier wie dort.

"Weil wir ein Team sind, sind wir stark", sagt Markus Zittlen, 29, vom Vizemeister Main-Kinzig, einer Werkstadt unweit von Frankfurt: "Wir halten zusammen und kämpfen zusammen." Torwart Hesso Camiron, 22, sagt: "Auf die Ersatzbank kommt es an." Und ein weiterer Main-Kinziger, André Reininger, 29, sagt den schönen Satz: "Wenn es sein muss, gewinnen wir auch auf Krücken."

"Behinderten-Meisterschaft" mit 15. Auflage

16 Mannschaften hatten sich per Vorentscheid im Landesverband qualifiziert, mehr als 200 Spieler waren die Woche in der Sportschule Duisburg-Wedau untergebracht. Sieben weitere Teams spielten dann heute den Frauentitel aus. Der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen, der Deutsche Behindertensportverband und die DFB-Stiftung Sepp Herberger sind Partner des Turniers, das nun zum 15. Mal ausgetragen wurde. Die Herberger-Stiftung finanziert die "Behinderten-Meisterschaft" mit jährlich 90.000 Euro. Viele Teilnehmer tragen ein T-Shirt mit den vier Sternen und dem Slogan "Wir sind alle Weltmeister". Titelverteidiger Berlin gewann im Finale 5:0 (1:0) gegen Main-Kinzig, in sechs Turnierauftritten brachte es der alte und neue Meister auf ein Torverhältnis von 34:3. Bei den Frauen setzte sich Integra Bielefeld mit fünf Siegen in fünf Spielen vor dem Titelverteidiger Sportfreunde Bottrop durch.

Benjamin Schönhof, 27, spielt im Mittelfeld der Berliner Werkstätten und der Nationalmannschaft der Fußballer mit intellektueller Beeinträchtigung. Wie Bastian Schweinsteiger, verbrachte der Blondschopf seinen Sommer in Brasilien. Einen Monat nach dem A-Team belegte das vom Ex-Nürnberger Profi Jörg Dittwar trainierte Nationalteam bei der WM in Sao Paulo den achten Platz.

Schönhof spielt auch im Regelbetrieb für die Kreisligamannschaft von Rot-Weiß Hellersdorf. "Beides macht Spaß, hier bei der Werkstätten-Mannschaft und bei Hellersdorf. Natürlich sollte jeder, der gut genug Fußball spielt, auch in einer normalen Mannschaft mitmachen können", sagt Schönhof. "Fußball ist die beliebteste Sportart der Welt, warum sollte das bei uns Behinderten anders sein?" Aber in Hellersdorf sitzt er manchmal auf der Bank. Und eines ist Schönhof auch wichtig: "Hier bei der Deutschen Meisterschaft der Werkstätten dürfen nur behinderte Fußballer spielen, das muss auch so bleiben."

"Behinderte Fußballer sind leidenschaftlich, wissbegierig und ehrlich"

Pia Wunderlich wurde 2003 Weltmeisterin, dreimal Europameisterin und gewann mit dem 1. FFC Frankfurt sechsmal die Deutsche Meisterschaft. Die 39 Jahre alte Sportfachwirtin leitet heute das Sportangebot für die 1150 Beschäftigten der BWMK in Gelnhausen. Die Begleitung beim ersten Besuch eines Fitnessstudios und die Gestaltung bewegter Pausen gehören genauso zu ihrer verantwortungsvollen Aufgabe wie das Training der behinderten Fußballer. Die Weltmeisterin sagt: "Behinderte Fußballer sind leidenschaftlich, wissbegierig und ehrlich." Nach dem zehnten Platz im Vorjahr wurden Wunderlichs Männer nun Vizemeister. Wenn einer mal seine Aufgabe vergisst, bleibt die ehemalige Weltklassespielerin ganz gelassen: "Das hat man auch in einer normalen Mannschaft."



Pop ist Wahrheit. Als Christina Aguilera 2002 den Song "Beautiful" veröffentlichte, sang sie voller Pathos über die Idee der Vielfalt. "I am beautiful no matter what they say, words can't bring me down, I am beautiful in every single way", schmachtete die New Yorkerin und zeigte im Video ihre Helden vor dem Spiegel: ein magersüchtiges Mädchen, einen kahlköpfigen alten Mann, der sich schminkt, einen Hänfling, der den Muskelmann mimt. Die Botschaft: Schönheit ist der unverstellte Blick auf das innere Ich, gesellschaftliche Wertungen verwelken gegen die selbstbewusste Pose einer neuen Generation. "Ich bin schön, ganz gleich was sie sagen, Worte können mich nicht mehr runterbringen, ich bin schön, auf jede erdenkliche Weise."

Aguileras klares Ja zur Vielfalt ist heute Konsens, und spätestens seit dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz sind nun alle Bereiche des öffentlichen Lebens auf dem langen Weg zur Inklusion, also einem barrierefreien Miteinander. Längst auch der Fußball. Dazu gehört selbstverständlich, dass unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) behinderte Fußballer ihren Deutschen Meister ermitteln. Von Montag bis heute trugen 16 Männer- und sieben Frauenteams in Duisburg die Deutsche Meisterschaft der Werkstätten für Behinderte Menschen aus. Für DFB.de hat Redakteur Thomas Hackbarth vor Ort nachgefragt: Wie inklusiv ist der Fußball heute?

"Weil wir ein Team sind, sind wir stark"

Wenn die Fußballer des neuen Deutschen Meisters Berliner Werkstätten, des Finalisten Behinderten-Werk Main-Kinzig oder vom Dritten Westfalenfleiß aus Münster ihren Sport ausüben, fällt ihre Behinderung erstmal nicht auf. Sie haben ein Handicap, aber vor allem sind sie hervorragende Fußballer. Das Leder eng am Fuß, dann druckvoll und zielgenau auf den Mann weitergeleitet, so schaut das aus. Als dann aber einer den Ball vor dem Seitenaus retten will, kommt er fast ins Straucheln. Bei einer Drehung im Mittelfeld, rotieren die Arme wie Windmühlenflügel. Würden die Teams sonntags im Park kicken, müsste ein Spaziergänger lange zuschauen, bis auffiele, dass hier ein besonderes Fußballspiel stattfindet. Es sind nur feine Unterschiede. Und auch die Kernsätze des Fußballs funktionieren hier wie dort.

"Weil wir ein Team sind, sind wir stark", sagt Markus Zittlen, 29, vom Vizemeister Main-Kinzig, einer Werkstadt unweit von Frankfurt: "Wir halten zusammen und kämpfen zusammen." Torwart Hesso Camiron, 22, sagt: "Auf die Ersatzbank kommt es an." Und ein weiterer Main-Kinziger, André Reininger, 29, sagt den schönen Satz: "Wenn es sein muss, gewinnen wir auch auf Krücken."

"Behinderten-Meisterschaft" mit 15. Auflage

16 Mannschaften hatten sich per Vorentscheid im Landesverband qualifiziert, mehr als 200 Spieler waren die Woche in der Sportschule Duisburg-Wedau untergebracht. Sieben weitere Teams spielten dann heute den Frauentitel aus. Der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen, der Deutsche Behindertensportverband und die DFB-Stiftung Sepp Herberger sind Partner des Turniers, das nun zum 15. Mal ausgetragen wurde. Die Herberger-Stiftung finanziert die "Behinderten-Meisterschaft" mit jährlich 90.000 Euro. Viele Teilnehmer tragen ein T-Shirt mit den vier Sternen und dem Slogan "Wir sind alle Weltmeister". Titelverteidiger Berlin gewann im Finale 5:0 (1:0) gegen Main-Kinzig, in sechs Turnierauftritten brachte es der alte und neue Meister auf ein Torverhältnis von 34:3. Bei den Frauen setzte sich Integra Bielefeld mit fünf Siegen in fünf Spielen vor dem Titelverteidiger Sportfreunde Bottrop durch.

Benjamin Schönhof, 27, spielt im Mittelfeld der Berliner Werkstätten und der Nationalmannschaft der Fußballer mit intellektueller Beeinträchtigung. Wie Bastian Schweinsteiger, verbrachte der Blondschopf seinen Sommer in Brasilien. Einen Monat nach dem A-Team belegte das vom Ex-Nürnberger Profi Jörg Dittwar trainierte Nationalteam bei der WM in Sao Paulo den achten Platz.

Schönhof spielt auch im Regelbetrieb für die Kreisligamannschaft von Rot-Weiß Hellersdorf. "Beides macht Spaß, hier bei der Werkstätten-Mannschaft und bei Hellersdorf. Natürlich sollte jeder, der gut genug Fußball spielt, auch in einer normalen Mannschaft mitmachen können", sagt Schönhof. "Fußball ist die beliebteste Sportart der Welt, warum sollte das bei uns Behinderten anders sein?" Aber in Hellersdorf sitzt er manchmal auf der Bank. Und eines ist Schönhof auch wichtig: "Hier bei der Deutschen Meisterschaft der Werkstätten dürfen nur behinderte Fußballer spielen, das muss auch so bleiben."

"Behinderte Fußballer sind leidenschaftlich, wissbegierig und ehrlich"

Pia Wunderlich wurde 2003 Weltmeisterin, dreimal Europameisterin und gewann mit dem 1. FFC Frankfurt sechsmal die Deutsche Meisterschaft. Die 39 Jahre alte Sportfachwirtin leitet heute das Sportangebot für die 1150 Beschäftigten der BWMK in Gelnhausen. Die Begleitung beim ersten Besuch eines Fitnessstudios und die Gestaltung bewegter Pausen gehören genauso zu ihrer verantwortungsvollen Aufgabe wie das Training der behinderten Fußballer. Die Weltmeisterin sagt: "Behinderte Fußballer sind leidenschaftlich, wissbegierig und ehrlich." Nach dem zehnten Platz im Vorjahr wurden Wunderlichs Männer nun Vizemeister. Wenn einer mal seine Aufgabe vergisst, bleibt die ehemalige Weltklassespielerin ganz gelassen: "Das hat man auch in einer normalen Mannschaft."

Auch in Gelnhausen bemüht man sich um Inklusion. Starke Spieler versucht man in "normalen" Klubs der Region unterzubringen. Aber Wunderlich warnt davor, Luftschlösser aufzubauen: "Inklusion kann nicht von heute auf morgen gestemmt werden – auch nicht im Fußball." Der DFB und die Herberger-Stiftung treiben die Entwicklung voran. "Es ist mittelfristig sinnvoll, die Strukturen des Fußballs behinderter Menschen in den Verbandsbetrieb zu integrieren, denn dadurch werden auch unsere Vereine gestärkt", sagt Dr. Stephan Osnabrügge.

Der Rechtsanwalt ist Vizepräsident des Fußball-Verbands Mittelrhein und Vorsitzender der DFB-Kommission für gesellschaftliche Verantwortung. Das Ziel lautet: Öffnung des "Regel-Fußballs" für behinderte Menschen. Der lange Marsch durch die Instanzen funktioniert nicht zuletzt über Satzungen. So wirbt die Herberger-Stiftung derzeit bei den DFB-Landesverbänden für eine Satzungsänderung, damit behinderte Jugendliche ein oder zwei Jahre länger in einer Altersklasse spielen dürfen. Eine Onlineübersicht von Vereinen mit Mitspielmöglichkeiten aus ganz Deutschland wird derzeit produziert. In Duisburg überreichte Osnabrügge dem neuen Deutschen Meister aus Berlin die Meisterschale, übrigens die offizielle Meisterplakette des DFB.

"Wir müssen die Macht der Mitgliedschaft entdecken"

Auch Wolfgang Watzke ist überzeugt, dass mehr behinderte Fußballer im regulären Spielbetrieb aufgenommen werden können. "Wir müssen die Macht der Mitgliedschaft entdecken", sagt der Geschäftsführer der Herberger-Stiftung.

Jörg Dittwar brachte es auf 150 Bundesligaspiele. Von 1987 bis 1994 war der Manndecker einer der beliebtesten Spieler des 1. FC Nürnberg. Seit 2009 trainiert der 51-Jährige die Nationalmannschaft der Fußballer mit intellektueller Beeinträchtigung. "Das Niveau ist jedes Jahr besser geworden. Die Trainer im Behindertenfußball wissen heute, was sie tun. Vor ein paar Jahren sah das noch ganz anders aus." Wenn Dittwar redet, rollt er das fränkische "R". Er bevorzugt die klare Ansprache. "International sind wir meilenweit hintendran. Der neue Weltmeister Saudi-Arabien hatte 50 Vorbereitungstage für die WM, ich habe mit meiner Mannschaft im ganzen Jahr 15."

Schon als Bundesligaprofi besuchte er Werkstätten, um dort mit behinderten Menschen Fußball zu spielen: "Man braucht Geduld. Aber wenn die Mannschaft dann eine taktische Maßnahme perfekt umsetzt, ist das eine super Erfahrung." Etliche seiner Nationalspieler sind bei einem normalen Fußballverein angemeldet, was wichtig sei, obwohl viele dann oft auch auf der Bank sitzen müssen: "Ein Problem ist, dass die Burschen oft nicht reden, keiner im Verein weiß von ihrer Behinderung." Dittwar wünscht sich von seinen Spielern noch mehr Selbstbewusstsein: "Jeder hat ein oder mehrere Handicaps."

Hohes spielerisches Niveau beim Finalturnier

Das hohe spielerische Niveau beim Finalturnier in Duisburg hat zu einem faktischen Ausschluss schwerbehinderter Fußballer geführt. Menschen mit Down-Syndrom, früher noch häufig mit dabei, findet man heute nicht mehr. Für Michael Kürten kein Problem. Der 59 Jahre alte ehemalige Verbandsligaspieler und Inhaber einer B-Lizenz trainiert den Meister aus Berlin. "Ich sehe die immer weiter steigende Klasse beim Finalturnier nicht kritisch. Hier spielen eben die fittesten Jungs. Wichtig ist es, für stärker behinderte Menschen in den Werkstätten andere Sportmöglichkeiten anzubieten. In Berlin findet gerade jetzt am Wochenende ein 'Down-Syndrom-Sportfest' statt", so Kürten.

Die Deutsche Meisterschaft in Duisburg kam bei den Spielern hervorragend an. "Das war toll organisiert", sagt Nationalspieler Benjamin Schönhoff, "aber schade, dass nicht mal ein Profifußballer hier war. Im Vorjahr beim Stadionbesuch in Leverkusen hat uns Rudi Völler begrüßt. Das war ein großes Erlebnis. Und Ausschnitte von unserer Nationalmannschaft sieht man nie im Fernsehen. Das ist auch schade."

Christina Aguilera wollte "Beautiful" übrigens 2002 als erste Single ihres Albums "Stripped" auskoppeln, doch die Plattenfirma bestand auf einen anderen Song. Als der gefloppt war, kam "Beautiful" raus und eroberte Platz eins der Charts in England, Australien und Kanada, Platz zwei in den USA und Platz fünf in Deutschland. Die Zeit war schon damals längst reif.