Als Gerd Strack Fußball-Deutschland erlöste

Direkte Qualifikation oder nervenaufreibende Play-off-Spiele? In Moskau geht es am Samstag (ab 17 Uhr, live im ZDF) gegen Russland für die deutsche Nationalmannschaft um das Ticket zur WM 2010 nach Südafrika.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine DFB-Auswahl vor einem so entscheidenden WM-Qualifikationsspiel steht. In einer sechsteiligen Serie erinnert DFB.de-Autor Udo Muras an die spektakulärsten und legendärsten Spiele in der WM- und EM-Qualifikation der DFB-Geschichte.

Teil 4: Deutschland - Albanien, 20.11.1983

Zu diesem Showdown hätte es eigentlich nie kommen sollen. Die Qualifikation zur EM 1984 in Frankreich wollte die deutsche Mannschaft schon am 16. November 1983 in Hamburg gegen Verfolger Nordirland klar machen.

Dann hätte vier Tage später in Saarbrücken, der Wahlheimat von Bundestrainer Jupp Derwall, ein lockeres Auslaufen gegen den Fußballzwerg Albanien folgen sollen. Aber wie im Leben, so kommt es auch im Fußball eben manchmal anders. Am Buß- und Bettag 1983 halfen auch keine Gebete, eine schwache deutsche Nationalmannschaft unterlag in Hamburg Nordirland mit 0:1 und erntete heftige Pfiffe.

Albanien erneut das Zünglein an der Waage

So wurde der scheinbar belanglose Epilog der EM-Qualifikation zu einem dramatischen Schlussakt und wieder, wie schon vor der EM 1968 (siehe Teil 2 der Serie) waren die Amateure aus dem Land der Skipetaren das Zünglein an der Waage. Nicht nur, weil es damals schief gegangen war, war die allgemeine Stimmung gereizt und pessimistisch. Der deutsche Fußball befand sich in einem lange nicht gekannten Tief. Im Europapokal war nur noch der FC Bayern vertreten und auch der sollte nicht über den Winter kommen. Weil Manager Uli Hoeneß genau das verhindern wollte, forderte er öffentlich, Bundestrainer Jupp Derwall möge gegen Albanien doch auf das Bayern-Trio Augenthaler/Dremmler/Rummenigge verzichten. Doch als dieses Spiel plötzlich exorbitant an Bedeutung gewann, ging er davon ab.

Derwall hatte noch mehr Ärger in diesen November-Tagen. Er musste sich Rücktrittsforderungen erwehren ("Ich denke überhaupt nicht daran, jemals die Brocken hinzuwerfen. Ich kämpfe!") und strafte die bösen Medien ab. Zur Pressekonferenz am Freitag vor dem Spiel erschien nur Pressechef Rainer Holzschuh, der erklärte: "Wenn Fairness von Seiten der Presse nicht gegeben ist, sieht Herr Derwall nicht ein, dass er von seiner Seite aus zur vollen Zusammenarbeit bereit sein soll." Lieber nahm der stets so joviale Rheinländer ein Bad in der Menge. Beim Training in seinem Wohnort Dudweiler waren die Autogramme der Nationalelf noch gefragt. Und dem kompletten Tölzer Knabenchor, in Saarbrücken im selben Hotel einquartiert, gab er gleich 27 Unterschriften.

Strack überraschend für Stielike in der Startelf

Aber dass die Kritiken nicht unberechtigt waren, verdeutlichte Derwall mit seiner Aufstellung selbst. Er nahm vier Änderungen vor und die überraschendste sollte zugleich die beste werden: Für den nach Madrid zurückbeorderten Real-Legionär Ulli Stielike spielte der Kölner Gerd Strack, den Derwall schon gegen Nordirland sieben Minuten eingesetzt hatte. Denn "ich erwartete mir von Gerd in der Schlussphase vielleicht noch ein Kopfballtor".

Nun, der Gerd erfüllte die Erwartung seines Trainers eben mit vier Tagen Verzögerung – am Totensonntag 1983, als mancher Zyniker schon die Beerdigung aller EM-Träume prophezeite. "Schlechtes Wetter, katastrophaler Platz und ein kleiner Gegner, der sich nur hinten rein gestellt hat" – so erinnert sich Vorstopper Karl-Heinz Förster an den Tag von Saarbrücken. Im Gespräch mit DFB.de weist der heute 51-Jährige auf die schlechten Vorzeichen hin, unter denen die Partie stand. "Jupp Derwall stand damals schon unter starkem Druck und in der Kritik. In der Presse wurde seine Ablösung gefordert. So etwas überträgt sich auf die Mannschaft. Hinzu kommt der außerordentliche Druck, wenn man in einem Spiel alles verlieren kann gegen einen Gegner, der wiederum nur gewinnen kann."

DFB-Team in Überzahl, im eigenen Stadion

Der Mann, der in jener Saison mit dem VfB Stuttgart Meister werden sollte, weiß noch gut, wie schwer sich die DFB-Elf tat. Die geriet sogar durch einen Spieler namens Tomori, der das erste albanische Tor auf deutschem Boden schoss, in Rückstand (23.). Der Stürmer war dem angeschlagenen Verteidiger Hans-Peter Briegel enteilt, Derwall wechselte den Pfälzer noch vor der Pause aus.

Zum Glück glich Kapitän Karl-Heinz Rummenigge, ebenfalls verletzt ins Spiel gegangen, schon im Gegenzug mit einem abgefälschten Freistoß aus (24.). Kurz vor der Pause, die in Folge vieler Unterbrechungen erst nach 52 Minuten begann, flog Albaniens Torschütze Tomori vom Platz. Er hatte eine Tätlichkeit an Rudi Völler begangen. Nun blieben noch 45 Minuten. In Überzahl, im eigenen Stadion – das durfte doch nicht schief gehen. Aber mit jeder Minute wuchsen die Zweifel, stieg die Nervosität. "Ich habe noch kein Länderspiel erlebt, bei dem der Bundestrainer so oft von seinem Stuhl aufstand, zum Spielfeldrand lief und etwas auf den Platz schrie", schrieb Kicker-Chefredakteur Karl-Heinz Heimann am folgenden Montag.

Gerd Strack zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Nach 68 Minuten tauschte Derwall den jungen Leverkusener Herbert Waas für Pierre Littbarski ein. Nun konnte er nicht mehr wechseln. Als letzte Maßnahme beorderte er schließlich Libero Strack nach vorne – und spielte damit Schicksal. Es lief die 80. Minute, der November-Himmel wurde immer düsterer. Das Publikum feuerte die Schwarz-Weißen unermüdlich an. Über den rechten Flügel kam Verteidiger Bernd Förster, Bruder von Karl-Heinz, nach vorne und drosch den Ball in den Strafraum. Dort, wo nun auch Gerd Strack aufkreuzte. Sein Gegenspieler unterlief die Vollspann-Flanke, und der lange Kölner setzte zum Kopfball an. "Strack – da ist es!" schrie ZDF-Reporter Wolfram Esser seine Erleichterung heraus, denn der Ball war hinter Keeper Musta eingeschlagen. Es war die Entscheidung und der Endstand. 2:1 gegen Albanien – kein Ruhmesblatt deutscher Geschichte und doch war die Freude riesig.

"So einen Jubel hat es schon lange nicht mehr auf der deutschen Bank gegeben", erzählte Briegel, der auch zugab: "Ich habe nicht mehr geglaubt, dass wir zur Endrunde nach Frankreich kommen." Wegbereiter Strack war ob der Lobeshymnen ganz verlegen und gab zu, "das wichtigste Tor meiner Laufbahn" erzielt zu haben. Im DFB-Trikot war es das einzige – bis heute wird er daran erinnert. Derwall dankte es ihm und nahm Strack als Reservist mit nach Frankreich. Weil die EM 1984 für den Titelverteidiger schon nach der Vorrunde endete, musste er sich von Spöttern allerdings auch anhören, er hätte besser vorbeigeköpft und den nötigen Neuaufbau nicht um ein halbes Jahr verzögert. Doch am Totensonntag 1983 in Saarbrücken war ein ganzes Land froh, dass Gerd Strack zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war.

Das deutsche Team: Schumacher – B. Förster, Strack, K.-H. Förster, Briegel (37. Otten) – Dremmler, Matthäus, Meier – Littbarski (68. Waas), Völler, Rummenigge.

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Direkte Qualifikation oder nervenaufreibende Play-off-Spiele? In Moskau geht es am Samstag (ab 17 Uhr, live im ZDF) gegen Russland für die deutsche Nationalmannschaft um das Ticket zur WM 2010 nach Südafrika.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine DFB-Auswahl vor einem so entscheidenden WM-Qualifikationsspiel steht. In einer sechsteiligen Serie erinnert DFB.de-Autor Udo Muras an die spektakulärsten und legendärsten Spiele in der WM- und EM-Qualifikation der DFB-Geschichte.

Teil 4: Deutschland - Albanien, 20.11.1983

Zu diesem Showdown hätte es eigentlich nie kommen sollen. Die Qualifikation zur EM 1984 in Frankreich wollte die deutsche Mannschaft schon am 16. November 1983 in Hamburg gegen Verfolger Nordirland klar machen.

Dann hätte vier Tage später in Saarbrücken, der Wahlheimat von Bundestrainer Jupp Derwall, ein lockeres Auslaufen gegen den Fußballzwerg Albanien folgen sollen. Aber wie im Leben, so kommt es auch im Fußball eben manchmal anders. Am Buß- und Bettag 1983 halfen auch keine Gebete, eine schwache deutsche Nationalmannschaft unterlag in Hamburg Nordirland mit 0:1 und erntete heftige Pfiffe.

Albanien erneut das Zünglein an der Waage

So wurde der scheinbar belanglose Epilog der EM-Qualifikation zu einem dramatischen Schlussakt und wieder, wie schon vor der EM 1968 (siehe Teil 2 der Serie) waren die Amateure aus dem Land der Skipetaren das Zünglein an der Waage. Nicht nur, weil es damals schief gegangen war, war die allgemeine Stimmung gereizt und pessimistisch. Der deutsche Fußball befand sich in einem lange nicht gekannten Tief. Im Europapokal war nur noch der FC Bayern vertreten und auch der sollte nicht über den Winter kommen. Weil Manager Uli Hoeneß genau das verhindern wollte, forderte er öffentlich, Bundestrainer Jupp Derwall möge gegen Albanien doch auf das Bayern-Trio Augenthaler/Dremmler/Rummenigge verzichten. Doch als dieses Spiel plötzlich exorbitant an Bedeutung gewann, ging er davon ab.

Derwall hatte noch mehr Ärger in diesen November-Tagen. Er musste sich Rücktrittsforderungen erwehren ("Ich denke überhaupt nicht daran, jemals die Brocken hinzuwerfen. Ich kämpfe!") und strafte die bösen Medien ab. Zur Pressekonferenz am Freitag vor dem Spiel erschien nur Pressechef Rainer Holzschuh, der erklärte: "Wenn Fairness von Seiten der Presse nicht gegeben ist, sieht Herr Derwall nicht ein, dass er von seiner Seite aus zur vollen Zusammenarbeit bereit sein soll." Lieber nahm der stets so joviale Rheinländer ein Bad in der Menge. Beim Training in seinem Wohnort Dudweiler waren die Autogramme der Nationalelf noch gefragt. Und dem kompletten Tölzer Knabenchor, in Saarbrücken im selben Hotel einquartiert, gab er gleich 27 Unterschriften.

Strack überraschend für Stielike in der Startelf

Aber dass die Kritiken nicht unberechtigt waren, verdeutlichte Derwall mit seiner Aufstellung selbst. Er nahm vier Änderungen vor und die überraschendste sollte zugleich die beste werden: Für den nach Madrid zurückbeorderten Real-Legionär Ulli Stielike spielte der Kölner Gerd Strack, den Derwall schon gegen Nordirland sieben Minuten eingesetzt hatte. Denn "ich erwartete mir von Gerd in der Schlussphase vielleicht noch ein Kopfballtor".

Nun, der Gerd erfüllte die Erwartung seines Trainers eben mit vier Tagen Verzögerung – am Totensonntag 1983, als mancher Zyniker schon die Beerdigung aller EM-Träume prophezeite. "Schlechtes Wetter, katastrophaler Platz und ein kleiner Gegner, der sich nur hinten rein gestellt hat" – so erinnert sich Vorstopper Karl-Heinz Förster an den Tag von Saarbrücken. Im Gespräch mit DFB.de weist der heute 51-Jährige auf die schlechten Vorzeichen hin, unter denen die Partie stand. "Jupp Derwall stand damals schon unter starkem Druck und in der Kritik. In der Presse wurde seine Ablösung gefordert. So etwas überträgt sich auf die Mannschaft. Hinzu kommt der außerordentliche Druck, wenn man in einem Spiel alles verlieren kann gegen einen Gegner, der wiederum nur gewinnen kann."

DFB-Team in Überzahl, im eigenen Stadion

Der Mann, der in jener Saison mit dem VfB Stuttgart Meister werden sollte, weiß noch gut, wie schwer sich die DFB-Elf tat. Die geriet sogar durch einen Spieler namens Tomori, der das erste albanische Tor auf deutschem Boden schoss, in Rückstand (23.). Der Stürmer war dem angeschlagenen Verteidiger Hans-Peter Briegel enteilt, Derwall wechselte den Pfälzer noch vor der Pause aus. [bild2]

Zum Glück glich Kapitän Karl-Heinz Rummenigge, ebenfalls verletzt ins Spiel gegangen, schon im Gegenzug mit einem abgefälschten Freistoß aus (24.). Kurz vor der Pause, die in Folge vieler Unterbrechungen erst nach 52 Minuten begann, flog Albaniens Torschütze Tomori vom Platz. Er hatte eine Tätlichkeit an Rudi Völler begangen. Nun blieben noch 45 Minuten. In Überzahl, im eigenen Stadion – das durfte doch nicht schief gehen. Aber mit jeder Minute wuchsen die Zweifel, stieg die Nervosität. "Ich habe noch kein Länderspiel erlebt, bei dem der Bundestrainer so oft von seinem Stuhl aufstand, zum Spielfeldrand lief und etwas auf den Platz schrie", schrieb Kicker-Chefredakteur Karl-Heinz Heimann am folgenden Montag.

Gerd Strack zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Nach 68 Minuten tauschte Derwall den jungen Leverkusener Herbert Waas für Pierre Littbarski ein. Nun konnte er nicht mehr wechseln. Als letzte Maßnahme beorderte er schließlich Libero Strack nach vorne – und spielte damit Schicksal. Es lief die 80. Minute, der November-Himmel wurde immer düsterer. Das Publikum feuerte die Schwarz-Weißen unermüdlich an. Über den rechten Flügel kam Verteidiger Bernd Förster, Bruder von Karl-Heinz, nach vorne und drosch den Ball in den Strafraum. Dort, wo nun auch Gerd Strack aufkreuzte. Sein Gegenspieler unterlief die Vollspann-Flanke, und der lange Kölner setzte zum Kopfball an. "Strack – da ist es!" schrie ZDF-Reporter Wolfram Esser seine Erleichterung heraus, denn der Ball war hinter Keeper Musta eingeschlagen. Es war die Entscheidung und der Endstand. 2:1 gegen Albanien – kein Ruhmesblatt deutscher Geschichte und doch war die Freude riesig.

"So einen Jubel hat es schon lange nicht mehr auf der deutschen Bank gegeben", erzählte Briegel, der auch zugab: "Ich habe nicht mehr geglaubt, dass wir zur Endrunde nach Frankreich kommen." Wegbereiter Strack war ob der Lobeshymnen ganz verlegen und gab zu, "das wichtigste Tor meiner Laufbahn" erzielt zu haben. Im DFB-Trikot war es das einzige – bis heute wird er daran erinnert. Derwall dankte es ihm und nahm Strack als Reservist mit nach Frankreich. Weil die EM 1984 für den Titelverteidiger schon nach der Vorrunde endete, musste er sich von Spöttern allerdings auch anhören, er hätte besser vorbeigeköpft und den nötigen Neuaufbau nicht um ein halbes Jahr verzögert. Doch am Totensonntag 1983 in Saarbrücken war ein ganzes Land froh, dass Gerd Strack zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war.

Das deutsche Team: Schumacher – B. Förster, Strack, K.-H. Förster, Briegel (37. Otten) – Dremmler, Matthäus, Meier – Littbarski (68. Waas), Völler, Rummenigge.