50 Jahre, 50 Gesichter: Keegan verzaubert Hamburg

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute die Saison 1978/1979: Kevin Keegan, der erste Engländer der Bundesliga. Der Superstar schafft im zweiten Anlauf den Durchbruch in Hamburg und verhilft dem HSV zum Titel.

Wann immer ein ausländischer Spieler in der Bundesliga Anlaufschwierigkeiten hat, dient den Verantwortlichen in den Klubs ein historisches Beispiel als Beruhigungspille. Kevin Keegan, der erste Engländer der Bundesligahistorie, galt beim HSV schon als Fehleinkauf, ehe sie ihn doch noch auf Händen trugen. Die Geduld mit dem 1,6-Millionen-Mark-Transfer aus Liverpool, damals die höchste Ablösesumme der Ligageschichte, machte sich in der Saison 1978/1979 bezahlt - weil sich beide Seiten änderten und aufeinander einließen.

1977: Von einem Europapokalsieger zum anderen

Als Keegan im Mai 1977 zunächst nur ein Gerücht an der Elbe war, war sein Credo längst in Umlauf. Er verlasse England, weil er "in den nächsten fünf Jahren Millionär werden" wolle. Real Madrid wollte ihn, die Bayern auch - aber der aufstrebende HSV erhielt den Zuschlag.

Somit wechselte Keegan, damals 26 Jahre alt, von einem Europapokalsieger zum anderen: Liverpool hatte 1977 den Landesmeister-Pokal gewonnen, der HSV den Pokalsieger-Cup. Auf den ersten Blick also kein signifikanter Abstieg für den Kapitän der englischen Nationalmannschaft. Doch der HSV zerbrach 1977/1978 unter den selbst gesteckten Erwartungen, wurde Zehnter und verpasste die Europacupteilnahme. Trotz Keegan.

Der Stürmer war nur ein Mitläufer, dem der offene Neid der Kollegen entgegenschlug. Sie grüßten ihn nicht in der Kabine und schnitten ihn - auch auf dem Platz. Für die Kollegen war er nur "der Engländer". Dessen Extratouren im Show- und Werbegeschäft machten ihn intern nicht beliebter. Der nicht sonderlich autoritäre neue Trainer Rudi Gutendorf sah dem Treiben bis zu seiner Entlassung hilflos zu.

Sommer 1978: "Mein schreckliches Leben beim HSV"

So steht Keegan im Sommer 1978 am Scheideweg. In ausländischen Zeitungen klagt er über "mein schreckliches Leben beim HSV", dass er geschnitten werde und dergleichen. Als sein angeblicher Berater auch noch ausplaudert, Trainer Branko Zebec habe Keegan "seelisch fertig gemacht", brennt der Baum. Keegan schreibt im Kicker einen offenen Brief, geht aber nur auf Zebec ein, "mit dem ich mich bestens verstehe".

HSV-Manager Netzer reicht das nicht, und so sitzt Keegan eines schönen Tages im September in seinem Büro und sagt die legendären Worte: "Use me or sell me." Sinnvoll nutzen oder verkaufen - für Netzer und den Trainer Zebec stellt sich die Frage nicht. Der strenge Jugoslawe setzt auf Disziplin, duldet keine Eifersüchteleien und weiß mit Stars umzugehen. Nun geht es bergauf.

1978: Wahl zu "Europas Fußballer des Jahres"

Keegan wird als Stürmer die zentrale Figur des HSV-Spiels, die Ostkurve skandiert endlich seinen Namen und plötzlich gewinnt er auch mal alleine Spiele. Im Schlager gegen Schalke (4:2) macht er im Oktober sein wohl bestes HSV-Spiel, trifft zweimal und rennt glücklich aus dem Stadion, ist er doch gerade Vater geworden: "Ich muss zu meinen beiden Frauen", lässt er die Reporter nur wissen.

Sie spüren nun: Alles wird doch noch gut mit Keegan. Am Tag vor Heiligabend gelingt dem nur 1,69 Meter kleinen Mann gegen Bielefeld (3:1) gar sein erster Dreier. Etwas überraschend wird er von der internationalen Presse schon 1978 zu Europas Fußballer des Jahres gewählt. Die Kollegen in der Bundesliga wählen ihn im Kicker zum Mann des Jahres - er erhält 96 von 271 Stimmen.

1979: Meisterschaft dank 17 Keegan-Tore in 34 Spielen

Im Sommer kommt endlich auch der wichtigste Titel mit der Mannschaft hinzu. Nach einem 0:0 in Bielefeld sichert sich der HSV am 33. Spieltag die erste Meisterschaft in der Bundesliga. Keegan hat daran einen mächtigen Anteil, so wie es sich gebührt für die "Mighty Mouse", wie sie ihn in England rufen. 34 Einsätze, 17 Tore - in jedem zweiten Spiel ein Treffer.

Während die HSV-Fans die Meisterschaft feiern, freut sich Günter Netzer klammheimlich über einen weiteren Erfolg. An jenem Tag im September 1978 hatte er nämlich mit Keegan vereinbart, dass der in Hamburg bleiben müsse, wenn der HSV 1979 Meister werde. Mit seinen Toren hat Keegan seinen Vertrag also quasi selbst verlängert. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität schaffte es eine Woche nach der Meisterschaft sogar sein Song "Head over Heels in Love" (mit der Pop-Gruppe "Smokie") auf Platz zehn in den deutschen Charts.

Nach einer weiteren starken Saison, die jedoch mit zwei undankbaren zweiten Plätzen in Meisterschaft und Europapokal mit einer gefühlten Enttäuschung endet, verlässt Kevin Keegan die Bundesliga. Geblieben ist sein Mythos, nur wenige HSV-Spieler erfreuten und erfreuen sich bei den Fans einer solchen Beliebtheit wie die "Mighty Mouse". Als im vergangenen September anlässlich des 125. Geburtstags die Jahrhundert-Elf des HSV gewählt wurde, da durfte der Name Keegan nicht fehlen.

Kevin Keegans Bundesligabilanz: 90 Spiele, 32 Tore, einmal Deutscher Meister.

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50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute die Saison 1978/1979: Kevin Keegan, der erste Engländer der Bundesliga. Der Superstar schafft im zweiten Anlauf den Durchbruch in Hamburg und verhilft dem HSV zum Titel.

Wann immer ein ausländischer Spieler in der Bundesliga Anlaufschwierigkeiten hat, dient den Verantwortlichen in den Klubs ein historisches Beispiel als Beruhigungspille. Kevin Keegan, der erste Engländer der Bundesligahistorie, galt beim HSV schon als Fehleinkauf, ehe sie ihn doch noch auf Händen trugen. Die Geduld mit dem 1,6-Millionen-Mark-Transfer aus Liverpool, damals die höchste Ablösesumme der Ligageschichte, machte sich in der Saison 1978/1979 bezahlt - weil sich beide Seiten änderten und aufeinander einließen.

1977: Von einem Europapokalsieger zum anderen

Als Keegan im Mai 1977 zunächst nur ein Gerücht an der Elbe war, war sein Credo längst in Umlauf. Er verlasse England, weil er "in den nächsten fünf Jahren Millionär werden" wolle. Real Madrid wollte ihn, die Bayern auch - aber der aufstrebende HSV erhielt den Zuschlag.

Somit wechselte Keegan, damals 26 Jahre alt, von einem Europapokalsieger zum anderen: Liverpool hatte 1977 den Landesmeister-Pokal gewonnen, der HSV den Pokalsieger-Cup. Auf den ersten Blick also kein signifikanter Abstieg für den Kapitän der englischen Nationalmannschaft. Doch der HSV zerbrach 1977/1978 unter den selbst gesteckten Erwartungen, wurde Zehnter und verpasste die Europacupteilnahme. Trotz Keegan.

Der Stürmer war nur ein Mitläufer, dem der offene Neid der Kollegen entgegenschlug. Sie grüßten ihn nicht in der Kabine und schnitten ihn - auch auf dem Platz. Für die Kollegen war er nur "der Engländer". Dessen Extratouren im Show- und Werbegeschäft machten ihn intern nicht beliebter. Der nicht sonderlich autoritäre neue Trainer Rudi Gutendorf sah dem Treiben bis zu seiner Entlassung hilflos zu.

Sommer 1978: "Mein schreckliches Leben beim HSV"

So steht Keegan im Sommer 1978 am Scheideweg. In ausländischen Zeitungen klagt er über "mein schreckliches Leben beim HSV", dass er geschnitten werde und dergleichen. Als sein angeblicher Berater auch noch ausplaudert, Trainer Branko Zebec habe Keegan "seelisch fertig gemacht", brennt der Baum. Keegan schreibt im Kicker einen offenen Brief, geht aber nur auf Zebec ein, "mit dem ich mich bestens verstehe".

HSV-Manager Netzer reicht das nicht, und so sitzt Keegan eines schönen Tages im September in seinem Büro und sagt die legendären Worte: "Use me or sell me." Sinnvoll nutzen oder verkaufen - für Netzer und den Trainer Zebec stellt sich die Frage nicht. Der strenge Jugoslawe setzt auf Disziplin, duldet keine Eifersüchteleien und weiß mit Stars umzugehen. Nun geht es bergauf.

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1978: Wahl zu "Europas Fußballer des Jahres"

Keegan wird als Stürmer die zentrale Figur des HSV-Spiels, die Ostkurve skandiert endlich seinen Namen und plötzlich gewinnt er auch mal alleine Spiele. Im Schlager gegen Schalke (4:2) macht er im Oktober sein wohl bestes HSV-Spiel, trifft zweimal und rennt glücklich aus dem Stadion, ist er doch gerade Vater geworden: "Ich muss zu meinen beiden Frauen", lässt er die Reporter nur wissen.

Sie spüren nun: Alles wird doch noch gut mit Keegan. Am Tag vor Heiligabend gelingt dem nur 1,69 Meter kleinen Mann gegen Bielefeld (3:1) gar sein erster Dreier. Etwas überraschend wird er von der internationalen Presse schon 1978 zu Europas Fußballer des Jahres gewählt. Die Kollegen in der Bundesliga wählen ihn im Kicker zum Mann des Jahres - er erhält 96 von 271 Stimmen.

1979: Meisterschaft dank 17 Keegan-Tore in 34 Spielen

Im Sommer kommt endlich auch der wichtigste Titel mit der Mannschaft hinzu. Nach einem 0:0 in Bielefeld sichert sich der HSV am 33. Spieltag die erste Meisterschaft in der Bundesliga. Keegan hat daran einen mächtigen Anteil, so wie es sich gebührt für die "Mighty Mouse", wie sie ihn in England rufen. 34 Einsätze, 17 Tore - in jedem zweiten Spiel ein Treffer.

Während die HSV-Fans die Meisterschaft feiern, freut sich Günter Netzer klammheimlich über einen weiteren Erfolg. An jenem Tag im September 1978 hatte er nämlich mit Keegan vereinbart, dass der in Hamburg bleiben müsse, wenn der HSV 1979 Meister werde. Mit seinen Toren hat Keegan seinen Vertrag also quasi selbst verlängert. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität schaffte es eine Woche nach der Meisterschaft sogar sein Song "Head over Heels in Love" (mit der Pop-Gruppe "Smokie") auf Platz zehn in den deutschen Charts.

Nach einer weiteren starken Saison, die jedoch mit zwei undankbaren zweiten Plätzen in Meisterschaft und Europapokal mit einer gefühlten Enttäuschung endet, verlässt Kevin Keegan die Bundesliga. Geblieben ist sein Mythos, nur wenige HSV-Spieler erfreuten und erfreuen sich bei den Fans einer solchen Beliebtheit wie die "Mighty Mouse". Als im vergangenen September anlässlich des 125. Geburtstags die Jahrhundert-Elf des HSV gewählt wurde, da durfte der Name Keegan nicht fehlen.

Kevin Keegans Bundesligabilanz: 90 Spiele, 32 Tore, einmal Deutscher Meister.