Franz Beckenbauer © DFB Deutscher Fußball-Bund
Nach dem WM-Sieg 1990 genießt Teamchef Franz Beckenbauer den Erfolg allein auf dem Rasen

Franz Beckenbauer

  • Nationaltrainer von 1984 bis 1990
  • 66 Länderspiele - 34 Siege, 20 Unentschieden, 12 Niederlagen
  • Weltmeister 1990
  • Der gebürtige Münchner verstarb 2024 im Alter von 78 Jahren

Der Unvergleichliche, die Lichtgestalt

Nichts von dem, was der Deutsche Fußball-Bund als simpelste Grundvoraussetzung von jedem Trainer verlangte, vor allem von einem der gehobenen Güteklasse, konnte Franz Beckenbauer 1984 vorzeigen. Keine Abschlussprüfung, kein Zeugnis, keine Lizenz - ja, nicht einmal einen Grundkurs. Doch den entrüsteten Aufschrei der Puristen, die vor jeder Neueinstellung des Weltmeisters von 1974 als Bundestrainer oder DFB-Teamchef zuallererst darauf bestehen, die "Papiere" zu sehen, konterte Beckenbauer in einer Mischung aus lässiger Nonchalance und pfiffiger Süffisanz: "Was sollen die mir in Köln auch schon beibringen?" Mit Köln meinte er die Sporthochschule, die in der Trainer-Ausbildung weltweit einen Ruf genießt wie die berühmtesten amerikanischen und englischen Universitäten für die optimale Entwicklung von geistigen Kapazitäten. Eine der besten Adressen also, doch für Beckenbauer kein Thema.

Als Spieler ein Genie, einer der größten Künstler, die in Deutschland jemals den Ball streichelten, mochte sich der charismatische Kosmopolit nicht mehr auf die Holzbank hocken, um zu lernen, wie und was er lehren sollte. Denn seine Basis war eine von Ruhm und Glanz gesäumte Karriere, waren Erfahrungen aus 103 Länderspielen, war die einmalige Aneinanderreihung von Meisterschaften und Pokal-Triumphen mit dem FC Bayern München und der Nationalmannschaft, waren die Lektionen durch außergewöhnliche Trainer-Größen wie Tschik Cajkovski und Udo Lattek, Branko Zebec und Dettmar Cramer, Hennes Weisweiler und Ernst Happel: "Die haben mich in der täglichen Arbeit so wunderbar ausgebildet, wie es keine Uni hätte besser machen können."

Die Praxis betreffend, hatte er als begnadeter und begeisternder und vergötterter Star, als eleganter Urtyp des klassischen Liberos, sicher recht. Doch sonst offenbarte Beckenbauer, der offiziell zum Teamchef deklariert wurde und dem Horst Köppel, Holger Osieck, Berti Vogts als "geschulte Lehrkräfte" an die Seite gestellt worden sind, zu Beginn seiner Amtszeit eklatante Defizite.

Denn er war nicht der geborene Pädagoge, nicht der behutsame Psychologe. Als überragender Spieler hochsensibilisiert im Umgang mit dem Ball, fehlte dem ranghöchsten DFB-Junglehrer anfänglich das so wichtige Fingerspitzengefühl für den Umgang mit individuell und auch sportlich sehr verschiedenen Jung-Männern, die er zu erfolgsorientierten Mannschaften formen sollte.

Anspruchsvoller Perfektionist mit klaren Worten

Als einer jener Über-Könner, die während ihrer eigenen Karriere seit Schülertagen ständig erste Wahl gewesen waren und eine Ersatzbank nur vom Sehen kannten, fiel es ihm nicht gerade leicht, sich in die Empfindungen und Enttäuschungen eines Reservisten hineinzuversetzen. Und als ein anspruchsvoller Perfektionist, für den das eigene Können zur Bemessungsgrundlage von Klasse und Qualität geworden war, hatte Beckenbauer nicht gerade das von Milde und Nachsicht geprägte Verständnis für Minderbegabte. "Mein Manko", so bekannte er selbst in erbaulicher Einsicht, "sind Ungeduld und zu hoch gesteckte Ansprüche."

Genau daran drohte Franz Beckenbauer, manchmal launisch, impulsiv, intuitiv, schnell aufbrausend und deshalb schwer berechenbar, bei seinem ersten Belastungstest schon fast zu scheitern. Denn nur wenige Tage vor dem Beginn der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko und kurz vor dem Ende der eigenen Vorbereitungen gab der DFB-Teamchef über die Qualität der Bundesliga-Elite einige Bemerkungen zu Protokoll, die mehr demotivierten als aufmöbelten. Sogar von einer "Schrottliga" sprach er, weil er sich über den ruchbar gewordenen Wechsel des Stuttgarters Karlheinz Förster zu Olympique Marseille aufregte.

Doch die Betroffenen, wiewohl natürlich keineswegs begeistert, reagierten mit jener erstaunlichen Duldsamkeit und Toleranz, die zum Beckenbauer-Bonus geworden ist: Sie hielten es zwar nicht immer für richtig, was er sagte, doch ihnen war jedes Wort wichtig, weil ER es gesagt hatte. Deshalb stand ER, "der Unvergleichliche, der Kaiser" aller Kicker und des deutschen Fußballs Lichtgestalt, nie zur Disposition. Auch 1986 nicht, obwohl hausgemachte Kräche und Querelen im Trainingsquartier Mansion Galindo bei Queretaro publizistisch fast noch weit spektakulärer aufbereitet wurden als der Einzug ins Endspiel und der zweite Platz hinter Argentinien. Denn bis zum Finale von Mexiko Stadt durchmaß die Nationalmannschaft eine Holperstrecke, auf der immer wieder dicke Stolpersteine zur Seite geräumt werden mussten.

Es gab heftige betriebsinterne Störungen, es gab Grüppchen- und Klübchenbildungen. Es gab die brisante Konfrontation zwischen dem Anspruchsgehabe der Stars des FC Bayern München und des 1. FC Köln. Es gab den Aufstand des Torwarts Uli Stein, der sich ungerecht behandelt fühlte, der gegen seinen Konkurrenten Toni Schumacher und gegen den Teamchef aufbegehrte und deshalb vorzeitig nach Hause geschickt wurde.

Weltmeister als Spieler und Trainer

Franz Beckenbauer, dem trotz heftiger Kritik nicht für einen Augenblick der Gedanke kam, zu resignieren, zu kapitulieren, die Brocken hinzuschmeißen, zog rigoros seine Konsequenzen aus diesen misslichen Erfahrungen. Obwohl selbst ein exzellenter Öffentlichkeitsarbeiter, der mit den Medien meisterhaft zu korrespondieren verstand, verordnete er nach Mexiko, wo das Trainingslager zum Haus der offenen Tür und zum Selbstbedienungsladen für heiße Nachrichtenjäger geworden war, eine strenge Abschottung. Und anders als in Mexiko verdribbelte er sich nicht mehr auf Nebenschauplätzen.

Der Souverän Beckenbauer, dem Karl-Heinz Rummenigge "eine natürliche Distanz" gegenüber den Stars attestierte, zog sich zurück aufs Wesentliche und konzipierte ein Team, das seinen anspruchsvollen Vorstellungen von Disziplin, filigraner Spielkunst und Integrationsbereitschaft ziemlich nahekam. Zwar langte es 1988, bei der Europameisterschaft in Deutschland, noch nicht zum erträumten Erfolg, dem Einzug ins Endspiel von München. Doch 1990 glückte der große Wurf des Franz Beckenbauer, der als Sohn eines Postbeamten im Münchner Vorort Giesing geboren wurde und 44 Jahre danach im Olympiastadion von Rom endgültig zur Legende geworden ist. Denn die Mannschaft, deren Architekt er gewesen war, gewann das Weltmeisterschafts-Finale gegen Argentinien: Weltmeister als Spieler und Weltmeister als Trainer - so etwas schaffte außer ihm nur der Brasilianer Mario Zagalo.

Nach der Sternstunde am Tiber ist Beckenbauer als Teamchef abgetreten, ohne dem Fußball auf immer und ewig zu entsagen. Er wurde Trainer bei Olympique Marseille und später Vizepräsident beim FC Bayern München und später Trainer beim FC Bayern München und später Präsident beim FC Bayern München und später Vizepräsident im Deutschen Fußball-Bund, dessen Nationalmannschaft allerdings nicht halten konnte, was Franz Beckenbauer gleich nach dem Finale von Rom in seiner emotionalen Aufwallung versprochen hatte: "Auf Jahre hinaus wird unsere Nationalmannschaft unschlagbar sein."

Etwas vollmundig dahergesagt. Diktiert vom Überschwang des Augenblicks, selbst nicht ernstgenommen. Aber - weil für bare Münze genommen - realitätsfremd, zu kurz gedacht, nicht weitsichtig. Seinem Nachfolger hatte er damit jedenfalls einen dicken Rucksack aufgebürdet.