Guter Mittler: Hermann Neuberger ©

Hermann Neuberger

(1975-1992)

Ziele und Visionen im Weltformat

Sänger hätte er werden können. Oder Theaterregisseur. Die Neigung dazu verspürte er. Oder Journalist. Die Befähigung hatte er, nachgewiesen in jungen Jahren, als er aus dem Krieg zurückkam und für zwei Sportzeitungen gleichzeitig arbeitete. Oder Politiker. Nicht umsonst nannten sie ihn den heimlichen Ministerpräsidenten des Saarlands, weil er zeitweise gleichzeitig Direktor des Saar-Totos, Präsident des Landessportbundes und des Fußballverbands des kleinsten Bundeslandes in der alten BRD war. Und im Grunde war er ja auch ein Politiker auf dem Spielfeld, das er im Alter von 55 für sein restliches Leben wählte: DFB-Präsident. Darin ging Hermann Neuberger, der am 12. Dezember 1919 zur Welt kam, regelrecht auf. 17 Jahre und damit länger als jede andere währte seine Amtszeit (25. Oktober 1975 – 17. September 1992). Er war ein Workaholic, als es das Wort noch gar nicht gab. In den Urlaub ließ er sich Akten nachschicken, in der 1993 nach ihm benannten Frankfurter DFB-Zentrale hatte der Saarbrücker ein Appartement, für den Fall dass eine Sitzung mal wieder länger dauert.

Seit 1969 DFB-Vizepräsident, hatte er die Aufgabe, die WM 1974 im eigenen Land als OK-Chef zu organisieren. Sie war sportlich mit dem Weltmeistertitel, wirtschaftlich und imagemäßig ein großer Erfolg. Der neue FIFA-Präsident Joao Havelange gestand: „In die FIFA gewählt, war mein erster Gedanke, mit Neuberger zusammenzuarbeiten.“ So kam es, dass Neuberger als Vizepräsident auch OK-Chef der nächsten vier WM-Endrunden wurde, denn „Hermann the German“, wie er in der Fußballwelt genannt wurde, konnte das. Havelange wird in der 1993 vom DFB herausgegebenen Neuberger-Biographie so zitiert: „Wenn sich die Fußball-Weltmeisterschaften zum größten Sport-Spektakel unserer Zeit entwickelt haben, ist dies nicht zuletzt auch sein Verdienst.“

Seine Verdienste um den DFB sind nicht geringer. Neuberger ließ die Verwaltung umzustrukturieren. Direktorenposten wurden gebildet, mit zunehmender Bedeutung des Fußballs brauchte es Juristen, Steuerexperten und Verwaltungsfachleute. Auch der Ausbau der Verbandszentrale geht auf ihn zurück. Die anspruchsvolle Wiedervereinigung der beiden deutschen Fußballverbände 1990 verdient besondere Erwähnung. Der damalige DFV-Präsident Hans-Georg Moldenhauer und Neuberger reichten sich im November 1990 in Leipzig über einem Trabbi-Dach symbolträchtig die Hände, eines der berühmtesten Bilder der Neuberger-Ära – und der schönsten dazu.

Neuberger kümmerte sich um die großen und die kleinen Dinge, auch bei der A-National-mannschaft, der seine große Liebe gehörte. So erhielt der junge Teamchef Franz Beckenbauer 1984 vom Chef die Order, er möge seinen Spielern den Text der Nationalhymne aushändigen, damit sie endlich mitsingen könnten. Seitdem singen sie. Zur WM 1990 im berühmten Teamquartier Castello di Casiglia ließ er auf die Schnelle einen Swimmingpool bauen. Für Ex-Bundestrainer Berti Vogts war er „der besten Präsident, den man sich nur vorstellen kann“.

Zu seinen Verdiensten zählt ferner, dass Berlin das Pokalfinale bekommen hat, dass die Trainerausbildung an der Kölner Sporthochschule allein DFB-Sache wurde und dass es eine 2. Liga gibt, deren Gründung 1974 er noch als Vize-Präsident durchsetzte.

Der Sohn eines Lehrerehepaars fühlte sich nicht immer genug gewürdigt und klagte einmal: „Ich bin im Ausland anerkannter und angesehener als in Deutschland.“

Was mit seinem Wirken auf andere zu tun hat: es gibt eine deutliche Diskrepanz zwischen interner und öffentlicher Wahrnehmung der Person Neuberger. Mitarbeiter kannten ihn als gesellig und humorvoll. Doch er teilte das Los vieler Menschen in Führungspositionen, denen man Machtstreben, Rechthaberei, in seinem Fall auch Humorlosigkeit und Starrsinn, vorwarf. Er war keiner, dem die Sympathien sofort zuflogen, „weil er nicht auf Kommando lächeln kann“, wie der Medienmanager Hans Beierlein sagte. Auf viele wirkte er misstrauisch und dazu hatte er auch allen Grund. Es gab täglich Herausforderungen in seinem Job, zuweilen auch Krisen und Kampagnen, wie zum Beispiel im Nachklang zur unseligen WM 1978 in Argentinien. Es ging um die so genannte „Rudel-Affäre“, fraglos ein düsterer Punkt in Neubergers Amtszeit. Der Besuch des einstigen Nazi-Flieger-Generals Hans-Ulrich Rudel, ein Mann mit stramm-rechter Gesinnung im deutschen WM-Quartier von Ascochinga, wurde medial verzerrt dargestellt und hallt anscheinend auf ewig nach. 2019 war in der FAZ über Neuberger zu lesen: „Außerdem lud er den ehemaligen Schlachtflieger und Wehrmachts-offizier Hans-Ulrich Rudel in die Ehrenloge des DFB und ins Mannschaftsquartier ein.“ Nichts davon ist belegt, vermutlich beides falsch. Neuberger war zum Zeitpunkt des Besuchs im 800 Kilometer entfernten Buenos Aires und kannte Rudel gar nicht. Wahr ist, dass Rudel Kontakt zu Bundestrainer Helmut Schön unterhielt. Als alter Bekannter von Schöns Vorgänger Sepp Herberger hatte er die Mannschaft schon bei der WM 1958 in Schweden besucht. Wie Neuberger in einem Schreiben vom 28. November 1978 an den Vorsitzenden des Direktoriums des Zentralrats der Juden, Werner Nachmann, erwähnte, habe er die Anfrage Rudels nach Ehrenkarten abgelehnt: „Ich selbst traf gegenüber der zuständigen Verwaltungsstelle in Frankfurt diese Entscheidung.“ Ferner beteuerte er: „Im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Besuch darf ich noch einmal betonen: Ein solcher kam für uns völlig überraschend.“

Das Hausrecht hatte die argentinische Luftwaffe und das Wachpersonal ließ Rudel ein. Neubergers in zahlreichen Briefen, auch an hochrangige Medienvertreter, bis in die 80er-Jahre hinein adressierte Ausführungen zum tatsächlichen Ablauf der Ereignisse konnten die verheerende Wirkung nicht mehr eindämmen, die er mit seinen mehr als ungeschickten Aussagen selbst entfacht hatte. So wurde der einstige Soldat in Rommels Afrika-Corps mit den Worten über Rudel zitiert: „Ich hoffe doch nicht, dass man ihm seine Kampffliegertätigkeit aus dem Zweiten Weltkrieg vorwerfen will.“ Da sich der DFB vor der WM auch nicht klar von der Militär-Junta distanzierte, die seit 1976 in Argentinien an der Macht war und Oppositionelle folterte und umbrachte. geriet Neuberger in ein immer schlechteres Licht. Schon wegen seiner Aussage, dass „die Wende zum Besseren mit der Übernahme der Macht durch die Militärs ein (trat).“ Das Thema Argentinien erforderte höchstes diplomatisches Geschick – damit war Neuberger, vielleicht zum ersten Mal in seinem Amt, überfordert.

2014, weit nach seinem Tod, wurden ihm und dem DFB zudem in einer ARD-Dokumentation Vorwürfe zum Fall der am 24. Mai 1977 von der Junta ermordeten Deutschen Elisabeth Kässmann gemacht. Der DFB habe aufgrund Neubergers guter Kontakte nach Argentinien im Zusammenhang mit der WM-Planung die Gelegenheit versäumt, sich für die Freilassung der jungen Frau einzusetzen. Wenigstens hätte man nicht zum Länderspiel am 5. Juni 1977 antreten dürfen, als der DFB von deren Ermordung erfahren hätte. Der DFB gab dazu 2014 diese Erklärung ab: „Die Auswertung der uns verfügbaren Quellen, insbesondere der Akten des Auswärtigen Amtes, hat keine Belege dafür erbracht, dass der DFB oder dessen Entscheidungsträger von der Verhaftung (08.03.77) und der sich anschließenden Folterhaft bis zu ihrem Tod am 24.05.1977 überhaupt detailliert Kenntnis hatte.“

Neuberger überstand die Rudel-Affäre und auch die Angriffe wegen des deutschen Auftretens bei der WM 1982, als er die „Schande von Gijon“, das abgekartet wirkende 1:0 gegen Österreich, kleinredete („Das ist morgen schon Schnee von gestern“). Weil es sein Prinzip war, sich vor seine Leute zu stellen.

Eine schwere Zeit hatte der Bundesverdienstkreuzträger Neuberger 1984/85, als der DFB bei den Planungen für die EM 1988 die Inselstadt West-Berlin nicht berücksichtigte – jedenfalls nicht mit Nachdruck. Im Wissen darum, dass man sie wegen des Vetos der Osteuropäer dann nicht bekommen würde. Dafür ertrug er Kritik von den höchsten politischen Stellen.

Auch dieses Turnier im eigenen Land wurde ein Erfolg und nichts sprach gegen Neubergers Wiederwahl im Oktober 1992. Aber das Schicksal hatte andere Pläne. Der tückische Krebs beendete am 27. September 1992 in der Homburger Universitätsklinik sein Leben, das ein steter Kampf war. Er hinterließ fünf Frauen, seine Irmgard und vier Töchter – und den größten Sportverband der Welt. Rudi Michel, legendärer Fußball-kommentator der ARD, rief ihm nach: „Dieses Engagement für den Fußball hätte kein anderer hinbringen können.“